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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.11.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 595/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 143
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 1 AR 1690/08 - 2 Ws 595/08

In der Strafsache

wegen Verbreitung pornografischer Schriften

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 24. November 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Anordnung des Vorsitzenden der Strafkammer 81 des Landgerichts Berlin vom 10. November 2008 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten am 19. August 2005 wegen Verbreitung pornografischer Schriften in drei Fällen, davon in einem Fall durch unaufgefordertes Gelangenlassen solcher Schriften in den Besitz eines Anderen, in den anderen Fällen durch tateinheitliches Besitzverschaffen und Besitz solcher Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Auf seine Berufung hob das Landgericht Berlin dieses Urteil auf und verurteilte den Angeklagten am 11. Juni 2007 wegen Verbreitung pornografischer Schriften in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten; im übrigen sprach es ihn frei. Auf seine Revision hob der Senat - unter Verwerfung im übrigen - das Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf und wies die Sache insoweit an das Landgericht zurück, das zur Zeit die Hauptverhandlung in Gegenwart des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt F-------- durchführt.

Vor Rechtsanwalt F--------- war dem Angeklagten der Rechtsanwalt L----- als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Verfügung vom 16. Oktober 2006 gab das Gericht dem Antrag des Angeklagten statt, diesen Rechtsanwalt wegen der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zu entpflichten und ihm "einen erfahrenen Strafverteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen", woraufhin es Rechtsanwalt F---------- auswählte und bestellte.

Mit der angefochtenen Anordnung hat das Landgericht den Antrag des Angeklagten abgelehnt, nunmehr Rechtsanwalt F-------- zu entpflichten und statt seiner die Rechtsanwältin F------- S---- beizuordnen. Die Beschwerde (§ 304 StPO) des Angeklagten, die durch § 305 StPO nicht ausgeschlossen ist, ist unbegründet.

Es ist zwar anerkannt, daß über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist (vgl. Laufhütte in KK-StPO 6. Aufl., § 143 Rdn. 45). Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238, 244 f.; KG JR 1982, 349). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen Angeklagtem und Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt (vgl. BGH NStZ 1993, 600, 601; BGHR StPO § 142 I Auswahl 2; Laufhütte in KK, § 143 StPO Rdn. 5). Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muß mit konkreten Tatsachen belegt werden (vgl. BGHR aaO.; vgl. zu diesen Grundsätzen insgesamt Senat, Beschluß vom 26. März 1997 - (5) 1 Ss 57/97 (16/97) -, Juris).

Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, daß die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Angeklagten aus zu beurteilen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 143 Rdn. 5).

Es fehlt bereits an einer substantiierten Darlegung des Beschwerdeführers, daß das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Rechtsanwalt F---------- ernsthaft und rechtlich bedeutsam gestört sei. Sein Vorbringen, ihm sei keine Gelegenheit gegeben worden, einen Verteidiger seines Vertrauens vorzuschlagen, trifft nicht zu. Das Landgericht hat im Jahre 2006 nicht von sich aus die Auswechselung des Pflichtverteidigers betrieben, sondern durch diese Entscheidung einem Antrag des Angeklagten stattgegeben. In diesem fünfseitigen Antrag hatte der Beschwerdeführer genug Gelegenheit, einen Verteidiger seines Vertrauens namentlich zu benennen; davon hat er keinen Gebrauch gemacht. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß das Landgericht Rechtsanwalt F--------- ausgewählt hat, der zweifellos die Anforderung des Beschwerdeführers erfüllt, einen "erfahrenen Strafverteidiger" an seiner Seite gestellt zu erhalten.

Die Vorwürfe gegen Rechtsanwalt F------ sind rechtlich nicht tragfähig. Daß der Rechtsanwalt die Revision nicht in der Weise begründet hat, wie es der Angeklagte für richtig erachtete, entsprach der Rechtslage. Verantwortlich für die Begründung ist allein der Verteidiger, der an Aufträge und Weisungen des Mandanten nicht gebunden ist (vgl. Meyer-Goßner, § 345 StPO Rdn. 16). Die von dem Verteidiger gewählte Form der Begründung entsprach den Formvorschriften des Gesetzes; sie hatte zudem sogar einen Teilerfolg. Den Angeklagten hat er sogar dahin belehrt, daß er denjenigen Revisionsvortrag, den er selbst nicht verantworten mochte, zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts einreichen könne.

Die Auffassung, daß der Pflichtverteidiger durch die Benennung der Rechtsanwältin S---- als Wahlverteidigerin automatisch aus dem Verfahren ausgeschieden sei, trifft nicht zu (vgl. OLG Hamm JMBlNW 1959, 197; Meyer-Goßner, § 143 StPO Rdn. 2). Die Wahl eines Verteidigers in Kenntnis der Mittellosigkeit des Angeklagten zur (weiteren) Bezahlung des Wahlanwalts oder mit dem Ziel, lediglich den bisherigen Pflichtverteidiger zu verdrängen, das Mandat alsdann niederzulegen und selbst die Beiordnung zu beantragen, steht der Aufhebung der Beiordnung entgegen (vgl. KG, Beschluß vom 27. August 2001 - 4 Ws 130/01 - Juris Rdn. 4 und die Nachweise bei Meyer-Goßner aaO). Rechtsanwältin S----- hat dann auch alsbald mit Schriftsatz vom 10. Juni 2008 das Mandat niedergelegt.

Welche - bis zur erneuten Berufungsverhandlung konkret erforderlichen - Tätigkeiten der Pflichtverteidiger unterlassen haben soll, ist nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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