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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 22.02.2001
Aktenzeichen: 12 U 7599/99
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, BGB, StGB, StVO, ZPO


Vorschriften:

StVG § 18
StVG § 17
StVG § 21
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 21 Nr. 1
StVG § 21 Nr. 2
StVG § 17 Abs. 1 Satz 2
PflVG § 3 Nr. 1
BGB § 254
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 316
StVO § 3
StVO § 8
ZPO § 713
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 7599/99

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 22. Februar 2001

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2001 durch die Richter am Kammergericht Grieß, Philipp und Hinze für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. Juli 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin - 17 O 543/98 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beschwer des Klägers beträgt 11.616,84 DM.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Schadensersatzansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 21 Nr. 1 und 2 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG stehen dem Kläger gegen die Beklagten nicht zu.

1. Entgegen der Ansicht des Landgerichts lässt sich die Haftung der Beklagten nicht damit begründen, dass der Beklagte zu 1) zum Unfallzeitpunkt unstreitig nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war. Bei der gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG, 254 BGB erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind (ständige Rechtsprechung, BGH VersR 1982, 442; BGH NJW 1995, 1029 für alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit; Senat, NZV 1999, 85, 86; Senat, Urteil vom 17. Januar 2000, 12 U 6678/98; KG VerkMitt 1986, 34 für fehlende Fahrerlaubnis; OLG Saarbrücken, NZV 1995, 23 für alkoholbedingte Fahrunfähigkeit; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 17 StVG Rdnr. 5; § 3 StVO Rdnr. 67).

Im vorliegenden Fall ist vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen worden und vom Landgericht auch nicht festgestellt worden, dass sich das Fehlen der Fahrerlaubnis des Beklagten zu 1) unfallursächlich ausgewirkt hätte.

Zwar trifft es zu, dass bei der Verletzung von Schutzgesetzen sowie von Unfallverhütungsvorschriften und Verkehrssicherungspflichten der Beweis des ersten Anscheins für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Verletzung des Schutzgesetzes und dem eingetretenen Schaden sprechen kann, wie sich aus den vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes ergibt. Voraussetzung ist jedoch, dass sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltenspflichten begegnet werden soll (BGH VersR 1994, 324, 325). Dieser sogenannte Rechtswidrigkeitszusammenhang lässt sich nicht mit der Erwägung begünden, das es zu dem vorliegenden Unfall nicht gekommen wäre, wenn der Beklagte zu 1) die vorschriftswidrige Fahrt unterlassen hätte, da gerade die in der Benutzung des Kfz ohne Fahrerlaubnis liegende Gefahrensteigerung sich verwirklicht haben muss, und der Unfall seiner Art nach zu den Folgen gehören muss, die die Obliegenheit verhindern sollte (vgl. Prölss-Martin-Knappmann, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl., § 2 b AKB Rdnr. 33 m.w.N.). So ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes etwa das Führen eines Kraftfahrzeugs im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit nur dann im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG zu berücksichtigen, wenn feststeht, dass sich die Fahruntüchtigkeit in dem Unfall niedergeschlagen hat (BGH NJW 1995, 1029, 1030 m.w.N.). Den Umstand allein, dass es zu dem Unfall nicht gekommen wäre, wenn der Fahrer im Hinblick auf das Verbot aus § 316 StGB die fragliche Fahrt unterlassen hätte, sieht der BGH also als nicht ausreichend an. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (Senat, Urteil vom 4. September 2000 - 12 U 4373/99 -). Der Beweis des ersten Anscheins spricht erst dann für die Ursächlichkeit der Trunkenheit, wenn sich der Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können (BGH NJW 1995, 1029, 1030). Für den hier vorliegenden Fall des Fahrens ohne Fahrerlaubnis kann nichts anderes gelten (KG VerkMitt 1986, 34). Ein Erfahrungssatz des Inhalts, das im Falle eines Verkehrsunfalls, an dem ein Kraftfahrer beteiligt ist, der nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist, dass Fehlen der Fahrerlaubnis sich stets unfallursächlich ausgewirkt hat, besteht nicht. Entgegen der Ansicht des Klägers greift ein Anscheinsbeweis zu seinen Gunsten daher nicht ein. Eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 21 StVG käme mithin nur dann in Betracht, wenn sich der Unfall in einer Verkehrslage ereignet hätte, die ein Fahrer, der sich im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis befindet, gemeistert hätte. Einen derartigen Sachverhalt hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht vorgetragen. Auch das Landgericht hat hierzu keine konkreten Feststellungen getroffen. Auf Seite 3 der Klageschrift hat der Kläger hierzu vorgetragen, die Zeugin S sei in den Einmündungsbereich eingefahren, nach dem sie sich durch Umsehen nach links davon vergewissert habe, "das sie dort niemanden gefährden würde". Im Schriftsatz vom 22. April 1999 heißt es weiter, die Zeugin S sei nicht erst dann auf die Straßenmitte vorgefahren, als das Fahrzeug des Beklagten herangenaht sei. Das klägerische Fahrzeug habe bereits einige Zeit gestanden.

Dieser Vortrag lässt jedoch, auch wenn er bewiesen wäre, nicht die Feststellung zu, ein Fahrer, der im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war, hätte den Unfall anstelle des Beklagten zu 1) vermeiden können. Der Kläger hat nicht vorgetragen, wie weit die Zeugin S die Konrad-Wolf-Straße aus ihrer Sicht nach links einsehen konnte, als sie bis zu den Straßenbahnschienen vorgefahren sein soll. Auch fehlt ein konkreter Vortrag dazu, wie weit der Beklagte zu 1) mit dem von ihm geführten Fahrzeug entfernt gewesen sein soll, als die Zeugin S anfuhr. Der Vortrag, die Zeugin S sei angefahren, nach dem sie sich vergewissert habe, dass sie "niemanden gefährden würde," enthält keine konkreten Tatsachen sondern lediglich eine rechtliche Wertung. Auf das Vorbringen, das Fahrzeug des Klägers habe "einige Zeit" gestanden, als es zum Unfall kam, entbehrt der Substanz.

2.a) Umgekehrt spricht gegen die Zeugin S , die gemäß § 8 StVO die Vorfahrt des Beklagten zu 1) zu beachten hatte, der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall durch eine Vorfahrtsverletzung verschuldet zu haben. Die Zeugin S durfte in die bevorrechtigte Konrad-Wolf-Straße nur dann einfahren, wenn sie nach einer den Umständen entsprechenden sorgfältigen Prüfung annehmen durfte, sie werde ihr Fahrzeug ohne Gefährdung oder wesentliche Behinderung der Vorfahrtsberechtigten rechtzeitig in den fließenden Verkehr auf der Vorfahrtsstraße einordnen (BayObLG, DAR 1975, 277 f. m.w.N., Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 8 Rdnr. 62). Andererseits durfte der Beklagte zu 1) grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Zeugin S seine Vorfahrt beachten werde. Dabei erstreckt sich die Vorfahrt auf die gesamte Breite der Vorfahrtsstraße (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 8 StVO Rdnr. 28).

Sein Vorfahrtsrecht bliebe daher selbst dann bestehen, wenn er, wie der Kläger offenbar behaupten will, über einen längeren Zeitraum im - gedachten - linken Fahrstreifen der Konrad-Wolf-Straße Richtung Nordosten gefahren sein sollte und dabei zumindest teilweise über die in der Mitte der Konrad-Wolf-Straße verlegten Straßenbahnschienen gefahren sein sollte.

b) Die Zeugin S war auch nicht berechtigt, zunächst bis auf die Straßenbahngleise der Konrad-Wolf-Straße vorzufahren, wie sie das nach dem Vortrag des Klägers getan hat, um sodann in einem zweiten Zug nach links in die Konrad-Wolf-Straße abzubiegen. Denn grundsätzlich ist die Vorfahrt vor der Kreuzung oder Einmündung, und nicht erst auf ihr zu beachten; alsdann ist die Vorfahrtstraße in einem Zuge zu überqueren oder in sie einzubiegen (BayObLG a.a.O.). Ein Einfahren bis zur Mitte, um dort den von rechts kommenden Verkehr vorbeizulassen, ist in der Regel verboten (BayObLG a.a.O.). Ein Sachverhalt, in dem eine solche Fahrweise ausnahmsweise zulässig wäre, ist vom Kläger nicht vorgetragen worden.

Grundsätzlich wird das Überqueren oder Einbiegen in Etappen dann für zulässig angesehen, wenn die bevorrechtigte Straße entweder in zwei durch einen breiten Mittelstreifen getrennte Fahrbahnen aufgeteilt ist, oder wenn die einheitliche Fahrbahn so breit ist, das der auf der Fahrbahnmitte haltende Wartepflichtige den Verkehr in beide Richtungen nicht oder jedenfalls nicht wesentlich behindert (BayObLG .a.a.O.; Senat, Urteil vom 22. November 1999 - 12 U 4322/98 -; Hentschel, a.a.O., § 8 StVO Rdnr. 56/62). Durch einen Mittelstreifen sind die Fahrbahnen der Konrad-Wolf-Straße an der Unfallstelle unstreitig nicht getrennt. Auch ist die Konrad-Wolf-Straße mit 14,9 m, entgegen der Ansicht des Landgerichts, nicht so breit, das sie ausnahmsweise in zwei Zügen überquert bzw. in sie eingebogen werden dürfte. Dagegen spricht schon, das in der Mitte der Konrad-Wolf-Straße Straßenbahnschienen verlaufen, so dass ein Halten in der Mitte der Konrad-Wolf-Straße, zumal zu dem zum Unfallzeitpunkt unstreitig herrschenden Berufsverkehr - ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs, insbesondere der Straßenbahnen - nicht möglich war.

Ferner wird ein Einfahren in die Vorfahrtstraße dann als zulässig angesehen, wenn die Kreuzung oder Einmündung selbst und die Vorfahrtstraße in beiden Richtungen übersichtlich sind, wenn ferner sich von links überhaupt kein Verkehr und von rechts nur ein einziges Fahrzeug auf seiner rechten Fahrbahnseite nähert und wenn keine Anzeichen erkennbar sind, die den Führer dieses Fahrzeugs veranlassen könnten, auf die Mitte oder die linke Seite der Fahrbahn hinüberzulenken (BayObLG a.a.O. sowie VRS 67, 137, 138). Diese Voraussetzungen sind vom Kläger jedoch nicht vorgetragen worden. Zum einen war die Konrad-Wolf-Straße aus der Sicht der Zeugin S nach links nicht frei. Sie selbst hat bekundet, von dort habe sich ein Fahrzeug genähert, das jedoch den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe, um in die Große Leege Straße einzubiegen. Im Übrigen näherte sich aus Sicht der Zeugin S von links der Beklagte zu 1) mit dem von ihm geführten Fahrzeug, auch wenn nicht bekannt ist, in welcher Entfernung. Jedenfalls aber fehlt es an der weiteren Voraussetzung, dass sich von rechts lediglich ein einzelnes Fahrzeug näherte und für die Zeugin S absehbar war, dass sie nach links in die Konrad-Wolf-Straße einbiegen könnte, bevor sich von links bevorrechtigte Fahrzeuge nähern würden. Vielmehr ist der Vortrag des Klägers so zu verstehen, dass sich aus Sicht der Zeugin S von rechts zunächst mehrere Fahrzeuge näherten, und eine Lücke im Verkehr, in die sie sich hätte einfädeln können, jedenfalls zu dem Zeitpunkt nicht erkennbar, als sie bis auf die Straßenbahnschienen vorgefahren ist.

Kommt es im Bereich der Einmündung oder Kreuzung mit einer vorfahrtberechtigten Straße zu einem Verkehrsunfall zwischen einem bevorrechtigten und einem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat (Senat, Urteil vom 17. Januar 2000 -12 U 6678/98 - NZV 2000, 377 = DAR 2000, 260 = VerkMitt 2000, 67 Nr. 77 = KG Report 2000, 135; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 8 StVO Rdnr. 69 m.w.N.).

3. Ein unfallursächliches Mitverschulden des Beklagten zu 1), das zu einer Mithaftung der Beklagten führen könnte, ist, wie bereits ausgeführt, schon nicht hinreichend dargetan worden. Dies gilt auch für die Behauptung des Klägers, der Beklagte zu 1) sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Abgesehen davon, dass konkrete Angaben dazu fehlen, wie schnell der Beklagte zu 1) konkret gefahren sein soll, käme eine Haftung der Beklagten nur dann in Betracht, wenn feststünde, dass eine etwaige Geschwindigkeitsüberschreitung erwiesenermaßen unfallursächlich geworden ist (vgl. BGH VersR 1982, 442; Senat, NZV 1999, 85, 86; Senat, Urteil vom 17. Januar 2000 - 12 U 6678/98 - a.a.O.; Senat, Urteil vom 27. April 2000 - 12 U 8740/98 -). Dazu müsste feststehen, wie weit der Beklagte zu 1) von der späteren Unfallstelle entfernt war, als für ihn die Vorfahrtsverletzung durch die Zeugin S erkennbar wurde. Dies hat der Kläger, wie bereits ausgeführt, nicht hinreichend dargetan. Auch das Urteil des Landgerichts enthält hierzu keine Feststellungen. Auf Seite 6 des Urteils führt das Landgericht lediglich aus, dass es der Aussage des Zeugen K nicht folgt, die Zeugin S sei erst in die Konrad-Wolf-Straße eingefahren, als der Beklagte zu 1) sich ihrem Fahrzeug auf etwa 15 m genähert hatte. Wie groß der Abstand zwischen den Fahrzeugen zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich gewesen sein soll, wird vom Kläger nicht dargelegt und ist vom Landgericht nicht festgestellt. Demgemäß kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1) trotz der zum Unfallzeitpunkt unstreitig herrschenden Nässe unter Berücksichtigung einer angemessenen Reaktions- und Bremsanschwellzeit die Möglichkeit gehabt hätte, unfallverhütend zu reagieren.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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