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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 22.03.2001
Aktenzeichen: 19 U 3679/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, AGB-Gesetz, AVB, ABE


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
BGB § 315
BGB § 315 Abs. 3
AGB-Gesetz § 9
AGB-Gesetz § 27
AGB-Gesetz § 11 Nr. 2
AVB § 30
AVB § 30 Nr. 1
ABE § 20
ABE § 20 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

19 U 3679/00

Verkündet am 22. März 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 19. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Rinder sowie die Richter am Kammergericht Feskorn und Hartung auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 14. März 2000 verkündete Teilurteil des Landgerichts Berlin - 9 O 673/98 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte ist in Höhe von 12.869,79 DM beschwert.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

I. Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung von 12.869,79 DM verurteilt. Zutreffend hat es ausgeführt, daß sich der Bekl. gegenüber der Entgeltforderung der Klägerin nicht darauf berufen kann, die Tarife der Klägerin seien überhöht und entsprächen nicht billigem Ermessen. Bei der Festsetzung der Tarife handelt es sich um eine einseitige Leistungsbestimmung, auf die § 315 BGB zumindest entsprechend anzuwenden ist und die grundsätzlich der gerichtlichen Überprüfung darauf unterliegt, ob sie der Billigkeit entspricht (vgl. § 315 Abs. 3 BGB). Der Beklagte kann mit seinen Beanstandungen hinsichtlich der Betriebsführung der Klägerin und angeblicher Fehlinvestitionen, die sie bei der Bemessung der Leistungsentgelte unberechtigt in Ansatz gebracht habe, in dem vorliegenden Verfahren nicht gehört werden. Er muß die (angebliche) Unbilligkeit der Tariffestsetzung auf dem vorgesehenen Wege eines Rückforderungsprozesses geltend machen (vgl. BGH, Urt. vom 3.11.1983 - III ZR 227/82; MDR 1984, 558 zu Müllabfuhrgebühren der BSR).

1. Nach § 30 der Vertragsbestimmungen für die Wasserversorgung von Berlin (AVB Wasser) berechtigen Einwände gegen Rechnungen und Abschlagrechnungen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, soweit sich aus den Umständen ergibt, daß offensichtliche Fehler vorliegen. Entsprechendes gilt gemäß § 20 der allgemeinen Bedingungen für die Entwässerung in Berlin (ABE). Zu Unrecht macht der Beklagte geltend, daß die Vorschriften wegen Verstoßes gegen § 9 AGB-Gesetz unwirksam seien. Was die Regelung in den § 30 AVB Wasser betrifft, geht die Ansicht des Beklagten schon deshalb fehl, weil es sich um eine Rechtsverordnung handelt. Als Rechtsnorm unterliegt die Verordnung nicht der Inhaltskontrolle nach AGB-Gesetz, sondern nur der an sehr viel strengere Voraussetzungen geknüpften richterlichen Normenkontrolle (vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl., §§ 26, 27 RdNr. 3; Ulmer, AGBG, 9. Aufl., §§ 26, 27 RdNr. 3). Die Rechtswirksamkeit des § 30 AVB Wasser unterliegt keinen durchgreifenden Bedenken. Die in § 30 AVB Wasser getroffene Regelung, nach der Rechnungen der Wasserversorgungsunternehmen mit Ausnahme des Vorliegens eines offensichtlichen Fehlers grundsätzlich ausgeglichen werden müssen, stellt eine von der Interessenlage her ausgewogene Ausgestaltung des Zurückbehaltungsrechts der Kunden dar. Sie gewährleistet, daß die Wasserversorgungsunternehmen, die der Anschluß- und Versorgungspflicht unterliegen, keinen unvertretbaren Verzögerungen bei der Realisierung ihrer Preisforderungen ausgesetzt sind. Andererseits soll dieses Interesse der Wasserversorgungsunternehmen den Belangen der Kunden vernünftigerweise aber dann nachrangig sein, wenn auf der Hand liegende Abrechnungsfehler vorliegen. Mit dieser, die beiderseitigen Interessenlage berücksichtigenden Beschränkung des Zahlungsverweigerungsrecht hat sich der Verordnungsgeber im Rahmen der Ermächtigung des § 27 AGB-Gesetz gehalten, die allgemeinen Versorgungsbedingungen für Wasser ausgewogen zu gestalten (Hermann / Recknagel / Schmidt-Salzer, Kommentar zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen, Bd. II, § 30 AVB Wasser RdNr. 15; Ludwig / Odenthal / Hempel, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Loseblattsammlung Stand: August 2000, § 30 AVB Wasser, Anm. 1; Morell, Kommentar z. AVB Wasser, § 30 Anm. a; Ulmer, a.a.O., RdNr. 5; a.A. Rott/Butters, VuR 1999, 75, 79). Die Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts rechtfertigt sich insbesondere unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses an sicherer und kostengünstiger Versorgung der Bevölkerung mit Energie und Wasser bzw. an der Entsorgung von Abwasser als Regelungsauftrag für den Verordnungsgeber (Ulmer, a.a.O.). Aus diesem Grund verstößt die Regelung in § 30 AVB Wasser auch nicht gegen Art. 3 GG. Die "Privilegierung" der Versorgungsunternehmen gegenüber anderen Unternehmen und deren Vertragsbeziehungen rechtfertigt sich deshalb, weil Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrgenommen und diese möglichst sicher und kostengünstig angeboten werden sollen. Entscheidend kommt hinzu, daß die Versorgungsunternehmen - anders als andere Unternehmer - grundsätzlich dem Kontrahierungszwang unterliegen und zur Vorleistung verpflichtet sind. Das dagegen vorgebrachte Argument, das Versorgungsunternehmen sei durch die Möglichkeit, Abschlagzahlungen verlangen zu können, hinreichend in seinen Interessen geschützt, greift nicht. Ungeachtet dessen, daß der Kunde unter bloßer Berufung auf eine angebliche Unbilligkeit konsequenterweise auch die Abschlagzahlungen verweigern könnte, würde dies dazu führen, daß das Versorgungsunternehmen Veranlassung hätte, weit höhere Abschlagzahlungen zu verlangen.

2. a) Die Verordnung verstößt auch nicht gegen Art. 3 in Verbindung mit Annex Nr. 1 lit. o) der Richtlinie 93/13/EWG (so aber Rott / Buttlers, VuR 1999, 75, 79). Ungeachtet der Frage, ob diese Richtlinie auch als Prüfungsmaßstab für die hier zu beurteilende Rechtsverordnung anzuwenden ist, weil sich die Richtlinie ausdrücklich nur auf Vertragsklauseln bezieht (siehe Handbuch des Europäischen Rechts, I A 61/9.11, dort Seite 2), liegt auch kein Verstoß vor. Nach lit. o) des Anhangs zu Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG sind solche Klauseln unzulässig, nach denen der Verbraucher allein seinen Pflichten nachkommen muß, obwohl der Gewerbetreibende seine Verpflichtungen nicht erfüllt. Dieser Tatbestand liegt aber nicht vor, weil der "Gewerbetreibende" seine Leistung, die Lieferung von Wasser, als Vorleistung bereits erbracht hat. Es geht allein nur darum, daß der Verbraucher, hier der Beklagte, die Zahlung verweigert, weil der aus seiner Sicht die Grundlage für die Billigkeit der nach § 315 BGB getroffenen Leistungsbestimmung nicht ausreichend dargelegt ist. Die vermeintlich fehlende ausreichende Angabe der Kalkulationsgrundlagen für die Billigkeitsentscheidung rechtfertigt allein nicht, daß der Verbraucher seine Zahlungsverpflichtung verweigern kann, obschon der andere Teil seine Hauptleistungspflicht schon erbracht und nur die Grundlagen der Billigkeitsentscheidung, was nicht zur Hauptleistungspflicht zählt, nicht angegeben hat (so auch OLG Hamburg, NJW-RR 1988, 1518; OLG Hamm, NJW-RR 1989, 1455; Morell, Kommentar z. AVB Wasser, § 30 Anm. d; a.A. OLG Düsseldorf, Recht und Steuern im Gas- und Wasserfach (R + S), 1996, 1, 2). Der Verbraucher ist insoweit auch nicht unbillig benachteiligt. Für den Fall eines offensichtlichen Fehlers ist der Verbraucher nach § 30 Nr. 1 AVB Wasser zur Zahlungsverweigerung berechtigt. In den anderen Fällen wird er nicht unangemessen benachteiligt, wenn er, nachdem das Versorgungsunternehmen seine Hauptleistungspflicht im voraus erbracht hat, seinerseits Zahlung zu leisten hat und gegebenenfalls diese (teilweise) zurückfordern kann. Dabei kommt ihm weiterhin zugute, daß das Versorgungsunternehmen die Grundlagen der nach § 315 BGB getroffenen Billigkeitsentscheidung darzulegen und zu beweisen hat (BGH, NJW 1992, 171, 174). Dies muß auch dann gelten, soweit sich der Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ergibt, dessen Anspruchsvoraussetzungen an sich vom Anspruchsteller darzulegen sind. Insofern ist aber der Besonderheit Rechnung zu tragen, daß der Verbraucher nur unter den Voraussetzungen des § 30 AVB Wasser zur Leistungsverweigerung berechtigt ist und die Grundlagen der Billigkeitsentscheidung allein vom Versorgungsunternehmen dargelegt werden können (so auch KG, 4. Zivilsenat, Urteil vom 8. Februar 2000, KGR 2000, 133; a.A. OLG Düsseldorf, a.a.O.).

b) Eine Vorlage zum EuGH nach Art. 177 EGV, die gegebenenfalls in Betracht käme (vgl. Grabitz / Hilf / Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union, Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG, RdNr. 84), scheidet aus, weil es sich bei der AVB Wasser um eine Rechtsverordnung handelt, die - wie bereits ausgeführt - nicht der Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG unterliegt und die "Klausel" zudem auch inhaltlich nicht gegen Art. 3 in Verbindung mit Annex Nr. 1 lit. o) verstößt.

II. Der Beklagte hat einen offensichtlichen Fehler der Abrechnung nicht dargetan. Ein offensichtlicher Fehler im Sinne der Nummer 1, der vom Verbraucher darzulegen und ggf. zu beweisen ist, liegt nur dann vor, wenn er für jede unbefangene, mit den näheren Umständen vertraute Person ohne weiteres erkennbar ist, sich aus der Rechnung selbst ergibt und so eindeutig ist, daß er sich bei objektiver Betrachtungsweise auch ohne nähere Prüfung aufdrängt und keinen vernünftigen Zweifel an der Fehlerhaftigkeit zuläßt, wenn also die im Zeitpunkt der Zahlungsverweigerung zutage tretenden Umständen das Vorliegen eines objektiv leicht erkennbaren, ins Auge fallenden Fehlers ergeben (KG, VersR 1985, 288, 289; OLG Hamburg, NJW-RR 1988, 1518; OLG Hamm, NJW-RR 1989, 1455; Ludwig / Odenthal / Hempel, a.a.O., Anm. II; Morell, Kommentar z. AVB Wasser, § 30 Anm. d; Hermann / Recknagel / Schmidt-Salzer, a.a.O., RdNr. 15). Der bloße Verweis darauf, daß der Landesrechnungshof in seinem Bericht festgestellt habe, daß die Beklagte die vereinnahmten Gelder teilweise entgegen den ihr übertragenen Aufgaben als öffentliches Ver- und Entsorgungsunternehmen verwendet habe, reicht insoweit nicht. Abgesehen davon, daß - mit Ausnahme des Hinweises auf angebliche Fehlinvestitionen - keine konkreten Tatsachen für eine Zweckentfremdung der Gelder dargetan sind, führt selbst die Annahme von Fehlinvestitionen nicht dazu, die getroffene Preisbestimmung als offensichtlich unbillig und damit nicht nach § 315 Abs. 3 BGB unverbindlich anzusehen. Voraussetzung für eine auf der Hand liegende Fehlerhaftigkeit der Abrechnung und damit Unverbindlichkeit ist vielmehr, daß die Investition als solche unzweifelhaft ist und darüber hinaus außer Zweifel stehen muß, daß der Verbraucher mit diesen daraus resultierenden Verlusten nicht belastet werden darf bzw. in die Preisbestimmung nicht mit einfließen darf. In diesem Zusammenhang ist weiter von Bedeutung, daß das Versorgungsunternehmen bei der Festsetzung der Tarife und Entgelte einen Spielraum hat (vgl. BGH, NJW 1992, 171, 174).

III. Im Ergebnis gilt nichts anderes hinsichtlich des Entgeltes für die Entsorgung. Ein Leistungsverweigerungsrecht steht dem Beklagten nach § 20 ABE nicht zu. Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen auch nach § 20 Abs. 1 ABE nur dann zur Zahlungsverweigerung, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß offensichtliche Fehler vorliegen. Daß es sich - anders als bei der AVB Wasser - um eine allgemeine Geschäftsbedingung handelt (zur Rechtslage de lege ferenda siehe Ulmer, a.a.O., RdNr. 4 a) ändert nichts an der Wirksamkeit der Klausel. Sie verstößt insbesondere nicht gegen § 11 Nr. 2 AGBG (vgl. auch KG, KGR 2000, 133). Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zu Art. 3 in Verbindung mit Annex Nr. 1 lit. o) der Richtlinie 93/13/EWG verwiesen, die entsprechend gelten.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Festsetzung der Beschwer erfolgt gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des BGH ab. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). In der bereits zitierten Entscheidung (BGH, MDR 1984, 558) ist die entsprechende Klausel in den Nutzungsbedingungen der Berliner Stadtreinigung gebilligt worden.

Ende der Entscheidung

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