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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 14 U 34/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
Zu den Anforderungen an die Organisation der Fristenkontrolle, wenn das Büropersonal dem nach Büroschluss eintreffenden Rechtsanwalt Fristsachen auf den Tisch legt.
Kammergericht

Beschluss

Geschäftsnummer: 14 U 34/06

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Erich, den Richter am Kammergericht Schlecht und die Richterin am Kammergericht Dr. Hollweg-Stapenhorst am 16. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin gegen das am 20. Februar 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 30 O 380/05 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 53.179,19 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Klägerin hat gegen das ihr am 19. Januar 2006 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin am Montag, den 20. Februar 2006 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 20. März 2006, der am 23. März 2006 bei Gericht eingegangen ist, hat sie die Berufung begründet und mit einem am 21. März 2006 per Fax eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gestellt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages trägt sie vor, sie sei ohne ihr eigenes oder ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen. Vielmehr habe die ständig sorgfältig arbeitende Angestellte des Prozessbevollmächtigten es versäumt, diesem den von dem angestellten Rechtsanwalt vorbereiteten Schriftsatz mit der Berufungsbegründung am Tag des Fristablaufs auf den Schreibtisch zu legen, damit er diesen nach Rückkehr in das Büro außerhalb der Geschäftszeiten unterzeichnen und noch an das Gericht absenden könne.

Wegen der Einzelheiten der Begründung und Glaubhaftmachung wird auf die Schriftsätze vom 21. März und 04. Mai 2006, die anwaltliche Versicherung des angestellten Rechtsanwalts Snnn und die eidesstattliche Versicherung der Angestellten Pnn Mnnn Bezug genommen.

Die Berufung der Klägerin ist unzulässig, weil die Berufungsbegründung nicht binnen der Frist des § 519 Abs. 2 ZPO von zwei Monaten nach der Zustellung des Urteils bei Gericht eingegangen ist. Die Frist zur Berufungsbegründung lief am Montag, den 20. März 2006 ab, nachdem das Urteil am 19. Januar 2006 zugestellt worden war. Die Berufungsbegründung ist jedoch erst am 23. März 2006 bei Gericht eingegangen.

Der rechtzeitig gestellte Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet, §§ 234, 236, 238 ZPO. Die Klägerin war nicht im Sinne des § 233 ZPO ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, denn sie muss sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen, so dass ihr eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt werden kann.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Fristversäumnis fahrlässig verschuldet, da er am Tag des Fristablaufs trotz seiner Abwesenheit während der Geschäftszeiten seiner Kanzlei nicht selbst eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle vorgenommen hat. Dabei kann von dem Vortrag der Klägerin ausgegangen werden, dass die Fristenwahrung im Regelfall dadurch gewährleistet wird, dass Fristen aus dem Kalender erst bei Erledigung ausgetragen, deren Erledigung vor Büroschluss noch einmal kontrolliert werden und dass die Angestellte verpflichtet war, dem Prozessbevollmächtigten die noch am gleichen Tag zu erledigenden Fristen sichtbar auf den Schreibtisch zu legen, wenn dieser erst nach Ende der Geschäftszeiten wieder das Büro aufsuchen würde. Es kann auch zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass diese Handhabung bereits zuvor ohne Fehler praktiziert wurde, die Angestellte sorgfältig und zuverlässig in der Regel sämtliche Anweisungen korrekt erledigt und sie es lediglich in diesem konkreten Fall versäumt hat, die Akte sichtbar auf den Schreibtisch des Prozessbevollmächtigten zu legen.

Diese Form der Büroorganisation offenbart jedoch Mängel in der Organisation des Fristenwesens, die dem Prozessbevollmächtigten als Organisationsverschulden zuzurechnen sind. Zunächst ist es schon für die Tage, an denen der Prozessbevollmächtigte in der Kanzlei bei Büroschluss nicht anwesend ist und offene Fristen existieren, nicht gewährleistet, dass die Angestellte selbst eine zweite Kontrolle der Fristen durchführt, da sie das Büro verlässt, ohne dass der Fristenkalender für den Tag abschließend kontrolliert worden wäre. Damit ist eine ausreichende Fristenkontrolle nicht gesichert. Diese wird auch nicht dadurch gewährleistet, dass die Angestellte verpflichtet ist, offene Fristsachen auf den Schreibtisch des Anwalts zu legen. Denn bei dieser Handhabung kann sie nicht mehr selbst die Erledigung der Frist kontrollieren. Wenn sie, wie üblich, nochmals vor Büroschluss die Fristen kontrolliert hätte, wäre ihr unter Umständen aufgefallen, dass die Frist noch offen war und sie hätte dann die Akte noch auf den Schreibtisch des Anwalts legen können. Vergisst sie jedoch das Hinlegen der Akte und kann sie auch die Fristen nicht abschließend kontrollieren, weil der Anwalt nicht anwesend ist, muss der Anwalt dafür Sorge tragen, dass bei seiner Anwesenheit im Büro erst außerhalb der Bürozeiten und dem Vorhandensein von Fristsachen der Fristenkalender von ihm selbst kontrolliert wird. Dies gilt erst recht, wenn die Angestellte wegen der offenen Fristsachen sowieso nicht mehr die zweite Kontrolle des Fristenkalenders vornimmt, sondern sich von vornherein darauf verlässt, dass der Anwalt die Erledigung der Fristen herbeiführt. Wenn also wie hier der Anwalt in eigener Person für die Erledigung der Fristsachen verantwortlich ist, weil er sie auch nach Büroschluss selbst an das Gericht zu expedieren hat, so muss er auch die für jeden Tag vorgesehene abschließende Fristenkontrolle leisten und kann sich nicht auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal verlassen. Insofern unterscheidet sich der Fall auch von dem höchstrichterlich entschiedenen Sachverhalt, dass der Anwalt sich auf eine Unterschriftenkontrolle seitens des Büropersonals verlassen darf (vgl. BGH, Beschl. v. 15.02.2006, XII ZB 215/05; BGH, Beschl. v. 05.03.2003, FamRZ 2003, 1547; BGH, Beschl. v. 06.12.1995, NJW 1996, 998), da hier gerade die Erledigung der Frist von dem Büropersonal nicht mehr überprüft werden konnte, so dass den Prozessbevollmächtigten die Anweisung an das Personal, die fristgebundenen Akten sichtbar vorzulegen, nicht entlasten kann (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 11.02.1992, NJW 1992, 1632). Dies gilt erst recht, wenn der Prozessbevollmächtigte von dem Vorhandensein von Fristsachen wusste, was nach den Angaben der Klägerin der Fall war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.



Ende der Entscheidung

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