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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 07.08.2008
Aktenzeichen: 2 AR 40/08
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 23 Nr. 1 Buchst. a
ZPO § 281 Abs. 2 S. 3
1a. Ein Anspruch, der im Zusammenhang mit einem gemischttypischen Vertrag, welcher auch mietvertragliche Elemente enthält, entsteht, ist nur dann als Anspruch "aus einem Mietverhältnis gemäß § 23 Nr. 2 Buchstabe a GVG anzusehen, wenn der Anspruch dem mietrechtlichen Vertragsteil zuzuordnen ist.

1b. Macht der Kläger Bereicherungsansprüche, hilfsweise Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen, die durch größere Baumaßnahmen an dem ihm im Wege eines Mietkaufvertrages überlassenen Wohngrundstück entstanden sind, geltend, ist die Klageforderung nicht dem mietrechtlichen Vertragsteil zuzuordnen.

2. Ein Verweisungsbeschluss entfaltet - wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - jedenfalls dann keine Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO, wenn das verweisende Gericht nach längerer Verfahrensdauer erstmals in der mündlichen Verhandlung auf die - aus seiner Sicht bestehende - Unzuständigkeit hinweist, der Beklagte sich hierauf nicht abschließend erklärt und um Erklärungsfrist bittet, die Zuständigkeitsfrage nicht einfach gelagert und in Rechtsprechung und Literatur nicht ausdiskutiert ist, keine Eile geboten ist und das Gericht ohne Einräumung einer Erklärungsfrist am Schluss der Sitzung den Verweisungsbeschluss erlässt.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 40/08

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 7. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Steinecke und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin und das Amtsgericht Spandau streiten über die sachliche Zuständigkeit für einen Rechtsstreit, in dem die Kläger den Beklagten auf Bereicherungsherausgabe, hilfsweise auf Ersatz von Aufwendungen in Anspruch nehmen. Den Ansprüchen liegt zu Grunde, dass die Kläger Baumaßnahmen auf einem Grundstück des Beklagten vorgenommen hatten, welches der Beklagte ihnen auf Grund eines - so bezeichneten - Mietkaufvertrages zuvor zur Wohnnutzung überlassen hatte. Der Mietkaufvertrag sah vor, dass die Kläger dem Beklagten monatliche "Mietkaufraten" zahlten, die im Falle des späteren Erwerbes des Grundstückes durch die Kläger auf den bereits festgelegten Kaufpreis angerechnet würden. Zugleich wurde den Klägern gestattet, nach ihrem Belieben die auf dem Grundstück befindlichen Gebäude umzubauen. Eine Regelung für die Rückabwicklung der Umbauten für den Fall, dass die Kläger das Grundstück letztlich nicht kaufen würden, enthielt der Vertrag nicht. Nach Durchführung der Baumaßnahmen hoben die Parteien den Mietkaufvertrag auf. Bezüglich der Baumaßnahmen regelte der Aufhebungsvertrag lediglich, dass es den Klägern nicht erlaubt sei, die Einbauten zu entfernen.

Das Landgericht, bei dem die Klage eingereicht wurde, wies die Parteien - trotz längerer Bearbeitung der Sache - zunächst nicht auf seine etwaige Unzuständigkeit hin. Ohne vorherige Ankündigung erklärte das Gericht dann im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2008, es habe Bedenken wegen seiner Zuständigkeit. Daraufhin beantragten die Kläger Verweisung. Der Beklagte erklärte sich nicht und bat um Einräumung einer Erklärungsfrist. Das Landgericht lehnte dies ab und verweis den Rechtsstreit am Schluss der Sitzung an das Amtsgericht Spandau. Zur Begründung führte es aus, es handele sich vorliegend um eine Mietstreitigkeit, für die nach § 23 Nr. 2 Buchstabe a) GVG das Amtsgericht ausschließlich zuständig sei. Denn der Kläger stütze seinen Anspruch auf die mietrechtliche Vorschrift des § 539 BGB. Im Übrigen sei die Zuständigkeitsfrage einfach gelagert, weshalb es dem Beklagten zuzumuten gewesen sei, sich sogleich zu äußern. Das Amtsgericht Spandau lehnte mit Beschluss vom 15. Juli 2008 die Übernahme des Rechtsstreits ab und reichte die Gerichtsakte zurück an das Landgericht. Zur Begründung führte es aus, § 23 Nr. 2 Buchstabe a) GVG greife nicht ein, weil der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses auf dem kaufvertraglichen Element liege. Im Übrigen sei es nicht an den Verweisungsbeschluss gebunden, weil das Landgericht dem Beklagten ohne Not keine Erklärungsfirst eingeräumt habe. Das Landgericht legte die Sache mit Beschluss vom 18. Juli 2008 dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vor. Zur Begründung führte es vertiefend aus, es genüge für die Begründung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit, dass die Parteien einen Vertrag abgeschlossen hätten, der ein mietvertragliches Element enthalte, unabhängig davon, ob dieses Element die anderen vertraglichen Elemente überwiege.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich Land- und Amtsgericht mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für sachlich unzuständig erklärt haben.

2.

Das Landgericht ist gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 2 Buchstabe a) GVG sachlich zuständig. Dies ergibt sich aus Folgendem:

a)

Ein Anspruch, der im Zusammenhang mit einem gemischttypischen Vertrag, welcher auch mietvertragliche Elemente enthält, entsteht, ist nur dann als Anspruch "aus einem Mietverhältnis" gemäß § 23 Nr. 2 Buchstabe a) GVG anzusehen, wenn der Anspruch dem mietrechtlichen Teil des Vertrages zuzuordnen ist. Denn Zweck des § 23 Nr. 2 Buchstabe a) GVG ist es, mietrechtlichen richterlichen Sachverstand bei bestimmten Gerichten zu konzentrieren und dem prozessualen Schutzbedürfnis von Wohnraummietern in Bezug auf das Mietverhältnis Rechnung zu tragen; letzteres wird u.a. durch die Begünstigung gerichtssitznaher und damit zumeist zeitnaher Beweisaufnahmen in Bezug auf den Mietgegenstand verwirklicht (ähnlich zur vergleichbaren Rechtslage bei § 29a ZPO: Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 29a Rdnr. 1; Hartmann in Baumbach, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 29a Rdnr. 2). Der genannte Zweck kommt indessen nur zur Geltung, wenn der Anspruch dem mietrechtlichen Teil des Vertrages zuzuordnen ist. So ist mietrechlicher Sachverstandes nicht von Nöten, wenn die Prüfung des Anspruches die Anwendung von Mietrecht gar nicht erfordert. Auch sind Mieter in Bezug auf Ansprüche, die nicht dem Mietrecht zuzuordnen sind, nicht prozessual schutzbedürftiger als Personen, die nicht Mieter sind aber dieselbe Art von Anspruch geltend machen. Denn die Schutzbedürftigkeit ergibt sich aus der gesteigerten Angewiesenheit des Mieters auf den Bestand seines Mietverhältnisses. Ist die Klageforderung nicht einer mietvertraglichen Regelung zuzuordnen, fehlt es in aller Regel an dieser Angewiesenheit.

b)

Vorliegend ist die Klageforderung nicht dem mietrechtlichen, sondern dem kaufvertraglichen Teil des Vertrages zuzuordnen. Dies ergibt sich daraus, dass das Motiv für die Aufwendungen der Kläger nicht der Bestand des mietrechtlichen Vertrags(-teils) war, sondern die Annahme, dass sie das Hausgrundstück später kaufen würden. Bei ihren Aufwendung betätigten sich die Kläger daher als (künftige) Käufer, nicht als Mieter. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Kaufvertrag letztlich nicht zum Abschluss kam und der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag aufgehoben wurde. Denn dies bewirkt weder das - nachträgliche - Eingreifen mietrechtlicher Rechtsnormen, für deren Anwendung entsprechender richterlicher Sachverstand gefragt wäre, noch lässt es die zunächst nicht bestehende, mietvertragsbezogene Schutzwürdigkeit der Kläger - gleichsam rückwirkend - entstehen. Zum anderen spricht gegen die Zuordnung zum mietrechtlichen Vertragsteil, dass die Klageforderung ihrer Rechtsnatur nach im Kern ein gesetzlicher, kein (miet-)vertraglicher Anspruch ist. Soweit die Klageforderung - seit dem richterlichen Hinweis vom 10. September 2007 und dem hierauf Bezug nehmenden Schriftsatz der Kläger vom 10. Oktober 2007 - hauptsächlich auf Bereicherungsansprüche, d.h. auf §§ 812 ff. BGB, gestützt wird, ist dies unzweifelhaft. Soweit die Klageforderung hilfsweise auf Aufwendungsersatz gerichtet ist, kommt zwar als Anknüpfungspunkt möglicherweise die mietrechtliche Vorschrift § 539 Abs. 1 BGB in Betracht (anders allerdings, wenn der o.g. Gedanke, dass die Kläger bei ihren Aufwendungen nicht als Mieter, sondern als Käufer gehandelt haben, auch hier weiterverfolgt würde). Nach herrschender Meinung handelt es sich indessen bei § 539 Abs. 1 BGB um eine bloße Rechtsgrundverweisung auf die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB (Weidenkaff in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, m.Rspr.N.). Der Regelungsgehalt des § 539 Abs. 1 BGB erschöpft sich daher darin, dass für die Frage des Aufwendungsersatzes gerade kein Mietrecht zur Anwendung kommt und es bei den allgemeinen gesetzlichen Ansprüchen aus §§ 677 ff. BGB verbleibt. Der mietrechtliche Gehalt des § 539 Abs. 1 BGB ist folglich allenfalls minimal.

Offen kann bleiben, ob weitere Voraussetzung für die Erfassung von Ansprüchen, die im Zusammenhang mit einem gemischttypischen Vertrag entstehen, durch § 23 Nr. 2 Buchstabe a) GVG ist, dass der Schwerpunkt des gemischttypischen Vertrages auf dem mietrechtlichen Bestandteil liegt (so Kissel, GVG, 5. Aufl. 2008, § 23 Rdnr. 25, m.Rspr.N.; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 23 GVG Rdnr. 9 m.Rspr.N.; Hartmann in Baumbach, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 23 GVG Rdnr. 7; ebenso zur vergleichbaren Rechtslage bei § 29a ZPO: Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, § 29a Rdnr. 12; Heinrich in Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 29a Rdnr. 7, m.Rspr.N.; a.A., wonach es "im Zweifel" ausreichen soll, dass der Vertrag überhaupt einen mietrechtlichen Bestandteil hat: Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 23 GVG Rdnr. 9).

3.

Das Landgericht hat seine örtliche Zuständigkeit nicht nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO dadurch verloren, dass es den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen hat.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn der Verweisungsbeschluss unter Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör ergangen ist (BGHZ 102, 338 [341]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 a, m.w.N.).

b)

Vorliegend ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts unter Verletzung des Anspruches des Beklagten auf rechtliches Gehör ergangen. Insbesondere war dem Beklagte nicht zuzumuten, sich in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2008 abschließend zur Frage der sachlichen Zuständigkeit zu erklären. Denn die sachliche Zuständigkeit folgt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - keineswegs aus einfach gelagerten oder in Rechtsprechung und Literatur ausdiskutierten Überlegungen, wie die Ausführungen zu Ziffer 2. zeigen. Auch musste der Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung, es halte sich nicht für zuständig, den Beklagten überraschen, nachdem das Landgericht das Verfahren zuvor längere Zeit ohne jeden Hinweis auf die angeblich fehlende Zuständigkeit betrieben hatte. Dies gilt um so mehr als das Landgericht schon früh inhaltliche Hinweise erteilt hatte, d.h. sich lange vor der mündlichen Verhandlung mit der Sache selbst auseinander gesetzt hatte. Im Übrigen war keine besondere Eile geboten, die möglicherweise eine gewisse Verkürzung des Anspruches auf rechtliches Gehör hätte rechtfertigen können.

Ende der Entscheidung

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