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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: 2 AR 6/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 4
ZPO § 36 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
Zum Streitwert und zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wegen sachlicher Unzuständigkeit in Fällen, in denen der Kläger vorprozessual entstandene Anwaltskosten in voller Höhe, die Hauptforderung jedoch nur zum Teil geltend macht.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 6/09

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 26. Februar 2009 durch die Richter am Kammergericht Franck, Dittrich und Dr. Glaßer beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Mitte wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin und das Amtsgericht Mitte streiten über die sachliche Zuständigkeit in einem Rechtsstreit, in welchem die Klägerin einen Verkehrsunfallschadensersatzanspruch in Höhe von 4.865,97 EUR sowie einen Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 775,64 EUR geltend macht. Ursprünglich war zwischen den Parteien ein Verkehrsunfallschadensersatzanspruch in Höhe von 9.731,94 EUR im Streit und die Klägerin beauftragte vorprozessual den Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Interessen in diesem Umfang. Später wurde das Verkehrsunfallschadensersatzverlangen der Klägerin zur Hälfte befriedigt, weshalb die Klägerin Klage nur noch in Höhe von 4.865,97 EUR erhob. Das geltend gemachte Anwaltshonorar in Höhe von 775,64 EUR errechnet sich bei Zugrundelegung eines Geschäftswerts von 9.731,94 EUR.

Die Klägerin erhob ihre Klage zum Landgericht Berlin. Dieses wies die Parteien mit Schreiben vom 1. September 2008 darauf hin, dass die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts nicht gegeben sei, weil der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten eine nicht den Streitwert erhöhende Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO darstelle. Auf Antrag der Klägerin erklärte es sich mit Beschluss vom 4. September 2008 für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Mitte. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 3. Februar 2009 ebenfalls für sachlich unzuständig und legte die Sache dem Kammergericht vor. Zur Begründung führte es an, dass der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten nur insoweit eine Nebenforderung darstelle als der ursprünglich im Streit befindliche Verkehrsunfallschadensersatzanspruch Gegenstand des Rechtsstreites geworden sei. Im Übrigen sei der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten als Hauptforderung anzusehen. Die Streitwertgrenze von 5.000 EUR sei daher jedenfalls überschritten.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Landgericht Berlin und sodann das Amtsgericht Mitte mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2.

Das Amtsgericht Mitte ist nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Berlin sachlich zuständig.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen oder in einem vorangegangenen gerichtlichen Hinweisschreiben erörtert hat, dabei aber zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571-1572; Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 20/08, KGR Berlin 2008, 749-751).

b)

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend kein Fall von Willkür festzustellen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa)

Zwar hat der Bundesgerichtshof vor kurzem entschieden, dass dann, wenn der Kläger neben seiner Hauptforderung auch den Ersatz von Kosten begehrt, welche ihm vorprozessual wegen der Hauptforderung entstanden sind, und die Hauptsache später teilweise für erledigt erklärt wird, die Kosten nur noch teilweise, d.h. nur noch im Hinblick auf den nicht für erledigt erklärten Teil der Hauptforderung, eine Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO darstellen und im Übrigen bei der Streitwertberechnung dem Wert der Hauptforderung hinzuzurechnen sind (BGH, NJW 2008, 999; der Senat hat diese Entscheidung nachvollzogen in KGR 2008, 595). Es spricht vieles dafür, diese Regel entsprechend auf den Fall anzuwenden, in dem der Kläger von vornherein die Hauptforderung nur zum Teil, die Kosten aber in voller Höhe einklagt (so im Ergebnis Senat, a.a.O.).

Jedoch ist zu berücksichtigten, dass vor der Entscheidung BGH, NJW 2008, 999 namhafte Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum die gegenteilige Auffassung vertreten haben, wonach vorprozessuale Kosten in voller Höhe von § 4 ZPO erfasst werden, solange auch nur ein Teil der Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreites ist (so u.a. OLG Köln, MDR 1992, 410; Herget in Schneider, Streitwertkommentar, 11. Aufl. 1996, Rdnr. 1525 mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstreites). Diese abweichende Auffassung hat in Bezug auf die - vergleichbare - Situation des Zinsanspruches selbst der Bundesgerichtshof in einer älteren Entscheidung vertreten (BGH, Beschl. v. 6.2.1953 - VI ZR 9/53, LM § 4 ZPO Nr. 1) und vor ihm in ständiger Rechtsprechung das Reichsgericht (RG, Entsch. v. 10.5.1932 - VII 310/ 31 u. 311/31, HRR 1932 Nr. 2195; RG, Urteil vom 25.5.1927 - 687/26 IV, JW 1927, 2129 [2130]). Zur Begründung wird angeführt, dass die Kosten aus einem einheitlichen, nicht teilbaren Hauptsachestreitwert entstanden sei, dass bei teilweiser Anwendung des § 4 ZPO die Berechnungsmethode im Detail zweifelhaft sei und dass die Berechnung in jedem Falle aufwendig sei, was dem auf Verfahrensvereinfachung abzielenden Regelungszweck des § 4 ZPO nicht gerecht werde (RG, JW 1927, 2129 [2130]; OLG Köln, a.a.O; Herget in Schneider, a.a.O., Rdnr. 1524 f.; vgl. auch Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 4 Rdnr,. 38 a.E.).

Insgesamt ist daher die zwischen dem Landgericht Berlin und dem Amtsgericht Mitte streitige Rechtsfrage derzeit höchstrichterlich geklärt. Die gegenteilige Auffassung kann jedoch nicht als unvertretbar angesehen werden.

bb)

Das Hinweisschreiben des Landgerichts vom 1. September 2008 gibt hinreichend zu erkennen, dass das Landgericht seine Auffassung auf das - uneingeschränkte - Eingreifen des hier maßgeblichen § 4 ZPO stützt.

Ende der Entscheidung

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