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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 2/5 Ws 599/06 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 6
StVollzG § 7
1. Welches Vollzugsverhalten der Gefangene in einer anderen Vollzugseinrichtung als derjenigen, welche die Behandlungsuntersuchung durchführt, an den Tag gelegt hat, welche Fortschritte er in seinem Sozialverhalten gemacht hat oder welche Defizite erkennbar waren, ist für die Vollzugsplanung von ebensolcher Bedeutung wie das sonstige Vorleben des Gefangenen. Denn der an dem Gefangenen vorgenommene Strafvollzug stellt eine kontinuierliche Einheit dar. Die Resozialisierungsbemühungen um ihn, zu denen die Vollzugsbehörde verpflichtet ist (§ 2 Satz 1 StVollzG), brechen mit der Verlegung nicht ab und beginnen in der neuen Anstalt nicht neu; sondern der Vollzug in der neuen Anstalt baut auf demjenigen in der alten auf.

2. Die Vollzugsbehörde darf einem Gefangenen nicht erst verweigern, günstige Voraussetzungen für seine Vollzugsplanung und seine Behandlung zu schaffen (hier den Nachweis der Drogenabstinenz durch Urinkontrollen) und anschließend unter Berufung darauf, dass gerade diese Voraussetzung (durch Urinkontrollen nachgewiesene Drogenabstinenz) nicht vorliege, eine erfolgversprechendere Vollzugsbehandlung ablehnen.


KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2/5 Ws 599/06 Vollz

In der Strafvollzugssache

des Strafgefangenen

wegen Einweisung in die Teilanstalt III

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 23. Mai 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 8. September 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

Der Gefangene verbüßt eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen - seit dem 17. Mai 2005 in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Im Anschluß daran ist der Vollzug der Sicherungsverwahrung vorgesehen. Zuvor war er etwa drei Jahre in der Justizvollzugsanstalt Moabit inhaftiert - zunächst in Untersuchungshaft für das vorliegende Verfahren und sodann etwa zweieinhalb Jahre in Strafhaft, zuerst zur Verbüßung der Reststrafe aus einem anderen Verfahren und nach dem Eintritt der Rechtskraft auch im vorliegenden Verfahren. Aufgrund der Behandlungsuntersuchung (deren Ergebnisse erst am 29. Juli 2005 schriftlich niedergelegt wurden) hat die Einweisungsabteilung der Justizvollzugsanstalt Tegel ihn in der Vollzugskonferenz vom 23. Juli 2005 in die Teilanstalt III, den sogenannten Regelvollzug, eingewiesen.

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) vom 29. Juli 2005 - beim Landgericht eingegangen am 4. August 2005 - beantragte er sinngemäß, unter Aufhebung der Vollzugsplanung anstatt in die Teilanstalt III in einen behandlungsorientierten Bereich verlegt zu werden. Die Einweisungsabteilung habe ihre Ermessensentscheidung auf der Grundlage eines unrichtig und unvollständig ermittelten Sachverhalts getroffen. Sie habe ihn zwar hinsichtlich des Standes der Aufarbeitung seiner Straftaten und seiner sonstigen Persönlichkeitsentwicklung als für die Unterbringung in einem solchen Bereich grundsätzlich für geeignet gehalten, habe aber eine - wie er meint: erneute - sechsmonatige Probezeit für erforderlich gehalten, in der er mittels Urinkontrollen seine Drogenfreiheit beweisen müsse, bis die Vollzugsplanung geändert werden könne. Bei dieser Entscheidung habe die Vollzugsbehörde verkannt, daß er seine Drogenabstinenz bereits etwa drei Jahre lang - zunächst in der Justizvollzugsanstalt Moabit, später in der Einweisungsabteilung der Justizvollzugsanstalt Tegel - unter Beweis gestellt (d.h. den Beweis angeboten) habe. Er habe nämlich in beiden Anstalten darauf gedrungen, seine während des Vollzuges erreichte Drogenfreiheit durch Urinproben nachweisen zu dürfen. Das sei ihm in der Justizvollzugsanstalt Moabit mehrfach mit der Begründung verwehrt worden, das sei unnötig; denn seine Drogenfreiheit sei bereits bewiesen. Auch während seines Aufenthalts in der Teilanstalt I, wo sich die Gefangenen während der Einweisungsuntersuchung befinden, sei sein schriftliches Angebot vom 3. Juni 2005, Urinproben abzugeben, abgelehnt worden. Im Haus III sei er jetzt in einem Milieu untergebracht, in dem er täglich mit Drogen konfrontiert werde, was seiner Resozialisierung schade. Seine schriftlich am 11. Oktober 2005 - bereits nach Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung - niedergelegte Bereitschaft, freiwillig Urinproben abzugeben, hat er während des Verfahrens zum Zwecke der Stützung seiner Rechtsansicht, er sei dazu nicht (mehr) verpflichtet, zurückgenommen, weswegen die Antragsgegnerin die Urinkontrollen nunmehr als mißlungen fingiert, was aus ihrer Stellungnahme vom 20. Juli 2006 hervorgeht (Bl. 105, 106).

Seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer durch den Beschluß vom 27. Dezember 2005 mit der Begründung zurück, die Anstalt sei seinem Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht entgegengetreten, und der Gefangene habe dem nicht widersprochen. Nach Aufhebung dieses Beschlusses wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs und Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer durch Beschluß des Senats vom 6. Juni 2006 wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Gefangenen erneut durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet zurück. Die Vollzugbehörde dürfe als Aufnahmevoraussetzung für den behandlungsorientierten Vollzug den Nachweis der Drogenfreiheit mittels Urinproben verlangen. Daß sich der Gefangene jahrelang darum bemüht habe, ersetze nicht diesen Beweis. Es komme nicht auf die Auseinandersetzungsbereitschaft des Antragstellers mit seinen Defiziten an, sondern auf den geglückten Nachweis der Drogenfreiheit; dieser könne nur mittels Urinproben erbracht werden.

Mit seiner Rechtsbeschwerde (§ 116 Abs. 1 StVollzG) rügt der Gefangene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

1. Eine Rechtsbeschwerde ist (über den Wortlaut des § 116 Abs. 1 StVollzG hinaus) auch dann statthaft, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder die rechtlichen Erwägungen der angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, daß das Rechtsbeschwerdegericht nicht überprüfen kann, ob die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 vorliegen, jedoch das Vorliegen einer erörterungsbedürftigen Rechtsfrage naheliegt (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2002, 180; OLG Celle, NStZ 1997, 429; Senat ZfStrVO 2002, 248 mit weit. Nachw.; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 115 Rdn. 3). So läge der Fall hier, wenn die Strafvollstreckungskammer in ihrer angefochtenen Entscheidung die Vollzugsplanung - zumindest in deren wesentlichen Teilen - nicht wiedergegeben hätte, wobei ihr die vereinfachte Übernahme fremder Texte durch Bezugnahme gestattet ist (§ 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG). Diese Bezugnahme ist der Kammer, wenn auch in untunlicher und überflüssig komplizierter Form, gerade noch im Wege der Kettenverweisung in einer Weise gelungen, die es dem Senat ermöglicht, den Inhalt des Vollzugsplans als festgestellt zu erachten. Zwar ist er in der angefochtenen Entscheidung selbst weder wiedergegeben, noch wird auf ihn unmittelbar Bezug genommen. Der Beschluß vom 8. September 2006 enthält aber eine Verweisung auf den von dem Senat aufgehobenen Beschluß vom 27. Dezember 2005, in dem sich seinerseits auf Seite 7 eine Bezugnahme auf den Vollzugsplan findet. Damit ist sein Inhalt festgestellt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch zulässig, weil der Senat auf die Sachrüge hin ein klärendes Wort für geboten hält, in welcher Weise der vor der Behandlungsuntersuchung liegende Vollzugsverlauf, namentlich das Verhalten eines Gefangenen in anderen Vollzugsanstalten berücksichtigt werden muß.

II. Das Rechtsmittel ist begründet. Das Landgericht durfte die Tatsachen, mit denen der Antragsteller zum einen das bereits abgeschlossene Gelingen seines Strebens nach Drogenfreiheit, zum anderen die Vergeblichkeit seiner Bemühungen um die Abnahme von Urinproben darzulegen versucht hat, nicht in sachlich-rechtlicher Hinsicht unberücksichtigt und als Folge davon unaufgeklärt lassen. Für die Vollzugsplanung ist es von Bedeutung, welche Fähigkeiten der Gefangene vor der Durchführung der Behandlungsuntersuchung in einer anderen Anstalt gewonnen hat. Das gilt umso mehr, wenn er sich dort eine namhafte Zeit über aufgehalten hat.

1. Die Vollzugsplankonferenz am 23. Juli 2005 hat auf der Grundlage der Behandlungsuntersuchung des Gefangenen (§ 6 StVollzG) aufgrund dissozialer und kriminogener Persönlichkeitsmerkmale, seines deliktischen Vorlebens und der - bei aktueller Abstinenz - bestehenden Suchtproblematik die Flucht- und Mißbrauchsgefahr angenommen, was nicht im Streit ist. Hinsichtlich seiner Problemeinsicht und Motivation heißt es jedoch:

"Herr R. zeigt sich vor dem Hintergrund des erneuten Scheiterns seiner Bemühungen um eine stabile und drogenfreie Lebensführung verstärkt motiviert, sich mit seinen persönlichkeitsbezogenen Defiziten auseinanderzusetzen, mit dem Ziel einer Veränderung und Korrektur seines Verhaltensmusters. Er verfügt über ein gutes Reflektions- und Introspektionsniveau, so dass er für Behandlungsmaßnahmen erreichbar erscheint. Zum Behandlungsbedarf ist ausgeführt: "Die unbearbeitete Suchtproblematik erscheint bei Herrn R. im Ergebnis der nervenärztlich-psychologischen Begutachtung eher als ein Begleitfaktor dissozialen Verhaltens."

Bezüglich der Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG) wurde seine Wohngruppenfähigkeit festgestellt. Gleichwohl kam die Konferenz zu dem Ergebnis, daß der Beschwerdeführer für eine sofortige Unterbringung im behandlungsorientierten Wohngruppenvollzug trotz seiner Bereitschaft und Fähigkeit zu einer fundierten Auseinandersetzung mit seiner Lebensentwicklung aufgrund des fehlenden Nachweises einer ausreichend stabilen Drogenabstinenz noch nicht geeignet sei. Erst nach einem etwa sechs Monate dauernden Cleannachweis sollte im Rahmen der Vollzugsplanfortschreibung die Eignung des Gefangenen für eine Unterbringung in den behandlungsorientierten Vollzugsbereichen erneut geprüft werden.

Der Annahme der Vollzugsbehörde, er habe seine Drogenabstinenz noch nicht ausreichend nachgewiesen, und dies sei der einzige Grund, ihn noch nicht dem Wohngruppenvollzug zuzuweisen, trat der Gefangene durch konkrete Angaben über Behandlungsmaßnahmen in der JVA Moabit, durch die Benennung mehrerer Zeugen und durch seinen Hinweis auf den bereits kurz nach seiner Ankunft in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt Tegel am 3. Juni 2005 gestellten Antrag auf die Abnahme von Urinproben entgegen. Dies wird auch in dem angefochtenen Beschluß der Strafvollstreckungskammer ausgeführt:

".. trägt der Antragsteller ... vor, daß er sich schon in der JVA Moabit während seiner 34-monatigen Unterbringung umfangreich und qualifiziert mit seiner Drogensucht auseinandergesetzt habe, nämlich:

a) von April 04 bis Januar 05, wöchentlich mit der Diplomsozialpädagogin Frau Ridders von der Helmut-Ziegner-Stiftung,

b) mit einer Diplompsychologin, die eine Suchtberatungsgruppe leitete, von September 03 bis ca. April 04,

c) sowie regelmäßig mit seinem Drogenberater Herrn Ratzmann von der Einrichtung BOA e.v..

... Außerdem beantrage er zur Bestätigung seiner mehrfachen Antragstellung, regelmäßige Urinkontrollen durchzuführen, die Stellungnahme des damaligen Gruppenleiters, Herr Bronevski, aus der JVA Moabit, Teilanstalt I, einzuholen. .."

Damit steht fest, daß diese Sachverhalte Gegenstand des streitigen Vorbringens und des Verfahrens geworden sind.

2. Die Strafvollstreckungskammer hat von der Aufklärung dieser Umstände - geschweige denn von der Vernehmung der benannten Zeugen - abgesehen, weil sie sie für die Entscheidung als unerheblich erachtete. Diese Auffassung steht bereits im Widerspruch zu der Bindungswirkung, die der Beschluß des Senats vom 6. Juni 2006 entfaltet hat. Denn der Senat hatte den maßgeblich auf die Nichterweislichkeit des Vorbringens des Gefangenen gestützten Beschluß des Landgerichts vom 27. Dezember 2005 wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Gefangenen aufgehoben. Wäre es auf die Erweislichkeit des Vorbringens nicht angekommen, sondern hätte der Senat die in jenem Beschluß des Landgerichts am Ende (Seite 7) niedergelegte (pauschale) Übernahme auch der Rechtsansicht der Vollzugsbehörde für richtig erachtet, wäre es auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs - das allein die Tatsachenseite betraf - nicht angekommen, und die Rechtsbeschwerde hätte erfolglos bleiben müssen.

3. Welches Vollzugsverhalten der Gefangene in einer anderen Vollzugseinrichtung als derjenigen, welche die Behandlungsuntersuchung durchführt, an den Tag gelegt hat, welche Fortschritte er in seinem Sozialverhalten gemacht hat oder welche Defizite erkennbar waren, ist für die Vollzugsplanung von ebensolcher Bedeutung wie das sonstige Vorleben des Gefangenen. Denn der an dem Gefangenen vorgenommene Strafvollzug stellt eine kontinuierliche Einheit dar. Die Resozialisierungsbemühungen um ihn, zu denen die Vollzugsbehörde verpflichtet ist (§ 2 Satz 1 StVollzG), brechen mit der Verlegung nicht ab und beginnen in der neuen Anstalt nicht neu; sondern der Vollzug in der neuen Anstalt baut auf demjenigen in der alten auf. Wäre das nicht so, müßte man die in der ersten Vollzugseinrichtung verbrachte Zeit als für die Resozialisierung und die Persönlichkeitsentwicklung verloren betrachten, was mit dem Leitbild des Strafvollzugsgesetzes nicht in Einklang zu bringen wäre. Die Notwendigkeit, das Vollzugsverhalten in der abgebenden Anstalt zu ermitteln, gedanklich aufzunehmen und zu bewerten, springt besonders dann deutlich ins Auge, wenn der Gefangene - wie hier - zunächst in einer anderen Anstalt untergebracht ist, als es der Vollstreckungsplan (§ 152 StVollzG) vorsieht und das zur Folge hat, daß die Behandlungsuntersuchung, die zu Beginn der Strafhaft stehen soll, erst Jahre später stattfindet. Dabei macht es für das Gebot, dem bisherigen Vollzugsverhalten eine Bedeutung beizumessen, keinen Unterschied, ob die vom Vollstreckungsplan abweichende Unterbringung einen gesetzlichen Grund hatte (etwa § 122 StVollzG) oder auf der Überbelegung der Justizvollzugsanstalt Tegel beruhte. Denn die Bedeutung des Vollzugsverhaltens in der abgebenden Anstalt ist vom Verschulden staatlicher Stellen, das bei einem längeren Verbleib in einer im Vollstreckungsplan nicht vorgesehenen Anstalt ohne gesetzliche Grundlage naheläge, unabhängig.

a) Die Tatsache, ob der Beschwerdeführer bereits seine Drogenabstinenz bewiesen hat, bzw. aus Gründen, die in den Verantwortungsbereich der Justizvollzugsanstalt fallen, nicht beweisen konnte, ist auch entscheidungserheblich. Zwar steht dem Gefangenen kein Recht zur Aufnahme einer bestimmten Behandlungsmaßnahme in den Vollzugsplan zu, jedoch hat er auf der Grundlage der Behandlungsuntersuchung ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch (OLG Frankfurt am Main NStZ 1983, 381). Fehlerfrei kann das Ermessen aber nur ausgeübt werden, wenn von richtigen und vollständigen tatsächlichen Grundlagen ausgegangen wird. Eine Entscheidung ist fehlerhaft, wenn die Vollzugsbehörde nicht alle ihr bekannten und vorgetragenen Tatsachen berücksichtigt oder wesentliche Umstände nicht gewürdigt hat (Calliess/Müller-Dietz, § 115 StVollzG Rdn. 21).

Da die Justizvollzugsanstalt davon ausgeht, daß an der Auseinandersetzungsbereitschaft des Gefangenen keinerlei Zweifel bestanden, hing die Entscheidung über die Einweisung in eine bestimmte Teilanstalt maßgeblich von dem - ihrer Ansicht nach nicht erbrachten - Nachweis der Drogenabstinenz ab.

In diesem Zusammenhang wären die vorgetragenen Geschehnisse aus Moabit zu berücksichtigen gewesen. Abgesehen von den nicht durchgeführten Urinkontrollen, wären die zahlreichen therapeutischen Gespräche des Gefangenen mit den von ihm benannten Zeugen wegen der hierdurch dokumentierten Krankheitseinsicht und dem Behandlungswillen zumindest als Indiz für - die von ihm behauptete - bereits damals geübte Drogenabstinenz heranzuziehen gewesen. Hinzu kommt, daß es seit der letzten Inhaftierung des Gefangenen am 3. Juli 2002 jedenfalls in den letzten Jahren keinerlei Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum des Beschwerdeführers gegeben hat und im Vollzugsplan festgestellt ist (siehe oben): "Die unbearbeitete Suchtproblematik erscheint bei Herrn R. im Ergebnis der nervenärztlich-psychologischen Begutachtung eher als ein Begleitfaktor dissozialen Verhaltens." Zwar besteht bei einem langjährig Drogenabhängigen wie dem Beschwerdeführer stets eine Rückfallgefahr. Die im Vollzugsplan festgestellte Bereitschaft, sich mit seinen Defiziten auseinanderzusetzen, verspricht aber bei einem Probanden, dessen Suchtverhalten ein Begleitfaktor dissozialen Verhaltens ist, mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Erfolg als bei einer starken Bindung an psychotrope Substanzen. Ein konkreter, auf Tatsachen gestützter Verdacht des Fortbestehens des Drogenkonsums bestand jedenfalls zu keinem Zeitpunkt.

b) Bei der Beurteilung, ob es erforderlich ist, den Beschwerdeführer jetzt noch einem sechsmonatigem Urinkontrollprogramm zu unterziehen, wäre weiterhin zur berücksichtigen gewesen, daß es ihm in der Vergangenheit bereits gelungen ist, über einen längeren Zeitraum drogenfrei zu leben. In seinem Urteil vom 28. Januar 2004, das der hiesigen Sache zugrunde liegt, hat das Landgericht hierzu ausgeführt: "Der Angeklagte war in der Haft bestrebt, seine Drogenabhängigkeit zu bekämpfen. Es gelang ihm in den letzten Jahren seiner Inhaftierung, drogenabstinent zu leben. Er nahm an einer Vielzahl von Urinkontrollen teil (S. 13, 14 UA)". Auch wenn der Beschwerdeführer trotz Therapieantritts in Freiheit rückfällig wurde, hat er jedenfalls bewiesen, daß er in den geordneten Verhältnissen des Strafvollzuges ohne Drogen auskommen kann.

4. Selbst dann, wenn sich nicht erweisen sollte, daß dem Antragsteller die vollständige Loslösung von der Drogensucht bereits in der Justizvollzugsanstalt Moabit gelungen ist, wäre sein Vorbringen, er habe freiwillig Urinkontrollen durchführen wollen, dies sei ihm jedoch verweigert worden, von Bedeutung. Die Vollzugsbehörde darf einem Gefangenen nicht erst verweigern, günstige Voraussetzungen für seine Vollzugsplanung und seine Behandlung zu schaffen (hier den Nachweis der Drogenabstinenz durch Urinkontrollen) und anschließend unter Berufung darauf, daß gerade diese Voraussetzung (durch Urinkontrollen nachgewiesene Drogenabstinenz) nicht vorliege, eine erfolgversprechendere Vollzugsbehandlung ablehnen. Dabei spielt es - wie oben bereits ausgeführt - keine Rolle, daß dem Gefangenen - folgt man seinem Vortrag - die Urinkontrollen zunächst in der Justizvollzugsanstalt Moabit verweigert worden sein sollen, gerade solche Proben nun aber durch die Justizvollzugsanstalt Tegel eingefordert werden. Ein derartiger Umgang mit einem Gefangenen (erst Verweigerung, dann Einforderung von Urinkontrollen, im Zivilrecht "venire contra factum proprium" genannt), wie dieser ihn unter Beweisantritt vorträgt, wäre unlauter und widerspräche neben den gesetzlichen Anforderungen auch der Leitidee der Justizvollzugsanstalt Tegel, die sich ausweislich der Darstellung in ihrem Internetauftritt unter anderem zum Ziel gesetzt hat, individuelle Behandlungskonzepte zu erstellen und die Bereitschaft der Gefangenen zur Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugszieles, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 Satz 1 StVollzG), zu wecken und zu fördern.

III. Die Sache ist nicht spruchreif; der Senat verweist sie deswegen an die Strafvollstreckungskammer zurück (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG). Er kann die endgültige Entscheidung nicht selbst treffen, weil er auf die bloße Rechtskontrolle beschränkt ist und ihm eine Feststellung der Tatsachen und damit eine Beweisaufnahme verwehrt ist (vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 119 StVollzG, Rdn. 2). Die Strafvollstreckungskammer ist - auf der Grundlage ihrer von dem Senat nicht geteilten Rechtsansicht vom 8. September 2006 verständlich - den Behauptungen des Antragstellers nicht nachgegangen und hat die erforderlichen Beweise nicht erhoben. Sie wird dies, ebenso wie die genaue Schilderung der Rechtsgründe des - wegen des langen Verbleibs in Moabit ungewöhnlichen - Vollzugsverlaufs im einzelnen feststellen, darstellen und würdigen müssen. Sollten sich in den Gefangenenpersonalakten der Justizvollzugsanstalt Moabit keine schriftlichen Nachweise zu dem Wunsch des Antragstellers finden lassen, Urinproben abzugeben, spräche das nicht unbedingt gegen die Richtigkeit seines Vorbringens, da mündlich vorgebrachte Anliegen dort nicht immer einen schriftlichen Niederschlag finden (vgl. Senat, Beschluß vom 14. März 2007 - 2/5 Ws 325/05 Vollz -).

Da der endgültige Erfolg der Rechtsbeschwerde von der Hauptentscheidung durch die Strafvollstreckungskammer abhängt, ist die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache vorzubehalten (vgl. Kamann/Volckart in AK-Feest, § 121 StVollzG Rdn. 5).

Ende der Entscheidung

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