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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.01.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 772/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f
StGB § 56 f Abs. 1 Nr. 1
StGB § 56 f Abs. 2
StGB § 56 g Abs. 2 Satz 2
StGB § 67 g Abs. 5
StGB § 63
StGB § 68c Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 772/07 1 AR 1755/07

In der Strafsache gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 11. Januar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 11. Oktober 2007 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht Frankfurt/Oder verurteilte den Beschwerdeführer am 18. Juli 1994, rechtskräftig seit demselben Tage, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und ordnete dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. An die Untersuchungshaft vom 16. Februar 1994 bis 17. Juli 1994 schloß sich die sogenannte Organisationshaft an, bis am 2. September 1994 der Maßregelvollzug begann.

Mit Beschluß vom 2. Februar 2000, rechtkräftig seit dem 18. März 2000, setzte die Strafvollstreckungskammer die weitere Vollstreckung der Maßregel und der Restfreiheitsstrafe ab dem 25. Februar 2000 zur Bewährung aus. Die Dauer der Führungsaufsicht und der Bewährungszeit setzte sie auf fünf Jahre fest, unterstellte den Verurteilten für diesen Zeitraum der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers und erteilte ihm folgende Weisungen:

"...

4. Der Untergebrachte wird angewiesen, sich einmal monatlich bei dem Bewährungshelfer in der Weise zu melden, daß er ihn zu der von diesem festgesetzten Terminstunde persönlich aufsucht, ferner hat er der Führungsaufsichtsstelle unverzüglich jeden Wechsel des Arbeitsplatzes und des Wohnsitzes zu melden.

5. Bezüglich der Nachsorge wird der Untergebrachte angewiesen, die zusammen mit seiner Ehefrau durchgeführte Paartherapie in der Praxis D.../K..., ... Straße 11, 10777 Berlin-Wilmersdorf fortzuführen, die regelmäßige Teilnahme monatlich gegenüber dem Bewährungshelfer nachzuweisen und deren Ende schon vorher unverzüglich der Kammer und dem Krankenhaus des Maßregelvollzuges mitzuteilen, damit die nachfolgende Weisung nahtlos greifen kann.

6. Im Anschluß an die Paartherapie hat der Untergebrachte die wöchentlichen Einzelgespräche im Krankenhaus des Maßregelvollzuges wieder aufzunehmen."

In der Bewährungs- und Führungsaufsichtszeit beging der Verurteilte erneut eine Straftat. In Cheb/Tschechien lockte der Verurteilte am 6. März 2004 gegen 21.00 Uhr die am 5. Dezember 1984 geborene Prostituierte D. Z. unter dem Vorwand, ihre sexuellen Dienst akzeptieren zu wollen, in sein Wohnmobil und fuhr mit ihr - entgegen vorheriger Absprache - nicht zu einer Pension, sondern an einen abgelegenen Ort. Als sich die Frau gemäß seinem Wunsch weitgehend ausgezogen hatte, richtete er eine Gaspistole, die sie für eine scharfe Schußwaffe hielt, auf ihr Gesicht, hielt sie fest, zog ihr den Büstenhalter und die Unterhose herunter und vollzog mit ihr - gegen ihren Willen - den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß in ihre Scheide. Nachdem sie sich wieder angezogen hatte, zerrte er sie aus dem Wagen und fuhr davon. Daß Kreisgericht Cheb - 3 T 99/2004 - verurteilte ihn deshalb am 14. April 2006 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, zog die Gaspistole ein und erkannte auf Landesverweisung für unbestimmte Zeit. Die Berufung des Verurteilten verwarf das Bezirksgericht Plzen - 7 To 226/2006 - mit Beschluß vom 15. August 2006 rechtskräftig. Die Freiheitsstrafe (unter Anrechnung des Tages der Festnahme und der Untersuchungshaft vom 7. Mai 2004 bis 15. August 2006) verbüßte der Beschwerdeführer bis 5. Mai 2007 in Tschechien.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer (nur) die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe, nicht hingegen des Maßregelvollzuges widerrufen, weil sie insoweit Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen (des § 67 g Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 StGB) für den Widerruf hatte. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) des Verurteilten hat keinen Erfolg.

I.

Der Senat teilt mit der Generalstaatsanwaltschaft Berlin die jedenfalls bezüglich des Widerrufs der Reststrafenaussetzung zutreffend begründete Auffassung der Strafvollstreckungskammer, daß dieser geboten ist und mildere Mittel nicht ausreichend sind.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat dazu unter anderem ausgeführt:

"1. Die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB für den Widerruf liegen vor. Der Beschwerdeführer ist während der am 18. März 2005 abgelaufenen Bewährungszeit erneut straffällig geworden. Wegen einer am 6. März 2004 begangenen Vergewaltigung hat das Kreisgericht Cheb (Tschechische Republik) durch rechtskräftiges Urteil vom 14. April 2006 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt, die er vollständig bis zum 5. Mai 2007 in der Tschechischen Republik verbüßte. Deren besonderes Gewicht wird schon an dem verhängten Strafmaß deutlich. Dadurch hat der bereits mehrfach wegen Straftaten gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht anderer bestrafte Verurteilte gezeigt, dass sich die der Strafaussetzung zugrunde liegende Erwartung, er werde keine Straftaten mehr begehen, nicht erfüllt hat.

Dass er die neue Tat im Ausland begangen hat, steht ihrer Heranziehung als Widerrufsgrund nicht entgegen. Denn es liegt auf der Hand, dass auch im Ausland begangene Straftaten die bei der Strafaussetzung angenommene günstige Legalprognose erschüttern können (vgl. KG, Beschluss vom 19. Mai 2005 - 5 Ws 109/05 -; Fischer, StGB 55. Aufl., § 56 f Rn. 3). Die Anlasstat wäre im Übrigen auch nach deutschem Recht strafbar (§ 177 StGB).

Der Beschwerdeführer dringt mit seinem Vorbringen, er sei zu Unrecht wegen Vergewaltigung verurteilt worden, nicht durch. Zwar sind die zur Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung berufenen Gerichte nicht an die rechtskräftige Entscheidung des erkennenden Gerichts des Anlassverfahrens gebunden (vgl. OLG Düsseldorf StV 1996, 45, KG NStZ-RR 2005, 94). Demgemäß besteht vorliegend keine Bindung an das genannte Urteil des Kreisgerichts Cheb. Das Widerrufsgericht darf sich aber auf ein rechtskräftiges Urteil stützen und dadurch die Überzeugung von Art und Ausmaß der Schuld des Probanden gewinnen (vgl. OLG Zweibrücken StV 1991, 270). Denn eine rechtskräftige Verurteilung wegen der Anlasstat, der - wie hier - eine Hauptverhandlung mit durchgeführter Beweisaufnahme vorausgegangen ist, verschafft dem Widerrufsgericht grundsätzlich einen so hohen Grad an Verlässlichkeit, dass es seine Überzeugung ohne weiteres allein auf diese Verurteilung zu stützen vermag. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Gründe eines rechtskräftigen Urteils den Schuldspruch nicht tragen, wenn dem Widerrufsgericht aufgrund anderer Beweismittel die Unschuld des Verurteilten bekannt ist, es die Rechtsauffassung des Tatrichters nicht teilt oder wenn sich im Strafbefehlsverfahren dessen typische, mit seinem summarischen Charakter zusammenhängende Risiken für die Ermittlung des wahren Sachverhalts verwirklicht haben (vgl. KG, Beschluss vom 11. Oktober 2004 - 5 Ws 486/04 -). Keine dieser Ausnahmen liegt hier vor.

2. Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der Einwand des Beschwerdeführers, er sei vor dem Widerruf nicht mündlich angehört worden. Denn das Widerrufsverfahren wegen neuer Straftaten ist - anders als dasjenige wegen des Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen (§ 453 Abs. 1 Satz 3 StPO) - ein schriftliches (§ 453 Abs. 1 Satz 1 StPO).

3. Dem Widerruf der Strafaussetzung steht auch nicht entgegen, dass die Bewährungszeit am 17. März 2005 abgelaufen ist. Er ist auch nach Ablauf der Bewährungszeit grundsätzlich zulässig (vgl. BGH NStZ 1998, 586; OLG Hamm NStZ 1998, 478; KG, Beschlüsse vom 1. Februar 2006 - 5 Ws 33/06, 9. November 2005 - 5 Ws 534/05 - und 15. Dezember 2003 - 5 Ws 657/03 -, std. Rspr.; Groß in MünchKomm, StGB § 56 f Rn. 38; Fischer, StGB 55. Aufl., § 56 f Rn. 19). Eine bestimmte Frist, innerhalb derer die Widerrufsentscheidung ergehen muss und nach deren Ablauf der Widerruf unzulässig wäre, gibt es nicht (vgl. KG, Beschluss vom 23. Juni 2006 - 5 Ws 215/06 -, std. Rspr.). Die Frist des § 56 g Abs. 2 Satz 2 StGB ist auf § 56 f StGB nicht anwendbar (vgl. Fischer a.a.O.).

Der Widerruf ist indes nicht unbegrenzt möglich. Er hat zu unterbleiben, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes des Verurteilten eine solche Entscheidung nicht mehr vertretbar ist (vgl. OLG Celle StV 1987, 30; OLG Bremen StV 1986, 165; OLG Hamm StV 1985, 198; KG NJW 2003, 2468, und Beschluss vom 15. August 2001 - 5 Ws 437/01 -, std. Rspr.). Dabei ist nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, das Kriterium. Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte oder ob das Verfahren ungebührlich verschleppt worden ist, so dass der Verurteilte - der im Übrigen auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft berücksichtigen muss (vgl. KG, Beschlüsse vom 12. Juni 2006 - 5 Ws 270-271/06 - und 20. November 2002 - 5 Ws 632/02 -) - nach den Umständen des Einzelfalles mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 253; KG NJW 2003, 2468, und Beschluss vom 9. November 2005 - 5 Ws 534/05 -). Ferner sind Art und Schwere (vgl. OLG Hamm NStZ 1984, 362) sowie Häufigkeit der in der Bewährungszeit begangenen Straftaten (vgl. KG, Beschluss vom 25. April 2001 - 5 Ws 161/01 -) von Bedeutung. Je schwerer und je häufiger der Verurteilte in der Bewährungszeit versagt hat, desto weniger kann sich ein Vertrauen auf den Bestand der Strafaussetzung bilden. Denn um so mehr muss sich bei dem Probanden das Bewusstsein bilden, dass sich lediglich die justizförmige Abwicklung des auf jeden Fall zu erwartenden Widerrufsverfahrens verzögert hat (vgl. KG, Beschluss vom 1. Februar 2006 - 5 Ws 33/06 -).

Im Streitfall konnte sich angesichts der Schwere des Bewährungsversagens kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, dass ein Bewährungswiderruf nicht mehr zu erwarten sei. Da die Tat noch vor Ablauf der Bewährungszeit angeklagt wurde, musste der Beschwerdeführer damit rechnen, dass die Gerichte die neue Straftat zum Anlass nehmen würden, die Strafaussetzung zu widerrufen. Er konnte somit nicht darauf vertrauen, dass der Widerruf unterbleiben würde.

4. Die Verhängung milderer Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB kommt nicht in Betracht. Sie ist nur dann eine angemessene Reaktion auf das erneute Versagen, wenn objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Verurteilte in Zukunft ein straffreies Leben führt (std. Rspr. des KG, vgl. NStZ-RR 2000, 170, und Beschluss vom 26. Mai 2004 - 5 Ws 249/04 -). Die günstige Prognose setzt dabei mehr voraus als den Willen, sich zukünftig straffrei zu führen. Es muss auch die Fähigkeit belegt sein, diesen Willen in die Tat umzusetzen. Diese Befähigung hat sich auf Tatsachen zu stützen; sie darf nicht unterstellt werden (vgl. KG NStZ-RR 2000, 170). Daran fehlt es hier.

Gegen eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Straffreiheit spricht bereits die Vielzahl der gegen den Verurteilten verhängten Strafen. Seit seinem 17. Lebensjahr musste er immer wieder wegen Taten gegen die sexuelle Integrität anderer bestraft werden. Auch die Vollstreckung von Freiheitsstrafe konnte ihn nicht davon abhalten, weiterhin Straftaten zu begehen.

Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer seine Neigung zu sexuellen Übergriffen überwunden hätte, fehlen. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, dass er die Behandlungsweisung zu Nr. 6 des Bewährungsbeschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 2. Februar 2000 in Verbindung mit dem Änderungsbeschluss vom 31. März 2003 nicht mehr befolgt. Soweit er eine psychotherapeutische Behandlung aufgenommen hat, dient diese seinem Vorbringen zufolge allein der Aufarbeitung seiner "psychologischen Belastung, bedingt durch eine zu Unrecht erteilte Gefängnisstrafe in der tschechischen Republik".

Es ist zwar durchaus erfreulich, dass der Beschwerdeführer nach der Entlassung aus tschechischer Haft in Berlin wieder Tritt gefasst hat und ein geregeltes Leben führt. Indes haben ihn die auch zur Zeit der Anlass gebenden Tat günstig gewesenen sozialen Umstände - er lebte mit seiner damaligen Ehefrau zusammen und stand in ungekündigtem Arbeitsverhältnis - nicht davon abhalten können, erneut straffällig zu werden.

Der Widerruf der Strafaussetzung ist nach alledem unumgänglich."

Diese Ausführungen treffen zu.

II.

Der Senat bemerkt ergänzend:

1. Für das weitere Verfahren ist zu beachten, daß die noch ausstehende Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung des Maßregelvollzuges nach dem jetzigen Sachstand bis Mitte März 2008 zu treffen ist. Denn der Widerruf der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung ist nach § 67 g Abs. 5 StGB nur dann (noch) zulässig, wenn dies vor dem Ende der mit der Aussetzung von Gesetzes wegen eingetretenen, hier nicht abgekürzten Dauer der Führungsaufsicht (§ 67 Abs. 2 StGB) geschieht (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1986, 525; OLG Koblenz MDR 1981, 336; Horst-kotte in LK, StGB 10. Aufl., § 67g Rdn. 27; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 67g Rdn. 14; Fischer, StGB 55. Aufl., § 67g Rdn. 11). Erfolgt der Widerruf nicht innerhalb der laufenden Führungsaufsicht, ist die angeordnete Unterbringung erledigt (§ 67g Abs. 5 StGB); ein Widerruf wäre dann mangels bestehender Unterbringungsanordnung nicht mehr möglich. Nach § 68c Abs. 3 Satz 1 StGB beginnt die Führungsaufsicht mit der Rechtskraft ihrer Anordnung, hier also am 18. März 2000. Allerdings wird in ihre Dauer (gemäß § 68c Abs. 3 Satz2 StGB) die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Verurteilte flüchtig ist, sich verborgen hält oder auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird (zu diesen Grundsätzen vgl. Senat, Beschluß vom 24. September 2004 - 5 Ws 477/04 - ). Verwahrung im Sinne dieser Vorschrift ist auch eine solche im Ausland (vgl. BGHSt 24, 62, 63; Hanack in LK, StGB 11. Aufl., § 68 c Rdn. 21).

Die fünfjährige Führungsaufsicht wäre regulär am 17. März 2005 abgelaufen. Nicht einzurechnen ist die Zeit vom 6. Mai 2004 bis zum 5. Mai 2007, in der sich der Verurteilte in Tschechien in Untersuchungs- und Strafhaft befand. Der Zeitpunkt bis zu dem die Entscheidung über den Widerruf der Maßregelaussetzung zu treffen ist, kann sich indes dadurch verschieben, daß der Verurteilte nach dem mit dieser Entscheidung rechtskräftigen Widerruf der Reststrafenaussetzung vor Ablauf der Dauer der Führungsaufsicht in Strafhaft genommen wird.

2. Der Senat teilt zwar grundsätzlich die Auffassung des OLG Hamburg (NStZ-RR 2007, 250), daß die Entscheidung über den Widerruf der Reststrafen- und der Maßregelaussetzung wegen einer neuen (rechtswidrigen) Tat gemeinsam zu treffen sind. Dies ist in der Regel möglich und sachgerecht, aber nicht zwingend und sollte insbesondere bei dem Widerruf der Aussetzung einer Maßregel nach § 63 StGB die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalles nicht ausschließen.

Eine Besonderheit nennt das OLG Hamburg selbst. Die Voraussetzungen für den Widerruf von Straf- und Maßregelaussetzung mögen zwar "im wesentlichen identisch" sein, für den letzteren treten aber auch wegen seiner einschneidenden Wirkung (insbesondere bei einer Unterbringung nach § 63 StGB) weitere Anforderungen hinzu. Für den Widerruf der Strafaussetzung reicht jede Tat von einigem Gewicht aus, unabhängig davon, ob sie mit der früheren kriminologisch, nach Art und Schwere oder ihren Ursachen vergleichbar ist (vgl. Senat, Beschluß vom 21. Februar 2007 - 2/5 Ws 462/06 - mit weit. Nachw.). Der Widerruf der Aussetzung einer Maßregel verlangt hingegen, daß die neue Tat einen symptomatischen Zusammenhang mit der der Anordnung der Maßregel zugrunde liegenden aufweist, also etwa auf dem Zustand (nach §§ 20, 21 StGB) beruht (§ 63 StGB), auf dem Hang, berauschende Mittel zu sich zu nehmen (§ 64 Satz 1 StGB) oder (im Falle des § 66 Abs. 1 StGB) erhebliche Straftaten zu begehen (vgl. OLG Hamburg in juris, Beschluß vom 17. März 2006 - 2 Ws 64/06 - Rdn. 33, insoweit in NStZ-RR nicht abgedruckt; Senat, StV 1997, 315, 316 und Beschluß vom 19. September 2003 - 5 Ws 490/03 -; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 67 g Rdn. 4; jeweils mit weit. Nachw.).

Auch sind im Hinblick auf die potentiell lebenslange Dauer der Unterbringung nach § 63 StGB erhöhte Anforderungen an die Sachaufklärung zu stellen, sei es bei der Entscheidung für die Fortdauer der Unterbringung (vgl. BVerfG NJW 1995, 3048, 3049; Senat, Beschluß vom 2. Oktober 2003 - 5 Ws 460/03 -), oder bei dem Widerruf ihrer Aussetzung.

Solche Umstände können eine getrennte Entscheidung rechtfertigen, wie sie die Strafvollstreckungskammer hier getroffen hat. Sie hatte zwar - zu Recht - bezüglich des Widerrufs der Reststrafenaussetzung keine Zweifel an seiner Berechtigung und Notwendigkeit, wohl aber bezüglich des Widerrufs der Maßregelaussetzung. Ob diese Zweifel angesichts der regelmäßig lebensbegleitenden Pädophilie sowohl in der Neben- wie in der Hauptströmung (vgl. Senat, Beschluß vom 19. Januar 2006 - 5 Ws 442/05 -), der Ähnlichkeit der Tatausführung gegen eine "eher kleine Frau", eine 19jährige Prostituierte und der Erklärung des Verurteilten (in seinem Schreiben vom 13. Juni 2004), er sei "extra zu einer Nutte gegangen, um nicht wieder in eine so schreckliche Situation zu kommen" berechtigt sind, unterliegt nicht der Beurteilung des Senats.

3. Anders als in dem der Entscheidung des OLG Hamburg (a.a.O.) zugrunde liegenden Sachverhalt ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hier nicht unvollständig und damit fehlerhaft, weil sie (versehentlich) nicht über den Widerruf auch der Maßregelaussetzung entschieden und in ihrem Beschluß dazu nichts angeführt hätte. Die Strafvollstreckungskammer hat diese Entscheidung vielmehr ausdrücklich zurückgestellt, ihre Zweifel begründet und die Einholung eines Gutachtens für erforderlich gehalten. Unter diesen Umständen war es auch angesichts des engen zeitlichen Rahmens für die Erstellung des Gutachtens und die Entscheidung über den Widerruf der Maßregelaussetzung vertretbar und sachgerecht, zunächst die Reststrafenaussetzung zu widerrufen. Anders als in dem vom OLG Hamburg (a.a.O.) entschiedenen Fall kann deshalb Gegenstand des Rechtsmittels des Verurteilten nur der Widerruf der Strafaussetzung sein. Das OLG Hamburg führt zu Recht aus, daß der Gegenstand der Beschwerde durch denjenigen der vorinstanzlichen Entscheidung bestimmt wird. Daß der Verurteilte sich auch gegen die Zurückstellung des Widerrufs der Maßregelaussetzung bis zur Erstattung eines Gutachtens wenden könnte, ist nach seinem Beschwerdevorbringen auszuschließen. Nach Eingang des Gutachtens wird angesichts dieser Besonderheit eine mündliche Anhörung des Verurteilten im Beistand seines Verteidigers erfolgen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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