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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.05.2005
Aktenzeichen: 16 UF 22/05
Rechtsgebiete: BGB, SGB XI


Vorschriften:

BGB § 1587
BGB § 1587 Abs. 1
BGB § 1587 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1587 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1587 c
SGB XI § 13 Abs. 6
SGB XI § 19
SGB XI § 36
SGB XI § 37
Nach § 2 Abs. 6 des Gesetzes über Pflegeleistungen begründete Altersanwartschaften sind in die Berechnung des Versorgungsausgleichs (§ 1587 Abs. Satz 1 BGB) einzubeziehen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 16 UF 22/05

In der Familiensache

hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer, den Richter am Kammergericht Dr. Prange und die Richterin am Kammergericht Gernoth-Schultz am 26. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgericht Pankow-Weißensee (Familiengericht) vom 14. Dezember 2004 wird auf Kosten der Antragsgegnerin nach einem Wert von 2.000 EUR zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Durch am 28. Mai 2002 verkündetes - rechtskräftiges - Urteil hat das Familiengericht nach Abtrennung der Folgesache Versorgungsausgleich auf den am 25. Februar 1997 zugestellten Scheidungsantrag die am 8. Juni 1962 geschlossene Ehe der Parteien geschieden.

Der Antragsteller ist am 6. Februar 2004 verstorben.

Nach Einholung der Auskünfte der Versorgungsträger hat das Familiengericht durch Beschluss vom 14. Dezember 2004 den Versorgungsausgleich zugunsten der Antragsgegnerin durch Begründung von Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung von monatlich 580,42 EUR, bezogen auf den 31. Januar 1997, geregelt.

Das Familiengericht hatte hierzu einbezogen:

Anwartschaften des Antragstellers bei der LVA Berlin 2.536,40 DM Anwartschaften der Antragsgegnerin bei der Allianz Lebensversicherung, dynamisiert 1.135,20 DM.

Die ausländischen Anwartschaften des Antragstellers hat das Familiengericht außer Acht gelassen.

Gegen diesen am 27. Dezember 2004 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 22. Januar 2005 eingegangenen und - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 29. März 2005 - mit am 16. März 2005 eingegangenem Schriftsatz begründeten Beschwerde.

Sie begehrt, den Versorgungsausgleich ohne Einbeziehung ihrer Anwartschaften aus der nnnn Lebensversicherungs- AG durchzuführen und trägt hierzu vor:

Die Anwartschaften bei der nnnn habe sie -was unstreitig ist - ab dem 1. Mai 1989 durch Leistungen des Bezirksamtes nnnnnnn von monatlich 542 DM, später 798 DM (V 38) für die Pflege des gemeinsamen Sohnes der Parteien (geboren nnnnnnnnnn ), der auf Grund einer 1974 bekannt gewordenen Muskelschwäche - VA 151 - seit 1978 auf den Rollstuhl angewiesen ist) erhalten gemäß § 2 Abs 6 des Gesetzes über Pflegeleistungen i. d. F. v. 14. Juli 1984. Diese Leistung sei nicht als ein nach § 1587 BGB auszugleichendes Entgelt für "Arbeit" anzusehen. Das Pflegegeld werde nach § 19 SGB XI überhaupt nur demjenigen gezahlt, der einen Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung "nicht erwerbsmäßig" betreue. Ebenso, wie das gezahlte Pflegegeld unterhaltsrechtlich unbeachtlich sei (§ 13 Abs. 6 SGB XI), habe auch die hierfür gewährte Altersvorsorge allein bei der Pflegeperson zu verbleiben. Diese Altersversicherung sei weder von der Antragsgegnerin noch aus gemeinschaftlichen Mitteln der Eheleute erwirtschaftet worden. Der Antragsteller habe für den gemeinsamen Sohn auch nur minimale Unterstützungsleistungen von monatlich rd. 25 EUR gezahlt.

Die Durchführung des Versorgungsausgleichs ohne die Anwartschaften der Antragsgegnerin bei der Allianz sei auch aus Billigkeitsgründen nach § 1587 c BGB erforderlich. Auch der Ausgleichsberechtigte könne sich auf diese Vorschrift berufen, so auch OLG Karlsruhe, FamRZ 1986, 517. Mit der Haushaltsführung und der Betreuung des Kindes, die einen 24-stündigen Einsatz täglich erforderte - sei sie weit überobligatorisch tätig geworden.

Die Gesamtrechtsnachfolgerin (Schwester) des Antragstellers bittet um Zurückweisung der Beschwerde.

Der Antragsteller habe an die Antragsgegnerin Trennungsunterhalt (1.475 DM) und nachehelichen Unterhalt von monatlich 1.074 EUR gezahlt und es ihr damit ermöglicht, sich voll der Pflege des gemeinsamen behinderten Sohnes zu widmen, die die Antragsgegnerin anerkannter Maßen aufopferungsvoll geleistet habe.

Die Einbeziehung sei auch nach § 1587 c BGB nicht unbillig. der Antragsteller habe durch seine Arbeit und den gezahlten Unterhalt zum Leben der Familie beigetragen. Eine tatsächliche Unterstützung bei der Pflege des Sohnes durch den Antragsteller habe die Antragsgegnerin nach der Trennung der Parteien 1992/1993 nicht mehr zugelassen.

Die weiteren Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme im Beschwerdeverfahren.

II.

Die zulässige (§ 621 e ZPO) Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Familiengericht hat die Anwartschaften der Antragsgegnerin bei der nnnn Lebensversicherungs- AG zu Recht in die Berechnung des Versorgungsausgleichs eingestellt.

Gemäß § 1587 Abs. 1 Satz 1 BGB sind grundsätzlich alle Anrechte auszugleichen, die der Versorgung wegen Alters oder Berufsunfähigkeit dienen. Anrechte auf Leistungen mit anderer Zweckbestimmung (dazu BGH NJW-RR 1988, 1090) gehören nicht dazu. Außer Betracht bleiben gemäß § 1587 Abs. 1 Satz 2 BGB Anwartschaften oder Aussichten, die weder mit Hilfe des Vermögens noch durch Arbeit der Ehegatten begründet oder aufrechterhalten worden sind. Entscheidend ist, ob die Leistungen Versorgungs- oder Entgeltcharakter haben (BGH FamRZ 1988, 936).

Das ist bei den Leistungen des Bezirksamtes Reinickendorf nach § 2 Abs. 6 des Gesetzes über Pflegeleistungen in der Fassung vom 14. Juli 1986 der Fall.

Zwar bleiben Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder vergleichbare Leistung, die an eine Pflegeperson weitergeleitet werden, bei der Ermittlung von Unterhaltsansprüchen der Pflegeperson in der Regel unberücksichtigt, § 13 Abs. 6 SGB XI. Mit dieser Regelung verfolgte der Gesetzgeber sozialpolitische Anliegen (BT-Drucks 14/407 Seite 4), die häusliche Pflege zu fördern und die Pflegebereitschaft und -fähigkeit im häuslichen Bereich zu stärken (dazu Udsching, SGB XI § 13 Rdnr. 25). Anders als etwa Leistungen nach dem KLG (dazu: BGH NJW 1991, 1825 f), die den Müttern der Geburtsjahrgänge vor 1921 allein wegen der Geburt eines Kindes "als Anerkennung" gezahlt wird, ohne auf eine tatsächlich erbrachte Erziehungsleistung abzustellen, werden Altersanwartschaften nach § 2 Abs. 6 des Gesetzes über Pflegeleistungen jedoch nur dann begründet, wenn, soweit und solange die häusliche Pflege des nach dem SGB XI Pflegebedürftigen durch eine von dem Pflegebedürftigen selbst beschaffte Pflegehilfe (§ 36 SGB XI) freiwillig und nicht erwerbsmäßig erbracht wird. Die Zahlungen nach §§ 36 und 37 SGB XI dienen damit tatsächlich (jedenfalls auch) der Vergütung der erbrachten Leistungen. Anerkennung und motivierendes Moment (§ 3 SGB XI) schließen die gleichzeitig gewollte Entgeltung erbrachter Leistungen nicht aus.

Auch wenn die Entlohnung für häusliche Pflegeleitungen eines Angehörigen nach dem Willen des Gesetzgebers (§ 13 Abs. 6 SGB XI) "unterhaltsneutral" sein soll, beruht die Leistung des Pflegegeldes und die deswegen gezahlte Altersvorsorge (deren Höhe sich auch nach dem durchschnittlichen Bruttoentgelt eines Krankenpflegers richtet) gleichwohl auf dem Einsatz der Arbeitskraft des Angehörigen und unterfällt damit gemäß § 1587 Abs. 1 BGB dem öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich.

Auch die Intention des Gesetzgebers, das Entgelt für häusliche Pflegeleistungen eines nahen Angehörigen unterhaltsrechtlich unberücksichtigt zu lassen, erfordert es nicht, die hierdurch erworbenen Altersanwartschaften aus der Regelung des Versorgungsausgleichs grundsätzlich auszuklammern. Groben Unbilligkeiten im Einzelfall kann nach § 1587 c BGB begegnet werden.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind die Voraussetzungen des § 1587 c Nr. 1 BGB vorliegend auch nicht erfüllt.

§ 1587 c BGB hat eine anspruchsbegrenzende Funktion (vgl. Palandt-Brudermüller, BGB, 64. Aufl. § 1587 c Rdnr. 50 m.w.N.). Die Antragsgegnerin begehrt hier jedoch eine Erhöhung der ihr zu übertragenden Anwartschaften durch Nichtberücksichtigung ihrer Anwartschaften bei der Allianz Lebensversicherungs-AG. Diese Möglichkeit eröffnet § 1587 c BGB nicht (BGH FamRZ 1985, 687).

Davon abgesehen erscheint die Einbeziehung der Anwartschaften der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auch nicht grob unbillig.

Nach den Angaben im Fragebogen zum Versorgungsausgleich hat die 1943 geborene Antragsgegnerin ihren Beruf als Schneiderin /Direktrice im Februar 1962 im Alter von 19 Jahren aufgegeben. Seither war sie nicht mehr erwerbstätig. Sie hat sich während der am 8. Juni 1962 geschlossenen Ehe der Haushaltsführung und nach der Geburt der Kinder 1964 und 1967 zusätzlich deren Pflege und Erziehung gewidmet. Der Antragsteller hat mit seinen Einkünften aus Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt der Familie sichergestellt. Nachdem 1974 die Behinderung des zweiten Kindes bekannt geworden war, auf Grund der der Sohn seit 1978 auf den Rollstuhl angewiesen ist, hat die Pflege und Betreuung des nunmehr zu 100% schwerbehinderten Sohnes einen Großteil der Zeit der Antragsgegnerin in Anspruch genommen. Ohne Frage hat ihr diese Tätigkeit sowohl von den zeitlichen als auch von den physischen Anforderungen her einen aufopferungsvollen Einsatz abverlangt. Diese besonderen Leistungen hat auch der Antragsteller ausdrücklich anerkannt.

Gleichwohl kann nicht festgestellt werden, das die besonderen Umstände des Einzelfalls bezogen auf die gesamte Ehezeit zu einem mit dem Wesen der Ehe nicht zu vereinbarenden Leistungsungleichgewicht zwischen den Ehegatten geführt haben. Die Übernahme der Haushaltsleistung und der Kinderbetreuung entsprach dem Lebensplan der Parteien. Das Risiko, dass ein Kind krank und damit zeitlich und vom Umfang her weit über das übliche Maß betreuungsbedürftig wird, ist einer jeden Familienplanung immanent. Die Verantwortung hierfür tragen die Eltern gemeinsam. Es wird nicht verkannt, dass die Antragsgegnerin mit der schließlich 24-stündigen täglichen Betreuung des Sohnes Erhebliches geleistet hat und noch leistet. Andererseits ist aber auch zu bewerten, dass der Antragsteller es ihr mit seiner Arbeitsleitung durch sein Erwerbseinkommen zunächst im Rahmen des Familienunterhalts (§ 1360 a BGB) und sodann durch die Unterhaltszahlungen (ab 1993/1994: Trennungsunterhalt von 1.475 DM sodann nachehelichen Unterhalt von monatlich 1.074 EUR) ermöglicht hat, sich der Pflege und Umsorge des gemeinsamen Kindes in diesem Umfang widmen zu können. Dass, wann und mit welchem Erfolg sie den Antragsteller zur Mithilfe im Haushalt oder bei der Versorgung des behinderten Sohnes erfolglos aufgefordert hat, trägt die für den Ausschlusstatbestand des § 1587 c BGB darlegungsbelastete (vgl. dazu BGH NJW 1985, 2266) Antragsgegnerin nicht vor. Ihrem pauschalen Vorbringen, sie habe sich allein und ohne jede Unterstützung des Antragstellers um den Haushalt und das behinderte Kind gekümmert ist der Antragsteller entgegengetreten mit seinem Vorbringen, er habe die Antragsgegnerin während der intakten Ehe bei sämtlichen Aufgaben und Tätigkeiten unterstützt und entlastet. Nach der Trennung der Parteien habe die Antragsgegnerin einen Kontakt zu dem behinderten Sohn schließlich nicht mehr zugelassen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 3, Abs. 1 ZPO, § 49 Nr. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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