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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: 22 U 234/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 287
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 529
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 2
Zum Beweiswert der Ergebnisse einer funktionalen MRT-Untersuchung.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 22 U 234/04

verkündet am : 02. März 2006

hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Ubaczek und die Richterinnen am Kammergericht Meising und Schulz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. August 2004 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 24 O 229/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 89 % und die Beklagte zu 11 % zu tragen.

Die Kosten der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme werden der Klägerin auferlegt.

Die übrigen Kosten der Berufungsinstanz haben die Klägerin zu 91 % und die Beklagte zu 9 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht aufgrund eines von der Tochter des Versicherungsnehmers der Beklagten verschuldeten Verkehrsunfalls am 29. Dezember 2000 Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend:

Schmerzensgeld 2.556,46 EUR (5.000 DM)

Verdienstausfall vom 1.2.01 bis 20.4.02 5.866,29 EUR

sonstiger Schadensersatz, insgesamt 621,03 EUR

Ferner begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis zu ersetzen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Wnnnn vom 30. April 2003 und eines orthopädisches Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Pnn vom 17. November 2003 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. Juni 2004 (Bl. 210 Bd. I d.A.) die Beklagte zur Zahlung von 1.621,03 EUR (1.000 EUR Schmerzensgeld, 621,03 EUR Schadensersatz) verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Das Landgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Klägerin bei einer erwiesenen Geschwindigkeitsänderung von 7 km/h durch den Unfall eine HWS-Distorsion I. Grades erlitten habe und dass sie wie in dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Pnn dargestellt in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei.

Gegen das Urteil des Landgerichts haben - jeweils im Umfang ihrer Beschwer - die Klägerin Berufung und die Beklagte Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte hat ihre Anschlussberufung, mit welcher sie geltend gemacht hat, dass die Klägerin entgegen der Auffassung des Landgerichts angesichts einer erwiesenen Geschwindigkeitsänderung von 7 km/h nicht den erforderlichen Vollbeweis für eine unfallbedingte Verletzung geführt habe, mit Schriftsatz vom 19. September 2005 zurückgenommen (Bl. 46 Bd. II d.A.).

Die Klägerin trägt zu ihrer Berufung u.a. vor:

Das Landgericht habe sich nicht einmal ansatzweise mit den übrigen Beschwerden (Verspannungen, Kopfschmerzen, Schmerzausstrahlung in den Nackenbereich, Schwindelgefühl, Sehstörungen, Tinnitus, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Antriebslosigkeit), unter denen sie - die Klägerin - unfallbedingt immer noch leide, und die zu ihrer bis heute andauernden Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, auseinandergesetzt. Denn insbesondere sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Klägerin vor dem Verkehrsunfall zu keinem Zeitpunkt wegen irgendwelcher Beschwerden an der Halswirbelsäule in ihrer Arbeitsfähigkeit auch nur eingeschränkt gewesen sei und zuletzt eine Vollhauswartstelle innegehabt habe.

Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Pnn sei nicht ausreichend.

Die Feststellung des Sachverständigen, dass die ihm seinerzeit vorliegenden, angefertigten Röntgenbilder und MRTs zu keinem Zeitpunkt einen Nachweis traumatischer Schädigungen zeigten, möge zwar zutreffen, sei aber gleichwohl objektiv unrichtig.

Die Klägerin habe sich einer neuen, seit etwa 1998 existierenden Untersuchungsmethode, die der Röntgenabbildung und der statischen Magnetresonanztomographieuntersuchung (MRT) weit überlegen sei, unterzogen.

Mit diesem Funktions-Kernspin -Tomographen könnten die Patienten - anders als bei der herkömmlichen MRT-Untersuchung - bewegt werden. Bestimmte Läsionen der Kopfgelenksbänder würden erst in Flexions- bzw. Extensionsstellung wirksam und könnten deshalb erst oder besonders in MRT-Funktionsaufnahmen sichtbar gemacht werden.

Diese von dem Spezialisten Dr. Vnn praktizierte MRT-Funktionsuntersuchung zum Nachweis von Instabilitäten im Funktionsverhalten des Kopf-Gelenkverbandes am offenen Kernspin-Tomographen, habe auch zu einem auf den streitgegenständlichen Verkehrsunfall zurückzuführenden Befund geführt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht von Dr. Vnn vom 1. Oktober 2005 (Bl. 27 Bd. II d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat u.a. vorgetragen:

Der erst in der 2. Instanz ergänzte Sachvortrag der Klägerin sei nicht zuzulassen. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar und nicht substanziiert vorgetragen worden, inwiefern es sich um "eine neue Methode der bildlichen Darstellung" handele und warum sie dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Pnn nicht bekannt gewesen sein solle.

Die in dem ärztlichen Schreiben von Dr. Vnn enthaltenen Behauptungen zu einem kausalen Zusammenhang zwischen den Instabilitätszeichen und dem Unfallgeschehen vor vier Jahren träfen nicht zu und seien nicht nachvollziehbar, da Gewebeschädigungen auch auf ausschließlich degenerativen Veränderungen beruhen könnten.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 1. September 2005 (Bl. 43 Bd. II d.A.) eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Pnn eingeholt.

Der Sachverständige ist gebeten worden, sich zu dem Befundbericht von Dr. Vnn vom 1. Oktober 2004 und zu der von ihm angewandten Untersuchungsmethode unter Einbeziehung ihrer Einschätzung in der medizinischen Fachwelt zu äußern. Ferner ist der Sachverständige gebeten worden, sich dazu zu äußern, ob durch diese Untersuchungsmethode auch mit Sicherheit festgestellt werden könne, dass die bei der Klägerin festgestellte Kopfgelenksinstabilität eine traumatische Ursache habe oder lediglich eine Folge von Verschleißerscheinungen sei.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Oktober 2005 ist der Sachverständige Prof. Pnn zu dem Ergebnis gekommen, dass mit der von Dr. Vnn praktizierten Untersuchungsmethode nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, ob ein Kopfgelenksinstabilität oder eine traumatische Ursache den bei der Klägerin gefundenen morphologischen Veränderungen zugrunde liege. Wegen der Einzelheiten wird auf die ergänzende Stellungnahme von Prof. Pnn vom 4. Oktober 2005 (Bl. 47 bis 52 Bd. II d.A.) Bezug genommen.

Im Übrigen wird von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 5 EGZPO) abgesehen.

II.

A.

Die Berufung der Klägerin, über die nach Rücknahme der Anschlussberufung durch die Beklagte nur noch zu entscheiden ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat über den vom Landgericht zuerkannten Betrag (1.000 EUR Schmerzensgeld, 621,03 EUR Schadensersatz für Fahrtkosten, Rezeptgebühren etc., vgl. Aufstellung auf Seiten 17 19 des Schriftsatzes vom 25. April 2002, Bl. 17 - 19 Bd. I d.A.) hinaus keine weiteren Ansprüche (Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 1.556,46 EUR, Verdienstausfall für die Zeit vom 1. Februar 2001 bis 20. April 2003 in Höhe von 5.866,29 EUR) aus dem Verkehrsunfall vom 29. Dezember 2000; auch der Feststellungsantrag ist unbegründet.

1.

Die Klägerin hat durch den Unfall am 29. November 2000 eine HWS-Distorsion I. Grades erlitten. Die hierdurch ausgelösten Symptome haben wie in dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Pnn vom 17. November 2003 auf Seite 28 dargestellt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in folgendem Umfang begründet: 29. November 2000 bis 31. Januar 2001 60 %

1. Februar 2001 bis 29. Mai 2001 20 %

30. Mai 2001 bis 28. November 2001 10%

Somit war die Klägerin zu Beginn des Zeitraums, für den sie Verdienstausfall geltend macht, bereits wieder arbeitsfähig, denn eine MdE von 20 % kann kompensiert, d.h. durch angepasstes Verhalten ausgeglichen werden.

Soweit die Klägerin geltend macht, sie leide noch heute unter Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Druckgefühl im Kopf, Tinnitus, Kopfschmerzen, Verspannungen, Schmerzen im Nackenbereich, eingeschränkter HWS-Beweglichkeit, Antriebslosigkeit, leichter Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen, sind diese Beeinträchtigungen und Beschwerden nicht als unfallbedingt anzusehen.

2.

Nach dem überzeugenden Gutachten des dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als kompetenten Sachverständigen bekannten Prof. Pnn vom 17. November 2003 ist davon auszugehen, dass die Klägerin infolge der durch den Verkehrsunfall erlittenen HWS-Distorsion I. Grades ein Jahr lang unter (nachlassenden) Beschwerden gelitten hat, die aber zweifellos danach noch vorhandenen subjektiven Beeinträchtigungen aus klinischer Sicht nicht mehr auf den Unfall zurückgeführt werden können.

Der Sachverständige Dr. Pnn hat überzeugend ausgeführt, dass trotz der degenerativen Vorschädigungen im Halswirbelbereich, welche zu einer erhöhten Verletzbarkeit und auch zu einen längeren Heilungsverlauf als normalerweise führen (Seite 27 des Gutachtens vom 17. November 2003), die Ursache für die Beschwerden, die auch noch nach mehr als einem Jahr vorhanden waren, woanders gesucht werden müsse.

In diesem Zusammenhang weist er auf die "erhebliche psychischen Problematik" (Seite 26 3. Absatz) und auf die erheblichen degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule hin, die auf den vorliegenden MRTs und Röntgenbildern erkennbar seien. In den letzten Röntgenbildern vom 31. März 2003 finde sich "bereits eine degenerativ bedingte Aufhebung des normalen Profils der Halswirbelsäule mit nach vorn gerichteter Konvexität insofern, als dass es zu einer Umkehrung des Schwingungsverhaltens und zur Ausbildung einer so genannten Kyphose (Konvexitiät nach hinten) infolge der Gefügeveränderungen kommt" (Seite 28).

3.

a.

Die von der Klägerin geklagten Beschwerden sind nicht auf eine unfallbedingte psychische Erkrankung etwa in Form einer somatoformen Schmerzstörung mit Depression zurückzuführen. Die Klägerin macht eine derartige Unfallfolge selbst nicht geltend; vielmehr hat sie unter Vorlage des Privatgutachtens von Dr. Znn vom 12. März 2004 (Bl. 188 Bd. I d.A.) vorgetragen, dass ihre Beschwerden Folgen einer Beschleunigungsverletzung sind, die unter der Bezeichnung "posttraumatisches Cervicocephales Syndrom" zusammengefasst werden. Insoweit hat die Klägerin in der Berufungsinstanz auch noch den Befundbericht von Dr. Mnnn -Pnn Mnnn -Knnnn vom 2. November 2004 (Bl. 28 Bd. II d.A.) eingereicht, welcher feststellt, dass bei der Klägerin eine peripherzentrale Gleichgewichtsstörung vorliege. Es bestehe eine Hirnfunktionsstörung, wobei das Beschwerdebild insgesamt dem posttraumatischen cervicoenzephalen Syndrom entspreche. Der Privatgutachter Dr. Znn , kommt in seinem Gutachten, dessen Inhalt sich die Klägerin ausdrücklich zu Eigen gemacht hat, zu folgendem Ergebnissen:

- Die Klägerin hat durch den Unfall eine HWS-Distorsion I. Grades erlitten

- Die Klägerin war zwei Jahre lang behandlungsbedürftig

- Unfallbedingt leidet die Klägerin immer noch unter vor allem vegetativer Symptomatik

"Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit über die Zeit von zwei Jahren hinaus ist nicht höher als 10 % einzustufen. Eine Beeinträchtigung in Zukunft wird wie oben dargestellt zu erwarten sein. Sie wird sich kontinuierlich bessern."

b.

Die sich aus der Darstellung unter a. ergebende Behauptung der Klägerin, dass sich bei ihr infolge des Unfalls ein posttraumatisches Cervicocephales Syndrom eingestellt habe, welches über einen Zeitraum von zwei Jahren behandlungsbedürftig gewesen sei, ist jedoch nicht erwiesen. Das Parteigutachten von Dr. Znn bietet keine geeignete Grundlage für eine derartige Annahme:

Auf Seite 8 des Gutachtens von Dr. Znn heißt es, es sei "durchaus denkbar, dass die Untersuchte ausgeprägte vegetative Probleme als Folge der HWS-Beschleunigungsverletzung derzeit durchmacht". Er berichtet sodann, dass "Störungen im Kopfgelenksbereich häufig mit den oben beschriebenen Symptomen eines Cervicocephalen Syndroms (also Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen,etc. Seite 11) einhergingen" (Seite 10). Anschließend führt er aus, dass Erkrankungen und Störungen des Kopfgelenksapparates mit Hilfe der von J. DVORAK entwickelten Methode der funktionellen Computertomographie nachgewiesen werden können (Seite 10).

Ohne erkennbare Begründung äußert er dann auf Seite 11 unten die Vermutung "es ist durchaus denkbar, dass diese Dinge bei der Untersuchten vorgelegen haben, vielleicht jetzt noch zeitweilig vorliegen und diese durch die unvollständige Verarbeitung der erlittenen Verletzungen und vor allem durch die sehr zögernde und langwierige Therapie verstärkt empfunden werden."

Dr. Pnn beanstandet hier in seiner bereits vom Landgericht eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 23. Juni 2006 (Bl. 210 Bd. I d.A.) zu Recht, dass der Gutachter Znn keinen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfall hergestellt habe: es erfolge "an keiner Stelle eine Begründung der folgenden Einschätzung an den konkreten, nach dem Unfall dokumentierten Befunden" (Seite 6 der Stellungnahme).

Vielmehr ist dem Gutachten von Dr. Znn lediglich zu entnehmen, dass er die Möglichkeit in den Raum stellt, dass bei der Klägerin eine Störung des Kopfgelenksapparates vorliegt, weil bei ihr die dazu "passenden" Beschwerden - Cervicocephales Syndrom - vorliegen. Allerdings wird ein Zusammenhang mit dem Unfall in keiner Weise dargelegt. Hinzu kommt, dass in dem Zeitpunkt, als Dr. Znn das Gutachten vom 12. März 2004 erstellt hat, eine Störung des Kopfgelenksapparates bei der Klägerin noch nicht nachgewiesen war, so dass die Schlussfolgerung von Dr. Znn hinsichtlich einer unfallbedingten Behandlungsbedürftigkeit und der unfallbedingten Dauer der MdE sozusagen "im leeren Raum schwebt."

4.

In der Berufungsinstanz trägt die Klägerin unter Vorlage des Befundes von Dr. Vnn vom 1. Oktober 2004 vor, dass bei ihr eine "Instabilität im Funktionsverhalten des Kopf-Gelenkverbandes" vorhanden ist, diese durch die von Dr. Vnn praktizierte MRT-Funktionsuntersuchung nachgewiesen worden sei, und dass diese Instabilität auf das Unfallgeschehen am 29. November 2000 zurückzuführen sei. Damit handele es sich bei den Beschwerden der Klägerin um das durch die Störung des Kopfgelenksapparates hervorgerufene "Cervicocephale Syndrom".

Die Klägerin schließt mit diesem Vortrag zwar die Lücke, die in dem Privatgutachten von Dr. Znn noch vorhanden gewesen ist. Allerdings ist es der Klägerin nicht gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass der von Dr. Vnn feststellte Befund auf den streitgegenständlichen Verkehrsunfall zurückzuführen ist.

a.

Die Klägerin ist mit dem neuen Vortrag nicht nach den §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

Der Umstand, dass sie erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht von den Untersuchungsmethoden von Dr. Vnn erfahren hat, kann nicht als eine zu ihren Lasten gehende Fahrlässigkeit angesehen werden.

Zwar ist dem Senat, welcher geschäftsplanmäßig seit Jahren mit Verkehrsunfallsachen befasst ist, Dr. Vnn aus einer Reihe von Verfahren bekannt, weil sich klagende Verkehrsunfallgeschädigte auf ihn und seine Untersuchungsmethode berufen haben. Es kann aber nicht erwartet werden, dass die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigte als Nichtmediziner über derartige "Insider-Kenntnisse" verfügen, zumal - worauf noch einzugehen wird - die Auffassung von Dr. Vnn , mit Hilfe seiner Untersuchungsmethode ließen sich jahrelang zurückliegende traumatische Verletzungen nachweisen und einem bestimmten Unfallereignis zuordnen, in der medizinischen Fachwelt - zumindest derzeit - eine Außenseiterposition einnimmt.

b.

Ob über die Primärverletzung (hier: HWS-Distorsion I. Grades) hinaus der Unfall vom 29. November 2000 auch für die jetzt noch geklagten Beschwerden der Klägerin ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich nach § 287 ZPO beurteilt. Bei der Ermittlung dieses Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden unterliegt der Tatrichter also nicht den strengen Anforderungen des § 286 ZPO. Im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Richters gestellt. Hier genügt, je nach Lage des Einzelfalles, eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung (vgl. BGH NJW 2003, 1116 unter Hinweis auf die ausführliche Darstellung in BGH VersR 1970, 924).

Allerdings hat die Klägerin auch unter Zugrundelegung dieses Haftungsmaßstabes nicht nachweisen können, dass die von Dr. Vnn festgestellte Instabilität im Funktionsverhalten des Kopfgelenksverbandes auf den Verkehrsunfall vom 29. November 2000 zurückzuführen ist.

c.

Unter Zugrundelegung der vom Senat eingeholten überzeugenden ergänzenden Stellungnahme von Prof. Pnn vom 4. Oktober 2004, in welcher sich dieser mit den Untersuchungsmethoden von Dr. Vnn auseinandergesetzt hat, ist davon auszugehen, dass bei der Klägerin zwar eine Kopfgelenksinstabilität vorhanden ist, jedoch mit der von Dr. Vnn praktizierten funktionellen MRT-Untersuchung nicht nachgewiesen werden kann, ob die Veränderungen degenerativ bedingt oder traumatischen Ursprungs sind. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die vier Jahre nach dem streitgegenständlichen Unfall festgestellte Kopfgelenksinstabilität auf eben diesem traumatischen Ereignis beruht.

Unstreitig waren bei der Klägerin schon vor dem Unfall degenerative Veränderungen, die bis dahin allerdings noch nicht zu nennenswerten Beschwerden geführt hatten, vorhanden.

Aber selbst wenn man unterstellt, dass der Kopfgelenksinstabilität auch eine traumatische Ursache zugrunde liegt und dieses mit der funktionellen MRT-Untersuchung auch nachweisbar wäre, wäre der Nachweis der Ursächlichkeit zwischen dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall und den geklagten Beschwerden der Klägerin nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erbracht. Denn jeder Mensch ist bereits im ganz normalen Alltagsleben biomechanischen Kräften ausgesetzt, die der hier bei dem streitgegenständlichen Unfall vorhandenen niedrigen Geschwindigkeitsänderung entsprechen bzw. darüber hinausgehen.

d.

Dr. Vnn hat nach dem von der Klägerin eingereichten Befundbericht vom 1. Oktober 2004 dort näher beschriebene posttraumatische Instabilitätszeichen im Funktionsverhalten des Kopfgelenkverbandes festgestellt und insoweit geäußert, dass als Ursache ("einwandfreier kausaler Zusammenhang!") nur das Unfallgeschehen vom 29. November 2000 in Frage komme. Es sei eine Gelenkkapselpathologie mit narbigen Gewebekonturen vorhanden, die als Folge einer "Dens-Kapsel-Bursa-Traumaverletzung mit dem Zeichen einer Ruptur der synovialen Dens-Kapsel-Bursa bewertet wird."

Nach den Feststellungen von Prof. Pnn ist eine derartige Schlussfolgerung in Bezug auf die Kausalität zwischen Instabilität und dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall jedoch nicht begründet:

Dr. Vnn sei ein "zweifellos renommierter Radiologe mit tief greifender Kenntnis in der Bewertung MR-tomographischer Bilder." Seine Beschreibungen der Veränderungen im MRT seien nachvollziehbar, nicht hingegen die Schlussfolgerung hinsichtlich der Entstehung der pathologischen Veränderungen.

Vier Jahre nach einem Unfallmechanismus könnten morphologische Veränderungen in keiner Weise auf ein bestimmtes Trauma zurückgeführt werden.

Aus heutiger medizinischer Sicht sei bei akuten Verletzungen der Halswirbelsäule die zusammenfassende Bewertung von MRT und radiologischen Funktionsaufnahmen sinnvoll.

Von Bedeutung bei der Beurteilungen von Bandverletzungen der Halswirbelsäule seien "zweifellos auch die dynamischen Untersuchungen", wie Dr. Vnn sie anwende. Hier können Instabilitäten nachgewiesen werden, welche zuvor im MRT nicht nachweisbar waren.

Das Hauptproblem der funktionellen MRT-Untersuchung (neben anderen) sei aber, dass eine Unterscheidung zwischen traumatischen Veränderungen und degenerativen Erscheinungen "nach übereinstimmenden Angaben aller Autoren nicht möglich ist."

e.

Der Senat hat keinen Anlass, von dieser Einschätzung des Sachverständigen Prof. Pnn , abzuweichen. Prof. Pnn ist von dem Senat in einer Reihe von Fällen mit der Erstellung von Gutachten beauftragt worden; er ist u.a. dadurch positiv aufgefallen, dass seine Feststellungen dem jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und er etwaigen neuen Erkenntnissen offen und vorurteilsfrei gegenübersteht. Auch die ergänzende Stellungnahme vom 4. Oktober 2005 spiegelt diese Haltung wider.

Aus Sicht des Senats ist die Annahme, dass morphologische Veränderungen noch Jahre nach einem derart geringfügigen Unfallereignis auf ein bestimmtes Trauma zurückgeführt werden können, jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht plausibel. Auch in dem Befundbericht von Dr. Vnn vom 1. Oktober 2004 gibt es keinen Hinweis darauf, aufgrund welcher Feststellungen dieser zu der von ihm als gesichert dargestellten Erkenntnis gekommen ist, dass für die beschriebenen Instabilitätszeichen im Funktionsverhalten des Kopfgelenkverbandes nur das Unfallgeschehen vom 29. November 2000 ursächlich sein könne.

f.

Die in dem Schriftsatz vom 15. Dezember 2005 geäußerten Einwendungen der Klägerin gegen die ergänzende Stellungnahme von Prof. Pnn sind nicht geeignet, den Senat zu einer anderen Einschätzung zu veranlassen:

Die Klägerin macht geltend, die Auffassung von Prof. Pnn , dass morphologische Veränderungen vier Jahre nach einem Unfall in keiner Weise auf ein bestimmtes Trauma zurückgeführt werden können, gebe nicht den aktuellen Forschungsstand wieder, denn nach den Feststellungen einer australischen Arbeitsgruppe seien solche Feststellungen bis zu fünfzehn Jahren möglich.

Zum einen ist auch dieser Behauptung nicht zu entnehmen, auf welche Weise die Zuordnung einer morphologischen Veränderung zu einem Jahre zurückliegenden Trauma möglich sein soll, insbesondere wenn das betreffende Trauma derart geringfügig ist, dass es auch durch ein Alltagsgeschehen ausgelöst worden sein könnte und zudem auch die ernsthafte Möglichkeit einer nur degenerativ bedingten Veränderung besteht.

Aber auch wenn man unterstellt, dass die erwähnte australische Forschungsgruppe der Auffassung ist, dass sie eine derartige Zuordnung vornehmen könne, wäre das für den Senat kein Anlass, sich dieser Auffassung, die von dem ganz überwiegenden Teil der medizinischen Fachwelt als nicht zutreffend angesehen wird, anzuschließen, so dass auch das insoweit angebotene Sachverständigengutachten nicht einzuholen war.

Der Senat hat sich aufgrund der Darstellung der Klägerin in der Berufungsinstanz veranlasst gesehen, sich mit der Untersuchungsmethode von Dr. Vnn und der von ihm und einer Reihe von anderen Medizinern vertretenen Auffassung auseinanderzusetzen. Um zu einer eigenen Einschätzung zu gelangen hat der Senat eine sachverständige Stellungnahme eingeholt und ist so zu der Auffassung gelangt, dass es nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Forschung nicht möglich ist, eine bei einer funktionellen MRT festgestellte morphologische Veränderung einem bestimmten, jahrelang zurückliegenden Trauma zuzuordnen.

Die Klägerin macht ferner geltend, dass die von Prof. Pnn erwähnte Studie von Tnn , die die funktionelle MRT-Untersuchung als potentiell unsicher und nicht kosteneffektiv bewertet habe, von einer schweizerischen Versicherungsgruppe finanziert worden sei, die naturgemäß kein Interesse an der Zulassung dieser Untersuchungsmethode gehabt habe.

Auch dem Senat ist bewusst, dass die teilweise unterschiedlichen Interessen von Krankenversicherungen auf der einen und Ärzten und Pharmaindustrie auf der anderen Seite durchaus Einfluss darauf haben können, ob z.B. eine bestimmte Untersuchungsmethode als erforderlich bzw. nützlich angesehen wird. Allerdings kann aus diesem Umstand nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Untersuchungsergebnis von Tnn auf Manipulationen beruht. Im Übrigen hat Prof. Pnn (Seite 4 des Gutachtens) Dr. Tnn und seine Einschätzung neben einer Reihe von anderen Autoren auch nur beispielhaft erwähnt.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass die funktionelle MRT-Untersuchung anderen Methoden überlegen sei und Instabilitäten zeige, die in einem normalen MRT nicht nachweisbar seien, kann ihr zugestimmt werden. Auch der Sachverständige Prof. Pnn hat ausgeführt, dass diese Untersuchung gute diagnostische Möglichkeiten biete (vgl. Seite 3 des Gutachtens). Allerdings ist sie - wie bereits ausgeführt - eben nicht in der Lage, die konkrete Ursache der Instabilität mit hinreichender Sicherheit aufzuzeigen.

Soweit die Klägerin unter Beweisantritt geltend macht, Dr. Vnn sei - wie andere Spezialisten - aufgrund seiner Erfahrung in der Lage bei einer funktionellen MRT-Aufnahme, "zwischen Narben und degenerativen Erscheinungen zu unterscheiden" (Seiten 3, 4 des Schriftsatzes vom 15. Dezember 2005, Bl. 67, 68 Bd. II d.A.), kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Der Senat geht davon aus, dass Dr. Vnn seine Einschätzung aus dem Befundbericht vom 1. Oktober 2004 und bei einer Vernehmung bestätigen und auch die Auffassung vertreten würde, dass mit der funktionellen MRT-Untersuchung eine Unterscheidung zwischen traumatisch und degenerativ bedingten Instabilitäten möglich sei. Die sich im vorliegenden Rechtsstreit stellende Frage ist allerdings, ob das nach dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand tatsächlich auch der Fall ist. Diese Frage ist - wie bereits ausgeführt - zu verneinen. Die von der Klägerin begehrte Vernehmung von Dr. Vnn als sachverständigen Zeugen war daher entbehrlich.

B.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären waren, sondern die Entscheidung auf einer Tatsachenwürdigung im Einzelfall beruht und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 96, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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