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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 2 AR 5/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Zum Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO:

a) Auch eine solche Entscheidung stellt eine Unzuständigerklärung dar, die die Annahme der eigenen Unzuständigkeit zwar nicht ausdrücklich ausspricht, sie aber stillschweigend durch Ablehnung der Übernahme des Rechtsstreits zum Ausdruck bringt.

b) Bei der Feststellung, ob die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts richtigerweise hätte bejaht werden müssen, ist derjenige Sachverhalt zu Grund zu legen, den die Parteien dem Gericht zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses vorgetragen haben.


Kammergericht

Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 5/09

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 5. Februar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Plauen wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Schöneberg und das Amtsgericht Plauen streiten über die örtliche Zuständigkeit für ein Verfahren, in dem die Klägerin Vergütungsansprüche aus einem Mobilfunkvertrag geltend macht. Die Klägerin hatte zunächst den Erlass eines Mahnbescheides beim Amtsgericht Hamburg beantragt und das Amtsgericht Schöneberg als dasjenige Gericht bezeichnet, an das das Verfahren im Falle eines Widerspruches abzugeben sei. Der sodann erlassene Mahnbescheid wurde dem Beklagten unter einer Anschrift, die im Bezirk des Amtsgerichts Schöneberg liegt, zugestellt. Der Beklagte legte am 4. Oktober 2006 Teilwiderspruch ein, was das Amtsgericht Hamburg der Klägerin am selben Tage mitteilte. Die Klägerin meldete sich daraufhin beim Amtsgericht Hamburg erst wieder mit dem Schriftsatz vom 19. August 2008. Hierin teile sie u.a. eine neue Wohnanschrift des Beklagten im Bezirk des Amtsgerichts Plauen mit und beantragte erstmals die Durchführung des streitigen Verfahrens; ferner beantragte sie die Abgabe des Verfahrens an das "Amtsgericht Berlin" und beantragte - "hilfsweise vor dem Amtsgericht Berlin" - den Rechtsstreit an das Amtsgericht Plauen zu verweisen. Am 27. August 2008 gab das Amtsgericht Hamburg die Sache an das Amtsgericht Schöneberg ab.

Das Amtsgericht Schöneberg erklärte sich nach Anhörung des Beklagten mit Beschluss vom 13. Oktober 2008 für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Plauen. Zur Begründung führte das Amtsgericht Schöneberg an, dass der Beklagte zwar zum Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheides im Bezirk des Amtsgerichts Schöneberg wohnansässig war, dass jedoch für die Feststellung des allgemeinen Gerichtsstandes des Beklagten nicht auf diesen Zeitpunkt abzustellen sei, weil die Sache erst 22 Monate nach Widerspruchseingang vom Mahngericht an das Streitgericht abgegeben worden sei; maßgeblich sei daher der spätere, Plauener Wohnsitz des Beklagten. Auf Nachfrage des Amtsgerichts Plauen reicht die Klägerin den Mobilfunkvertrag ein, aus dem hervor ging, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Schöneberg hatte. Das Amtsgericht Plauen lehnte daraufhin mit Beschluss vom 12. Januar 2009 die Übernahme des Verfahrens ab. Zur Begründung führte es an, dass der Verweisungsbeschluss willkürlich gefasst und das Amtsgerichts Schöneberg gemäß § 29 ZPO durchaus örtlich zuständig sei. Letzteres ergebe sich aus dem Umstand, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mobilfunkvertrages mit der Klägerin im Bezirk des Amtsgerichts Schöneberg wohnansässig war. Das Amtsgericht Schöneberg, an das das Amtsgericht Plauen die Verfahrensakte zurücksandte, legte die Sache schließlich dem Kammergericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich die Amtsgerichte Schöneberg und Plauen mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für örtlich unzuständig erklärt haben. Dabei stellt auch eine solche Entscheidung eine Unzuständigerklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dar, welche - wie vorliegend der Beschluss des Amtsgerichts Plauen - die Annahme der eigenen Unzuständigkeit zwar nicht ausdrücklich ausspricht, sie aber stillschweigend durch Ablehnung der Übernahme des Rechtsstreits zum Ausdruck bringt (BGH, NJW 1988, 1794; Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 36 Rdnr. 24, m.w.N.).

2.

Das Amtsgericht Plauen ist jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Schöneberg örtlich zuständig.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür in denjenigen Fällen, in den das verweisende Gericht den Parteien hinreichendes rechtliches Gehör gewährt hat, allenfalls dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts richtigerweise hätte bejaht werden müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571-1572).

Bei der Feststellung der zuletztgenannten Voraussetzung ist derjenige Sachverhalt zu Grund zu legen, den die Parteien dem Gericht zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses vorgetragen haben (BGH, NJW-RR 1995, 702 [702]; Senat, Beschluss vom 19. September 2007, 2 AR 38/07, KGR 2008, 208-211, m.w.N.). Denn zum einen ist der Zivilprozess vom Beibringungsgrundsatz geprägt und es ist anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht nur für die Feststellung der in der Sache maßgeblichen Tatsachen gilt, sondern auch für diejenigen Tatsachen, die bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen von Belang sind (Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 128 Rdnr. 12; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, vor § 1 Rdnr. 257). Zum anderen widerspräche eine eingehende gerichtliche Aufklärungstätigkeit vor Erlass des Verweisungsbechlusses dem Zweck des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO, wonach Zuständigkeitsstreitigkeiten in einer dem Gebot des gesetzlichen Richters genügenden Weise möglichst zügig erledigt werden sollen. Gleiches gälte, wenn durch Sachvortrag der Parteien nach Erlass des Verweisungsbeschlusses den Zuständigkeitsstreit wieder eröffnet werden könnte; die Parteien haben vor Erlass des Verweisungsbeschlusses im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs ausreichend Gelegenheit dem Gericht alle Tatsachen vorzutragen, die für die Bestimmung der Zuständigkeit von Bedeutung sind. Allenfalls dann, wenn eine Partei den Erlass des Verweisungsbeschlusses dadurch erschlichen hat, dass sie ihren Vortrag zum Erlasszeitpunkt bewusst unvollständig ließ, ist späterer Sachvortrag zum Schutz des Prozessgegners berücksichtigbar. Dies gebietet der Grundsatz von Treu und Glauben, dem die Parteien auch bei ihrem prozessualen Handeln unterliegen.

b)

Demgemäß ist vorliegend Willkür nicht zu bejahen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa)

Das Amtsgericht Plauen ist gemäß §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig.

(1)

Soweit in Rechtsprechung und Schrifttum z.T. vertreten wird, dass im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 696 Abs. 3 ZPO für die Bestimmung des Wohnsitzes im Sinne von § 13 ZPO auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheides abzustellen ist (ablehnend allerdings die herrschende Meinung: vgl. Schüler in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 696 Rdnr. 20, m.w.N.; Voit in Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 696 Rdnr. 6, m.w.N.), kann dieser Streit vorliegend dahinstehen.

Denn die Voraussetzungen des § 696 Abs. 3 ZPO liegen - wie das Amtsgericht Plauen nicht bezweifelt - nicht vor. Die Abgabe der Streitsache durch das Amtsgericht Hamburg an das Amtsgericht Schöneberg erfolgte nicht "alsbald" nach Erhebung des Widerspruches. Zwischen Erhebung des Widerspruches und der Abgabe lagen nämlich 22 Monate, wobei diese erhebliche Verfahrensverzögerung von der Klägerin gemäß § 696 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. ZPO dadurch verursacht wurde, dass sie die Durchführung des streitigen Verfahrens erst im Schriftsatz vom 19. August 2008 beantragte.

(2)

Soweit in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten ist, ob im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 696 Abs. 3 ZPO für die Bestimmung des Wohnsitzes im Sinne von § 13 ZPO auf den Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Streitgericht abzustellen ist (so die herrschende Meinung: BGH, DStR 2007, 1099, Rdnr. 2 zit. nach Juris; BGH, MDR 2004, 332 Rdnr. 27 zit. nach Juris; KG, 28. Zivilsenat, MDR 1998, 618, Rdnr. 17 zit. nach Juris; KG, 4. Zivilsenat, MDR 2000, 1335, Rdnr. 5 zit. nach Juris) oder auf einen späteren Zeitpunkt (vgl. zum Meinungsstand: Saenger, ZPO, 2. Aufl. 2007, § 696 Rdnr. 19-23, m.N.), kann dieser Streit vorliegend ebenfalls dahinstehen.

Denn der Beklagte hatte seinen Wohnsitz sowohl zum Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Amtsgericht Schöneberg als auch danach im Bezirk des Amtsgerichts Plauen.

bb)

Das Amtsgericht Schöneberg ist in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass das Plauen seine örtliche Zuständigkeit nicht gemäß § 35 ZPO durch eine Gerichtsstandswahl der Klägerin zugunsten des Amtsgerichts Schöneberg verloren hat.

Denn Voraussetzung für eine solche Wahl ist, dass sie zugunsten eines zuständigen Gerichtes getroffen wird (Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 35 Rdnr. 2-3, m.w.N.). Nach dem Sachverhalt, den die Parteien zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses vorgetreten hatten (s.o.), war das Amtsgericht Schöneberg nicht zuständig; insbesondere ergab sich keine Zuständigkeit aus § 29 ZPO. Denn der Erfüllungsort für den streitgegenständlichen, vertraglichen Anspruch ergab sich gemäß § 269 BGB aus dem Vertragsinhalt. Zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses waren aber weder die maßgeblichen Umstände des Vertragsinhaltes vorgetragen noch die Vertragsurkunde vorgelegt. Im Übrigen besteht im Falle von Mobilfunkverträgen kein sog. gemeinsamen Erfüllungsort, der vorliegend möglicherweise die Zuständigkeit eines jeden deutschen Gerichtes begründet hätte (Senat, Beschluss v. 17. September 2007, 2 AR 37/07, KGR 2008, 248, m.w.N.).

Ansatzpunkte dafür, dass die Klägerin versucht hat, die Zuständigkeit des Amtsgerichts Plauen durch zunächst bewusst unvollständige Sachverhaltsangaben zu erschleichen, sind nicht ersichtlich. Für die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigte, die beide in Hamburg ansässig sind, dürfte der Berliner Gerichtsstand sogar schneller und angenehmer zu erreichen sein als der Plauener.

Ende der Entscheidung

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