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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.04.2008
Aktenzeichen: 2 KART 1/08
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 49 Abs. 3
GWB § 63
Die Entscheidung der Landeskartellbehörde, die Sache auf Antrag gemäß § 49 Abs. 3 GWB an das Bundeskartellamt abzugeben, stellt keine nach § 63 GWB anfechtbare Verfügung dar.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 KART 1/08

28.04.2008

In der Kartellverwaltungssache

hat der Kartellsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Franck und Dittrich am 28.04.2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde und der Antrag auf Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung werden verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens nach § 65 Abs. 3 S. 3 GWB einschließlich der der Beschwerdegegnerin und dem Beteiligten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beschwerdeführerin begehrt Rechtsschutz gegen die nach § 49 Abs. 3 GWB erfolgte Abgabe eines Missbrauchsverfahrens (§§ 19, 29 GWB) durch die Landeskartellbehörde des Landes Berlin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) an das am Beschwerdeverfahren beteiligte Bundeskartellamt.

Das Bundeskartellamt hat Verfahren nach den §§ 19, 29 GWB gegen diverse Gasversorger eingeleitet. Mit Schreiben vom 28.02.2008 (Anlage zum Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 08.04.2008, Bl. 32 d.A.) hat es gegenüber der Beschwerdegegnerin die Abgabe eines Verfahrens gegen die Beschwerdeführerin nach § 49 Abs. 3 GWB beantragt und dem den Entwurf eines Schreibens zur Einleitung des Verfahrens mit Datum vom 29.02.2008 beigefügt (Bl. 33 d.A.). Die Beschwerdegegnerin hat mit Schreiben vom 03.03.2008 (Anl. Bf 1) dem Bundeskartellamt gegenüber die Abgabe erklärt.

Das Bundeskartellamt hat unter dem 03.03.2008 von der Beschwerdeführerin Auskünfte verlangt (Anl. Bf 3) und ihr mit Schreiben vom 12.03.2008 (Anl. Bf 2) das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 03.03.2008 zur Information übersandt. Am 04.04.2008 hat es einen Auskunftsbeschluss erlassen.

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass es sich bei dem Schreiben vom 03.03.2008 um eine Verfügung i.S. von § 63 GWB handele. Denn anders als die Abgabe wegen Unzuständigkeit nach § 49 Abs. 2 GWB habe eine Abgabe nach § 49 Abs. 3 GWB wegen der im Einzelfall erfolgenden Zuständigkeitsveränderung einen regelnden Gehalt. Die Abgabe sei aus verschiedenen Gründen (Fehlen eines Verfahrens vor der "abgebenden" Behörde; Ermessensnichtgebrauch; Verletzung rechtlichen Gehörs; fehlende Begründung und Zustellung) rechtswidrig und beschwere die Beschwerdeführerin auch materiell. § 55 Abs. 1 GWB biete keine hinreichende Rechtsschutzmöglichkeit, da die Vorabentscheidung der Behörde über ihre Zuständigkeit in ihrem Ermessen liege.

Die Beschwerdeführerin beantragt mit ihrer Beschwerde vom 31.03.2008 an den Kartellsenat,

die Verfahrensabgabe in der Sache Gnn aufzuheben,

hilfsweise festzustellen, dass keine Zuständigkeitsübertragung an das Bundeskartellamt erfolgt ist.

Ferner stellt sie den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 65 Abs. 3 S. 3 GWB mit dem Ziel,

die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 31.03.2008 eingelegten Beschwerde gegen die Verfügung auf Abgabe des Verfahrens in der Sache Gnn vom 03.03.2008 anzuordnen, hilfsweise anzuordnen, dass vom Schreiben der nnnnnnnnnnnnnnnn nnnnnnnnnnnn als Landeskartellbehörde vom 03.03.2008 "Verfahrensabgabe in der Sache Gnn " kein Gebrauch gemacht werden darf.

Der Beteiligte beantragt,

1. den Antrag der Beschwerdeführerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 65 Abs. 3 S. 3 GWB und den hilfsweise gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kostenpflichtig zu verwerfen und

hilfsweise die Anträge zurückzuweisen,

2. die Beschwerde zu verwerfen und hilfsweise zurückzuweisen.

Die Beschwerdegegnerin und der Beteiligte tragen vor, dass die Abgabe ein verwaltungsinterner Akt ohne Außenwirkung und damit keine Verfügung sei. Auch sei eine isolierte Anfechtung von behördlichen Verfahrenshandlungen, die der Sachentscheidung vorausgehen, nach dem Rechtsgedanken des § 44 a VwGO nicht zulässig.

Der Beteiligte macht zudem geltend, dass der Anfechtung jedenfalls die Sonderregelung des § 55 GWB entgegen stehe und der Zuständigkeitswechsel zu keiner Beschwer der Beschwerdeführerin geführt habe.

B.

Die Beschwerde und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sind unstatthaft und damit zu verwerfen.

I. Nach § 63 Abs. 1 GWB ist die Beschwerde gegen Verfügungen der Kartellbehörde zulässig. Der Begriff der Verfügung entspricht dem des § 61 GWB und damit dem des Verwaltungsakts in § 35 VwVfG (s. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.06.2007, VI-Kart 21/06, Rz 16 -bei JURIS-; K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 63 Rn 15; Mees in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 63 Rn 5).

Die Entscheidung über eine Abgabe nach § 49 Abs. 3 GWB stellt keine Verfügung dar und kann daher nicht isoliert angefochten werden (ebenso im Ergebnis Becker in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 49 Rn 7; Bechtold in: Bechtold, GWB, 4. Aufl., § 49 Rn 5; Kiecker in: Langen/Bunte, GWB, 10. Aufl., § 49 Rn 6 i.V.m. § 48 Rn 20 unter Verweis auf die Anfechtbarkeit der nachfolgenden Verfügung; a.A. allein Bracher in: Frankfurter Kommentar zum GWB, 63. Lfg., § 49 Rn 29).

Der Ansicht von Bracher, die Abgabe nach § 49 Abs. 3 GWB sei -anders als diejenige wegen Unzuständigkeit nach § 49 Abs. 2 GWB- keine verwaltungsinterne Verfahrenshandlung, sondern eine Verfügung, da sie eine Veränderung der durch das Gesetz begründeten Zuständigkeit herbeiführe, kann nicht gefolgt werden. Behördlichen Verfahrenshandlungen allgemein fehlt der einem Verwaltungsakt eigene sachliche Regelungsgehalt; sie sind daher, wie auch § 44 a S. 1 VwGO anordnet, einer isolierten Anfechtung entzogen und können nur zusammen mit der Sachentscheidung angegriffen werden (vgl. BVerwGE 88, 332, 335 f. = NVwZ 1992, 379, 380; NJW 1982, 120). Ob die Verfahrenshandlung im Ermessen der Behörde steht oder nicht, ändert nichts an ihrer beschränkten Wirkung und damit an der fehlenden Verfügungseigenschaft. So stellt etwa auch die Entscheidung, ob überhaupt ein Verfahren einzuleiten ist, eine nicht anfechtbare Verfahrenshandlung dar (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 35 Rn 65; K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 63 Rn 19).

Dementsprechend ist auch vom Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Zuständigkeitsbestimmung zwischen verschiedenen Behörden auch dann ein verwaltungsinterner Vorgang ist, der als solcher nicht gesondert angegriffen werden kann, wenn es nicht nur um die Abgabe von einer unzuständigen an eine zuständige Behörde geht, sondern eine gestaltende behördliche Zuständigkeitsbestimmung vorliegt (s. BVerwGE 71, 63, 72 = NVwZ 1986, 126, 128 zum Fall des § 3 Abs. 3 VwVfG , der die (Fort-)Führung des Verfahrens durch eine (nunmehr) unzuständige Behörde im Einvernehmen mit der an sich zuständigen Behörde betrifft; ferner BVerwGE 21, 352 f.; s.a. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 35 Rn 50).

Zudem steht der Anfechtung der Abgabeentscheidung unabhängig von der Frage der Verfügungsqualität die Regelung des § 44 a VwGO entgegen. Die Vorschrift soll durch den Anfechtungsausschluss für Verfahrenshandlungen, die nicht vollstreckbar oder gegen Nichtbeteiligte gerichtet sind, eine Verzögerung und Erschwerung von Verwaltungsverfahren verhindern und ist Ausdruck eines anerkannten Rechtsgrundsatzes, der auch außerhalb der VwGO anzuwenden ist (s. BSG NVwZ 1989, 901, 902), und so auch im Beschwerdeverfahren nach § 63 GWB (K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 63 Rn 19).

Entgegen der Ansicht von Bracher in: Frankfurter Kommentar zum GWB, 63. Lfg., § 49 Rn 30 führt die analoge Anwendung des § 44 a VwGO nicht zu einem Wertungswiderspruch zu der von § 55 Abs. 1 S. 2 GWB eröffneten Möglichkeit, die Vorabentscheidung über die Zuständigkeit mit der Beschwerde anzugreifen. Die Abgabe steht einer Vorabentscheidung i.S. von § 55 GWB nicht gleich. Das Beschwerdeverfahren nach § 55 Abs. 1 S. 2 GWB ist gerade nur eröffnet, wenn und weil die Behörde von der in ihrem Ermessen liegenden Befugnis zur Vorabentscheidung Gebrauch macht; denn in der Vorabentscheidung liegt wegen der mit ihr verbundenen Bestandskraft eine feststellende Verfügung (s. K. Schmidt/Bach in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 55 Rn 5).

Außerhalb einer Vorabentscheidung verbleibt es dabei, dass ein gesonderter Rechtsschutz zur Klärung der Zuständigkeitsfrage nicht gegeben ist und diese daher erst im Rahmen der Anfechtung der in der Sache ergehenden Verfügung überprüft werden kann (vgl. bereits BVerwGE 21, 352, 353 und sodann § 44 a VwGO).

Da keine Rechtsschutzlücke vorliegt, die nach Art. 19 Abs. 4 GG geschlossen werden müsste (vgl. BGHZ 117, 209 = NJW 1992, 1829 zur Zulässigkeit einer Leistungsklage in Ergänzung zu § 63 GWB) bedarf es keiner Entscheidung, ob die im Hilfsantrag erhobene Feststellungsbeschwerde überhaupt statthaft sein kann (vgl. dazu K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 63 Rn 11).

II. Da es an einer statthaften Beschwerde fehlt, kommt auch die Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung nach § 65 Abs. 3 S. 3 GWB nicht in Betracht.

III. Der Senat kann mit dem vorliegenden Beschluss ohne mündliche Verhandlung nicht nur über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheiden (zur Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung für Zwischenentscheidungen s. BGH NJW-RR 2007, 1491, 1492), sondern auch über die Beschwerde nach § 63 GWB. Denn auch sie ist entscheidungsreif und bedarf keiner mündlichen Verhandlung. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass § 69 Abs. 1 GWB eine mündliche Verhandlung -analog § 522 Abs. 1 ZPO, § 125 Abs. 2 VwGO- nicht erfordert, wenn die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen ist (s. BGHZ 56, 155, 156 = NJW 1971, 1937; K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 69 Rn 1; Mees in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 69 Rn 2; Bechtold in: Bechtold, GWB, 4. Aufl., § 69 Rn 2). Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch in Bezug auf die Verwerfung der Beschwerde ist gewahrt, da der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin in Telefonaten, die er sukzessive mit allen entscheidenden Senatsmitgliedern geführt hat, auf die Unzulässigkeit der Anträge hingewiesen worden ist.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 S. 1 GWB. Die Kostentragung der unterliegenden Beschwerdeführerin einschließlich der Erstattung notwendiger Auslagen der beteiligten Behörden (der Beschwerdegegnerin und des nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 analog, Abs. 2 GWB am Verfahren beteiligten Bundeskartellamts) entspricht der Billigkeit.

Die Rechtsbeschwerde ist nach Auffassung des Senats nicht zuzulassen, da eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann i.S. von § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB "zu entscheiden ist", wenn sie klärungsbedürftig ist. Das ist noch nicht der Fall, wenn eine höchstrichterliche Entscheidung zu der speziellen Rechtsfrage (hier: Verfügungsqualität der Abgabe nach § 49 Abs. 3 GWB) nicht vorliegt, sondern nur, wenn die Frage in einer Weise umstritten ist, die eine Klärung gebietet (vgl. BGHZ 159, 135, 137 = NJW 2004, 2222, 2223 zu § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Auch der Entscheidung BGH WuW/E DE-R 703 (704), wonach einer Rechtsfrage i.S. von § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn sie sich voraussichtlich in einer Vielzahl anderer Fälle stellen wird und bislang höchstrichterlich nicht oder nicht hinreichend "geklärt" ist, ist nichts anderes zu entnehmen, da eine Klärung eine Unsicherheit, also Klärungsbedürftigkeit voraussetzt.

Vorliegend fehlt es an eine Klärungsbedürftigkeit der Frage, ob es sich bei der Abgabe nach § 49 Abs. 3 GWB um eine (isoliert anfechtbare) Verfügung handelt. Unzweifelhaft ist, dass der Begriff der "Verfügung" dem des "Verwaltungsakts" entspricht. Ebenso ist im allgemeinen Verwaltungsrecht -auch höchstrichterlich durch das Bundesverwaltungsgericht- geklärt, dass behördliche Entscheidungen in Bezug auf die Zuständigkeit kein Verwaltungsakt sind. Somit besteht kein Zweifel an der Richtigkeit der von der kartellrechtlichen Literatur fast allgemein vertretenen Ansicht, dass die Abgabe nach § 49 Abs. 3 GWB nicht anfechtbar ist. Die allein von einer Literaturstimme vertretene, auch nicht konsistent begründete abweichende Meinung vermag vor diesem Hintergrund keine Zweifel zu begründen, die eine Rechtsbeschwerdezulassung rechtfertigten.

Ende der Entscheidung

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