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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.07.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 167/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 67b Abs. 2
StGB § 67g
StGB F. 13.07.2007 § 68e Abs. 1 Nr. 1
StGB F. 13.07.2007 § 68e Abs. 1 Nr. 2
StGB F. 13.07.2007 § 68e Abs. 1 Nr. 3
Die nach § 67b Abs. 2 StGB von Gesetzes wegen eintretende Führungsaufsicht findet durch die mit Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl. I 513, 516) eingeführte Neufassung des § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB am Tage des Beginns des Vollzuges der in einem anderen Verfahren rechtskräftig erkannten Unterbringung ihr vorzeitiges Ende. Gleiches gilt für die in § 68e Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 StGB genannten Beendigungsgründe. Demzufolge ist in allen diesen Fällen ein Widerruf der Aussetzung der Unterbringung gesetzlich ausgeschlossen.
KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 167/09

1 AR 493/09

In der Unterbringungssache gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. Juli 2009 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 12. Februar 2009 (nicht: 2008) wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Untergebrachten in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin ordnete durch das im Sicherungsverfahren ergangene Urteil vom 21. Dezember 1998, rechtskräftig seit dem 29. Dezember 1998, die Unterbringung des Beschwerdegegners in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er - zur Tatzeit aufgrund einer hebephrenen Schizophrenie unter Wahnvorstellungen leidend und deshalb nicht ausschließbar schuldunfähig - zur Verhinderung einer polizeilichen Festnahme mehrfach mit einem langen Küchenmesser (Klingenlänge 30 cm) zunächst sechsmal auf einen Polizeibeamten und danach einmal auf einen ihn verfolgenden Zeugen eingestochen hatte, bevor er dazu übergegangen war, sich mit dem Messer selbst zu verletzen.

Mit Beschluß vom 30. November 2005, rechtskräftig seit dem 16. Dezember 2005, setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin die Unterbringung mit Wirkung vom 22. Dezember 2005 zur Bewährung aus, unterstellte den Verurteilten für die Dauer der von Gesetzes wegen eintretenden fünfjährigen Führungsaufsicht (§ 67b Abs. 2 StGB) der Aufsicht und Leitung des zuständigen Bewährungshelfers und erteilte ihm zahlreiche näher bezeichnete Weisungen.

Der Beschwerdegegner beging (bzw. versuchte) in der Bewährungszeit, nämlich vom 8. Mai bis zum 25. Juli 2007, in 15 Fällen eine räuberische Erpressung, indem er nach dem Wiederaufleben seiner krankheitsbedingten Wahnvorstellungen jeweils teilmaskiert und entweder mit einer ungeladenen Schreckschußwaffe oder mit einer echt aussehenden Spielzeugpistole Apotheken überfiel und die Herausgabe von Geld erpreßte, (was ihm in einem Fall mißlang). Das Landgericht Berlin verurteilte ihn deswegen am 24. Januar 2008 (rechtskräftig seit dem 1. Februar 2008) wegen schwerer räuberischer Erpressung in 14 Fällen und wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, die seit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils vollzogen wird.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, die Aussetzung des Maßregelvollzuges aus ihrem Beschluß vom 30. November 2005 gemäß § 67g Abs. 1 Nr. 1 StGB zu widerrufen. Der Widerruf sei nicht mehr möglich, weil er innerhalb der Zeit beschlossen werden müsse, zu der die mit der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung von Gesetzes wegen eintretende Führungsaufsicht noch laufe. Das sei aber nicht mehr der Fall, weil die Führungsaufsicht aufgrund der Neufassung des § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht vom 13. April 2007 mit dem Beginn des Vollzuges der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geendet habe.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde (§§ 463 Abs. 1, 462 Abs. 3 Satz 1 StPO) bekämpft die Staatsanwaltschaft diese Auffassung. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Führungsaufsicht seien unterschiedliche Rechtsinstitute mit unterschiedlicher Zielrichtung. Der Wortlaut des § 67g Abs. 5 StGB bestimme, daß die Maßregel mit dem Ende der Führungsaufsicht nur dann für erledigt erklärt werde, wenn das Gericht die Aussetzung der Unterbringung nicht widerrufe, was voraussetze, daß ein Widerruf der Aussetzung der Unterbringung neben einer bestehenden Führungsaufsicht möglich sei. Es sei - im angefochtenen Beschluß ausdrücklich erwähnt - bereits entschieden, daß der Beginn einer nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB entstandenen Führungsaufsicht den Widerruf der Aussetzung einer Maßregel nicht hindere (vgl. LG Marburg NStZ-RR 2007, 356). Umso mehr müsse das im Fall des § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gelten, zumal da der Gesetzgeber mehrere nebeneinander laufende Unterbringungen durchaus zulasse.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

II.

Der Senat teilt die Auffassung der Strafvollstreckungskammer.

1. a) Nach § 67g Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Aussetzung einer Unterbringung, wenn der Verurteilte während der Dauer der Führungsaufsicht eine rechtswidrige Tat begeht und sich daraus ergibt, daß der Zweck der Maßregel seine Unterbringung erfordert. Der Widerruf der Aussetzung der Unterbringung nach § 67g Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt neben der Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus, daß sie auf eine schlechte Prognose hinweist und symptomatisch für den Zustand (§ 20 StGB) ist, infolge dessen die Begehung solcher Taten zu erwarten ist, wie sie zur Anordnung der Unterbringung genügen (vgl. Senat StV 1997, 315; Beschluß vom 11. Januar 2008 - 2 Ws 772/07 -; Fischer, StGB 56. Aufl., § 67g Rdn. 5). Daraus muß sich ergeben, daß der Zweck der Maßregel die Unterbringung im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung erfordert (vgl. KG StV 1991, 69; Senat, Beschlüsse vom 13. September 1999 - 5 Ws 533/99 - und 2. Juli 1999 - 5 Ws 359/99 -). Diese Voraussetzungen wären im Streitfall erfüllt.

b) Der Umstand, daß der Beschwerdegegner in einem anderen Verfahren gemäß § 63 StGB untergebracht ist, steht als solcher einem Widerruf der Aussetzung der Unterbringung nicht entgegen. Denn dieser Umstand belegt vielmehr, daß der Zweck der Maßregel die Unterbringung erfordert (vgl. OLG Hamm GA 1981, 174 Ls; Senat, Beschluß vom 2. Juli 1999 - 5 Ws 359/99 -). Die nebeneinander stehende mehrfache Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist grundsätzlich zulässig und nur dann ausgeschlossen, wenn sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr vereinbar ist (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 8; Fischer, § 63 StGB Rdn. 21 mit weit. Nachw.).

c) Gemäß § 67g Abs. 5 StGB tritt als Voraussetzung des Widerrufs der Aussetzung der Unterbringung noch ein Zeitmoment hinzu, das bei dem Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht vorgesehen ist: Nach dem Ende der Führungsaufsicht ist die Maßregel erledigt, und der Widerruf kann nicht mehr ausgesprochen werden; er muß während der Aufsichtszeit ergehen, wenn auch nicht rechtskräftig werden (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1986, 525; OLG Koblenz MDR 1981, 336 = VRS 60, 430; Senat, Beschluß vom 24. September 2004 - 5 Ws 477/04 -; Fischer, § 67g StGB Rdn. 11; Rissing-van Saan/ Peglau in LK-StGB 12. Aufl., § 67g Rdn. 43). Durch diese Vorschrift sind die unterschiedlichen Rechtsinstitute der Unterbringung und der Führungsaufsicht trotz ihrer voneinander verschiedenen Zielrichtungen in zeitlicher Hinsicht miteinander gesetzlich verknüpft. Danach - auch nur um wenige Tage zu spät - ist der Widerruf nicht mehr möglich (vgl. Senat aaO). Sich aus § 67g Abs. 5 StGB ergebende Schwierigkeiten sind hinzunehmen (vgl. Fischer, § 68e StGB Rdn. 3). Diese zeitliche Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

2. Die Rechtsprechung war bislang mit dem Zeitmoment der Widerrufsmöglichkeit aufgrund zweierlei Verfahrensabläufen befaßt: Entweder war die Führungsaufsicht durch einen Beschluß nach § 68e Abs. 2 StGB erledigt, oder sie war mit dem Ablauf der Aufsichtszeit nach § 68c StGB beendet, § 67g Abs. 5 StGB (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1980, 26; Senat aaO). Beide Varianten liegen im Streitfall nicht vor. Ein Beschluß nach § 68e Abs. 2 StGB ist nicht ergangen, und die in dem Beschluß vom 30. November 2005 nicht abgekürzte Führungsaufsicht hätte - ohne das Hinzutreten von Verwahrungszeiten (§ 68c Abs. 4 Satz 2 StGB) - bis zum 15. Dezember 2010 gedauert (§ 68c Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StGB). Jedoch gilt folgendes: Die nach § 67b Abs. 2 StGB von Gesetzes wegen eintretende Führungsaufsicht findet durch die mit Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl. I 513, 516) eingeführte Neufassung des § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB am Tage des Beginns des Vollzuges der in einem anderen Verfahren rechtskräftig erkannten Unterbringung ihr vorzeitiges Ende. Gleiches gilt für die in § 68e Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 StGB genannten Beendigungsgründe. Demzufolge ist in allen diesen Fällen - so auch im Streitfall - ein Widerruf der Aussetzung der Unterbringung gesetzlich ausgeschlossen.

a) § 68e StGB trägt die Überschrift "Beendigung oder Ruhen der Führungsaufsicht". Sein Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ordnet an: "Soweit sie nicht unbefristet ist, endet die Führungsaufsicht 1. mit Beginn des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel." Die Regelung dient der Vermeidung von Doppelbetreuungen. Unter der vor der Reform geltenden Gesetzeslage lief die Führungsaufsicht weiter, ohne daß die Führungsaufsichtsstelle über die Möglichkeiten der Maßregelvollzugseinrichtung verfügte - eine Fortdauer, die als überflüssig erachtet wurde (vgl. Fischer, § 68e StGB Rdn. 5). Ebenso praktischen Erwägungen folgte der Gesetzgeber mit der Einführung der Nrn. 2 und 3 des § 68e Abs. 1 Satz 1 StGB, denen zufolge die Führungsaufsicht auch mit dem Beginn des Vollzuges einer Freiheitsstrafe, neben der eine freiheitsentziehende Maßregel angeordnet ist (Nr. 2), und mit dem Eintritt einer neuen Führungsaufsicht (Nr. 3) endet (vgl. Fischer, § 68e StGB Rdnrn. 6, 7). Folgt man dem Wortlaut des § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, ist das Ergebnis eindeutig: Die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung kann nicht mehr widerrufen werden. Denn die Führungsaufsicht ist vorzeitig beendet worden, ohne daß bis zu ihrem Ende der Widerruf ausgesprochen worden ist (§ 67g Abs. 5 StGB). Sie war nicht unbefristet, sondern war von Gesetzes wegen auf die regelmäßige Laufzeit von fünf Jahren bestimmt. Mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils in dem Verfahren, dessen Unterbringung zur Zeit vollstreckt wird, wandelte sich die einstweilige Unterbringung (§ 126a StPO), die keine freiheitsentziehende Maßregel im Sinne des § 68e StGB ist, in eine solche.

b) Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Neuerungen in § 68e StGB nicht alle praktischen Schwierigkeiten bedacht, die sich aus der Umsetzung seiner Absicht ergeben, die Zahl der nebeneinander laufenden Führungsaufsichten auf möglichst nur eine einzige zu begrenzen. So hatte sich die Rechtsprechung mit dem häufigen Fall zu befassen, daß ein Verurteilter im Wege der Anschlußvollstreckung zwei Strafen verbüßte, von denen jede einzelne die Voraussetzungen des § 68f Abs. 1 StGB erfüllte, so daß für zwei Verfahren gleichzeitig die Führungsaufsicht gemäß § 68f Abs. 1 StGB von Gesetzes wegen eintrat. Nach dem Wortlaut des § 68e Abs. 1 Nr. 3 StGB fiel eine Führungsaufsicht nur "nach" dem Eintritt einer neuen weg. Da der Gesetzgeber den geschilderten Fall nicht bedacht und deshalb keine ausdrückliche Vorsorge für ihn getroffen hatte, um seine Absicht durchzusetzen, nur eine einzige Führungsaufsicht laufen zu lassen, hat die Rechtsprechung diesem Willen zum Durchbruch verholfen, indem sie in teleologischer Auslegung die Führungsaufsicht nur für die zuletzt vollstreckte Strafe als eingetreten betrachtet (vgl. OLG Nürnberg, Beschlüsse vom 7. Februar 2008 - 1 Ws 71/08, 1 Ws 72/08 - juris und 4. Februar 2008 - 1 Ws 792/07 -; ihm folgend OLG Bamberg NStZ-RR 2008, 356, 357; Senat, Beschluß vom 10. September 2008 - 2 Ws 129/08 -).

c) Angesichts des einzigen Zwecks der Gesetzesänderung, zur Vermeidung überflüssigen Verwaltungsaufwandes parallel laufende Führungsaufsichten auszuschließen, kann es als äußerst wahrscheinlich angenommen werden, daß es nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag, die nach § 67b Abs. 2 StGB eingetretene Führungsaufsicht vorzeitig zu beenden, obwohl sie - anders als der in den Gesetzesmotiven angeführte "Regelfall der unbefristeten Führungsaufsicht" - die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung einer unbefristeten freiheitsentziehenden Maßregel in sich birgt (vgl. LG Marburg NStZ-RR 2007, 356, 357). Daraus hat das Landgericht Marburg (aaO) den Schluß gezogen, daß der Eintritt einer Führungsaufsicht, die nur Sanktionen nach § 145a StGB nach sich zieht (§ 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB), die nach § 67b Abs. 2 StGB laufende Führungsaufsicht - und damit die Möglichkeit des Widerrufs - unberührt läßt. Denn die Anwendung des Gesetzes auch auf diese Konstellation widerspräche "in eklatanter Weise den Sicherheitsbelangen der Allgemeinheit, wie sie z.B. gerade in § 68e Abs. 1 StGB n.F. dadurch zum Ausdruck kommen, dass eine unbefristete Führungsaufsicht nicht endet, wenn eine neue eintritt" (vgl. LG Marburg aaO; zweifelnd Fischer, § 68e StGB Rdn. 7). Auf diese Entscheidung und ihre Übernahme für den Streitfall im Wege des "Erst-Recht-Schlusses" beruft sich auch die Beschwerdeführerin. Der Senat teilt diese Ansicht nicht.

3. a) Eine teleologische Auslegung mit dem Ziel, dem Willen des Gesetzgebers auch dann möglichst weitgehend zum Durchbruch zu verhelfen, wenn er im Gesetzeswortlaut nur unvollkommen wiedergegeben ist, kann vor der Verfassung nur dann bestehen, wenn sie mit dem Wortlaut vereinbar ist und nicht in eine zum Nachteil des gesetzesunterworfenen Bürgers im Strafrecht verbotene Analogie umschlägt (vgl. BVerfGE 64, 389 = NJW 1984, 225; NStZ 2009, 83; NStZ 2007, 1666; Fischer, § 1 StGB Rdn. 10 mit zahlr. weit. Nachw.). Dieses Verbot gilt auch für Maßregeln (vgl. OLG Karlsruhe MDR 1991, 892) und Nebenfolgen (vgl. BGHSt 18, 136, 139f.). In dem oben unter II. 2. b) geschilderten Fall war eine nicht eng am Wortlaut haftende Auslegung deshalb möglich, weil sie zugunsten des Verurteilten wirkt: eine der beiden Führungsaufsichten entfällt.

b) Im Streitfall ist das anders. Der Gesetzgeber hat beabsichtigt, unbefristete Führungsaufsichten bestehen und nur befristete entfallen zu lassen, wenn der Vollzug einer Maßregel, einer Freiheitsstrafe mit gleichzeitig angeordneter Maßregel oder eine neue Führungsaufsicht begonnen haben. Daß es befristete Führungsaufsichten gibt, während deren Laufs der Widerruf der Aussetzung einer unbefristeten Maßregel möglich ist, hat er erkennbar nicht bedacht.

Der von ihm in § 68e Abs. 1 Satz 1 StGB gewählte Wortlaut hingegen ist eindeutig. Nur dann, wenn die Führungsaufsicht unbefristet ist, entfällt sie nicht beim Eintritt der in Nrn. 1-3 genannte Ereignisse. Eine dahingehende Auslegung, daß das wegen der dahinterstehenden unbefristeten Maßregel auch für die Führungsaufsicht nach § 67b Abs. 2 StGB gelten soll, gibt der Wortlaut nicht her. Die Führungsaufsicht ist eine den Verurteilten belastende Maßnahme, die im Dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils des StGB im Sechsten Titel "Freiheitsentziehende Maßregeln" eingeordnet ist. Über ihren Eintritt ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1 Satz 3 StPO der Verurteilte mündlich zu hören. Der Widerruf der Aussetzung der Unterbringung ist eine außerordentlich schwerwiegende Entscheidung (vgl. Rissing-van Saan/ Peglau in LK, § 67g StGB Rdn. 2).

Für beide Rechtsinstitute gilt das Analogieverbot. Eine den Wortlaut über die Grenze seines - durch Ermittlung der möglichen begrifflichen Bedeutungen festzustellenden - Sinns hinaus überdehnende Auslegung darf das Gericht auch dann nicht vornehmen, wenn es meint, dadurch dem Willen des Gesetzgebers, den Sicherheitsbedürfnissen der Allgemeinheit (vgl. LG Marburg aaO) oder etwa gar dem Bedürfnis der Gefangenen, einer Weihnachtsamnestie in größerem als dem von den Ministerien zugestandenen Umfang teilhaftig zu werden (vgl. OLG Celle StraFO 2008, 262; Schmitz StV 2007, 608) besser Rechnung zu tragen. Der Bundesgerichtshof (BGHSt 18, 136, 139, 140) hat dies wie folgt formuliert: "Zwar ist im Strafrecht die entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften nicht vollständig und in jeder Richtung ausgeschlossen. Der in § 2 Abs. 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II 685, 953; 1954 II 14) niedergelegte Grundsatz der strengen Gesetzmäßigkeit der Strafrechtspflege verbietet es aber, wirkliche oder vermeintliche Lücken des Gesetzes, soweit es sich um Strafbegründung oder Strafschärfung handelt, im Wege entsprechender Rechts- oder Gesetzesanwendung zu schließen. Der Satz "keine Strafe ohne Gesetz" mit dem daraus abgeleiteten Analogieverbot zum Nachteil des Angeklagten bildet für den Richter eine streng zu wahrende Schranke, die er auch aus Erwägungen nicht durchbrechen darf, die an sich sachgerecht sein mögen. ... Das Analogieverbot trifft im übrigen aus rechtsstaatlichen Gründen auch sichernde Maßnahmen und andere Nebenfolgen, die keinen Strafcharakter haben."

So liegt es hier. Die Formulierung "soweit sie nicht unbefristet ist, endet die Führungsaufsicht ..." läßt sich nicht ohne Überschreitung des Wortlauts dahin auslegen, daß darunter auch eine befristete Führungsaufsicht fällt, die eine unbefristete Maßregel nach sich zieht; denn die grammatische Verbindung zwischen den Worten "sie" und "Führungsaufsicht" ist festgefügt und der Auslegung nicht zugänglich.

c) Die von der Beschwerdeführerin für das Zusammenspiel des § 67g Abs. 1 und 5 mit § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB (und vom Landgericht Marburg für Nr. 3) im wohlverstandenen Sinne der Sicherheitsbelange der Allgemeinheit vertretene Lösung läßt sich nur erreichen, wenn der Gesetzgeber sein Versäumnis erkennt, es als solches bewertet und die Vorschriften entsprechend anpaßt.

Da die Führungsaufsicht von Gesetzes wegen erledigt worden ist, bevor der Widerruf ausgesprochen werden konnte, ist die aus § 67g Abs. 5 StGB zwingend hervorgehende Rechtsfolge hinzunehmen, daß die Aussetzung der Unterbringung im hiesigen Verfahren nicht mehr widerrufen werden kann.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil kein anderer dafür haftet. Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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