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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.05.2005
Aktenzeichen: 2 AR 67/05 - 5 Ws 240/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 46 Abs. 3
StPO § 329 Abs. 3
Zu der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsverhandlung bei verspäteten Eintreffen im Saal nach Verzögerung bei Einlasskontrolle und Saalverlegung.
2 AR 67/05 - 5 Ws 240/05

In der Strafsache gegen

wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 11. April 2005 aufgehoben.

Der Angeklagte wird gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung am 18. Februar 2005 in den vorigen Stand eingesetzt.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer in diesem Rechtszug erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse Berlin auferlegt.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten am 12. August 2004 wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35 Euro. Da der Angeklagte zu der auf den 18. Februar 2005 um 9.00 Uhr anberaumten Verhandlung über seine Berufung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht rechtzeitig erschienen war, verwarf das Landgericht das Rechtsmittel um 9.15 Uhr nach § 329 Abs. 1 StPO. Den fristgerecht gestellten Antrag seiner Verteidigerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsverhandlung verwarf das Landgericht mit der Begründung als unzulässig, daß der Antrag auf Entschuldigungsgründe gestützt sei, mit denen sich das Landgericht bereits im Urteil auseinandergesetzt habe. Die nach §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg.

Nach der glaubhaft gemachten und nicht zu widerlegenden Darstellung des zu 9.00 Uhr in das Landgericht Berlin, Eingang Turmstraße 91 geladenen Angeklagten hat sich dieser am Terminstage um 8.40 Uhr in das Gerichtsgebäude begeben. Bis er die Einlaßkontrolle passiert hatte, vergingen wegen des großen Andranges ca. 25 Minuten. Anschließend benötigte er bis 9.13 Uhr, um den Saal 409, zu dem er geladen war, zu finden. Dort befand sich eine Mitteilung, daß die Sitzung in den Saal 220 verlegt wurde. Der Angeklagte, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, und die Mitteilung daher nicht verstand, wartete einige Minuten vor dem Saal und entschloß sich dann, den Saal 220 zu suchen. Als er diesen Saal um 9.22 Uhr erreichte, war seine Berufung bereits verworfen, da das Landgericht um 9.15 Uhr mit der Urteilsverkündung begonnen hatte.

1. Die Wiedereinsetzungsvorschriften finden Anwendung. Zwar kann ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 3 StPO nicht auf dieselben Tatsachen gestützt werden, die Gegenstand der Würdigung des Berufungsgerichts gewesen sind (vgl. OLG Koblenz VRS 64, 211; KG GA 1974, 116 und Beschlüsse vom 5. August 2004 - 5 Ws 302/04 - und vom 13. Juni 2003 - 5 Ws 303/03 -). Denn nur im Revisionsverfahren kann geprüft werden, ob das Berufungsgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung in § 329 Abs. 1 StPO verkannt hat (vgl. OLG Hamm wistra 1997, 157, 158; KG, a.a.O.). So liegen die Dinge hier aber nicht, denn das Berufungsurteil hat sich mit den nunmehr vorgebrachten Entschuldigungsgründen nicht tatsächlich auseinandergesetzt. Soweit es darin heißt: "Sollte er durch verkehrbedingte Verzögerungen, zeitaufwendige Parkplatzsuche, intensive Einlaßkontrollen oder langandauernde Suche des Saals an einem rechtzeitigen Erscheinen gehindert gewesen sein, so hat er seine dadurch bedingte Säumnis selbst verschuldet", ergibt sich bereits aus der Formulierung selbst, daß es sich um reine Vermutungen handelt, die durch keinerlei Tatsachen oder Erkenntnisse des Gerichts belegt sind. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde von der Verteidigerin nichts dergleichen vorgetragen. Sie hat dem Gericht lediglich mitgeteilt, daß der Angeklagte bereits im Hause sei und erscheinen werde. Nur mit diesem Vorbringen hat sich der Tatrichter in einer die Wiedereinsetzung ausschließenden Weise auseinandergesetzt. Die übrigen vom Gericht erwähnten, nur generell möglichen und hypothetischen Gründe einer Säumnis würdigen keinen konkreten, dem Gericht bekannten Sachverhalt. Sie sollten offensichtlich nur dazu dienen, dem Angeklagten die Möglichkeit der Wiedereinsetzung von vornherein zu verschließen und ihn auf die Revision zu verweisen, die im Erfolgsfall zur Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper führt und sich so von der Wiedereinsetzung unterscheidet (vgl. Senat, Beschluß vom 5. November 2002 - 5 Ws 558/02 -).

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen. Denn der Beschwerdeführer hat gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO einen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht, der sein verspätetes Erscheinen zur Berufungshauptverhandlung entschuldigt.

Der Angeklagte, der um 8.40 Uhr vor dem Eingang in der Turmstraße war, ist rechtzeitig am Gerichtsort erschienen.

Obwohl bei den Einlaßkontrollen mit einem längeren Zeitaufwand zu rechnen und auch die Suche des Sitzungssaales vom Angeklagten in seinen Zeitplan einzukalkulieren ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 26. Januar 2005 - 5 Ws 13/05 -; vom 11. November 2004 - 4 Ws 129/04 -; vom 24. Juli 2003 - 4 Ws 124/04 - und vom 27. Mai 2002 - 3 Ws 143/02 -), ergibt vorliegend eine Gesamtschau, daß den Angeklagten kein Verschulden trifft. Denn er ist ungefähr 20 Minuten vor dem Termin erschienen und mußte nicht damit rechnen, daß er nahezu 25 Minuten benötigen wird, um die Einlaßkontrolle zu passieren. Der Angeklagte, der aktenkundig einen Dolmetscher benötigt, erreichte um 9.13 Uhr den Saal 409. Den dort angebrachten schriftlichen Hinweis, daß die Sitzung in den Saal 220 verlegt wurde, verstand er nicht und wartete zunächst einige Minuten bevor er den Saal 220 suchte. Unter diesen Umständen hätte es zunächst einmal nahegelegen, den Hinweis auf die Saalverlegung von dem anwesenden Dolmetscher in die russische Sprache übersetzen zu lassen. Hinzu kommt, daß das Landgericht trotz der Saalverlegung und dem für den Angeklagten unverständlichen Hinweis lediglich die üblichen 15 Minuten gewartet und bereits um 9.15 Uhr mit der Urteilsverkündung begonnen hat. Da der Angeklagte rechtzeitig ins Gericht gekommen ist und mit einer solchen Vorgehensweise nicht rechnen mußte, hat er die Säumnis nicht verschuldet. Seinem Wiedereinsetzungsantrag ist daher zu entsprechen.

Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen nach § 473 Abs. 7 StPO dem Beschwerdeführer zur Last. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse, weil sonst niemand für sie haftet. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers in diesem Rechtszug folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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