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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.07.2007
Aktenzeichen: 2/5 Ws 53/06
Rechtsgebiete: SDÜ, ÜberstÜbk, ZP-ÜberstÜbk, IRG


Vorschriften:

SDÜ Art. 67
SDÜ Art. 68
SDÜ Art. 69
ÜberstÜbk Art. 11
ZP-ÜberstÜbk Art. 2
IRG § 48
IRG § 49
IRG § 50
IRG § 51
IRG § 54
1. In sogenannten "Fluchtfällen" kann die Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ohne Zustimmung des Verurteilten übernommen werden, wenn er nach Erkenntnis des Tatvorwurfes und der Einleitung eines Strafverfahrens in sein Heimatland ausreiste, die Zustellung der Anklageschrift und Ladungen zwar an seinen Verteidiger, nicht aber an ihn bewirkt werden konnten, er aber in der Hauptverhandlung - und gegebenenfalls in der Berufungs- oder Revisionsverhandlung - anwaltlich vertreten war. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist bei Abwesenheitsurteilen stets zu prüfen.

2. Flucht ist in solchen Fällen nicht im Sinne des § 112 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StPO zu verstehen; vielmehr genügt die schlichte Rückkehr des Verurteilten in sein Heimatland.

3. Rechtsgrundlage für die Vollstreckungsübernahme sind die Art. 67-69 SDÜ auch in Verhältnis zu Tschechien, das den sogenannten "Schengen-Besitzstand" voll übernommen hat. Nach dem Inkrafttreten des ZP-ÜberstÜbk (in Tschechien am 1. Februar 2003, in Deutschland am 1. August 2007) ist auch dessen Art. 2 (inhaltsgleich mit Art. 68 und 69 Satz 1 SDÜ) anwendbar.

4. Die nach Art. 69 Satz 2 SDÜ sinngemäß - mit Ausnahme von Art. 3 Abs. 1 lit. d) - anzuwendenden Vorschriften des ÜberstÜbk gehen zwar grundsätzlich dem IRG vor, weichen aber inhaltlich nicht maßgeblich von dessen Regelungen (in §§ 48 ff. IRG) ab, auf deren Anwendung für das Exequaturverfahren Art. 11 Abs. 1 Satz 1 ÜberstÜbk verweist.

5. Im Exequaturverfahren werden weder die Feststellungen, noch die rechtliche Würdigung oder die Strafzumessung des ausländischen Urteils überprüft. Nach § 54 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 IRG ist jedoch die hier angedrohte Höchststrafe für das Abgeurteilte oder nach dem StGB entsprechende Delikt zu beachten.


KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2/5 Ws 53/06 1 AR 105/06

In der Strafsache gegen

wegen Betruges

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 21. November 2005 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Verfahren betrifft das Ersuchen der tschechischen Republik vom 15. März 2004 um Übernahme der Vollstreckung der gegen den Verurteilten wegen mittäterschaftlich begangenen versuchten Kreditbetruges (§§ 250 b Abs. 1 und 5; 8 Abs. 1, 9 Abs. 2 StGB/Tschechien) verhängten Freiheitsentziehung (Gefängnis mit Aufsicht) von fünf Jahren aus dem seit dem 13. Mai 2003 rechtskräftigen Urteil des Kreisgerichts Hradec Králové - 3 T 58/2000-785 - vom 18. Juni 2002 in Verbindung mit dem Beschluß des Obergerichts in Prag - 12 To 21/03-921 - vom 13. Mai 2003.

I.

1. Nach den Urteilsfeststellungen boten der Verurteilte und sein Mittäter, die damals als Gesellschafter des Handelsunternehmens "F... C..." (Sitz: British Virgin Islands) auftraten, im Rahmen der Verhandlung am 26. Januar 2000 über ihren Kreditantrag vom 24. Januar 2000 über 12 Millionen DM (= 220.320.000 Tschechische Kronen) der Bank "I... a P... Banka a.S., Filiale Hradec Králové, als Sicherheit ein Gemälde "Frauen am Klavier" an, das angeblich von Pablo Picasso gemalt worden sei. Sie behaupteten wider besseres Wissen, es handele sich um ein Original mit der Signatur von Pablo Picasso, bescheinigt durch drei Stempel der Sammlung Kramar auf der Rückseite, und suchten die Echtheit des Bildes durch Gutachten, unter anderem ein falsches, zu beweisen, das sie sich von Dr. phil. V... P... beschafft hatten. Weil ein beigezogener Berater die Echtheit des Bildes anzweifelte, kam es nicht zur Auszahlung des Kredits.

2. Die Gerichte beider Instanzen verhandelten in Abwesenheit des Beschwerdeführers S.... Zum Verfahrensgang teilt das Urteil des Kreisgerichts (vom 18. Juni 2002) mit:

"Der Verurteilte S... wurde im Ermittlungsverfahren in Anwesenheit seines Verteidigers und einer Dolmetscherin für die deutsche Sprache mehrfach zu der Beschuldigung vernommen. Aufgrund seines Versprechens (zu ergänzen: sich dem Verfahren zu stellen) wurde er "aus der Festnahme entlassen". Danach kehrte er offenbar nach Deutschland zurück. In der Folgezeit gelang es trotz mehrerer Versuche deutscher Stellen nicht, die ins Deutsche übersetzte Anklage und die Ladung zuzustellen. Deswegen verfuhr das Kreisgericht nach §§ 302 ff. StGB/Tschechien und führte das Verfahren gegen ihn als "Landflüchtigen" in Anwesenheit seines Verteidigers durch (§§ 302 Abs. 1, 304 StPO Tschechien), dem auch alle Schriftstücke zugestellt wurden (§§ 303 Abs. 1 Satz 1, 306 Abs. 1 StPO/Tschechien). Da der damalige Angeklagte für das Gericht unerreichbar war und der begründete Verdacht bestand, daß er sich dem Verfahren entzieht und "versteckt". Während der Verlegung der Hauptverhandlung ging bei der Kreisstaatsanwaltschaft am Gerichtsort ein Fax (vermutlich von seiner Ehefrau) ein, in dem er seine Abwesenheit mit Gesundheitsproblemen begründet, ohne jedoch ein "objektives medizinisches Gutachten" zu übersenden, in dem bestätigt worden wäre, er sei zur Teilnahme an der Verhandlung aus Gesundheitsgründen nicht fähig. Der erneute Versuch einer Ladung schlug wiederum fehl."

In der hiesigen Akte findet sich die Kopie eines Schreibens des Verurteilten vom 2. April 2002 an das Kreisgericht Hradec Králové (mit dem Hinweis: Vorab per Fax ..., Betreff: Geschäftszahl: 3 T 58/2000 ... "Hauptverhandlung am 8. und 9. April 2002", in dem er sein Fernbleiben von der Hauptverhandlung mit gesundheitlichen Gründen entschuldigt und sich umfangreich bestreitend, da er in gutem Glauben gehandelt habe, zu dem Tatvorwurf äußert.

Das Urteil des Kreisgerichts vom 18. Juni 2002 führt zu der Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten aus:

"Die Beweisführung ist zwar unter komplizierten Prozeßbedingungen durchgeführt wurde (richtig wohl: worden), wann (richtig wohl: da) das Gericht keine Möglichkeit hat, die Beklagten zu bewegen, bei der Verhandlung in der tschechischen Republik zu erscheinen und ihr Recht auszusagen auszunutzen und sich zu verteidigen; jedoch das Gericht prüfte konsequent im Laufe des ganzen Verfahrens vor dem Gericht die Einhaltung des Rechts auf gerechtes Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1, 2, 3 a-e der Europäischen Konvention über den Menschenrechts- und Freiheitsschutz und vertritt die Meinung, daß alle Rechte der Beschuldigten (der Beklagten) voll garantiert wurden (sie wurden unverzüglich und ausführlich in der Sprache, die sie verstehen, mit der Beschaffenheit und dem Grund der Beschuldigung vertraut gemacht, sie hatten angemessene Zeit und Möglichkeiten zur Vorbereitung ihrer Verteidigung, es wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, sich persönlich sowie mit Hilfe eines Verteidigers nach ihrer Auswahl zu verteidigen, die Möglichkeit, die Zeugen zu eigenem Nutzen unter denselben Bedingungen als die Zeugen gegen sich zu vernehmen oder vernehmen lassen, eine unentgeltliche Dolmetscherhilfe zu haben.)"

Gegen das Urteil legten beide Angeklagte und die Staatsanwaltschaft - jeweils mit schriftlichen Begründungen - "Rekurs" (= Berufung) ein, die das Obergericht in Prag - 12 To 21/03-921 - nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Verteidigers des abwesenden damaligen Angeklagten S... mit Beschluß vom 13. Mai 2003 - seitdem vollstreckbar - als unbegründet verwarf.

3. Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung des Urteils des Kreisgerichts Hradec Králové vom 18. Juni 2002 in Verbindung mit dem Beschluß des Obergerichts in Prag vom 13. Mai 2003 für zulässig erklärt und entsprechend diesem Erkenntnis die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre festgesetzt.

Die dagegen gerichtete, rechtzeitig eingelegte (§ 77 Abs. 1 IRG, § 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde (§ 55 Abs. 2 Satz 1 IRG) des Verurteilten hat keinen Erfolg.

II.

1. Die nach § 50 Satz 1 IRG sachlich und nach § 51 Abs. 1 IRG örtlich zuständige Strafvollstreckungskammer (§ 77 Abs. 1 IRG, § 78 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 GVG; vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Juli 2002 - 5 Ws 409/02 - und 28. Dezember 1998 - 5 ARs 21/98 -) hat das Urteil des Kreisgericht Hradec Králové (Königgrätz) vom 18. Juni 2002 zu Recht für vollstreckbar erklärt.

2. Das Beschwerdevorbringen, die angefochtene Entscheidung behaupte lediglich beweislos, der Verurteilte halte sich in Berlin auf und sei hier gemeldet (auf letzteres kommt es nicht an), ist unzutreffend.

Nach § 51 Abs. 1 IRG, anwendbar über Art. 69 SDÜ, der auf das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ÜberstÜbk) vom 21. März 1983 verweist, dessen Art. 11 Abs. 1 Satz 1 für die Umwandlung der Sanktion (Exequatur) die Anwendung des Rechts des Vollstreckungsstaates (für Deutschland das IRG) vorschreibt, richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die Exequaturentscheidung nach dem Wohnsitz des Verurteilten. Darunter ist dessen gewöhnlicher Aufenthaltsort zu verstehen. Im Rahmen der Nachforschung danach wurde nicht nur festgestellt, daß der Verurteilte unter der Anschrift ... Berlin, ..., gemeldet ist, sondern polizeiliche Hausermittlungen ergaben auch, daß sich dort sein Name an der Klingel und dem Briefkasten befindet, er in dem Haus gesehen wurde und bei Nachbarn bekannt ist. Die Hausverwaltung erteilte die Auskunft, der Verurteilte habe unter jener Anschrift eine Wohnung gemietet. Schließlich antwortete der Verurteilte auf ein an die genannte Anschrift gerichtetes Schreiben der Strafvollstreckungskammer (vom 17. Juni 2005) unter Angabe dieser Anschrift mit seinem Schreiben (vom 30. Juni 2005), die sich auch auf dessen an die Präsidentin des Kreisgerichts (vom 2. April 2002) und seinen Rechtsanwalt (vom 30. September 2003) gerichteten Schreiben befindet.

III.

Die Voraussetzungen der Übernahme der Vollstreckung des tschechischen Urteils liegen vor.

1. Rechtsgrundlage sind zunächst die Art. 67 - 69 des Übereinkommens vom 19. Juni 2990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (SDÜ). Den sogenannten "Schengen-Besitzstand", so auch die genannten Vorschriften, hat die tschechische Republik (gemäß Art. 3 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik ... und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge) mit ihrem Beitritt zur Europäischen Union übernommen; sie sind damit für diese und im Verhältnis zu ihr bindend und anzuwenden (ABl. EU Nr. L 236 vom 23. September 2003, S. 33; S. 50: Verzeichnis der Bestimmungen des in den Rahmen der EU einbezogenen Schengen-Besitzstandes (gemäß Art. 3 der Beitrittsakte) Nr. 2). Gemäß Art. 67 SDÜ sind die Art. 68 und 69 SDÜ zwischen der Tschechischen Republik und Deutschland anwendbar, denn diese sind dem ÜberstÜbk beigetreten (für die Tschechische Republik: ABl. EU Nr. L 1992, S. 1049 und 1993 S. 696; für Deutschland in Kraft getreten am 1. Februar 1992 gemäß Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 26. September 1991 zu dem genannten Übereinkommen (BGBl. Teil II, S. 1006) in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 19. Dezember 1991 über das Inkrafttreten dieses Übereinkommens (BGBl. Teil II, S. 98)).

Die Art. 67 - 69 SDÜ schließen die rechtliche Lücke in den Fällen, in denen die verurteilte Person aus dem Urteilsstaat (hier: Tschechische Republik) in ihren Heimatstaat (hier: Deutschland) flüchtet (vgl. Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 2003, Rdn. 169; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl., III C (EG-Vollstreckungsübereinkommen) Rdn. 5). Daran ändert es nichts, daß Deutschland sich (gemäß §§ 81 ff.) des (neu gefaßten) Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der EU (EUHbG) vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1721) nunmehr auch zur Auslieferung seiner Staatsbürger zum Zwecke der Vollstreckung eines ausländischen Urteils bereiterklärt hat. Denn der ersuchende Urteilsstaat kann wählen, ob er die dort gegen einen Ausländer verhängte Sanktion im eigenen Land vollstrecken, oder dessen Heimatstaat darum ersuchen will, wie es die Tschechische Republik hier - mutmaßlich auch im Interesse des Verurteilten - beantragt hat.

2. Nach Art. 68 Abs. 1 SDÜ kann ein Mitglied der EU, das den Staatsangehörigen eines anderen Mitglieds rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hat, dieses um die Vollstreckung der Sanktion ersuchen, wenn der Betroffene sich ihr durch Flucht in sein eigenes Land entzogen hat. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Dabei ist der Begriff der Flucht nicht im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. StPO zu verstehen. Denn aus der Sicht des das Ermittlungsverfahren führenden Staates ist danach ein Ausländer nicht flüchtig, wenn er - ohne Bezug zu seiner Straftat - nur in sein Heimatland zu seinem Wohnsitz zurückkehrt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., § 112 Rdn. 13 m.w.N.). Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer naheliegend - weil im Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren - auch in diesem Sinne flüchtig war, kommt es für die Fluchtfälle (nach § 68 SDÜ) allein darauf an, ob der Beschuldigte sich dem Strafverfahren im Ausland durch Rückkehr in sein Heimatland entzogen hat. Dem Verfahren und der Vollstreckung hat der Verurteilte sich entzogen, indem er nach seiner Festnahme und der Unterrichtung über den Tatvorwurf trotz des gegebenen Versprechens, sich dem Verfahren zu stellen, nach Deutschland ausgereist, dem Verfahren ferngeblieben ist und für (förmliche) Zustellungen (der Anklageschrift und Ladungen) nicht mehr erreichbar war. Dennoch hatte er von der Anklageschrift und mindestens den Hauptverhandlungsterminen am 8. und 9. April 2002 Kenntnis. Dies belegt sein Schreiben (vom 2. April 2002) an die Vorsitzende des Kreisgerichts Hradec Králové; denn darin kündigt er an, zu den Hauptverhandlungsterminen aus - nach Überzeugung des Senats vorgeschobenen - gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen zu können, und er äußert sich zur Anklageschrift. Auch der Strafvollstreckung wollte er sich nicht stellen, wie sein Schreiben (vom 30. September 2003) an seinen Rechtsanwalt belegt, in dem er diesen bittet, dem Kreisgericht per Fax mitzuteilen, er werde den Strafvollzug nicht antreten.

3. Nach Art. 69 Satz 2 SDÜ sind die Vorschriften des ÜberstÜbk mit Ausnahme des Erfordernisses der Zustimmung des Verurteilten zur Übertragung der Vollstreckung (Art. 3 Abs. 1 lit. d) ÜberstÜbk) auf diese sinngemäß anzuwenden. Sie haben (gemäß § 1 Abs. 3 IRG) Vorrang vor denen des IRG, soweit sie speziellere Regelungen enthalten (vgl. Lagodny in Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, § 1 IRG Rdn. 7). Das IRG ist subsidiär heranzuziehen (vgl. Schomburg a.a.O., Einl. Rdn. 5). Diese Subsidiarität wird indes hinsichtlich des bei der Umwandlung der ausländischen Sanktion anzuwendenden Verfahrens aufgehoben; denn insoweit verweist Art. 11 Abs. 1 Satz 1 ÜberstÜbk ausdrücklich auf das Recht des Vollstreckungsstaates, also auf §§ 48 f IRG (vgl. zu diesen Grundsätzen: Senat NStZ 1995, 415, 416).

a) Das ÜberstÜbk enthält als speziellere (richtig: genauere), nicht in § 49 IRG enthaltene Regelungen zunächst Art. 3 Abs. 3 ÜberstÜbk in Verbindung mit den dazu abgegebenen Erklärungen Deutschlands (in der Bekanntmachung über das Inkrafttreten des ÜberstÜbk vom 19. Dezember 1991; BGBl. Teil II S. 98) zu Art. 3 Abs. 1, wonach die Vollstreckung nur übernommen wird, wenn die Sanktion in einem Verfahren verhängt wurde, welches mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vom 4. November 1950) - nebst für Deutschland in Kraft getretener Ergänzungen - in Einklang steht. Diese Erklärung präzisiert aber nur § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG und geht in ihrem Gehalt nicht darüber hinaus.

b) Nicht in § 49 IRG enthalten ist eine Regelung, die der Erklärung (zu Art. 3 Abs. 3) entspricht, wonach bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Übernahme der Vollstreckung erfüllt sind, das (deutsche) Gericht die im Urteil enthaltenen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Schlußfolgerungen zugrunde legt, den Schuldspruch also nicht ändern darf. Dabei handelt es sich jedoch um einen Grundsatz, der bei der Exequaturentscheidung ohnehin zu beachten ist (vgl. Senat, Beschluß vom 3. August 2006 - 5 Ws 443/06 -).

c) Soweit § 69 SDÜ für "Fluchtfälle" die Zustimmung des Verurteilten zur Vollstreckungsübernahme nicht verlangt, ist dies nur eine spezielle Regelung gegenüber Art. 3 Abs. 1 lit. d) ÜberstÜbk, nicht hingegen bezüglich § 49 Abs. 2 IRG. Denn diese Vorschrift verlangt die Zustimmung des Verurteilten nur, falls er sich - anders als hier - im Urteilsstaat aufhält, also seine Überstellung in den Vollstreckungsstaat erforderlich ist.

d) Das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen (vom 21. März 1982) über die Überstellung verurteilter Personen (ZP-ÜberstÜbk; BGBl. 2002 II S. 2866), das in der Tschechischen Republik seit dem 1. Februar 2003 in Kraft ist (vgl. Schomburg a.a.O., ZP-ÜberstÜbk, Vertragstabelle S. 729), ist noch nicht anwendbar, da es für Deutschland erst am 1. August 2007 in Kraft treten wird. Es enthält - soweit hier von Belang - in Art. 2 Abs. 1 für "Fluchtfälle" eine Art. 68 Abs. 1 SDÜ inhaltsgleiche Regelung und bestimmt in Abs. 3 - wie in Art. 69 Satz 1 SDÜ -, daß die Zustimmung der verurteilten Person zur Übertragung der Vollstreckung nicht erforderlich ist.

4. Die in § 49 IRG für die Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme festgelegten weiteren Mindestvoraussetzungen (vgl. OLG Düsseldorf VRS 80, 477; Schomburg/Hackner a.a.O., § 49 IRG Rdn. 1) sind gegeben.

a) Die der Vollstreckung zugrunde liegenden rechtskräftigen, vollstreckbaren Urteile hat die Tschechische Republik mit ihrem Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung vorgelegt (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG).

b) Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG - der Spezialnorm gegenüber § 73 IRG (vgl. Schomburg/Hackner a.a.O., § 49 IRG Rdn. 7) - muß das Verfahren, das zu dem zu vollstreckenden Urteil geführt hat, dem unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung (ordre public) ebenso entsprechen, wie dem völkerrechtlichen Mindeststandard (etwa Art. 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) und Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EuMRK), der über Art. 25 GG Bestandteil des deutschen Rechts ist (vgl. BVerfG NStZ 2006, 102, 103 m.w.N.). Das bedeutet indes nicht, daß das ausländische Verfahren den Grundgedanken oder gar Details der hiesigen Strafprozeßordnung entsprechen müßte. Vielmehr stehen nur eklatante Verstöße der Vollstreckungshilfe entgegen (vgl. Schomburg/Hackner a.a.O., § 49 IRG Rdn. 6). Solche sind hier nicht gegeben.

Grundsätzlich haben die deutschen Gerichte zwar bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils - für das Ersuchen, diese hier vorzunehmen, gilt nichts anderes - die Zulässigkeit seines Zustandekommens nicht zu prüfen. Sie sind dazu indes bei Abwesenheitsurteilen - wie hier - regelmäßig verpflichtet (vgl. BVerfG NStZ 2006, 102, 103; BGH NStZ 2002, 166, 167 Rdn. 6; KG, StV 1993, 207, 208 und Beschluß vom 9. Dezember 2005 - (4) Ausl. A. 766/02 (148/04) -).

Entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zur Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen Abwesenheitsurteils in sogenannten "Fluchtfällen" (außer dem Beschluß des Senats vom 25. Juli 2002 - 5 Ws 409/02 - betreffend die Vollstreckung einer Geldstrafe gegen einen Deutschen aufgrund eines Abwesenheitsurteils in der Schweiz hat der Senat keine entsprechenden Entscheidungen finden können, die sich auf eine hier zu vollstreckende Freiheitsstrafe beziehen) ist den rechtsstaatlichen Anforderungen Genüge getan, wenn der Verurteilte von dem gegen ihn gerichteten Tatvorwurf und dem Strafverfahren Kenntnis hatte, sich ihm durch Flucht entzogen hat und er in dem Verfahren von einem ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidiger wirksam verteidigt werden konnte (vgl. BVerfG a.a.O., NStZ-RR 2004, 308, 309; NJW 1991, 1411; NJW 1987, 830; BGH NStZ 2002, 166, 167; jeweils mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung des EGMR; KG a.a.O. und Beschluß vom 14. Mai 2003 - (4) Ausl. A. 234/03 (53/03) -).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beschwerde erhebt insoweit auch keine Beanstandungen. Der Verurteilte wurde im Ermittlungsverfahren in Anwesenheit seines Verteidigers und einer Dolmetscherin mehrfach zu der erhobenen Beschuldigung vernommen. Der Tatvorwurf und die Einleitung eines Strafverfahrens waren ihm damit bekannt, und er hatte rechtliches Gehör. Während des gerichtlichen Verfahrens, dem er aus freien Stücken fernblieb, war er sowohl in der ersten wie in der zweiten Instanz durch seinen Verteidiger vertreten, dem alle maßgeblichen Schriftstücke zugestellt wurden. Über ihn war er über den Fortgang des Verfahrens informiert (dafür spricht sein Schreiben an die Senatspräsidentin des Kreisgerichts Hradec Králové vom 2. April 2002, in dem er sich auch zur Anklageschrift äußert), oder er hätte über seinen Verteidiger jedenfalls vollständige Kenntnis erlangen können. Daß es sich bei den tschechischen Gerichten erster und zweiter Instanz um unabhängige Gerichte handelt, zieht auch die Beschwerde nicht in Zweifel.

c) Das abgeurteilte Delikt ist auch nach deutschem Strafrecht mit Strafe bedroht (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG), wobei die durch das tschechische Urteil verhängte Sanktion "Gefängnis mit Aufsicht" der Freiheitsstrafe nach deutschem Strafrecht entspricht; darauf kommt es allein an (vgl. Schomburg/Hackner a.a.O., § 49 IRG Rdn. 13 c), nicht hingegen - an dieser Stelle - darauf, ob die Tat nach § 263 oder § 265 b des deutschen StGB strafbar ist (vgl. Schomburg/Hackner a.a.O., § 52 IRG Rdn. 2).

d) Die Vollstreckung ist nach dem hier geltenden Recht auch nicht verjährt (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG). Nach § 79 Abs. 3 Nr. 3 StGB verjährt die Vollstreckung bei einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu - wie hier - fünf Jahren in zehn Jahren. Diese Frist beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung (§ 79 Abs. 6 StGB), hier also dem 13. Mai 2003, dem Datum der Berufungsentscheidung des Obergerichts in Prag, die an diesem Tage in Kraft getreten ist, wenngleich danach Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Revision hätten einlegen können; das ist jedoch nicht geschehen. Die Vollstreckungsverjährung tritt folglich erst am 12. Mai 2013 ein.

e) Schließlich ist auch in Deutschland wegen derselben Tat keine der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Entscheidungen (Urteile oder deren Rechtswirkung entsprechende Beschlüsse nach §§ 153 a, 174, 204 StPO) ergangen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG). Das auf das Ersuchen um Zustellung (vom 1. März 2001) der Anklageschrift wegen des darin genannten Tatvorwurfs eingeleitete Ermittlungsverfahren 91 Js 773/03 ist am 5. April 2004 (gemäß § 153 c Abs. 1 Nr. 3 StPO, in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft heißt es richtig § 153 c Abs. 2 StPO) eingestellt worden.

Damit liegen sämtliche Voraussetzungen für die Vollstreckungsübernahme vor (vgl. OLG Düsseldorf VRS 80, 477 = wistra 1991, 199); denn - wie bereits (unter 3. c)) ausgeführt - kommt es auf die Zustimmung des Verurteilten bei dieser Fallkonstellation nicht an.

IV.

1. Nach Art. 69 SDÜ, Art. 11 Abs. 1 des Überstellungsübereinkommens ist - wie bereits gesagt - für die Umwandlung der Sanktion des Urteilsstaates das im Vollstreckungsstaat vorgesehene Verfahren anzuwenden, das in §§ 50 ff. IRG geregelt ist.

Da die sachliche (§ 50 IRG) und örtliche (§ 51 IRG) Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin und damit auch diejenige des Kammergerichts als Beschwerdegericht gegeben sind, soll hier zunächst nur festgestellt werden, daß der Verurteilte rechtliches Gehör hatte und durch einen ihm beigeordneten Verteidiger in dem Exequaturverfahren vertreten ist (§ 73 Abs. 1 und 2 IRG; vgl. Senat NStZ 1995, 415 zur grundsätzlich notwendigen Verteidigung in Vollstreckungshilfeverfahren nach dem IRG).

2. Die Strafvollstreckungskammer hat die Vollstreckung der fünfjährigen Strafe zu Recht für zulässig erklärt und die Sanktion "Gefängnis mit Aufsicht" (gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 IRG) in fünf Jahre Freiheitsstrafe umgewandelt (vgl. Schomburg/Hackner a.a.O., § 54 IRG Rdn. 3).

Für die nach deutschem Recht festzusetzende Sanktion ist im Exequaturverfahren nach Maßgabe des § 54 Abs. 1 Satz 3 IRG die Höhe der ausländischen Sanktion verbindlich; eine Anpassung des Strafmaßes nach deutschem Strafzumessungsrecht ist nicht möglich. Dies folgt aus der Natur des Exequaturverfahrens, mit dem kein eigenes Strafverfahren durchgeführt, sondern lediglich ein ausländisches unterstützt wird (vgl. OLG Düsseldorf JMBlNw. 1991, 284; Senat, Beschlüsse vom 3. August 2006 - 5 Ws 443/06 - und 16. April 2003 - 5 Ws 173/03 -). Das ausländische Urteil wird weder im Hinblick auf seine tatsächlichen Feststellungen und seine rechtliche Würdigung, noch in bezug auf die Strafzumessung überprüft. Die Übernahme der Vollstreckung begründet keine Befugnis des deutschen Gerichts, das der Vollstreckung zugrunde liegende ausländische Erkenntnis zu ändern (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O., OLG Saarbrücken NStZ-RR 2004, 216; zu diesen Grundsätzen insgesamt: Senat NStZ 1995, 415 und seine vorgenannten Beschlüsse).

3. Nach § 54 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz IRG (entsprechend Art. 10 Abs. 2 Satz 3 ÜberstÜbk) darf jedoch die vom Urteilsstaat verhängte Sanktion die im Vollstreckungsstaat für die Tat angedrohte Höchststrafe nicht überschreiten. Das könnte hier zweifelhaft sein, weil der Beschwerdeführer wegen "Kreditbetruges" (§ 250 b Abs. 1 und 5 StGB/Tschechien) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren "Gefängnis mit Aufsicht" verurteilt wurde, während hier für diesen Tatbestand (§ 265 b StGB) nur eine Höchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist. Dies hindert indes die Vollstreckbarkeit der Freiheitsentziehung von fünf Jahren nicht. Denn die abgeurteilte Tat ist nach deutschem Strafrecht jedenfalls auch als Betrug (§ 263 StGB) zu beurteilen, für den eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist. Dabei kommt es auf die Entscheidung des Meinungsstreits über das Konkurrenzverhältnis zwischen § 263 und § 265 b StGB nicht an. Denn nach jeder der beiden vertretenen Auffassungen ist - bei Versuch oder Vollendung der Tat - auch nach § 263 StGB zu verurteilen, sei es wegen Gesetzeskonkurrenz ausschließlich nach dieser Vorschrift (so BGH 36, 130, 132 m.w.N.) oder - so die Gegenmeinung - wegen Tateinheit (§ 52 StGB) der §§ 263, 265 b StGB (zu dem Meinungsstreit vgl.: Tiedemann in LK, StGB 11. Aufl., § 265 b Rdn. 14; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl., § 265 b Rdn. 3; jeweils m.w.N.).

4. Über die Anrechnung (gemäß § 54 Abs. 4 Satz 1 IRG) von erlittener Strafhaft oder der Haft zur Sicherung der Vollstreckung (im Inland) nach § 58 Abs. 1 IRG ist nicht zu befinden, da der Verurteilte solche Freiheitsentziehungen nicht erlitten hat.

In dem Urteil des Kreisgerichts wird zwar ausgeführt, der Beschwerdeführer sei im Ermittlungsverfahren mehrfach vernommen und aus der Festnahme entlassen worden. Wie lange diese gedauert hat, ist nicht bekannt. Nach § 54 Abs. 4 IRG ist eine Anrechnungsentscheidung insoweit aber ohnehin nicht zu treffen. Denn über die Anrechnung im Urteilsstaat vollzogener Untersuchungshaft hat allein dieser zu entscheiden. Dem stehen Art. 11 Abs. 1 lit. c) ÜberstÜbk und Art. 56 SDÜ nicht entgegen (vgl. Schomburg/Hackner a.a.O., § 54 IRG Rdn. 14).

5. Auch einer Entscheidung über den Verfall des inkriminierten Bildes "Frauen am Klavier" bedarf es hier nicht, da insoweit nicht um Vollstreckung ersucht, diese vielmehr bereits im Urteilsstaat bewirkt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 IRG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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