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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 16 WF 206/04
Rechtsgebiete: Brüssel-II-VO


Vorschriften:

Brüssel-II-VO § 11 Abs. 4 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 16 WF 206/04

17.01.2005

In dem Ehescheidungsverfahren

wegen Prozesskostenhilfe

hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer als Einzelrichterin am 17. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf seine Beschwerde wird dem Antragsteller in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Pankow-Weißensee vom 13. November 2003 unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt nn in Berlin ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde ist begründet, das Begehren des Antragstellers bietet hinreichende Erfolgsaussichten.

Beide Parteien sind Deutsche. Die von ihnen zuletzt bewohnte Ehewohnung liegt im Gerichtsbezirk des Amtsgericht Pankow-Weißensee (Familiengericht). Die Parteien leben seit September 2002 dauernd getrennt. Seit August 2003 lebt die Ehefrau mit den beiden gemeinsamen Kindern in England. Die Bekanntgabe ihrer dortigen Anschrift verweigert die Ehefrau.

Entgegen der Auffassung des Gerichts bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Zuständigkeit Deutscher Gerichte für die Ehescheidung.

Der Antrag des Antragstellers auf Scheidung der Ehe ist bereits im Oktober 2003 bei dem Familiengericht Pankow-Weißensee eingegangen. Er konnte mangels einer Zustellungsanschrift bisher allerdings nicht zugestellt werden.

Zwar hat die Ehefrau, wie der Antragsteller mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2004 mitteilt, im August 2004 nunmehr ihrerseits in England (District Judge at Staines Country Court in Middlesex, TW 18 IX) einen eigenen Ehescheidungsantrag gestellt. Da sie zum Zeitpunkt der Antragstellung Ende August 2004 seit einem Jahr ihren gewöhnlichen Aufenthalt in England hatte, kommt gemäß Art 2 Abs. 1 a, 5. Alt. der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates (sog. Brüssel II-Verordnung) auch eine Zuständigkeit des englischen Gerichts für die Ehescheidung in Betracht.

Werden -wie hier- bei Gerichten verschiedener Mitgliedsstaaten identische Anträge (Ehescheidung) gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist.

Der Antrag des Antragstellers auf Ehescheidung ist zeitlich vor dem Antrag der Ehefrau in Middlesex bei dem Familiengericht Pankow-Weißensee eingegangen.

Dass der Antrag nicht zugestellt werden konnte, gereicht dem Antragsteller nicht zum Nachteil. § 11 Abs. 4 a der Brüssel-II Verordnung bestimmt, dass ein Gericht als "angerufen" (iSd Art 11 der VO) zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, sofern der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Zwar war die ladungsfähige Anschrift der Ehefrau nicht bekannt. der Antragsteller hatte jedoch ihren früheren Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt nnn als ihren Vertreter benannt. Eine Zustellung an den Rechtsanwalt ist zu keinem Zeitpunkt versucht worden. Erstmals mit Verfügung vom 30. Januar 2004 hat das Familiengericht bei Rechtsanwalt nnn auf telefonische Nachfrage die bestätigende Mitteilung erhalten, dass der Rechtsanwalt die Ehefrau auch im Scheidungsverfahren vertritt. Ihm sind die Anträge zur Stellungnahme im Prozesskostenhilfe-Verfahren zugeleitet worden. Nachdem er hierauf binnen der gesetzten Frist nichts erwidert hatte, hätte ihm die Klage zugestellt werden können und müssen. Bestellt ist ein Prozessbevollmächtigter auch durch (formlose) Mitteilung der Prozessvollmacht (§ 80 ZPO), auch durch den Bevollmächtigten selbst (vgl. Zöller-Stöber, ZPO, 24. Aufl. § 172 Rdnr. 6 und Rdnr. 7 unter Hinweis auf BVerfG NJW 1987, 2003). Das Bestehen einer besonderen Vollmacht zur Vertretung im Ehescheidungsverfahren (§ 609 ZPO) hatte Rechtsanwalt nnn auf telefonische Nachfrage zuvor ausdrücklich bejaht. Nach Aufhebung des § 613 BGB a.F. durch das 1. EheRG war das Familiengericht nicht aufgerufen, einen etwaigen Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu überprüfen bzw. mit der Zustellung des Ehescheidungsantrags abzuwarten, bis Rechtsanwalt nnn eine schriftliche Vollmacht der Ehefrau zu den Akten reicht.

Unter Berücksichtigung des Vorstehenden hat der Antragsteller die bisherige Nichtzustellung seines Scheidungsantrags nicht zu vertreten. Das Amtsgericht Pankow-Weißensee war damit bereits im Oktober 2003 angerufen im Sinne des Art 11 Abs. 4 Brüssel-II VO. Mithin müsste das in England zeitlich später angerufene Gericht das dortige Verfahren der Ehefrau an das Amtsgericht Pankow-Weißensee abgeben (vgl. dazu auch die Nachfragen des englischen Gerichts in 16 UF 144/04 = 18 F 7711/03 Amtsgericht Pankow-Weißensee in Pos. 1 A des übersandten Fragenkatalogs, Bl. 96 der dortigen Akte, ob identische Verfahren bereits in anderen Mitgliedstaaten angängig seien). Die von Rechtsanwalt nn mit Schreiben vom 15. November 2004 mitgeteilt Mandatsniederlegung steht der Zuständigkeit des Familiengerichts Pankow-Weißensee nicht entgegen.

Mithin ist das Familiengericht aufgerufen, dem Verfahren Fortgang zu geben. Für die Ermittlung der Zustellungsanschrift der Antragsgegnerin kommt es insbesondere in Betracht, das Gericht in England über die Zentrale Behörde um Vermittlung zu bitten.



Ende der Entscheidung

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