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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 25.05.2004
Aktenzeichen: 14 U 37/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 276
BGB § 278
BGB § 823 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 14 U 37/03

verkündet am: 25. Mai 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Erich, den Richter am Kammergericht Schlecht und die Richterin am Kammergericht Dr. Hollweg-Stapenhorst

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 07. Januar 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 4 O 337/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe:

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO, noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.

Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der Beklagten eine schuldhafte Pflichtverletzung des Heimvertrages gemäß §§ 611, 276, 278 BGB oder eine unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu Lasten der Versicherten nicht vorgeworfen werden kann und die Klägerin keine Ansprüche aus übergegangenem Recht der Versicherten gemäß § 116 Abs. 1 SGB-X gegen die Beklagte geltend machen kann.

Allerdings ist es nach dem insoweit unstreitigen Sachverhalt zutreffend, dass die Versicherte bis zu dem die behaupteten Ansprüche auslösenden Sturz am 15. Mai 2001 bereits am 09.04.2001 versucht hatte, allein aufzustehen, am 15.04.2001 liegend im Behinderten-WC vorgefunden wurde, am 20.04.2001 und 30.04.2001 bei dem Versuch alleine aufzustehen gestürzt ist und schließlich am 01.05.2001 außerhalb des Heimgeländes nach einem Sturz aus dem Rollstuhl vorgefunden wurde. Dies ergibt sich im Einzelnen aus der von der Beklagten inhaltlich nicht angegriffenen Anlage K 4.

Aus der vorgenannten Anlage und dem Vermerk vom 03.05.2001 ergibt sich auch, dass die Mitarbeiter der Beklagten einen veränderten Zustand der Versicherten durch deren zunehmende Mobilität und zeitweise Neigung, die Station zu verlassen erkannt haben und auch die damit verbundene Selbstgefährdung wahrgenommen und dokumentiert haben.

Eine Pflichtverletzung der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen liegt jedoch nicht vor, da die Beklagte nicht zu einer ständigen Beaufsichtigung der Versicherten verpflichtet war und weitere Maßnahmen zur Fixierung der Versicherten nicht treffen konnte, sondern durch die Benachrichtigung des Betreuers das ihrerseits Erforderliche zugunsten der Versicherten unternommen hat.

Eine Pflichtverletzung kann zunächst nicht schon deswegen angenommen werden, weil die Versicherte im Herrschaftsbereich der Beklagten aus dem Rollstuhl gestürzt ist. Die Versicherte befand sich mit dem Rollstuhl auf dem Flur und zum Zeitpunkt des Sturzes war kein Pflegepersonal anwesend. Die Beklagte schuldete jedoch keine ständige ununterbrochene Betreuung der Versicherten im Sinne einer ständigen Anwesenheit einer Pflegekraft, sondern musste im Rahmen ihrer Möglichkeiten in regelmäßigen Abständen je nach den Bedürfnissen des Einzelfalls nach den Bewohnern sehen. Hier hat die Beklagte vorgetragen, dass die Versicherte unmittelbar vor dem Sturz noch mit Hilfe einer Pflegekraft die Toilette aufgesucht habe und ein besonders unruhiges Verhalten der Versicherten zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt werden konnte. Eine ständige Betreuung der Versicherten in dieser Situation war somit nicht erforderlich.

Die Beklagte war auch nicht angesichts der vorausgegangenen Ereignisse gehalten, für eine ständige Betreuung der Versicherten durch die permanente Anwesenheit einer Pflegekraft - wie die Klägerin selbst einräumt - zu sorgen. Vielmehr wären geeignete Maßnahmen zur Sicherung der gefährdeten Versicherten allein eine Fixierung im Bett oder im Rollstuhl gewesen, so dass die Versicherte nicht mehr alleine hätte aufstehen können. Zur Vornahme derartiger Maßnahmen war die Beklagte aber ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nicht berechtigt, § 1906 Abs. 4 BGB. Gemäß § 1906 BGB ist die Unterbringung eines Betreuten nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulässig, wobei gemäß Abs. 4 der Vorschrift auch freiheitsentziehende Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen der Genehmigungspflicht unterliegen. Da die Versicherte unter Betreuung stand, war es insofern zutreffend, zunächst den Betreuer zu informieren, der seinerseits weitere erforderliche Maßnahmen zu veranlassen gehabt hätte.

Die Beklagte war zur Zeit des streitgegenständlichen Sturzes noch nicht gehalten, ihrerseits bei dem Vormundschaftsgericht die Genehmigung für eine Fixierung der Versicherten zu beantragen, sondern konnte sich mit einer entsprechenden Benachrichtigung des Betreuers begnügen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Betreuer sofort eine entsprechende Genehmigung bei dem Vormundschaftsgericht beantragt hat oder ob er - was zwischen den Parteien streitig ist - weitere Maßnahmen abgelehnt hat. Denn die Beklagte konnte innerhalb der zwei Wochen, die zwischen der Benachrichtigung des Betreuers und dem streitgegenständlichen Sturz lagen, noch mit weiteren eigenen Maßnahmen zuwarten und zunächst erwarten, dass der Betreuer das Notwendige veranlassen werde (vgl. auch OLG Koblenz, Urt. v. 21.03.2002, FamRZ 2002, 1359).

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Pflegepersonal der Beklagten noch nicht von einer Gefahr im Verzug ausgegangen ist und ohne die erforderliche Genehmigung fixierende Maßnahmen ergriffen hat. Denn grundsätzlich ist eine Fixierung als freiheitsentziehende Maßnahme nur angemessen, wenn eine erhebliche Gesundheitsgefährdung diese erfordert. Dabei war angesichts des unstreitigen Sachverhalts hinsichtlich des Sturzes am 01.05.2001 in erster Linie zu verhindern, dass die Versicherte erneut das Krankenhausgelände verließ und sich auf diese Weise einer Gefährdung aussetzte. Eine Fixierung der Versicherten auch ohne Genehmigung war angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die Bewegungsfreiheit noch nicht geboten. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Versicherte gar nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich selbst fortzubewegen und deswegen von fixierenden Maßnahmen nicht betroffen gewesen wäre. Gerade der Bewegungsdrang der Versicherten zeigt doch, dass diese ein Mobilitätsinteresse hatte und der Anlage K 4 ist auch zu entnehmen, dass die Versicherte durchaus ihre Wünsche und Bedürfnisse noch artikulieren konnte. Für die Genehmigungspflicht ist es aber ausreichend, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betroffene noch zu einer willkürlichen Fortbewegung in der Lage ist (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 63. Auflage 2004, § 1906 Rn. 19). Hier wollte die Versicherte sich - wie die Beklagte unwidersprochen vorträgt - von dem Rollstuhl in einen Stuhl umsetzen, hat also offensichtlich eine willkürlich gesteuerte Bewegung unternommen, zu der sie bei einer Fixierung nicht in der Lage gewesen wäre. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, 713 ZPO. Die Revision war gemäß §§ 26 Nr. 7 EGZPO, 543 Abs. 1, 2 ZPO n.F. nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Insbesondere basiert die Entscheidung nicht auf der streitigen Frage, in welchem Maße der Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung der ihr obliegenden Pflichten oblegen hat (vgl. dazu BGH, Urt. v. 18.12.1990, NJW 1991, 1540; OLG Hamm, Urt. v. 25.06.2002, MDR 2002, 1370; OLG Dresden, Urt. v. 21.07.1999, NJW-RR 2000, 761), sondern allein auf der rechtlichen Würdigung des unstreitigen Sachverhalts, der mit den entschiedenen Fällen nicht vergleichbar ist.

Ende der Entscheidung

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