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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: 2 AR 46/07
Rechtsgebiete: ZPO, FGO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 35
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 Abs. 2 S. 2
ZPO § 621a Abs. 1
ZPO § 621a Abs. 1 S. 2
FGO § 36 Abs. 1 S. 1
FGO § 43 Abs. 1
FGO § 64 Abs. 3 Satz 2
BGB § 7 Abs. 1
BGB § 7 Abs. 2
BGB § 8 Abs. 1
BGB § 11 Satz 1, 1. Halbsatz
BGB § 11 Satz 1, 2. Halbsatz
BGB § 1666
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 46/07

In der Familiensache betreffend das Kind

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 25. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Pankow/Weißensee wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Kindesmutter wohnt im Berliner Stadtbezirk Reinickendorf. Sie hat seit geraumer Zeit das alleinige Sorgerecht für das heute 11 Jahre alte Kind und ist emotional - nach Aktenlage (vgl. Bl. 10 d.A.) - eng an dieses gebunden. Im August 2006 zog das Kind mit Zustimmung der Kindesmutter in eine Jugendhilfeeinrichtung in Snnnnn. Das Kind verbringt gleichwohl jedes zweite Wochenende, von Freitag bis Sonntag, in der Wohnung der Mutter; zudem war für das Jahr 2007 ein zweiwöchiger Aufenthalt bei der Mutter während der Sommerferien vorgesehen. Längere Aufenthalte in der Wohnung des Kindesvaters finden, soweit aus der gerichtlichen Akte ersichtlich, nicht statt.

Der Kindesvater beantragte am 3. Juli 2007 beim Amtsgericht Pankow/Weißensee die Überprüfung der Erziehungs- und Umgangsfähigkeit der Kindesmutter. Am 10. Juli 2007 erließ das Gericht im Hinblick auf den unmittelbar bevorstehenden Ferienaufenthalt des Kindes bei der Mutter, eine einstweilige Anordnung dahin, dass der Kindesmutter aufgegeben wurde, das Kind "in der von ihm besuchten Einrichtung zu belassen". Mit Beschluss vom selben Tage und ohne die Kindesmutter zuvor anzuhören, erklärte sich das Amtsgericht allerdings für örtlich unzuständig und gab die Sache an das Amtsgericht Nauen ab. Eine Begründung enthält der Beschluss nicht. Jedoch ist der Akte zu entnehmen, dass das Amtsgericht Pankow/Weißensee der Auffassung ist, der Wohnsitz des Kindes befinde sich in Snnnnn. Das Amtsgericht Nauen lehnte die Übernahme der Sache ab und gab sie dem Amtsgericht Pankow/Weißensee zurück. Zur Begründung führt es an, der Wohnsitz des Kindes befinde sich weiterhin bei der Kindesmutter. Daraufhin legte das Amtsgericht Pankow/Weißensee die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vor.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß §§ 621a Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich die Amtsgerichte Pankow/Weißensee und Nauen mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2.

Das Amtsgericht Pankow/Weißensee ist gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2, 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1, 64 Abs. 3 Satz 2 FGG örtlich zuständig.

a)

Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit ist nach den vorgenannten Vorschriften der Wohnsitz des Kindes. Dieser befindet sich bei der Kindesmutter in Reinickendorf, mithin im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Familienabteilungen des Amtsgerichts Pankow/Weißensee.

Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich der Wohnsitz des Kindes abweichend von § 11 Satz 1, 1. Halbsatz BGB dann nicht am Wohnsitz des personensorgeberechtigten Elternteiles befindet, wenn dieser den Kindeswohnsitz nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 BGB an einen anderen Ort verlegt hat (KG, KGR 1999, 131 [131]; OLG Oldenburg, NJW-RR 1996, 1030 [1030]; OLG Köln, FamRZ 1996, 859 [860]; BayObLG, NJW-RR 1989, 262 [263]; OLG Zweibrücken, DAVorm 1983, 861 [862]), was auch stillschweigend erfolgen kann (KG, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Dies setzt aber - wie allgemein bei der Begründung eines neuen Wohnsitzes - voraus, dass sich das Kind nicht nur am neuen Ort niederlässt, sondern dass ein Wille des Sorgeberechtigten dahin erkennbar ist, diesen Ort zum ständigen Mittelpunkt der Lebensverhältnisses des Kindes zu machen (ebenso BayObLG, Beschl. v. 15.10.1993, Geschz. 1Z AR 34/93, zit. nach Juris, Rdnr. 10). Dabei kann es sich gemäß § 7 Abs. 2 BGB u.a. auch ergeben, dass lediglich ein zusätzlicher neuer Wohnsitz des Kindes begründet, nicht aber der bisherige Wohnsitz bei dem sorgeberechtigten Elternteil aufgegeben werden soll (vgl. BayObLG, NJW-RR 1989, 262 [263]).

Vorliegend ist nicht anzunehmen, dass die Kindesmutter den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Kindes ausschließlich in der Jugendhilfeeinrichtung wissen wollte, d.h. ihren eigenen Lebensmittelpunkt von demjenigen des Kindes dauerhaft trennen wollte. Dagegen spricht zum einen, dass das Kind regelmäßig etwa 2 von 14 Tagen, mithin 14% seiner Zeit, bei der Mutter lebt und zusätzlich ein Ferienaufenthalt bei der Mutter geplant war. Zum anderen spricht gegen den Trennungswillen der Mutter deren enge emotionale Bindung zum Kind. Dass diese Bindung möglicherweise krankhafte Züge aufweist, ändert an ihrem Vorhandensein nichts. Im Übrigen ist die Rechtsprechung in Fällen vergleichbarer Art sehr zurückhaltend damit, einen Trennungswillen des sorgeberechtigten Elternteiles anzunehmen. So wird selbst bei längeren, ununterbrochenen Internatsaufenthalten ein Trennungswille verneint (OLG Oldenburg, NJW-RR 1996, 1030 [1030]; BayObLG, NJW-RR 1989, 262 [263]). Aufenthalte des Kindes in anderen betreuten Wohnformen, wie vorliegend in einer Heimerziehungseinrichtung, stehen dem gleich (ebenso: Fahse in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 11 Rdnr. 13 a.E.). Der Senat hält diese strenge Handhabung nicht zuletzt im Interesse des Kindes an der kontinuierlichen Zuständigkeit eines bestimmten Familiengerichtes für sachgerecht.

Schließlich kommt ein Wohnsitzwechsel des Kindes nach § 11 Satz 1, 2. Halbsatz BGB wegen eines etwaigen Entzuges der mütterlichen Personensorge nach § 1666 BGB (vgl. Schmitt in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2006, § 11 Rdnr. 9; Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 11 Rdnr. 5) nicht Betracht. Denn die Verbringung des Kindes in die Jugendhilfeeinrichtung im August 2006 erfolgte - soweit dies den Akten zu entnehmen ist - nicht auf Grund zwangsweiser familiengerichtlicher Entscheidung gemäß § 1666 BGB, sondern mit Zustimmung der Mutter. Auch die einstweilige Anordnung vom 10. Juli 2007 rechtfertigt keine Anwendung des § 11 Satz 1, 2. Halbsatz BGB. Denn die einstweilige Anordnung sieht nur einen vorläufigen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes der Kindesmutter vor und war - nach den Umständen der Entscheidung - auf die akute Frage der Durchführung des geplanten zweiwöchigen Ferienaufenthaltes des Kindes bei der Mutter bezogen.

b)

Offen kann bleiben, ob ein zweiter Wohnsitz des Kindes in dem - zum örtlichen Zuständigkeitsbereich des Amtsgericht Nauen gehörenden - Ort Snnnnn besteht. Denn das Verfahren ist zuerst beim Amtsgericht Pankow/Weißensee anhängig gemacht worden, womit diesem gemäß §§ 621a Abs. 1 Satz 2, 35, 261 Abs. 3 Nr. 1, ZPO der Vorzug gebührt (vgl. Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 621a Rdnr. 9).

3.

Das Amtsgericht Pankow/Weißensee hat seine Zuständigkeit nicht auf Grund seines Abgabebeschlusses analog § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO verloren. Denn das Gericht hat es unterlassen, die Kindesmutter, d.h. die Antragsgegnerin, vor dem Erlass des Beschlusses zur Frage der Zuständigkeit zu hören. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Abgabeentscheidung in solchen Fällen wegen Verletzung des grundgesetzlichen Anspruches auf rechtliches Gehör als willkürlich und damit als ausnahmsweise nicht bindend anzusehen ist (BGH FamRZ 1978, 402 [403]; Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 621 Rdnr. 73b, m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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