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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.04.2007
Aktenzeichen: 2 AR 14/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 17 Abs. 1 S. 2
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Nr. 6
ZPO § 689 Abs. 2
ZPO § 689 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 14/07

In dem Mahnverfahren

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts in der Sitzung vom 16. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst, den Richter am Kammergericht Franck und den Richter am Landgericht Franz beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Hagen wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft englischen Rechts. Auf den von ihr am 23. November 2006 beim Amtsgericht Wedding als dem zentralen Mahngericht für Berlin und Brandenburg eingereichten Mahnantrag ist sie von diesem Gericht unter dem 28. November 2006 darauf hingewiesen worden, dass aus ihren Angaben die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts folge. Auf den darauf am 5. Dezember 2006 eingegangenen Abgabeantrag hat sich das Amtsgericht Wedding am 7. Dezember 2007 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache auf Antrag der Antragstellerin an das Amtsgericht Hagen verwiesen.

Das Amtsgericht Hagen hat die Antragstellerin unter dem 18. Januar 2007 aufgefordert, nähere Angaben zu einem statuarisch begründeten Nebensitz in seinem Zuständigkeitsbereich zu machen und gegebenenfalls einen Verweisungsantrag angeregt. Darauf hat die Antragstellerin angegeben, bei ihrer Niederlassung in Mülheim handele es sich um ihre im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung, die faktisch als Hauptniederlassung tätig sei. Sie hat weiter um Bearbeitung des Mahnantrags und ggf. Erlass eines angreifbaren Bescheides gebeten.

Unter dem 6. Februar 2007 hat sich das Amtsgericht Hagen darauf für unzuständig erklärt und die Sache "an das gemäß § 689 Abs. 2 ZPO zuständige" Amtsgericht Schöneberg verwiesen. Das Amtsgericht Wedding, an das die Sache dann gelangt ist, hat unter dem 27. März 2007 die erneute Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache dem Kammergericht zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Der Zuständigkeitsbestimmung steht es insbesondere nicht entgegen, dass sich die Sache noch im Mahnverfahren befindet und noch nicht rechtshängig ist, denn die Vorschrift des § 36 Nr. 6 ZPO ist auf einen Zuständigkeitsstreit zwischen verschiedenen Mahngerichten entsprechend anwendbar (vgl. BGH NJW 1993, 2752 f (2752)).

Das Amtsgericht Hagen ist für die Durchführung des Mahnverfahrens gemäß §§ 689 Abs. 2, 17 Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. Art. 60 EuGVVO zuständig, denn nach dem Akteninhalt ist - jedenfalls nachdem die Antragstellerin ihr Vorbringen gegenüber dem Amtsgericht Hagen ergänzt hat - davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Mülheim an der Ruhr und damit im Zuständigkeitsbereich dieses Mahngerichts in Deutschland ihren Verwaltungssitz hat. Damit ist in Deutschland ein allgemeiner Gerichtsstand der Antragstellerin gegeben, so dass sich die vom Amtsgericht Hagen nach § 689 Abs. 2 S. 2 ZPO angenommene Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg bzw. des Amtsgerichts Wedding als zentrales Mahngericht für Berlin und Brandenburg nicht ergibt.

Zwar ist dem Amtsgericht Hagen einzuräumen, dass der allgemeine Gerichtsstand juristischer Personen grundsätzlich durch ihren Sitz bestimmt wird, der vorliegend im Vereinigten Königreich liegen dürfte, denn es handelt sich um eine in England gegründete Gesellschaft englischen Rechts. Nähere Angaben dazu wie auch zu ihren statuarischen Bestimmungen im Hinblick auf ihren Sitz hat die Antragstellerin trotz Auflage nicht gemacht. Zu beachten ist aber, dass die Antragstellerin als EU-Auslandsgesellschaft dem Anwendungsbereich des Art. 60 EuGVVO unterliegt, nach dessen Regelungen ihr "Wohnsitz" alternativ durch ihren satzungsmäßigen Sitz, den Sitz ihrer Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung bestimmt wird. Es ist anerkannt, dass mit Rücksicht auf die Regelung des Art. 60 EuGVVO für inländische EU-Auslandsgesellschaften die Vorschrift des § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO insoweit Anwendung findet, als dass ungeachtet ihres Sitzes im Ausland ein inländischer allgemeiner Gerichtsstand am Sitz ihrer inländischen Verwaltung begründet ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 17 Rn. 10). Ob an die Darlegungen zum Vorliegen eines solchen Sitzes keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (so Zöller/Vollkommer, a.a.O.) oder insoweit eingehendere Darlegungen erforderlich sind (so: BayObLG MDR 2005, 1243 f (1244)), kann vorliegend dahinstehen, weil die Antragstellerin gegenüber dem Amtsgericht Hagen insoweit hinreichende Angaben gemacht hat: Sie hat darauf verwiesen, dass es sich bei ihrer Niederlassung in Mülheim praktisch um ihre Hauptniederlassung handelt. Zuletzt hat sie dies dahin ergänzt, dass sich dort der faktische Sitz der Gesellschaft befinde und die nach englischem Recht gegründete Gesellschaft ihre Tätigkeit praktisch allein in Deutschland abwickele. An diesem Ort ist ihre Niederlassung auch im Handelsregister eingetragen. Diese danach anzunehmende mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit in der EU rechtlich mögliche faktische Sitzverlegung führt entgegen der früher herrschenden so genannten "Sitztheorie" dazu, dass die Antragstellerin weiter als Gesellschaft englischen Rechts zu behandeln ist (vgl. dazu Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 50 Rn. 9) und in der Folge ihrer Niederlassungsfreiheit dann auch einen allgemeinen Gerichtsstand am Sitz ihrer Niederlassung in Deutschland hat (zum Benachteiligungsverbot allgemein: EuGH NJW 2002, 3614 ff (Überseering) und NJW 2003, 3331 ff (Inspire Art)). Dafür, dass die Antragstellerin in Deutschland einen weiteren Verwaltungssitz unterhält, ist nichts ersichtlich.

Auf die Verweisungsbeschlüsse der beiden am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte kommt es schon deswegen nicht an, weil ihnen im Mahnverfahren keine zuständigkeitsbegründende Wirkung zukommt (vgl. BayObLG BB 2002, 1437; Zöller/Vollkommer, a.a.O., 26. Aufl., § 689 Rn. 5). Zudem erscheinen beide Verweisungsbeschlüsse objektiv willkürlich: Während es dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Wedding an einer Begründung fehlt, ist der (Rück-)Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hagen nicht nur ohne Antrag des Antragstellerin sondern sogar gegen deren erklärten Willen ergangen.

Ende der Entscheidung

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