Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.07.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 362/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 143
Ein Rechtsanwalt gibt Anlaß zur Sorge, er werde die Verteidigung nicht mehr sachgerecht führen, wenn er gegenüber dem Beschuldigten eines Sicherungsverfahrens zunächst ankündigt, er werde die Revision ungeachtet bestehender Auffassungsgegensätze noch begründen, kurz vor dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist aber mitteilt, er werde dies unterlassen.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 362/08 1 AR 1089/08

In dem Sicherungsverfahren

wegen Körperverletzung u.a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 24. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluß des Vorsitzenden der Strafkammer 1 des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 2008 aufgehoben.

Die Bestellung von Rechtsanwalt K wird zurückgenommen.

Die Sache wird zur weiteren Entscheidung über den Antrag des Beschuldigten auf Bestellung eines neuen Verteidigers an das Landgericht zurückgegeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

I.

Gegen den Beschuldigten wurde im Sicherungsverfahren durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. März 2008 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen hat der beigeordnete Verteidiger Rechtsanwalt K. für den Beschuldigten rechtzeitig Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 29. Mai 2008 ab, ohne daß eine Begründung einging.

Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2008 - Eingang bei Gericht am 30. Mai 2008 - beantragte der Verteidiger die Aufhebung seiner Beiordnung. Schon zu Beginn der Hauptverhandlung am 19. Februar 2008 hatte er einen Entpflichtungsantrag gestellt. Diesen hatte der Kammervorsitzende am selben Tage abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Verteidiger habe zwar erklärt, nach einem Schreiben des Beschuldigten, mit dem dieser die Verteidigertätigkeit kritisch dargestellt hatte, habe er - der Verteidiger - erstmal "kein Lust mehr gehabt", sich zu "Dienst nach Vorschrift" entschlossen und deshalb vor der Hauptverhandlung die Akten mit dem Beschuldigten nicht mehr weiter besprochen. Darin liege aber ein einmaliges und kein schwerwiegendes Versäumnis, das die Entpflichtung rechtfertige.

Zur Begründung seines erneuten Antrags verwies Rechtsanwalt K. auf seine Korrespondenz mit dem Beschuldigten nach der Hauptverhandlung. Darin hatten der Beschuldigte, der seit vielen Jahren an einer chronifizierten, unkorrigierbaren wahnhaften Störung mit Beziehungs- und Beeinträchtigungsideen leidet, die "Mandatsniederlegung" und der Verteidiger die "Mandatskündigung" ausgesprochen. Mit Schreiben vom 19. Mai 2008 hatte der Beschuldigte dem Verteidiger ausdrücklich "verboten", im Revisionsverfahren noch "in irgendeiner Weise (Revisionsbegründung o.ä.") tätig zu werden; er habe für das Revisionsverfahren bereits einen anderen Rechtsanwalt beauftragt. Zugleich mit seinem Entpflichtungsantrag beantragte Rechtsanwalt K., die Frist für die Begründung der Revision um einen Monat nach der Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers zu verlängern. Eine Begründung der Revision durch ihn werde nicht erfolgen, da er nicht gegen den eindeutigen Willen seines Mandanten handele. Mit Schreiben vom 15. Mai 2008 an den Beschuldigten hatte Rechtsanwalt K. indessen noch angekündigt, ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten und "Mandatskündigung" werde er die Revisionsbegründung vornehmen; um Weiteres als die Begründung der Revision werde er sich allerdings nicht mehr kümmern.

Mit dem angefochtenen Beschluß lehnte der Vorsitzende der Strafkammer die Aufhebung der Beiordnung und Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers ab.

Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde, die er zugleich an das Landgericht und das Kammergericht richtete. Zur Begründung verweist er darauf, daß seiner Auffassung nach das Hauptverfahren nicht hätte eröffnet werden dürfen; die Gutachterin sei befangen gewesen, und die Richter hätten vorsätzlich das Recht gebrochen. Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und die Tatsache, daß Rechtsanwalt K. ihn - den Beschuldigten - erst zwei Tage vor Ablauf der Frist in Kenntnis gesetzt habe, daß er die Begründung nicht mehr fertigen werde, belegten ein schuldhaftes Verhalten des Verteidigers. Der angefochtene Beschluß sei - ebenso wie das vorangegangen Urteil - "Müll".

II.

Die zulässige Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) des Beschuldigten hat Erfolg.

Es ist anerkannt, daß über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist (vgl. Laufhütte in KK-StPO 5. Aufl., § 143 Rdn. 45). Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238, 244 f.; KG JR 1982, 349). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen Beschuldigtem und Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt (vgl. BGH NStZ 1993, 600, 601; BGHR StPO § 142 I Auswahl 2). Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muß mit konkreten Tatsachen belegt werden (vgl. BGHR a.a.O.; vgl. zu diesen Grundsätzen insgesamt Senat, Beschluß vom 26. März 1997 - (5) 1 Ss 57/97 (16/97) -, JURIS). Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, daß die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 143 Rdn. 5).

Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Entpflichtung von Rechtsanwalt K. ungeachtet der Tatsache, daß er vom Beschuldigten ausgewählt worden war und demgemäß der Maßstab für die Prüfung der Entpflichtungsgründe strenger ist (vgl. OLG Hamm StV 2007, 291, 292 m.w.N.), aufgrund einer ernsthaften Störung des Vertrauensverhältnisses vor.

Grundlage der Beanstandungen des Beschuldigten sind nicht allein Meinungsverschiedenheiten über die Verteidigungsstrategie. Es sind vielmehr Verhaltensweisen des Verteidigers festzustellen, die auch bei einem verständigen Beschuldigten Grund zu der Sorge geben können, der Verteidiger sei zu einer sachgerechten Verteidigung nicht (mehr) bereit. Rechtsanwalt K. hat schon das Schreiben des Beschuldigten vom 6. Februar 2008 nach seinen Erklärungen vom 19. Februar 2008 zum Anlaß genommen, seine Verteidigungsbemühungen vorübergehend einzustellen. Dieses Schreiben des Beschuldigten war weder seinem Inhalt noch seiner Form nach geeignet, eine solche Reaktion auszulösen. Ein Pflichtverteidigers muß grundsätzlich in der Lage sein, auch weniger sachliche Erklärungen eines rechtsunkundigen Beschuldigten - zumal, wenn dieser ersichtlich psychisch schwer krank ist - hinzunehmen. Der Beschuldigte hatte in dem Schreiben im wesentlichen seine eigenen Aktivitäten gegenüber dem Gericht nach Erhalt der Antragsschrift geschildert und sich darüber beklagt, daß der Verteidiger seinerseits weder mit ihm über die Vorgehensweise gesprochen, noch sich dem Gericht gegenüber geäußert habe. Die Frage: "Für was arbeiten Sie eigentlich?" und die Erklärung des Beschuldigten, er betrachte die (vermeintliche) Untätigkeit als "eklatanten Vertrauensbruch" sowie die Ankündigung, er "prüfe die Entlassung" des Verteidigers, boten keine ernstlichen Gründe für den ersten Entpflichtungsantrag. Ob die Erklärungen von Rechtsanwalt K. im Hauptverhandlungstermin vom 19. Februar 2008 ernst gemeint waren, kann dahin stehen. Maßgeblich ist, daß schon seine damaligen Äußerungen bei einem vernünftigen Betrachter die Besorgnis wecken konnten, eine sachgerechte Verteidigung sei gefährdet.

Zu diesem Verhalten ist zwischenzeitlich ein weiteres, gewichtiges hinzugekommen, das bei dem Beschuldigten die Annahme begründen kann, Rechtsanwalt K. sei nicht mehr bereit, ihm ein geeigneter Beistand zu sein. Entgegen seiner Ankündigung, ungeachtet der bestehenden Auffassungsgegensätze die Revision noch zu begründen, hat der Verteidiger dies unterlassen. Der zeitliche Ablauf führte dazu, daß dem Beschuldigten jede Möglichkeit genommen war, darauf noch zu reagieren. Die in dem zeitlichen Ablauf begründete Problematik war Rechtsanwalt K. ersichtlich auch bewußt. Denn andernfalls hätte er nicht den - nach der Rechsprechung (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner, § 345 StPO Rdn. 2) zur Erfolglosigkeit verurteilten - Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist gestellt. Der Verteidiger kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, es liege ihm fern, gegen den erklärten Willen des Beschuldigten zu handeln. Denn es ist in Rechnung zu stellen, daß der Beschuldigte psychisch schwer krank ist und nicht zuletzt auch deshalb im gerichtlichen Verfahren professioneller, von emotionalen Regungen möglichst unbeeinflußter fachlicher Unterstützung bedarf. Die Art seiner Erkrankung läßt es hierbei umso verständlicher erscheinen, daß von ihm solcherart Vorwürfe geäußert werden, wie vorliegend geschehen.

Eine Fallgestaltung, in der sich der Verteidiger nach eigenverantwortlicher Prüfung weigert, eine vom Beschuldigten eingelegte, offensichtlich aussichtslose Revision zu begründen, liegt nicht vor. Vielmehr geht auch Rechtsanwalt K. weiterhin davon aus, daß die eingelegte Revision begründet werden soll. Ein neuer Verteidiger hat sich für den Beschuldigten entgegen dessen Ankündigung - aus Sicht des Senats vorhersehbar - nicht gemeldet. Nach allem teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, die Störung des Vertrauensverhältnisses sei allein in der psychischen Erkrankung des Beschuldigten begründet, nicht. Der Kammervorsitzende wird über die erforderliche Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers erneut zu entscheiden haben.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil sonst niemand dafür haftet.

Ende der Entscheidung

Zurück