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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.06.2009
Aktenzeichen: 2 AR 19/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
1. Für den Fall der Geltendmachung der Unwirksamkeit einer den Versorgungsausgleich ausschließenden Parteivereinbarung ist das vermeintlich abgeschlossene Verfahren über die Versorgungsausgleichsfolgesache fortzuführen, und zwar auch dann, wenn auf Grundlage der Vereinbarung eine gleichlautende, gerichtliche Entscheidung ergangen ist und die Ehesache durch Scheidungsausspruch abgeschlossen wurde.

2. Das Eingreifen der Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

(a) das verweisende Gericht hat über die Zuständigkeit für ein tatsächlich gar nicht gestelltes Klage- bzw. Antragsbegehren entschieden, weil es den Klage- bzw. Antragsinhalt unzutreffend ausgelegt hat,

(b) weder die Gründe des Verweisungsbeschlusses noch der sonstige Akteninhalt lassen erkennen, dass sich das Gericht mit der Frage der Auslegung des Klage- bzw. Antragsinhalts bewusst auseinander gesetzt hat,

(c) die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts ist mit gewisser Eindeutigkeit zu bejahen und

(d) das Verfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz geprägt.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 19/09

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 25. Juni 2009 durch die Richter am Kammergericht Franck, Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Schöneberg wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Amtsgerichte Schöneberg und Stuttgart streiten über die örtliche Zuständigkeit für ein Verfahren, in dem die Antragstellerin die Abänderung einer Entscheidung des Amtsgerichts Schöneberg vom 28. Oktober 1992 über den Versorgungsausgleich zwischen ihr und ihrem damaligen Ehemann, Herrn Dr. ..., begehrt. In dem Verfahren, das der Entscheidung zugrunde lag, war in der Hauptsache die Scheidung der Eheleute betrieben worden. Schon zum damaligen Zeitpunkt lebten die Eheleute nicht mehr in Deutschland; ihr letzter deutscher Wohnsitz lag in Stuttgart. Nachdem die Eheleute überein gekommen waren, dass der Versorgungsausgleich ausgeschlossen sein sollte, schied das Amtsgericht Schöneberg die Ehe und sprach im Urteilstenor aus, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Das Urteil ist seit 1992 rechtskräftig. Im Jahre 2008 beantragte die nicht anwaltlich vertretene Antragstellerin beim Amtsgericht Schöneberg die Abänderung der Versorgungsausgleichsentscheidung. In der Begründung stützte die Antragstellerin den Antrag auf § 10a Abs. 9 VAHRG und führte im Wesentlichen aus, sie sei mittellos und bei Abschluss der Vereinbarung über den Versorgungsausgleich getäuscht sowie bedroht worden. Ferner legte sie dem Antrag ein Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vor, in dem dieses sie auf die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 10a Abs. 9 VAHRG ohne weitere Erläuterung hinweist. Mit Beschluss vom 27. November 2008 erklärte sich das Amtsgericht Schöneberg auf Antrag der Antragstellerin für unzuständig und gab die Sache an das Amtsgericht Stuttgart ab. Zur Begründung führte das Amtsgericht Schöneberg aus, dass sich die Zuständigkeit vorliegend gemäß § 45 Abs. 3 FGG nach dem letzten inländischen gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin richte; dieser sei Stuttgart gewesen. Weder der Beschluss noch der sonstige Akteninhalt ließen erkennen, dass das Amtsgericht Überlegungen zum genauen Inhalt des Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin anstellte und insbesondere dazu, ob die Antragstellerin tatsächlich nach § 10a Abs. 9 VAHRG vorgehen oder die Unwirksamkeit der Versorgungsausgleichsvereinbarung aus dem Jahre 1992 geltend machen wolle. Erstmals das Amtsgericht Stuttgart thematisierte die Frage des Inhalts des Rechtsschutzbegehrens gegenüber der Antragstellerin. Diese teilte daraufhin mit, keine Veränderung von Umständen im Sinne von § 10a Abs. 9 VAHRG vortragen zu können. Sie wolle jedoch die Unwirksamkeit der Vereinbarung geltend machen und bat um Rückgabe der Sache an das Amtsgericht Schöneberg. Dem entsprach das Amtsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 14. Mai 2009. Zur Begründung führte das Amtsgericht Stuttgart aus, dass im Falle der Unwirksamkeit der Versorgungsausgleichsvereinbarung dessen prozessbeendende Wirkung entfalle, womit das in Wahrheit nicht beendete Verfahren aus dem Jahre 1992 fortzusetzen sei. Mit Beschluss vom 20. Mai 2009 lehnte das Amtsgericht Schöneberg die Übernahme der Sache ab und legte sie dem Kammergericht vor. Zur Begründung führte das Amtsgericht Schöneberg aus, dass die Beendigung des Verfahrens im Jahre 1992 nicht auf der Parteivereinbarung beruhe, sondern auf der gerichtlichen Entscheidung, wonach ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Da diese Entscheidung rechtskräftig sei, käme eine Fortsetzung des Verfahrens nicht in Betracht.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß §§ 621a Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich die Amtsgerichte Schöneberg und Stuttgart mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben. Soweit in dem Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart lediglich von einer "Abgabe" die Rede ist, ist hierin stillschweigend der Ausspruch der eigenen Unzuständigkeit enthalten.

2.

Das Amtsgericht Schöneberg ist gemäß §§ 621 Abs. 2 Satz 1, 621 Abs. 1 Nr. 6, 606 Abs. 3 ZPO a.F. in Verbindung mit §§ 261 Abs. 3 Nr. 2, 621a Abs.1 Satz 2 ZPO örtlich zuständig.

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin, über das aktuell zu entscheiden ist, besteht darin, die Unwirksamkeit der Versorgungsausgleichsvereinbarung von 1992 anzuerkennen und auf dieser Grundlage eine neue Versorgungsausgleichsentscheidung zu treffen. Nicht hingegen ist es das aktuelle Rechtsschutzziel der Antragstellerin, eine Änderung der seinerzeitigen Versorgungsausgleichsentscheidung nach § 10a Abs. 9 VAHRG erwirken. Dies haben die Erklärungen der Antragstellerin gegenüber dem Amtsgericht Stuttgart hinreichend deutlich gemacht.

Für den Fall der Geltendmachung der Unwirksamkeit einer den Versorgungsausgleich ausschließenden Parteivereinbarung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes das vermeintlich abgeschlossene Verfahren über den Versorgungsausgleich fortzuführen, und zwar auch dann, wenn auf Grundlage der Vereinbarung eine gleichlautende, gerichtliche Entscheidung ergangen ist und die Ehesache durch Scheidungsausspruch abgeschlossen wurde (vgl. BGH, BGHR 2007, 401, Rdnr. 20 zit. nach Juris, m.w.N.; Brudermüller in Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 1587o Rdnr. 30, m.w.N.). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Zur ihrer Begründung ist zum einen anzuführen, dass die Versorgungsausgleichsfolgesache - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Schöneberg - gemäß § 53d Abs. 1 FGG durch die den Versorgungsausgleich gemäß § 1587o BGB ausschließende Parteivereinbarung beendet wird. Die gleichlautende gerichtliche Entscheidung hat insofern lediglich deklaratorische Bedeutung. Zum anderen ist anzuführen, dass gemäß § 261 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch bei Beendigung der Anhängigkeit der Ehesache die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg für die Fortführung der Versorgungsausgleichssache gemäß §§ 621 Abs. 1 Satz 1, 606 Abs. 3 ZPO a.F. erhalten bleibt und nicht der Zuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart gemäß § 621 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 45 Abs. 3 FGG weicht.

3.

Das Amtsgericht Schöneberg hat seine Zuständigkeit nicht analog § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf Grund des Beschlusses vom 27. November 2008 verloren.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt ein Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird.

Anerkannt ist jedoch zum einen, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel weder in den Entscheidungsgründen noch in einem vorangegangenen gerichtlichen Hinweisschreiben erörtert und die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts mit gewisser Eindeutigkeit zu bejahen ist (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571-1572). Die Grenze wird ferner dann als überschritten angesehen, wenn das verweisende Gericht den entscheidungsrelevanten Sachverhalt evident falsch erfasst hat (für Verfahren mit Beibringungsgrundsatz: Senat, Beschluss vom 17. April 2008, 2 AR 19/08, VersR 2008, 1234-1235; KG, MDR 1999, 438; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17; für Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz: Senat, Beschluss vom 2. April 2009, 2 AR 10/09).

Anerkannt ist zum anderen, dass die Bindungswirkung von vornherein in solchen Fällen nicht eingreift, in denen die Klage bzw. der verfahrenseinleitende Antrag nach der Verweisungsentscheidung geändert wurde und daher seitdem gar nicht mehr über denjenigen Streitgegenstand zu entscheiden ist, in Bezug auf den die Verweisungsentscheidung erging (BGH, NJW 1990, 53, Rdnr. 8 zit. nach Juris).

b)

Im Anschluss an diese anerkannten Grundsätzen ist auch vorliegend das Eingreifen der Bindungswirkung zu verneinen.

aa)

Zwar hat die Antragstellerin ihren verfahrenseinleitenden Antrag nicht nach Erlass der Abgabeentscheidung geändert. Denn die Auslegung ihres Antrages ergibt, dass sie von Anfang an nicht nach § 10a Abs. 9 VAHRG vorgehen wollte, sondern die Unwirksamkeit der Versorgungsausgleichsvereinbarung aus dem Jahre 1992 geltend gemacht hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Antragstellerin ihren Antrag von Anfang an nicht mit Umstandsänderungen begründet hat, wie sie Voraussetzung für ein Vorgehen nach § 10a Abs. 9 VAHRG gewesen wären, sondern mit Umständen, die auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung abzielen. Demgegenüber hat die Bezugnahme der Antragstellerin auf die Vorschrift des § 10a Abs. 9 VAHRG in der Antragsbegründung keinen inhaltlichen Aussagegehalt. Denn Hintergrund der Bezugnahme war offenbar nicht die eigene Erkenntnis der Antragstellerin über den Inhalt der Vorschrift, sondern das unhinterfragte Aufgreifen eines Hinweises des Bundesministeriums der Justiz.

Jedoch ist das Eingreifen der Bindungswirkung auch bei Vorliegen folgender Voraussetzungen zu verneinen:

(a) das verweisende Gericht hat über die Zuständigkeit für ein tatsächlich gar nicht gestelltes Klage- bzw. Antragsbegehren entschieden, weil es den Klage- bzw. Antragsinhalt unzutreffend ausgelegt hat,

(b) weder die Gründe des Verweisungsbeschlusses noch der sonstige Akteninhalt lassen erkennen, dass sich das Gericht mit der Frage der Auslegung des Klage- bzw. Antragsinhalts bewusst auseinander gesetzt hat,

(c) die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts ist mit gewisser Eindeutigkeit zu bejahen und

(d) das Verfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz geprägt.

Hierfür spricht zum einen, dass in diesen Fällen - im Hinblick auf (a) - der Grundgedanke der o.g. genannten Rechtsprechung zur Klageänderung Platz greift, dass nämlich die Bindungswirkung sich nur auf denjenigen Streitgegenstand beziehen kann, über den das verweisende Gericht in seinem Beschluss eine Entscheidung getroffen hat. Zum anderen ist dem verweisenden Gericht auch in diesen Fällen - im Hinblick auf (b) und (c) - Willkür im o.g. Sinne vorzuwerfen. Denn das Gericht erörtert die in Wahrheit maßgebliche Zuständigkeitsvorschrift nicht, womit nach o.g. Grundsätzen bereits eine gewisse Eindeutigkeit der Unrichtigkeit der Verweisungsentscheidung die Annahme der Willkür begründet. Schließlich ist dem verweisenden Gericht zwar nicht auch ein Willkürvorwurf wegen der Evidenz der Fehlerfassung des Klage- bzw. Antragsinhaltes zu machen, analog zu den Grundsätzen der Rechtsprechung bei fehlerhafter Sachverhaltserfassung (s.o.). Jedoch trifft das Gericht - im Hinblick auf (d) - auch bei "einfacher" Fehlerfassung des Klage- bzw. Antragsinhaltes immerhin ein gewisser Vorwurf, wenn das Verfahren vom Untersuchungsgrundsatz geprägt ist. Denn dann hätte sich das Gericht aus eigenem Antrieb um die Aufklärung des der Klage bzw. dem Antrag zu Grunde liegenden Sachverhaltes und insofern auch um die zutreffende Auslegung der Klage bzw. des Antrages bemühen müssen.

bb)

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. So hat das Amtsgericht Schöneberg über die Zuständigkeit für einen tatsächlich nicht gestellten Antrag nach § 10a Abs. 9 VAHRG entschieden, weil es den Antrags - wie unter bb) ausgeführt - unzutreffend ausgelegt hat. Ferner lassen weder die Gründe des Beschlusses vom 27. November 2008 noch der sonstige Akteninhalt erkennen, dass sich das Gericht mit der Frage der Auslegung des Antragsinhalts bewusst auseinander gesetzt hat. Auch ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg - wie unter 2. ausgeführt - zumindest mit gewisser Eindeutigkeit zu bejahen. Schließlich ist das Verfahren gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 6, 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 12 FGG vom Untersuchungsgrundsatz geprägt.

Offen kann daher bleiben, ob das Eingreifen der Bindungswirkung schon bei Vorliegen einzelner, unter aa) genannter Voraussetzungen zu verneinen ist.

Ende der Entscheidung

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