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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.07.2008
Aktenzeichen: 2 AR 35/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO §§ 12 f.
ZPO § 29
ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 281
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3
BGB § 269 Abs. 1
BGB § 269 Abs. 1 a.E.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 35/08

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 10. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin und das Landgericht Potsdam streiten über die örtliche Zuständigkeit für einen Rechtsstreit, in welchem die Kläger den Beklagte auf Schadensersatz wegen Mangels einer ihm abkauften, auf einem Berliner Schrebergartengrundstück gelegenen Laube in Anspruch nehmen. Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses wohnten sämtliche Vertragsparteien in Berlin. Nachdem das zunächst angerufene Landgericht Berlin die Klageschrift nicht unter der dort angegebenen Berliner Anschrift des Beklagten zustellen konnte und die Kläger hierauf aufmerksam machte, teilten die Kläger mit, dass der Beklagte nunmehr Blankenfeld-Mahlow wohne, dass das Landgericht Berlin daher örtlich nicht mehr zuständig sei und dass deshalb vorsorglich Verweisung an das Landgericht Potsdam beantragt werde (Bl. 17 d.A.). In der Folgezeit konnte die Klagezustellung in Blankenfeld-Mahlow erfolgreich durchgeführt werden, woraufhin das Landgericht Berlin mitteilte, dem Verweisungsantrag folgen zu wollen (Bl. 47 d.A.), und der Beklagte erklärte, von ihm aus stehe einer Verweisung an das Landgericht Potsdam nichts entgegen (Bl. 52 d.A.). Sodann verweis das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 30. April 2008 den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam und führte zur Begründung aus, dass der nach §§ 12 f. ZPO maßgebliche allgemeine Gerichtsstand des Beklagten zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Potsdamer Gerichtsbezirk gelegen habe. Zu § 29 ZPO führte es indessen nicht aus (Bl. 48 f. d.A.). Im Hinblick auf diese Vorschrift lehnte das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 30. Mai 2008 die Übernahme des Rechtsstreits ab und vertrat die Auffassung, der Beschluss des Landgerichts Berlin sei ausnahmsweise nicht gemäß § 281 ZPO bindend.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich die Landgerichte Berlin und Potsdam mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für örtlich unzuständig erklärt haben.

2.

Das Landgericht Berlin ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 269 Abs. 1 BGB örtlich zuständig.

Denn Schadensersatzansprüche sind bei Geltendmachung des sog. kleinen Schadensersatzes am Ort der Primärverpflichtung, deren Nichterfüllung den Schadensersatzanspruch auslöste, zu erfüllen (Senat, Beschluss vom 27. Januar 2004, 2 AR 7/04; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 29 Rdnr. 25 "Schadensersatz"), während Schadensersatzansprüche, die sich als sog. großen Schadensersatzes auf die Rückzahlung des Kaufpreises richten, an demjenigen Ort zu erfüllen sind, an dem sich der Kaufgegenstand vertragsgemäß befindet (OLG Celle, OLGR 2000, 81; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 29 Rdnr. 25 "Kaufvertrag"). In beiden Fällen ist dies vorliegend Berlin, da sich die mangelhafte Laube bei Kaufvertragsabschluss in Berlin befand und auch weiterhin dort befindet. Es kann daher vorliegend dahin stehen, welche Art von Schadensersatzanspruch die Kläger geltend machen.

Abzulehnen wäre es demgegenüber, den Erfüllungsort für einen Teil des Schadensersatzanspruches in Blankenfeld-Mahlow zu sehen, wenn - was dem Senat unbekannt ist - der Beklagte bei Entstehung von Teilen des Schadens bereits nach dorthin verzogen war. Denn ein Abstellen auf den Wohnsitz des Schuldners zum Zeitpunkt der Schadensentstehung hätte zur Folge, dass ein Schadensersatzanspruch, bei dem der Schaden nach und nach entstanden ist, gemäß § 29 ZPO aufzuspalten und in verschiedenen Gerichtsständen einzuklagen wäre, wenn der Beklagte im Lauf der Schadensentstehung seinen Wohnsitz wechselt. Vor allem bei einem mehrfachen Wohnsitzwechsel würde die zu nicht mehr akzeptablen Ergebnissen führen, die auch nicht im Interesse des Beklagten lägen. Demgemäß wird ein Abstellen auf den Wohnsitz des Schuldners zum Zeitpunkt der Schadensentstehung in Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich - nicht vertreten. Erwägenswert wäre - alternativ zu den o.g. Grundsätzen - im Hinblick auf § 269 Abs. 1 a.E. BGB allenfalls, als Erfüllungsort für vertragliche Schadensersatzansprüche den Wohnsitz des Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder des ersten Schadensteiles anzusehen. Jedoch würde auch dieser Ansatz vorliegend zur örtlichen Zuständigkeit Berlins führen. 3.

Das Landgericht Berlin hat seine örtliche Zuständigkeit nicht nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO dadurch verloren, dass es den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam verwiesen hat.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsnorm in den Gründen des Verweisungsbeschlusses nicht erörtert und diese Norm eindeutig seine Zuständigkeit begründet (ständige Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 17. September 2007, 2 AR 37/07, Beschluss vom 5. Januar 2006, 2 AR 62/05; ähnlich: KG, 28. Zivilsenat, KGR 2000, 68 [69] "Weicht das [Gericht] ... von der Gesetzeslage bzw. der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, ... muss es dies wenigstens ... begründet haben"; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 "Bindungswirkung kann ... fehlen, wenn [der] Beschluss ... nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit einer einhellig gegenteiligen Rechtsansicht auseinander gesetzt hat").

Hiernach ist vorliegend ein Fall von Willkür zu bejahen. Denn die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin ist - wie oben dargelegt - gemäß § 29 Abs. 1 ZPO eindeutig gegeben und das Landgericht hat in den Gründen seines Beschlusses das - etwaig noch vertretbare - Nichteingreifen dieser Norm nicht erörtert.

b)

Soweit in Rechtsprechung und Literatur erwogen wird, dass eine willkürliche Verweisung unter Umständen dann als geheilt anzusehen ist, wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgte (vgl. BGH, NJW 2003, 3201 [3202]; BGH, BGHR 2003, 1305 [1306]; BGH, FamRZ 1988, 943; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2008, 2 AR 65/07, Beschluss vom 17. September 2007, 2 AR 37/07; OLG Koblenz, OLGR 1997, 74 [75]; Leiphold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 281 Rdnr. 44), bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, unter welchen Voraussetzung ein solche Heilung zu bejahen ist. Denn jedenfalls kommt einen Heilung nur dann in Betracht, wenn die Erklärung des Beklagten zum Verweisungsantrag des Klägers als Zustimmung zu verstehen ist (einen weiteren Fall, in dem die Heilung jedenfalls nicht in Betracht kommt: Senat, a.a.O.). Maßstäblich für die Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall eine Zustimmung vorliegt, ist die Überlegung, dass der einvernehmliche Verweisungsantrag nur deshalb als ausnahmsweise Rechtfertigung der willkürlich rechtswidrigen Verweisung gelten kann, weil er einer - vom Prozessrecht grundsätzlich zugelassenen (§ 40 ZPO) - Gerichtstandsvereinbarung nahe kommt.

Hiernach ist vorliegend eine Zustimmung des Beklagten zu verneinen. Denn der Beklagte hat lediglich erklärt, reine Verweisung "stehe nichts entgegen". Zwischen der Nichterhebung von Einwendungen und der Zustimmung ist indessen zu unterscheiden. So ist anerkannt, dass das bloße Schweigen auf eine Erklärung grundsätzlich nicht als Zustimmung zu dieser Erklärung anzusehen ist (vgl. für viele Heinrichs/Ellenberger in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, vor § 116 Rdnr. 7 ff.). Die Mitteilung, man erhebe keine Einwendungen gegen eine Erklärung, weist dabei größere Ähnlichkeit zu einem Schweigen auf als zu einer Zustimmung auf. Zwar kennt auch das Prozessrecht Regelungen, nach denen in bestimmten Fällen das Schweigen ausnahmsweise der Zustimmung gleichgesetzt wird (z.B. §§ 138 Abs. 3, 267 ZPO) oder die Heilung eines Mangels bewirkt (z.B. §§ 39 Satz 1, 295 Abs. 1 ZPO). Vorliegend sind jedoch keine dieser Ausnahmeregelungen einschlägig, so dass es bei dem genannten Grundsatz verbleibt. Dies muss um so mehr gelten, wenn - wie vorliegend - die Erklärung des Beklagten durch einen Rechtsanwalt abgegeben wurde, von dem angenommen werden kann, dass er üblicherweise zwischen einer Zustimmung und der bloßen Nichterhebung von Einwendungen sprachlich unterscheidet.

4.

Der Senat hatte die Sache nicht nach § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Entscheidung vorzulegen, obwohl das OLG Karlsruhe - leicht abweichend von der o.g. Ansicht des Senats - meint, es sei unerheblich, ob das verweisende Gericht die maßgeblich Zuständigkeitsnorm in Betracht gezogen habe, weil für die Frage der Bindungswirkung allein entscheidend sei, ob die Verweisung im Ergebnis vertretbar erscheine (OLGR 2005, 139 [140]). Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO ist nämlich, dass die Rechtsfrage, in der das vorlegende Oberlandesgericht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen will, aus Sicht des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist (BGH, NJW 2003, 3201 [3201]). Eine Entscheidungserheblichkeit der o.g. Rechtsfrage ist vorliegend zu verneinen. Denn nach dem oben Dargelegten (Ziff. 2) wäre auch bei Zugrundelegung der Auffassung des OLG Karlsruhe Willkür zu bejahen.

Ende der Entscheidung

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