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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.09.2004
Aktenzeichen: 2 U 165/02
Rechtsgebiete: EGBGB, WoGenVermG, VermG, BGB, VwGO, VZOG, ThürKAG, GWB


Vorschriften:

EGBGB Art. 233 § 4
WoGenVermG § 1
WoGenVermG § 1 Abs. 7
WoGenVermG § 2 Abs. 1
VermG § 16 Abs. 2
VermG § 16 Abs. 2 Satz 1
BGB § 103 a. F.
BGB § 133
BGB § 157
BGB § 426 Abs. 1
BGB § 436
BGB § 446
VwGO § 80 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1
VZOG § 11
VZOG § 11 Abs. 2
ThürKAG § 7
ThürKAG § 7 Abs. 1
ThürKAG § 7 Abs. 6
ThürKAG § 7 Abs. 8 Satz 1 n. F.
GWB § 92
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 2 U 165/02

verkündet am : 23. September 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts im schriftlichen Verfahren auf Grund der bis zum 20. September 2004 eingereichten Schriftsätze durch den Richter am Kammergericht Gröning als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten werden die am 23. Mai 2002 und 3. Juni 2003 verkündeten Urteile der Zivilkammer 10 des Landgerichts Berlin - 10 O 31/02 und 2/03 - geändert:

Die Klagen werden als zur Zeit unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten in Höhe des festgesetzten Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe:

I. Die Stadt Gnnn war 1992/1993 eingetragene Eigentümerin der Grundstücke Snnnnnn 1-29 und Cnn -Znnn -Snnn 17-29 in Gnn . Die Klägerin war ihrerseits bereits Gebäudeeigentümerin i. S. v. Art. 233 § 4 EGBGB der auf den Grundstücken errichteten Häuser. Infolge des In-Kraft-Tretens des Gesetzes zur Regelung vermögensrechtlicher Angelegenheiten der Wohnungsgenossenschaften (WoGenVermG) am 27. Juni 1993 und auf der Grundlage von nach § 2 Abs. 1 WoGenVermG ergangener Bescheide des zuständigen Oberfinanzpräsidenten wurde die Klägerin auch Grundstückseigentümerin. Mit notariellem Kaufvertrag vom 6. Dezember 1996 verkaufte sie die Grundstücke an die Beklagte. § 5 Nr. 2 und 3 des Vertrages lauteten:

Zur Ver- und Entsorgung der Kaufgrundstücke gibt es nach Kenntnis der Verkäuferin Versorgungsleitungen, die in der als Anlage 1 zu dieser Urkunde genommenen Liste aufgeführt und im Lageplan vermerkt sind. Weitere Mitbenutzungsrechte sind der Verkäuferin nicht bekannt....

Anlieger- und/oder Erschließungsbeiträge trägt die Verkäuferin, sofern ihr bis zum Besitzübergang entsprechende Bescheide zugestellt und diese bestandskräftig wurden. In allen übrigen Fällen trägt die Käuferin diese Beiträge.

Der Besitzübergang erfolgte zum 30. Dezember 1996.

Mit an die Stadt Gnn gerichtetem Bescheid vom 8. März 1999 erhob der Wnn - und Annnnnnnnnn Gnn und Lnnnnnnnnn (Wnn ) von der Stadt Gnn bezüglich der Grundstücke Stnnnnnn 1-17 und 19-29 Beiträge zur Deckung des Investitionsaufwands für die öffentliche Entwässerungseinrichtung über 83.354,31 DM. Unter dem 7. April 2000 richtete der Wnn einen entsprechenden Bescheid an die Stadt Gnnn bezüglich des Grundstücks Cnn -Znnn -Snnn 17-29 und unter dem 19. Oktober und 2. November 2000 Bescheide bezüglich beider Grundstücke zur Deckung des Investitionsaufwands für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung (Beitragsforderungen insgesamt: 77.285,50 €).

Als Rechtsgrundlagen für die Beitragsforderungen sind in den Bescheiden genannt die §§ 1, 2 und 7 des Thüringer Kommunalabgabengesetzes (ThürKAG) vom 7. August 1991, § 20 Abs. 2 des Gesetzes über die Kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 11. Juni 1992 i. V. m. der Satzung für die Benutzung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung des Wnnn - und Annnnnnnnnnn Gnn und Landkreisgemeinden (Entwässerungssatzung - EWS des Wnn ) und der dazu gehörenden Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) bzw. der Wasserbenutzungssatzung - WBS i. V. m. der Gebührensatzung zur WBS (BGS-WBS) in der jeweils gültigen Fassung.

Die Stadt Gnn legte rechtzeitig Widerspruch gegen alle Bescheide ein und forderte die Klägerin parallel dazu auf, die Bescheide zu bezahlen. Im ersten Fall kam die Klägerin dieser Aufforderung nach, des Weiteren nicht mehr.

Der Wnn war auf Grund der Verbandssatzung vom 7. Dezember 1992 gegründet worden und hat am 25. August 1993 erstmals entsprechende Satzungen erlassen, die, auf der Grundlage von Ankündigungsbeschlüssen aus dem Dezember 1992, rückwirkend zum 1. Januar 1993 in Kraft traten und im Jahre 1997 modifiziert wurden (alle Satzungen im Wortlaut: Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 19. August 2004).

Wann der den Bescheiden zu Grunde liegende Investitionsaufwand in tatsächlicher Hinsicht erbracht worden ist, ist streitig. Die Beklagte behauptet, dies sei nicht nur vor In-Kraft-Treten der Satzungen, sondern sogar vor dem 3. Oktober 1990 der Fall gewesen, die Klägerin macht geltend, dies sei nach der Wiedervereinigung geschehen; kalkuliert seien die Investitionen vom Wnn für den Zeitraum von 1991 bis 2011 (Schriftsatz vom 17. September 2004 S. 3).

Die Klägerin hat von der Beklagten auf der Grundlage von § 5 Nr. 3 des Kaufvertrages in getrennt erhobenen Klagen Erstattung des von ihr beglichenen ersten Beitragsbescheids bzw. Freistellung hinsichtlich der übrigen verlangt. Mit den angefochtenen Urteilen hat das Landgericht den Klagen mit der Einschränkung stattgegeben, dass die Klägerin der Beklagten Zug-um-Zug ihre eventuell gegen die Stadt Gnn bestehenden Rückzahlungsansprüche bei Feststellung einer auch nur teilweisen Unwirksamkeit der Bescheide an die Beklagte abtritt.

Wegen der festgestellten Tatsachen im Übrigen und der erstinstanzlichen Anträge wird auf die Tatbestände der angefochtenen Urteile Bezug genommen.

Mit ihren form- und fristgerecht eingelegten Berufungen, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihre erstinstanzlichen Klageabweisungsanträge weiter.

Die Beklagte sieht sich unangemessen dadurch benachteiligt, dass sie zur Zahlung bzw. Freistellung verurteilt werden soll, obwohl die Rechtmäßigkeit der ergangenen Beitragsbescheide noch nicht feststeht. Das gelte vorliegend umso mehr, als am Beitragsstreit nicht einmal die Klägerin als ihre unmittelbare Vertragspartnerin, sondern die Stadt Gnn beteiligt ist und sie, die Beklagte, keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten auf diese verwaltungsrechtliche Streitigkeit habe. Es bestehe die Gefahr, dass die Beitragsbescheide ohne Ausschöpfung aller Anfechtungsmöglichkeiten bestandskräftig würden und die Beitragslast deshalb zu Unrecht auf sie übergewälzt werde. Ihr gegen die Klägerin in einem solchen Fall eventuell zustehende - verschuldensabhängige - Schadensersatzansprüche seien - auch in Verbindung mit der Zug-um-Zug-Verurteilung gegen Abtretung eventueller Rückzahlungsansprüche der Klägerin - keine ausreichende Kompensation. Da sie, die Beklagte, keinerlei Einblick in die Rechtsvorgänger des Widerspruchsverfahrens habe, erlange sie von solchen Abtretungsansprüchen nur durch kontinuierliche Anfragen bei der Stadt Gnnn oder der Klägerin Kenntnis, was ihre rechtliche Position unzumutbar beenge. Deshalb müsse durch das Zivilgericht selbständig geprüft werden, ob die Beitragspflicht der Klägerin zu Recht besteht; zumindest müsse das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausgesetzt werden.

Es sei keine Rechtsgrundlage dafür erkennbar, warum sie, die Beklagte, im Außenverhältnis überhaupt für die Beitragsschuld einstehen müsse, nachdem sich die Bescheide gegen die Stadt Gnn richteten. Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin gegenüber der Stadt Gnn zur Zahlung auf der Grundlage von § 16 Abs. 2 VermG in Verbindung mit § 1 Abs. 7 WoGenVermG ergebe.

Die Klägerin steht rechtlich auf dem Standpunkt, die ihr zugeordneten Grundstücke seien mit den zugehörigen Lasten und damit auch mit den hier in Rede stehenden Verbindlichkeiten aus den Beitragsbescheiden übertragen worden, so dass sie in alle bestehenden Rechtsverhältnisse eingetreten sei. Deshalb könne sie auch auf der Grundlage der §§ 446, 436 und 103 BGB a. F. i. V. m. § 5 Nr. 3 des Kaufvertrages Zahlung bzw. Freistellung verlangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien, auch zu den Hinweisen des Senats, wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässigen Berufungen, die der Senat zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, haben in der Sache im Wesentlichen Erfolg und führen zur Abweisung der Klagen als zur Zeit unbegründet.

1. Nach den in § 5 Nr. 3 des Kaufvertrages getroffenen Regelungen hat die Beklagte für alle Anlieger- und/oder Erschließungsbeiträge aufzukommen, die der Klägerin nicht bis zum Besitzübergang zugestellt wurden und die bestandskräftig geworden sind. Vorliegend geht es zwar ausnahmslos um Beiträge, die lange nach dem Besitzübergang erhoben worden sind, so dass die vertraglichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Beklagten nach den zeitlichen Zusammenhängen wohl vorliegen.

Die Beklagte hat jedoch nicht ohne weiteres für jedwede solche Beiträge einzustehen, die in Bezug auf die von ihr gekauften Grundstücke von Dritten erhoben werden. Vielmehr sind die fraglichen Vertragsklauseln gemäß den §§ 133 und 157 BGB interessengerecht einschränkend dahin auszulegen, dass die Beklagte für Anlieger- oder Erschließungsbeiträge nur in solchen übrigen Fällen aufzukommen hat, in denen die Klägerin ihrerseits von Dritten zu Recht - und sei es auch nur vorläufig, infolge der für Abgabenbescheide vorgesehenen sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - auf Zahlung der betreffenden Abgaben in Anspruch genommen wird.

Diese Voraussetzung liegt indes nicht vor.

Das Landgericht hat auf die Streitfälle die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angewendet, wonach eine Partei des Grundstückskaufvertrags die andere von Erschließungsbeiträgen freizustellen bzw. ihr diese zu erstatten hat, wenn diese Beiträge nach dem Vertrag der Ersteren zur Last fallen sollen, die entsprechenden Bescheide aber - entsprechend den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen - gegen die andere Partei gerichtet sind (BGH NJW 1992, 2817). Die Voraussetzungen, unter denen eine Partei eines Grundstückkaufvertrages die andere nach dieser Rechtsprechung auf Zahlung bzw. Freistellung von Erschließungsbeiträgen in Anspruch nehmen kann, sind vorliegend indes nicht gegeben.

Die Klägerin ist als Verkäuferin des von den Parteien geschlossenen Grundstückskaufvertrages selbst nicht Adressatin von fälligen Forderungen aus Beitragsbescheiden, deren sofortige Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. Abs. 2 VwGO nicht durch Einlegung eines Widerspruchs entfällt. Vielmehr ist Adressat solcher Bescheide die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Stadt Gnn . Deren Eigentum an den streitigen Grundstücken ist auch nicht durch Vertrag auf die Klägerin übergegangen, sondern kraft Gesetzes (§§ 1, 2 WoGenVermG) i. V. m. mit den Zuordnungsbescheiden des Oberfinanzpräsidenten. Eine vertragliche Verpflichtung, so wie die Beklagte sie gegenüber der Klägerin in § 5 Nr. 3 des Grundstückskaufvertrags übernommen hat und die Grundlage für eine Überwälzung der Erschließungslasten durch die Klägerin auf die Beklagte sein könnte, besteht im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Stadt Gnn nicht.

2. Für die geltend gemachten Zahlungs- bzw. Freistellungsansprüche gibt auch § 16 Abs. 2 Satz 1 VermG i. V. m. § 1 Abs. 7 WoGenVermG keine tragfähige Grundlage. Es ist der Klägerin zwar zuzugeben, dass das die Erschließungsanlagen betreffende Rechtsverhältnis zwischen dem WAZV und einem Grundstückseigentümer (hier: Stadt Gnn ) seiner Art nach zu den Rechtsverhältnissen zu zählen sein wird, in die der Grundstückserwerber (hier: die Klägerin) eintritt. Das allein vermag eine Haftung der Klägerin, die ihrerseits Grundlage für eine Abwälzung der betreffenden Verpflichtungen auf die Beklagte sein könnte, aber nicht zu begründen. Das generelle Rechtsverhältnis zwischen dem Zweckverband und einem Grundstückseigentümer muss, soweit es die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen betrifft, durch Beitragsbescheide (ggfs. auch Gebührenbescheide) konkretisiert werden. Solche Bescheide sind als Verwaltungsakte gegen die Person zu richten, die die Behörde als Adressat ansieht und - bei Beitragsbescheiden - zur Zahlung heranziehen will (so genannter materieller Adressat). Ist ein solcher Bescheid gegen eine Person ergangen, die materiellrechtlich nicht Beitragsschuldner ist, so kann der wirkliche Schuldner nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nur auf Grund eines neuen, gegen ihn persönlich erlassenen Bescheids in Anspruch genommen werden (vgl. Bonk/Stelkens, Komm. zum VwVfG. 6. Aufl., § 41 Rn. 35). Die Klägerin selbst könnte vom Wnn deshalb nur auf der Grundlage von gegen sie selbst gerichteten Beitragsbescheiden in Anspruch genommen werden. Daran ändert auch die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 1 VermG nichts. Die Rechtsfolgen dieser Bestimmung reichen jedenfalls nicht so weit, dass die Zahlungsverpflichtung aus den gegen die Stadt Gnn gerichteten Beitragsbescheiden allein wegen des vom WoGenVermG initiierten Eigentumsübergangs ohne weiteres, sogar ohne eine der subjektiven Klageänderung im Prozess vergleichbare Erklärung des Wnn im Verwaltungsverfahren, nunmehr "automatisch" auf die Klägerin übergegangen wäre. Dafür, dass der Gesetzgeber § 16 Abs. 2 Satz 1 VermG so weit reichende Wirkungen beilegen wollte, dass die Geltung elementarer verwaltungsverfahrensrechtlicher Konventionen ausgerechnet auf dem Gebiet der öffentlichen Abgaben ausgesetzt wird, bestehen keine Anhaltspunkte. Auf den von der Beklagten geltend gemachten Einwand, die Anwendung von § 16 Abs. 2 Satz 1 VermG sei ohnehin durch die nach dem Spezialitätsgrundsatz vorrangige Regelung in § 11 Abs. 2 VZOG ausgeschlossen ist, kommt es danach nicht an.

3. Die Zahlungs- bzw. Freistellungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht mit den einschlägigen landes- und satzungsrechtlichen Bestimmungen i. V. m. § 426 Abs. 1 BGB und der Erwägung begründen, bei einem bestehendem Gesamtschuldnerverhältnis müsste die Beitragspflicht im Innenausgleich ganz (oder anteilig) von der Klägerin übernommen werden.

Die Klägerin hätte selbst nicht vom Wnn als (Gesamt-)Schuldnerin in Anspruch genommen werden können und deshalb findet auch § 426 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Mit den vom Wnn erhobenen Beiträgen soll Investitionsaufwand für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen i. S. v. § 7 Abs. 1 ThürKAG abgedeckt werden, der nicht in den Geltungsbereich des BauGB fällt. Solche Abgaben werden auf Grund besonderer Satzungen erhoben (§ 1 Abs. 1 und 2; § 2 ThürKAG). Den Kreis der Beitragspflichtigen hat das ThürKAG während des hier in Betracht zu ziehenden Zeitraums unterschiedlich weit gezogen. Nach § 7 Abs. 6 ThürKAG in der Fassung von Art. IV Nr. 1 des ersten Gesetzes zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Thüringer Verwaltung vom 7. August 1991 (GVBl. 1991, 329 ff.) war beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks oder Erbbauberechtigter war, mehrere Beitragspflichtige als Gesamtschuldner. § 7 ThürKAG erhielt danach zunächst durch das zweite Gesetz zur Änderung des ThürKAG vom 10. November 1995 eine neue Fassung. Der Kreis der Beitragspflichtigen wurde um die Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts im Sinne des Art. 233 § 4 EGBGB erweitert (§ 7 Abs. Abs. 8 Satz 1 ThürKAG n. F.).

Aus dem Umstand, dass die in Betracht kommenden Beitragspflichtigen mit der Konjunktion "oder" verbunden aufgezählt sind folgt, dass das ThürKAG es den Gemeinden des Landes freistellt, in ihren Satzungen den genannten Personenkreis wiederzugeben und im Einzelfall nach ihrem Ermessen einen oder alle der insoweit gesamtschuldnerisch haftenden Beitragspflichtigen heranzuziehen (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 57).

Der Wnn hat in seinen verschiedenen Gebührensatzungen den Kreis der Beitragspflichtigen nach der jeweiligen Gesetzeslage bestimmt. Nach den §§ 4 der ursprünglichen Gebührensatzungen (BGS-Wettbewerbs und BGS-EWS) vom 25. August 1993 konnten (nur) Grundstückseigentümer oder Erbbauberechtigte (als Gesamtschuldner) herangezogen werden. Demgegenüber bestimmen die §§ 4 der an die Stelle dieser Satzungen getretenen Regelungswerke vom 23. Januar 1997 den Kreis der Beitragspflichtigen genau so, wie § 7 Abs. 8 Satz 1 ThürKAG n. F. Beitragspflichtig ist danach, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks, Erbbauberechtigter oder Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts i. S. des Artikels 233 § 4 EGBGB ist; mehrere Beitragspflichtige sind Gesamtschuldner.

Für den Streitfall sind die ursprünglichen Satzungen maßgeblich. Das ergibt sich daraus, dass das Thüringer Kommunalabgabenrecht für die Beitragspflicht grundsätzlich, vorbehaltlich abweichender Satzungsregelungen, die hier gerade nicht gegeben sind, auf die Rechtsinhaberschaft im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht abstellt (vgl. zu den unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 67 ff.). Die Beitragspflicht entsteht mit dem Abschluss der Maßnahme (§ 7 Abs. 5 ThürKAG a. F.). Diese Regelung ist durch Art. 1 Nr. 2b) des dritten Gesetzes zur Änderung des ThürKAG dahin präzisiert worden, dass die Beitragspflicht bei - wie hier - leitungsgebundenen Einrichtungen entsteht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann. Diese spezielle Bestimmung war in den ursprünglichen Gebührensatzungen bereits vorweggenommen (dort jeweils in § 3).

Unerheblich für die rechtliche Beurteilung ist, dass die Satzungen zu diesem Zeitpunkt, der jedenfalls vor dem Anfang des Jahres 1993 lag, noch nicht beschlossen waren. Insoweit ist die spätere Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers nach den Grundsätzen der so genannten unechten Rückwirkung von Satzungen unbedenklich (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 11 Rn. 59 ff; derselbe in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 132 Rn. 37 ff.; Lichtenfeld in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht § 6 Rn. 723 ff.). Dementsprechend bestimmte schon § 7 Abs. 8 (jetzt: Abs. 10) ThürKAG, dass ein Beitrag auch für öffentliche Einrichtungen erhoben werden kann, die vor In-Kraft-Treten der Abgabesatzung hergestellt, angeschafft, erweitert, verbessert oder erneuert wurden. Auf der Grundlage des bei In-Kraft-Treten der ursprünglichen Satzungen vom 25. August 1993 geltenden § 7 Abs. 6 ThürKAG a. F. wäre es dagegen bereits unzulässig gewesen, wenn die Satzung bestimmt hätte, dass neben dem Eigentümer oder Erbbauberechtigten auch der Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts i. S. v. Art. 233 § 4 EGBGB herangezogen werden darf. Eine solche Bestimmung wäre über den vom ThürKAG damals selbst gesetzten und zwingenden Rahmen hinausgegangen und deshalb rechtswidrig gewesen (vgl. dazu den Anwendungserlass zum ThürKAG vom 11. Juni 2001 Nr. 7.8.1; dokumentiert bei Driehaus Kommunalabgabenrecht A 13b).

Ein mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbarer Fall echter Rückwirkung wäre es erst recht, wenn die im Jahre 1997 beschlossene Satzungsänderungen als nachträgliche Grundlage für Einbeziehung der Klägerin als Inhaberin eines Rechts i. S. v. Art. 233 Abs. 4 in den Kreis der Beitragspflichtigen und - im Anschluss daran - den Gesamtschuldnerausgleich herangezogen würde. Die Erweiterung des Kreises der Beitragspflichtigen in den Satzungen war zwar von der Änderung des § 7 ThürKAG durch das zweite Gesetz zur Änderung des ThürKAG gedeckt. Der Rückwirkung von Satzungsinhalten sind aber durch das Rechtsstaatsprinzip enge Grenzen gesetzt (vgl. dazu Lichtenfeld aaO § 6 Rn. 723 ff.). Eine gültige Satzung, auf deren Grundlage eine Beitragsschuld entstanden ist, bleibt ungeachtet ihrer späteren Änderung oder Ersetzung Rechtsgrundlage für die Veranlagung. Das Außer-Kraft-Treten der satzungsmäßigen Grundlage lässt den entstandenen Beitrags- bzw. Gebührenanspruch unberührt (Lichtenfeld aaO Rn. 725 mit Rechtsprechungsnachweisen). Ebenso wenig wie rechtmäßig festgesetzte Gebühren- oder Beitragssätze nicht rückwirkend erhöht werden dürfen, kann auch nicht der Kreis der Verpflichteten nachträglich erweitert werden. Aus diesem Grunde ist es im Übrigen unerheblich, dass in den Beitragsbescheiden als Rechtsgrundlage u. a. die Gebührensatzung "in der jeweils gültigen Fassung" genannt ist. Daraus folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, dass die im Zeitpunkt der Bekanntgabe des jeweiligen Bescheids geltende Satzung maßgebend ist. Die Thüringer Gemeinden sind zwar auf Grund der Gesetzesänderung durch das dritte Gesetz zur Änderung des ThürKAG vom 23. Juli 1998 (GVBl. 1998, 247) befugt, optional auf diesen Zeitpunkt abzustellen. Davon ist in den Satzungen des WAZV indes kein Gebrauch gemacht worden, insbesondere nicht in den maßgeblichen Satzungen vom 25. August 1993. Mit der Formulierung "jeweils gültig" in den Beitragsbescheiden sind deshalb die Satzungen gemeint, die nach der Rechtslage anzuwenden sind, also die BGS-EWS und die BGS-Wettbewerbs vom 25. August 1993.

Unerheblich für die Entscheidung ist, worauf zur Vermeidung von Missverständnissen hingewiesen wird, dass die Gebührensatzungen des Wnn im Wortlaut (jeweils § 13) abweichende Regelungen für den Kreis der Gebührenschuldner vorsehen. Gebührenschuldner ist danach, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Gebührenschuld Eigentümer des Grundstücks oder ähnlich zur Nutzung des Grundstücks dinglich berechtigt ist, wobei . Diese Regelung ist auf die hier interessierenden Beiträge nicht nur deshalb nicht entsprechend anwendbar, weil die Satzungen für Beiträge selbst dezidierte Regelungen erhalten, sondern weil Gebühren auch einen ganz anderen Abgabentatbestand darstellen, als Beiträge.

Die Beklagte erhebt des Weiteren den Einwand, die Klägerin sei lediglich Gebäudeeigentümerin gewesen, nicht aber auch Inhaberin eines dinglichen Nutzungsrechts i. S. v. Art. 233 § 4 EGBGB. Ob das in tatsächlicher Hinsicht zutraf und ob § 7 Abs. 8 Satz 1 ThürKAG bejahendenfalls dahin auszulegen ist, dass isoliertes Gebäudeeigentum (vgl. dazu BGHZ 137, 369 ff.) nicht darunter fallen soll, kann dahinstehen, weil der Kreis der Verpflichteten, wie ausgeführt, erst später um die Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts erweitert worden ist.

Wäre der Wnn nach alledem nicht berechtigt gewesen, die Klägerin als (frühere) Gebäudeeigentümerin neben der Stadt Gnnn als Grundstückseigentümerin für die streitigen Beiträge in Anspruch zu nehmen, so kann die Klägerin von der Stadt Gnn auch nicht aus § 426 Abs. 1 BGB im Gesamtschuldner-Innenregress auf Erstattung bzw. Freistellung in Anspruch genommen werden. Da der Stadt Gnn die Klägerin, wie oben unter II.2 ausgeführt, auch aus anderen Gründen kein Anspruch auf Erstattung des bezahlten Beitrags und Freistellung im Übrigen zusteht und die Klägerin selbst nicht Adressat eines Beitragsbescheids ist, gehen die von der Klägerin auf der Grundlage von § 5 Nr. 3 des Grundstückskaufvertrages gegen die Beklagte gerichteten Ansprüche von vornherein ins Leere.

Ob die Klägerin aus § 16 Abs. 1 Satz 1VermG i. V. m. § 1 WoGenVermG in Anspruch genommen werden kann, kann dahinstehen, weil dies, abgesehen von der Frage des Vorrangs von § 11 VZOG, zumindest den Erlass von gegen sie selbst gerichteten Beitragsbescheiden voraussetzt.

Nach alledem waren die angefochtenen Urteile zu ändern und die Klagen als zur Zeit unbegründet abzuweisen. Der Vorbehalt, dass die Klagen nur "zur Zeit unbegründet" sind, beruht darauf, dass die Inanspruchnahme der Klägerin durch den Wnn nicht gänzlich ausgeschlossen ist. So erscheint es beispielsweise zwar fernliegend , aber nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der Wnn noch Beitragsbescheide an die Klägerin adressieren könnte. In einem solchen Fall lägen nach der o. g. Rechtsprechung des BGH und im Hinblick auf § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie nach der in § 5 Nr. 3 des Kaufvertrages getroffenen Regelung formal, unabhängig von den Aussichten auf endgültige Bestandskraft solcher Bescheide, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Beklagten. Mit Blick darauf, dass Beides wenig wahrscheinlich erscheint, bleibt der Erfolg des Rechtsmittels zwar insoweit hinter dem Berufungsantrag zurück, als danach eine uneingeschränkte Klageabweisung begehrt war. Ein Teilunterliegen i. S. v. § 92 GWB 1 ZPO liegt darin indes nicht. Die Kostenentscheidung beruht deshalb auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Dafür, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorlägen, ergeben sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Parteien und den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung keine zureichenden konkreten Anhaltspunkte.

Ende der Entscheidung

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