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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 16 VA 5/05
Rechtsgebiete: GG, InsO, EGGVG


Vorschriften:

GG Art. 12 I
InsO § 56
EGGVG §§ 23 ff
Die Entscheidung, einen Interessenten nicht in die Vorauswahlliste der grundsätzlich bereiten und geeigneten Insolvenzverwalter aufzunehmen ist nach §§ 23 ff EGGVG anfechtbar.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 16 VA 5/05

11.01.2006

In dem Verfahren nach § 23 EGGVG

wegen: Aufnahme in die Liste derjenigen Anwälte, aus der die mit Insolvenzverfahren befassten Richter regelmäßig Insolvenzverwalter bestellen

hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer, den Richter am Kammergericht Dr. Prange, und die Richterin am Kammergericht Gernoth-Schultz am 11. Januar 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Antragsgegner angewiesen, über das Begehren des Antragstellers auf Aufnahme in die Liste derjenigen Anwälte, aus der die Insolvenzrichter im Amtsbezirk des Antragsgegners regelmäßig zu Insolvenzverwalter bestellen, neu zu entscheiden.

Der Wert des Verfahrens beträgt 3.000 EUR. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Notar in Berlin.

Nach vorangegangenen erfolglosen Bemühungen in den Jahren 1987 und 2000 begehrte er 2004 schriftlich die Aufnahme in die Liste der zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Rechtsanwälten.

Bei dem Antragsgegner sind derzeit zehn Richter mit der Bearbeitung von Insolvenzverfahren befasst. Diese Richter führen gemeinschaftlich eine "Liste" - jedenfalls in Form eines Adressenverzeichnisses, aus der sie in den Fällen der Eröffnung von Insolvenzverfahren einen geeigneten Verwalter (§ 56 InsO) auswählen.

Dem Antragsteller wurde auf seine Bewerbung aus dem Jahr 2004 ein Schreiben übersandt, wonach er auf seinen Antrag in die Liste der zur Übernahme des Verwalteramtes bereiten Personen aufgenommen sei.

Die bei dem Antragsgegner tätigen Insolvenzrichter luden den Antragsteller ferner zu einem Vorstellungsgespräch am 23. Februar 2005. Dort überreichte der Antragsteller zur Erläuterung seiner Arbeitsweise vier Sachverständigengutachten, die er als vorläufiger Insolvenzverwalter den Amtsgerichten nnnnnnnn und nnnn erstattet hat sowie einen Verwalterbericht und einen Insolvenzplan (beide für das Amtsgericht nnnnnnn ).

Am 25. Februar 2005 teilte eine bei dem Antragsgegner tätige Insolvenzrichterin dem Antragsteller telefonisch mit, dass drei andere Bewerber ausgewählt worden seien und dass der Antragsteller auch in nächster Zeit von den Insolvenzrichtern des Antragsgegners nicht berücksichtigt werde.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seinem am 24. März 2005 eingegangenem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art 12, 3 und 2 GG und führt aus:

In dem Telefonat vom 25. Februar 2005 sei ihm als alleiniger Grund für die Nichtberücksichtigung seine (bisherige) insolvenzberatende Tätigkeit benannt worden, die man ihm nicht habe "wegnehmen" wollen. Er habe jedoch am 23. Februar 2005 erklärt, diesen ohnehin nur geringen Arbeitsbereich (er berate nur potentielle Schuldner) für den Fall seiner Aufnahme in die Liste sofort - auch für seine Sozietätsmitglieder - einzustellen. Es sei ihm aber positiv bekannt, dass im Sprengel des Antragsgegners "gelistete" Insolvenzverwalter nebenher insolvenzberatende Tätigkeit ausüben und dass dies nicht dazu geführt habe, diese Kollegen wieder von der Liste zu streichen. Der Antragsgegner messe mit zweierlei Maß.

Es stimme nicht, -wie die Insolvenzrichterin in dem Gespräch vom 25. Februar 2005 mitgeteilt habe- dass die Zahl der Insolvenzen rückläufig sei und deshalb eine Berücksichtigung des Antragstellers jedenfalls auch für die nächsten drei Jahre nicht in Betracht komme. 2004 habe es im Bezirk des Antragsgegners überhaupt nur 27 "gelistete" Insolvenzanwälte gegeben bei 1965 eröffneten Regelinsolvenzen (2003: 1923 Verfahren), die Daten seien im Internet abrufbar.

Der von dem Antragsgegner jetzt erstmals im Schriftsatz vom 8. November 2005 und im hiesigen Verfahren als alleinige Ursache vorgebrachte Grund für seine Ablehnung sei falsch. Er vertrete nicht die Auffassung, dass der Lauf der Antragsfrist des § 64 Abs. 1 GmbHG erst mit den Feststellungen des Beraters beginne. Zum Beleg hierfür überreicht er Schriftsätze in Insolvenzverfahren aus früheren Jahren. Er habe diese Rechtsauffassung auch nicht in dem Gespräch vom 23. Februar 2005 vertreten.

Die Insolvenzrichter hätten sich auf die Senatsauflage vom 10. Oktober 2005 vielmehr an Insolvenzrichter aus dem Umland (Fnnnnnnn) gewandt und Erkundigungen über den Antragsteller eingezogen, hierbei aber nichts Negatives über ihn und seine Arbeitsweise feststellen können.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihn in den Kreis der vom Amtsgericht nnnnnnnn regelmäßig bestellten Insolvenzverwalter aufzunehmen und ihn regel- und gleichmäßig mit diesen als Insolvenzverwalter und vorläufigen Insolvenzverwalter einzusetzen.

der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hält den Antrag für unzulässig.

Auch die Vorauswahl der Insolvenzverwalter unterliege der richterlichen Unabhängigkeit und sei keine Maßnahme der Justizverwaltung. Darüber hinaus sei er nicht der richtige Adressat. Das Vorauswahlverfahren sei (bisher) nicht gesetzlich geregelt und obliege deshalb nicht der Behördenleitung. Er sei auch nicht weisungsbefugt gegenüber den Insolvenzrichtern.

Im Anschluss an das Vorstellungsgespräch vom 23. Februar 2005 seien die Insolvenzrichter übereingekommen, den Antragsteller aus fachlichen Gründen nicht bestellen zu wollen. Hierzu überreicht der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 8. November 2005 eine Stellungnahme der Insolvenzrichter, in der diese erklären, der Antragsteller sei ungeeignet im Sinne des § 56 InsO weil er die Auffassung vertrete, die Antragsfrist nach § 64 Abs. 1 GmbHG beginne nicht mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung, sondern erst nach Prüfung der Vermögenssituation durch den Berater.

Darüber hinaus gebe es für die Nichtberücksichtigung weitere individuelle Gründe der Richter.

II.

Der Antrag vom 24. März 2005 ist gemäß §§ 23 ff EGGVG statthaft und zulässig.

Nach der Entscheidung des BVerfG vom 3. August 2004 1 BvR135/00, 1086/01 (ZIP 2004, 1649 ff) ist die Entschließung über die Aufnahme eines Bewerbers in die Liste derjenigen Anwälte, aus

der die Richter sodann im Einzelfall in dem Eröffnungsbeschluss den nach ihrer Auffassung am besten geeigneten Insolvenzverwalter auswählen und bestellen (§§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 56 InsO) (Vorauswahlverfahren), nicht als spruchrichterliche Tätigkeit, sondern als Justizverwaltungshandeln zu qualifizieren, durch das der Betroffene in seinen beruflichen Betätigungsmöglichkeiten beeinträchtigt werden kann. Es handelt sich damit um eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt, gegen die nach Art 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz zu gewähren ist. Das beanstandete Justizverwaltungshandeln ist der Behörde, also dem Antragsgegner zuzurechnen.

Dass dieser das Vorauswahlverfahren (Justizverwaltungshandeln) auf die Insolvenzrichter aus Gründen der Sachnähe deligiert hat, nimmt ihn nicht aus der Verantwortung. Sollten die Insolvenzrichter die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und der Oberlandesgerichte ungeachtet eines Hinweises nicht beachten, ist der Antragsgegner durch nichts gehindert, diese Vorauswahlliste -mit Unterstützung der Insolvenzrichter - durch seine Verwaltungsabteilungen - selbst zu erstellen.

Der Senat folgt der Auffassung der Oberlandesgerichte München (9 VA 4-6/04 v. 7.12.04, ZIP 2005, 670), Schleswig (12 VA 3/04 vom 28. Februar 2005, NJW 2005, 1664 f), Koblenz (12 VA 1/04 vom 12. Mai 2005 ZIP 2005, 1283), dazu auch Wieland ZIP 2005, 233, 238 (Verfassungsrechtliche fragen der Auswahl des Insolvenzverwalters, mwN) dass der Rechtsweg entsprechend § 23 EGGVG als sachnächste und effektivste gerichtliche Überprüfung eröffnet ist.

1. Bereits die Vorauswahl -um eine solche geht es vorliegend (zu dem weitergehenden Antrag des Antragsteller vom 11. Juli 2005 auf Verpflichtung des Antragsgegners auch zur regel- und gleichmäßigen Bestellung in der weiteren Folge vgl. unten zu 2. ) - greift wegen des Vergabemonopols -der Staat hat die Verantwortung für den Marktzugang zu dem eigenständigen Beruf Insolvenzverwalter übernommen- in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 ein. Der Staat ist deshalb verpflichtet, die Chancengleichheit für alle Bewerber zu gewährleisten.

Das Vorauswahlverfahren erlangt in besonderer Weise Bedeutsamkeit, weil die Richter wegen der Einbedürftigkeit der späteren Bestellungsentscheidung regelmäßig auf diese Liste zurückgreifen.

Der Antragsteller ist vorliegend auch nicht dadurch klaglos gestellt, dass die bei dem Antragsgegner tätigen Insolvenzrichter den Antragsteller zugleich mit dem Eingang seines Antrags in eine "Liste der Bewerber" aufgenommen haben. Denn bei dieser "Liste der Bewerber" handelt es sich offenbar nur um eine Auflistung aller Bewerber und nicht um eine Vorauswahlliste geeigneter Bewerber iSd § 56 InsO, auf die dann bei der nachfolgenden Bestellung (§ 27 Abs. 2 Satz 2 InsO) ohne eine nochmalige Prüfung der grundsätzlichen Eignung zurückgegriffen nur noch über die Eignung des gelisteten Bewerbers für das konkret zu eröffnende Insolvenzverfahren entschieden wird. Dies folgt aus der Erklärung der Insolvenzrichter, im Anschluss an das Gespräch vom 25. Februar 2005 "einstimmig" entschieden zu haben, den Antragsteller nicht als Insolvenzverwalter bestellen zu wollen.

Der von dem Antragsgegner für die Ablehnung der Aufnahme des Antragstellers in die Vorauswahlliste aufgeführte Grund (die Falschbeantwortung des Fristlaufs in § 64 Abs. 1 GmbHG) lässt nicht erkennen, dass die Insolvenzrichter des Antragsgegners bei ihrer Entscheidung das ihnen zustehende Ermessen ermessensfehlerfrei ausgeübt haben.

Den Insolvenzrichtern steht bei der Auswahl zwar ein weites Ermessen zu. Aber das dieser Ermessensausübung zugrundeliegende Verfahren bedarf einer rechtsstaatlichen und dem Grundrechtsschutz (Art 12 I und 3 GG) angemessenen Ausgestaltung. Dies gilt insbesondere in Konkurrenzsituationen. Eine solche ist vorliegend gegeben. Niemand hat einen grundrechtlichen Anspruch auf Bestellung zum Insolvenzverwalter. Jeder geeignete Interessent hat aber einen grundrechtlichen Anspruch auf Chancengleichheit. Die Kriterien müssen für alle Bewerber (soweit sie gleiche Positionen anstreben) gleich sein und sind im Streitfall - wie hier- offen zu legen.

Diesen Anforderungen genügt die (bisherige) Entscheidung des Antragsgegners nicht. Der für die Ablehnung allein genannte Grund (fehlerhafte Auslegung des § 64 Abs. 1 GmbHG) trägt die Entscheidung nicht. Abgesehen davon, dass der Antragsteller dieser Behauptung des Antragsgegners vehement und durch die Überreichung von Schriftsätzen zu früheren Insolvenzverfahren, in denen er diese Auffassung gerade nicht vertreten hat, auch plausibel entgegentritt, kann eine in einem (einzigen) Punkt von der herrschenden Auffassung abweichende Rechtsauffassung nicht Grundlage eines so weitreichenden grundrechtsrelevanten Eingriffs sein. Selbst wenn der Antragsteller eine solche Auffassung in dem Gespräch vom 23. Februar 2005 geäußert haben sollte (möglicherweise ist auch ein Missverständnis denkbar), hätte dies allenfalls Anlass geboten, weitere Fachfragen zu stellen, um die fachliche Eignung auf breiterer Grundlage beurteilen zu können. Der Antragsgegner trägt hierzu aber nichts vor. Soweit er nunmehr im Schriftsatz vom 16. Dezember 2005 behauptet, die Rechtsauffassung des Antragstellers zum Fristenlauf des § 64 Abs. 1 GmbHG sei nur der "kleinste gemeinsame Nenner" der Ablehnungsgründe der Insolvenzrichter gewesen, ohne diese weiteren Gründe auch nur zu benennen, kann mangels jeglicher Nachvollziehbarkeit dieser Ermessensentscheidung ein willkürfreies Verfahren nicht festgestellt werden.

Der Senat verweist das Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Antragsgegner zurück. Der Senat vermag allein an Hand der Aktenlage keine Ermessensreduzierung dahin festzustellen, dass jede andere als eine positive Bescheidung des Antrags des Antragstellers ermessensfehlerhaft wäre. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Senat keine Kenntnis über die Qualifikationen und Fähigkeiten der Mitbewerber hat.

Für die erneute Entscheidung ist es erforderlich, dass die Kriterien, die die Insolvenzrichter für die Eignung der Bewerber zugrundelegen, transparent sind und spätestens auf Nachfrage offengelegt werden. Bei der Formulierung der Kriterien sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (ZIP 2004, 1652) zu beachten: Es ist nach dem jeweiligen Sachbereich zu differenzieren (also nach Bewerbern, die die Verwaltung von Verbraucherinsolvenzen/Regelinsolvenzen vormals Selbständiger ohne Vermögen/ Regelinsolvenzen fortzuführender Betriebe, ggf. noch weiter unterteilt nach Branchen und Größe), es sind allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe zu beachten und sachfremde Erwägungen auszuschließen. Die ursprüngliche Behauptung, der Bedarf an Insolvenzverwaltern sei rückläufig und derzeit gesättigt, erhält der Antragsgegner offenbar nicht mehr aufrecht.

Die Ausgestaltung des Verfahrens im Einzelfall (dazu Preuß in KTS 2005, 155 ff; Römermann in ZInsO 2004, 927 ff), etwa auch die Frage der Verwendung von Fragebögen, bleibt -bis zu einer gesetzlichen Ordnung des Auswahlverfahrens- der Ermessensentscheidung der Insolvenzrichter bei dem Antragsgegner vorbehalten.

Ferner ist es erforderlich, dass die ablehnende Entscheidung begründet wird. Nur wenn die Gründe für die Ablehnung bekannt gegeben werden, kann das Ergebnis von einer willkürlichen Entscheidung unterschieden werden. Jedenfalls bzw. spätestens dann, wenn sich ein Verfahren nach § 23 EGGVG anschließt, müssen die Gründe für die Ablehnung schriftlich zusammengefasst werden, damit der Bewerber sich abschließend mit den Argumenten auseinandersetzen kann.

2. Über den mit Schriftsatz vom 11. Juli 2005 erweiterten Antrag auf regelmäßige und gleichmäßige Berücksichtigung bei den nachfolgenden Bestellungen kann erst entschieden werden, wenn feststeht, ob der Antragsteller einen Anspruch darauf hat, in die Vorauswahlliste aufgenommen zu werden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 13 a Abs. 1 Satz 1FGG, die Anordnung einer Kostenerstattung entsprach nicht der Billigkeit. Die Wertfestsetzung folgt aus 30 Abs. 2 KostO.

Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof (§ 29 I EGGVG) war nicht geboten.

Die abweichende Entscheidung des OLG Hamm (47 ff) 15 VA 11/04 vom 14. Oktober 2004 gegen die Verfassungsbeschwerde eingelegt ist (85: 1 BvR 2530/04), und die Entscheidung des OLG Celle (16 VA 3/05 vom 1.6.05, ZIP 2005, 1288) stehen nicht entgegen, weil es dort um die Bestellung eines Insolvenzverwalters im konkreten Einzelfall (§§ 27 I 2, 56 InsO) bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ging und nicht um die Aufnahme in die Vorauswahlliste.

Ende der Entscheidung

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