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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.11.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 636/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 636/07 2 Ws 637/07

1 AR 1426/07 1 AR 1436/07

In den Strafsachen

wegen Betruges u. a.

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. November 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 17. August 2007 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

Mit Beschluß vom 24. Oktober 2006, rechtskräftig seit dem 14. November 2006, setzte die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 27. Juli 2001 (H 19 / 120 PLs 1324/00; Reststrafe: 72 Tage) und vom 5. Dezember 2002 (J 19 / 14 Js 518/02; Reststrafe 416 Tage) ab dem 5. November 2006 zur Bewährung aus, bestimmte die Bewährungszeit auf drei Jahre und unterstellte den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers.

Am 26. Oktober 2006 wurde er aufgrund des "Gnadenerweises zu Weihnachten 2006" der Senatsverwaltung für Justiz (vom 25. Juli 2006) aus der Haft entlassen. Soweit hier von Belang lautet er:

"Gefangene, die sich am 1. September 2006 in Strafhaft oder in Untersuchungshaft, die auf die vom Weihnachtsgnadenerweis betroffene Strafe angerechnet worden ist, befunden haben und deren Entlassung in die Zeit vom 25. Oktober 2006 bis 15. Januar 2007 fällt, werden am 24. Oktober 2006 entlassen, sofern folgende Voraussetzungen gegeben sind:

Der Gefangene muss mit der vorzeitigen Entlassung einverstanden sein. Unterkunft und Lebensunterhalt des Gefangenen müssen sichergestellt sein.

Der Weihnachtsgnadenerweis gilt auch für Gefangene, die in der Zeit vom 25. Oktober 2006 bis 15. Januar 2007 zu entlassen sind, weil das Gericht die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe (§ 57 StGB) oder der Vollstreckung des Restes eines Strafarrestes (§ 14 a Abs. 2 WStG) angeordnet hat, mit folgender Maßgabe: Den Gefangenen wird für den aufgrund dieser Verfügung nicht zu vollstreckenden Teil der Strafe Strafunterbrechung gewährt. Die Zeit der Strafunterbrechung wird unter der auflösenden Bedingung auf die Strafzeit angerechnet, dass die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung nicht widerrufen wird. ...

Der Teil der Freiheits-, Jugend-, Ersatzfreiheitsstrafe oder des Strafarrestes, der in den Zeitraum vom 25. Oktober 2006 bis 15. Januar 2007 gefallen wäre und der von dem Gefangenen infolge dieses Gnadenerweises nicht verbüßt wird, gilt mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Strafunterbrechung gewährt wird, als erlassen. ...

Der vom Abgeordnetenhaus von Berlin gewählte Gnadenausschuss ist in der Sitzung vom 12. Juli 2006 gehört worden und hat einem Gnadenerweis in diesem Rahmen zugestimmt."

Mit der angefochtenen Entscheidung vom 17. August 2007 stellte die Strafvollstreckungskammer fest, daß der Verurteilte nicht der Bewährungsaufsicht des Gerichts untersteht. Sie ist der Auffassung, er sei aufgrund eines individuellen Gnadenerweises der Senatsverwaltung für Justiz am 26. Oktober 2006 "auf Bewährung entlassen" worden; die Senatsverwaltung sei folglich (gemäß § 15 Abs. 1 GnO) auch für die Bewährungsüberwachung zuständig. Der Beschluß der Strafvollstreckungskammer sei dadurch überholt und gegenstandslos. Denn ein Gefangener, der bereits durch Gnadenerweis der Senatsverwaltung für Justiz "auf Bewährung entlassen" worden sei, könne nicht noch einmal aufgrund der (gleichlautenden) Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer (vom 24. Oktober 2006) entlassen werden, die nie ausgeführt worden seien.

Die dagegen gerichtete Beschwerde (§ 453 Abs. 2 Satz 1 StPO) der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die angefochtene Entscheidung verkennt die Abläufe ebenso wie den Regelungsgehalt der anzuwendenden Vorschriften und schafft ihrerseits begriffliche Verwirrung.

a) Zunächst ist festzustellen, daß die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer mit denen die Reststrafen zur Bewährung ausgesetzt wurden, Bestand haben, durch die gnadenweise vorzeitige Entlassung weder überholt noch gegenstandslos, sondern von dem Verurteilten zu beachten sind (vgl. Senat, Beschluß vom 6. April 2001 - 5 Ws 31-32/01 -). Abgesehen von dem generellen Bestand einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung sind die Beschlüsse über die Reststrafenaussetzungen (nach § 57 StGB) gerade die unverzichtbare Voraussetzung dafür, daß eine vorzeitige Entlassung aufgrund des Gnadenerweises überhaupt möglich war. Falsch ist deshalb die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, die Senatsverwaltung für Justiz "mag den gerichtlichen Beschluß als Anlaß für eine Gnadenerwägung genommen haben".

Die fortbestehende Geltung der Reststrafenaussetzungsbeschlüsse ergibt sich zunächst daraus, daß der Entlassungszeitpunkt andernfalls nicht in die Zeit vom 25. Oktober 2006 bis 15. Januar 2007 gefallen wäre und zweifelsfrei auch aus dessen (eingangs zitierter) Regelung, daß der Gnadenerweis auch für Gefangene gilt, die in der Zeit vom 25. Oktober 2006 bis 15. Januar 2007 (deshalb) zu entlassen sind, weil das Gericht die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe (§ 57 StGB) angeordnet hat. Den Fortbestand der gerichtlichen Entscheidung über die Reststrafenaussetzungen sieht schließlich eindeutig auch die in diesem Passus genannte Maßgabe voraus, wonach die Zeit der Strafunterbrechung (hier also vom 26. Oktober 2006 bis zum 5. November 2006, dem in den Beschlüssen genannten Entlassungstag) unter der auflösenden Bedingung auf die Strafzeit angerechnet wird, daß die bewilligte Strafaussetzung nicht widerrufen wird. Der Strafvollstreckungskammer ist allerdings zuzugeben, daß dieser Teil der Regelung sprachlich - wohl, wie so oft, aufgrund der doppelten Verneinung - verunglückt ist. Der von der Strafvollstreckungskammer angeführte Beschluß des Senats vom 21. Dezember 2006 - 5 Ws 690/06 - betrifft keinen ähnlich gelagerten Fall und gibt deshalb für ihre Argumentation nichts her. Denn dort ging es nur um die - verneinte - Frage, ob auch bei vorzeitiger Entlassung im Gnadenwege noch von vollständiger Vollstreckung der Strafe (im Sinne von § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB) auszugehen ist.

b) Der Gnadenerweis hat jedenfalls auf den Bestand der Beschlüsse vom 24. Oktober 2006 keinerlei weitergehende Auswirkung als die, daß der dort vorgesehene Entlassungszeitpunkt (5. November 2006) auf den 26. Oktober 2006 vorverlegt worden ist. Im übrigen läuft - wie üblich - ab dem Datum der Rechtskraft jener Beschlüsse die Bewährungszeit, und ein Widerruf ist möglich, sollte der Verurteilte in deren Verlauf (§§ 57 Abs. 5 Satz 1, 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder ab dem Beschlußdatum bis zur Rechtskraft (§§ 57 Abs. 5 Satz 1, 56 f Abs. 1 Satz 2 StGB) eine widerrufsbegründende Straftat begehen oder sonstigen Anlaß (etwa durch einen Weisungsverstoß) für den Widerruf geben. Dies zu überwachen, obliegt der Strafvollstreckungskammer.

Denn entgegen ihrer Auffassung hat nicht die Senatsverwaltung für Justiz durch eine individuelle Gnadenentscheidung die Restfreiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt - nur dann obläge ihr die Überwachung (§ 15 Abs. 1 GnO) -, sondern die Strafvollstreckungskammer durch ihre Beschlüsse vom 24. Oktober 2006.

Begrifflich verwirrend und falsch ist deshalb auch die Formulierung in dem angefochtenen Beschluß, die Senatsverwaltung für Justiz habe den Verurteilten "auf Bewährung entlassen". Etwas Derartiges gibt es nicht. Die Gnadenentscheidung - soweit hier von Belang - kann unter anderem Strafaufschub oder -unterbrechung, Straf- oder Reststrafenaussetzung gewähren, Auflagen und Weisungen erteilen, Entscheidungen ändern oder widerrufen oder bei bedingungsgemäßem Verlauf die (Rest-) Strafe erlassen.

c) Die "Gnadenerweise zu Weihnachten 2006" hat die Senatsverwaltung für Justiz mit Zustimmung des vom Abgeordnetenhaus gewählten (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Ausschuß in Gnadensachen) Gnadenausschusses im Rahmen ihrer Gnadenkompetenz (§ 2 der Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechtes, zuletzt geändert durch Senatsbeschluß Nr. 1896/04 vom 25. Mai 2004) verfügt. Es handelt sich dabei um einen Sammelgnadenerweis, für dessen Umsetzung dort bestimmte Kriterien sowie (absolute und relative) Ausschlußgründe gelten und in dessen Genuß unterschiedslos alle Gefangenen kommen, die den dortigen Regularien entsprechen. Die Überprüfung, ob dies der Fall ist, hat natürlich im Einzelfall zu erfolgen und zwar bei den absoluten Ausschlußgründen (a) - e) der Gnadenverfügung) durch die Justizvollzugsanstalt, bei den relativen (c) 1. Halbsatz und f) - k)) durch die Senatsverwaltung für Justiz (vgl. Gnadenverfügung vom 25. Juli 2006 Seite 4 Absätze 2 und 3; erläuternde Hinweise der Senatsverwaltung für Justiz (vom 11. August 2008) dazu), der die Gefangenenpersonalakten vorzulegen sind.

Das macht die danach bewilligte bloß vorzeitige Entlassung aber entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer noch nicht zu einer gnadenweisen Reststrafenaussetzung auf Bewährung. Dies auch deshalb nicht, weil der Teil der Strafe, der aufgrund des Sammelgnadenerweises nicht verbüßt wird, als erlassen gilt (vgl. Gnadenerweis Seite 4 Abs. 5), ohne daß der Verurteilte zuvor eine Bewährungszeit durchstehen müßte.

Für die hier gegebene Fallgestaltung gilt zwar Letzteres nicht. Vielmehr wird eine (gemessen an den §§ 455, 455 a StPO untypische) Strafunterbrechung mit der Maßgabe gewährt, daß die Zeit der Unterbrechung im Falle des Bewährungswiderrufes (hier aufgrund der Reststrafenaussetzungsbeschlüsse vom 24. Oktober 2006) nicht auf die Strafzeit angerechnet wird, also - insofern wie bei Unterbrechungen üblich - noch zu verbüßen ist. Daß die Zeit der gnadenweisen vorzeitigen Entlassung andernfalls (faktisch) ebenfalls nicht mehr zu verbüßen ist, macht die Gnadenentscheidung aber auch hier nicht zu einer Reststrafenaussetzung zur Bewährung, sondern verknüpft nur die Anrechnung der "Unterbrechungszeit" mit einer solchen. Diese ist hier allein in den gerichtlichen Beschlüssen vom 24. Oktober 2006 zu sehen.

d) Allerdings war der Gnadenerweis - ohne daß dies für die hier zutreffende Entscheidung von Belang wäre - übereilt und entgegen der dazu ergangenen Verfügung (vom 25. Juli 2006) ausgeführt worden. Denn deren hier maßgeblicher Passus (Seite 2 2. Absatz) ist nur so zu verstehen, daß die gerichtliche Entscheidung der Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe (nach § 57 StGB) rechtskräftig sein muß, um als Grundlage für den Gnadenerweis dienen zu können. Das war sie hier nicht. Die Aussetzungsentscheidungen (vom 24. Oktober 2006) sind vielmehr erst am 14. November 2006 rechtskräftig geworden; dennoch wurde der Verurteilte bereits am 26. Oktober 2006 (aufgrund telefonischer Anordnung vom selben Tage) entlassen. Die Vollstreckungsbehörde ist wohl irrig davon ausgegangen, die Aussetzungsbeschlüsse seien bereits durch den (im Vollstreckungsheft H 19 / 120 PLs 1324/00 niedergelegten) Vermerk des Staatsanwalts vom 26. Oktober 2007 "keine sofortige Beschwerde" rechtskräftig geworden, weil sie diesen als wirksamen Rechtsmittelverzicht ansah. Das trifft indes nicht zu.

Denn der Verzicht muß in der gleichen Form erklärt werden, die für die Einlegung des Rechtsmittels vorgeschrieben ist. Die schriftliche Erklärung, daß kein Rechtsmittel eingelegt werde, erlangte erst dann die Wirkung eines Rechtsmittelverzichts, als sie bei dem Landgericht einging (vgl. Ruß in KK, StPO 4. Aufl. § 302 Rdn. 14), was erst am 30. Oktober 2006 der Fall war. Bis dahin entfaltete der Aktenvermerk keine Außenwirkung. Ein anderer Vertreter der Staatsanwaltschaft, etwa der Abteilungsleiter, hätte entgegen der dort niedergelegten Auffassung des Dezernenten innerhalb der Wochenfrist jederzeit die sofortige Beschwerde einlegen können (vgl. Senat, Beschluß vom 6. April 2001 - 5 Ws 31-32/01 -). Auch hätte der Verurteilte seine Einwilligung bis zur Rechtskraft der Aussetzungsbeschlüsse zurücknehmen können. Ihm wurden diese erst am 6. November 2006 zugestellt, so daß die Rechtskraft zutreffend am dem 14. November 2006 vermerkt wurde.

Die Strafvollstreckungskammer wird im Rahmen der ihr obliegenden Bewährungsüberwachung alsbald zu prüfen haben, ob eine nachträgliche Entscheidung (§ 453 Abs. 1 StPO, § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) zu treffen ist. Denn mit der Anklageschrift vom 1. März 2007 - 3033 PLs 2574/07 Ve - wird dem Verurteilten vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis am 5. Dezember 2006, also in der Bewährungszeit, vorgeworfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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