Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.10.2007
Aktenzeichen: 18 UF 113/07
Rechtsgebiete: ZPO, GVG


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 621e
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1a
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antragsgegnerin wird wegen Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 14.5.2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe:

Der Antrag der Antragsgegnerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der befristeten Beschwerde ist zulässig und begründet (§ 233, 234 ZPO).

1. Die Antragsgegnerin hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit dem Schriftsatz vom 24. Juli 2007 rechtzeitig gemäß § 234 Abs. 1, 2 ZPO gestellt. Die Wiedereinsetzungsfrist begann mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 19. Juli 2007, mit dem sie über die Fristversäumnis informiert wurde, zu laufen.

2. Die Wiedereinsetzung ist auch der Sache nach gemäß § 233 ZPO begründet, denn die Antragsgegnerin war ohne ihr Verschulden gehindert, die in den §§ 621 e Abs. 1, 3; 517ff ZPO geregelte Notfrist von 1 Monat ab Zustellung des angefochtenen Beschlusses zur Einlegung der befristeten Beschwerde einzuhalten. Der Antragsgegnerin wurde der angefochtene Beschluss am 5.6.2007 zugestellt, so dass die Beschwerdefrist, die eine Notfrist ist, am 5.07.2007 endete.

Gemäß § 233 ZPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert ist, eine Notfrist einzuhalten.

Die Antragsgegnerin hat die Beschwerdefrist zur Einlegung der befristeten Beschwerde versäumt, denn sie hat ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 03. Juli 2007 beim Amtsgericht Pankow/Weißensee und nicht beim zuständigen Kammergericht innerhalb der Beschwerdefrist, die am 5. Juli 2007 ablief, eingelegt. Zur fristgemäßen Einlegung der Beschwerde gehört, dass die Beschwerdeschrift innerhalb der Beschwerdefrist beim zuständigen Beschwerdegericht eingelegt wird (§ 621 e Abs. 3 ZPO). Zuständiges Beschwerdegericht in Familiensachen ist das Oberlandesgericht (§ 119 Abs. 1 Nr. 1a, 2 GVG), also in Berlin das Kammergericht.

Vorliegend trifft die Antragsgegnerin jedoch kein Verschulden an der Versäumung der Frist. Zwar hat sie ihre Beschwerde nicht so rechtzeitig beim unzuständigen Amtsgericht eingereicht, dass dieses durch ordnungsgemäße Weiterleitung für einen fristgemäßen Eingang beim Beschwerdegericht hätte Sorge tragen können (BVerfG NJW 95, 3173), was gegen ein Verschulden der Antragsgegnerin gesprochen hätte. Da die Beschwerde der Antragsgegnerin per Fax am 3.7.2007 beim Amtsgericht eingegangen ist und die Beschwerdefrist bereits am 5. Juli 2007 ablief, hätte die Fristversäumnis auch bei zügigerer Vorlage des Beschwerdeschriftsatzes beim Richter vom Amtsgericht bei objektiver Betrachtung nicht vermieden werden können. Denn besondere Bemühungen des unzuständigen Gerichts zur Vermeidung der Versäumung der Rechtsmittelfrist wie zum Beispiel telefonische Benachrichtigung des Absenders oder Weiterleitung per Telefax bedarf es zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs nicht (Bundesverfassungsgericht NJW 2001,1343; BGH, MDR 2004, 1311).

Gleichwohl fehlt es hier an einem Verschulden der Antragsgegnerin, denn die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass ihr aufgrund einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung nicht bekannt gewesen sei, bei welchem Gericht sie ihr Rechtsmittel einzulegen habe. Die Partei trifft dann keinen Verschulden an der Fristversäumung, wenn sie ihr Rechtsmittel zwar innerhalb der Rechtsmittelfrist, aber bei dem erstinstanzlichen Gericht und nicht bei dem Beschwerdegericht einlegt hat und für den Normalbürger die Rechtsmittelzuständigkeit des Gerichts - wie das hier der Fall ist - insoweit unübersichtlich ist.

Zwar gilt im Grundsatz, dass die Rechtsmittelpartei die Verantwortung dafür trägt, dass sie ihr Rechtsmittel nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften einlegt, unabhängig davon, ob mit der Entscheidung eine Rechtsmittelbelehrung verbunden war oder nicht. Lässt sich eine Partei in einem Verfahren ohne Anwaltszwang nicht durch einen Anwalt vertreten, wird man von ihr erwarten können, dass sie sich über die Rechtsmittelfristen und -zuständigkeiten mit der gebotenen Sorgfalt sachkundig macht (§ 276 Abs. 2 BGB). Die Fristversäumung wird in der Regel dann unverschuldet sein, wenn die angefochtene Entscheidung nach dem Gesetz ausdrücklich mit einer Rechtsmittelbelehrung hätte versehen werden müssen, dies nicht erfolgt und der Belehrungsmangel kausal für die Fristversäumung war. Gleiches gilt, wenn sich eine Rechtsmittelbelehrungspflicht wegen der Kompliziertheit des Rechtsmittelrechts unmittelbar aus der Verfassung ergibt. Denn Parteien eines gerichtlichen Verfahrens haben einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG, BVerfG FamRZ 1995,1559ff). Dieser Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz kann eingeschränkt sein, wenn die Rechtsmittelvoraussetzungen so kompliziert sind, dass ein normaler Bürger, der nicht anwaltlich vertreten ist, in einem zivilgerichtlichen Verfahren ohne Anwaltszwang Schwierigkeiten hat, den Rechtsmittelweg zu überblicken (BGH, NJW 2002, 2171-2174).

Eine gesetzlich geregelte Rechtsmittelbelehrungspflicht der Gerichte besteht in Familiensachen nicht. Es kann hier dahinstehen, ob in den isolierten Versorgungsausgleichsverfahren, die in der Rechtsmittelinstanz nicht dem Anwaltszwang unterliegen, die Rechtsmittelvoraussetzungen insgesamt so kompliziert geregelt sind, dass eine Rechtsmittelbelehrung zum effektiven Rechtsschutz geboten wäre. Mindestens hinsichtlich der Zuständigkeitsregelung ist die Gesetzeslage unübersichtlich und für den Bürger verwirrend, was im Rahmen der Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsmittelführers zu berücksichtigen ist. So ergibt sich die Zuständigkeit des OLG nicht aus der ZPO, sondern aus § 119 GVG. Zudem hat der Gesetzgeber abweichende Regelungen der Abhilfe für die sofortige und befristete Beschwerde geschaffen, was sich auch auf die Zuständigkeit für die Einlegung des Rechtsmittels auswirkt und für den Normalbürger verwirrend und unübersichtlich ist. Für die Einschätzung einer zu komplizierten Regelung für den Normalbürger spricht, dass der Senat häufig befristete Beschwerden zu bearbeiten hat, die fehlerhaft beim erstinstanzlichen Gericht eingelegt wurden.

Ende der Entscheidung

Zurück