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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: 22 U 267/04
Rechtsgebiete: ZPO, LBG, PflVG, StVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 391
ZPO § 402
ZPO § 412
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 2
LBG § 52
PflVG § 3
StVG § 7
StVG § 17 a. F.
BGB § 823 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 22 U 267/04

verkündet am: 16. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 16.11.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Ubaczek und die Richterinnen am Kammergericht Schulz und Meising

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 11. Oktober 2004 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 24 O 154/02 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat der Senat gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO) abgesehen.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.

Dem Kläger stehen die als Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 18. August 1999 geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz von fortgezahlten Bezügen und Kosten für ärztliche Behandlungen aus gemäß § 52 LBG übergegangenem Recht der beiden Polizeibeamten Mnn Mnnnn und Fnn Snnn gemäß § 3 PflVG in Verbindung mit §§ 7, 17 StVG a. F. bzw. § 823 Abs. 1 BGB gegen den Beklagten nicht zu.

Der Kläger hat den ihm gemäß § 286 ZPO obliegenden Beweis für seine Behauptung, die beiden Beamten hätten bei dem Verkehrsunfall eine HWS-Distorsion als Primärverletzung erlitten, die ihre Dienstunfähigkeit und die Entstehung von Kosten für ihre ärztliche Behandlung zur Folge gehabt habe, nicht zur Überzeugung des Senats geführt.

Zutreffend hat bereits das Landgericht angenommen, dass hier zugunsten des Klägers nicht der Beweis des ersten Anscheins dafür streitet, dass die beiden Polizeibeamten bei dem Auffahrunfall Verletzungen der Halswirbelsäule erlitten haben. Ein Anscheinsbeweis kommt nur zum Tragen, wenn ein Sachverhalt feststeht, bei dem nach der Lebenserfahrung typischerweise auf einen bestimmten Geschehensablauf oder eine bestimmte Ursache geschlossen werden kann. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn nach dem zur Frage der Geschwindigkeitsänderung des Polizeifahrzeuges überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dnnnn vom 27. August 2003, das insoweit vom Kläger mit der Berufung auch nicht angegriffen wird und dem sich der Senat insoweit anschließt, beträgt die anhand der Auswertung des in dem Polizeifahrzeug befindlichen Unfalldatenschreibers ermittelte, durch den Anstoß verursachte Geschwindigkeitsänderung des Polizeifahrzeuges aufgerundet lediglich 7 km/h. Bei einer derart geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von weniger als 15 km/h ist die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer durch den Aufprall hervorgerufenen Verletzung der Halswirbelsäule jedoch allenfalls sehr gering, so dass hier nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts kein Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der Unfall eine HWS-Verletzung hervorgerufen hat (vgl. etwa nur KG Urteil vom 21.10.1999 - 12 U 8303/95 - KGR Berlin 2000, 81 und NJW 2000, 877; KG Urteil vom 27.02.2003 - 12 U 8408/00 - KGR Berlin 2003, 156 und NZV 2003, 281 m. zahlreichen w. N).

Soweit der Kläger allgemein gegen die Annahme, der Anstoß sei nur schwach gewesen, einwendet, auch die Zeugin Ann als Fahrerin des auffahrenden Fahrzeuges habe über Schmerzen geklagt und zwar über Kopfschmerzen und Schmerzen in der rechten Hand, lässt dies keinen Rückschluss auf die Belastung der beiden Beamten in dem Polizeifahrzeug zu. Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dnnnn kann die Geschwindigkeitsänderung des auffahrenden Fahrzeuges erheblich von der Geschwindigkeitsänderung des gestoßenen Fahrzeuges abweichen. Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige als Geschwindigkeitsänderung des auffahrenden VW Passat gerundet 13 km/h ermittelt. Auch war die Zeugin Ann als Auffahrende ganz anders gearteten Belastungen ausgesetzt als die Polizeibeamten. Es fehlt daher hier an einer Vergleichbarkeit.

Der Kläger hat auch den ihm danach obliegenden Vollbeweis für unfallbedingte HWS-Ver-letzungen der beiden Polizeibeamten nicht geführt. Nach dem überzeugenden Gutachten des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Pnn vom 14. August 2004 und seiner vom Senat eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 03. Januar 2006, denen sich der Senat anschließt, können aus medizinischer Sicht keine für einen Vollbeweis ausreichenden Feststellungen dahin getroffen werden, dass die beiden Polizeibeamten, wie der Kläger behauptet, infolge des Unfalls eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten haben. Das gilt, obwohl die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Gerichts keine absolute Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erfordert, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. BGH Urteil vom 28.01.2003 - VI ZR 139/02 - NJW 2003, 1116 ff m. w. N.).

Der Sachverständigen Prof. Dr. Pnn hat überzeugend ausgeführt, dass bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 7 km/h bei wirbelsäulengesunden Personen, wie den beiden hier in Frage stehenden Polizeibeamten, nach der gesamten medizinischen Literatur die Entstehung einer Halswirbelsäulendistorsion normalerweise nicht denkbar ist. Der Sachverständige hat allerdings ergänzend ausgeführt, dass bei der Beurteilung nicht allein auf die Geschwindigkeitsdifferenz abgestellt werden kann, sondern alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Dabei hat der Sachverständige entsprechend der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 28. Januar 2003 - VI ZR 139/02 = NJW 2003, 1116 ff) auch bei einer unter 7 km/h liegenden Geschwindigkeitsänderung die Entstehung einer Distorsion der Halswirbelsäule in besonderen Fällen für möglich gehalten, etwa beim Vorliegen von hier unstreitig nicht vorhandenen Vorschädigungen und/oder hier ebenfalls nicht ersichtlichen besonderen Umständen, wie z. B. fehlenden Kopfstützen.

Bei seiner Beurteilung des hier vorliegenden Falles hat der Sachverständige dementsprechend nicht nur den Unfallverlauf und die durch den Unfall hervorgerufene geringe Geschwindigkeitsänderung des Polizeifahrzeuges berücksichtigt, sondern er hat nach eingehender eigener Untersuchung der beiden Polizeibeamten vor allem auch die klinischen Befunde, den dokumentierten Verlauf nach dem Unfallgeschehen sowie die Ergebnisse der Bild gebenden Verfahren und sonstigen objektiven ärztlichen Untersuchungsbefunde ausgiebig gewürdigt. Er hat insbesondere auch ausgeführt, dass hier bei keinem der beiden Polizeibeamten trotz umfangreicher Diagnostik irgendeine pathologische strukturelle Schädigung gefunden worden ist, mit Ausnahme der bei beiden vorliegenden Steilstellung der Halswirbelsäule, bei der es sich im Wesentlichen um einen pathologischen Spannungszustand der die Halswirbelsäule umgebenden Muskulatur handelt. Der Sachverständige hat dazu weiter überzeugend ausgeführt, dass solche Steilstellungen nicht nur Folge eines Unfallgeschehens sein können, sondern weit überwiegend - in der Normalbevölkerung bis zu 40% - Folge von Einwirkungen aus dem privaten oder beruflichen Alltag sind und daher ein höchst unspezifisches Zeichen. Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen ist auch durch eine Ausschaltung von psychischen und physischen Noxen, welche einen erhöhten Muskeltonus fördern (wie z.B. durch eine Arbeitsunfähigkeitsschreibung) ein Rückgang einer Steilstellung zu erwarten, so dass ein hier bei beiden Polizeibeamten dokumentierter Rückgang der Steilstellung allein kein Beweis für eine Verursachung der Steilstellung durch ein stattgehabtes Trauma ist.

Der Sachverständige hat bei seiner Würdigung auch die Erkenntnisse der sogenannten manuellen Medizin herangezogen und festgestellt, dass selbst danach eine Feststellung entsprechend den Behauptungen des Klägers, die beiden Polizeibeamten hätten unfallbedingt eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten, nicht getroffen werden kann. In der manuellen Medizin werde eine unfallbedingte Veränderung des Tonus (Spannungszustandes) der die Halswirbelsäule umgebenden unterschiedlichen Muskelgruppen diskutiert. Eine solche Quantifizierung des Muskelstatus finde sich jedoch in keinem der hier vorliegenden klinischen Befunde. Vielmehr sei hier jeweils nur ein einzelner Muskel dokumentiert verändert gewesen und zudem seitendifferent, was bei der hier gerade von hinten einwirkenden Kraft nicht als unfallbedingt zu erklären sei.

Unter diesen Umständen fehlt es entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht nicht an einer Gesamtbetrachtung des Sachverständigen. Vielmehr reichen die feststehenden bzw. vom Sachverständigen feststellbaren Umstände bei der gebotenen umfassenden Würdigung zum Beweis für die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, die beiden Polizeibeamten hätten unfallbedingt eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten, nicht aus.

Soweit der Kläger anführt, es könne nicht sein, dass sich die Polizeibeamten grundlos wiederholt in ärztliche Behandlung begeben hätten, gibt es einen entsprechenden Erfahrungssatz nicht. Auch kann aus dem Umstand der Krankschreibung der beiden Polizeibeamten und der gestellten Diagnosen keine Schlussfolgerung auf eine tatsächliche unfallbedingte Erkrankung gezogen werden, zumal ein behandelnder Arzt schon vom Ansatz her nicht gehalten ist, die von einem Patienten angegebenen Beschwerden und die angegebenen konkreten Ursachen besonders kritisch zu hinterfragen. Deshalb kann insgesamt der Schlussfolgerung des Klägers, bereits der Umstand, dass sich die beiden Polizeibeamten nach dem Unfall wegen beklagter Beschwerden an der Halswirbelsäule in ärztliche Behandlung begeben hätten und krankgeschrieben worden seien, zeige, dass sie tatsächlich infolge des Unfalls erkrankt gewesen seien, nicht ohne weitere, hier gerade nicht feststellbare Anhaltspunkte für eine tatsächliche Erkrankung gefolgt werden. Soweit sich der Kläger auf das Zeugnis der beiden Polizeibeamten bezieht, ist dieses Zeugnis zum Beweis für die behauptete Diagnose mangels eigener Fachkunde der beiden Polizeibeamten kein geeignetes Beweismittel.

Soweit der Kläger die Ausführungen des Sachverständigen beanstandet, vielfach würden nach Verkehrsunfällen beklagte Beschwerden auf Einstellungen und Erwartungen beruhen, dürfte die Richtigkeit dieser Ausführungen allgemein bekannt sein. Sie führt gerade dazu, dass in Streitfällen der vorliegenden Art umfangreiche Beweisaufnahmen allgemein für erforderlich erachtet werden. Soweit der Sachverständige Befunde von mit der Untersuchung der beiden Polizeibeamten befassten Medizinern wiedergibt, handelt es sich, wie aus dem Gutachten deutlich wird, entgegen der offenbar vom Kläger vertretenen Ansicht, nicht um eigene Befunde des Sachverständigen. Auch im Übrigen hat das Gericht an der Fachkunde des Sachverständigen für das hier zu beurteilende Krankheitsbild und der Sorgfalt, mit der der Sachverständige Prof. Dr. Pnn das gerichtliche Gutachten erstattet hat, keinerlei Zweifel. Das Gutachten weist auch nach Auffassung des Senats entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht keine Unvollständigkeiten und Widersprüche auf und die vom Gutachter angegebenen Zitate sind so vollständig angegeben, dass sie, sofern der Kläger insoweit Zweifel hat, vom Kläger notfalls mit fachkundiger Hilfe ohne weiteres nachgeprüft werden könnten. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass für die Einholung eines erneuten Gutachtens gemäß § 412 ZPO.

Von einer Beeidigung des Sachverständigen, deren Notwendigkeit sich in Anbetracht der Vorschrift des § 402 ZPO nach § 391 ZPO beurteilt (vgl. BGH NJW 1998, 3355/3356 m. w. N.), hat der Senat trotz eines entsprechenden Einwandes des Klägers abgesehen, weil er sie nicht für geboten erachtet. Hier steht weder eine subjektiv unzutreffende Begutachtung durch den Sachverständigen in Frage noch ist die Begünstigung einer der Parteien durch den Sachverständigen zu besorgen (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 410 Rdn. 1), der den Sachverhalt erkennbar auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse neutral und nach bestem Wissen beurteilt hat.

Auch soweit das Landgericht die Ansprüche wegen der Kosten der Atteste und Behandlungskosten abgewiesen hat, ist die Berufung zurückzuweisen. Der Senat teilt nicht die in der Entscheidung des 12. Zivilsenats des Kammergerichts in seinem Urteil vom 27. Februar 2003 - 12 U 8408/00 - , a.a.O., vertretene Auffassung, nach der dem gerade nicht Verletzten aufgrund der ärztlichen Diagnose ein Anspruch auf Ersatz seiner materiellen Schäden und Fahrtkosten zu Ärzten u.s.w. zustehen soll. Denn die Ersatzpflicht setzt eine Körper- oder Gesundheitsverletzung voraus. Ansprüche auf Ersatz von Kosten für eine ärztliche Behandlung und für Atteste sind daher von der Haftung für eine Körper- oder Gesundheitsverletzung abhängig (so auch OLG Hamm, Urteil vom 23.06.2003 - 6 U 99/02), die hier gerade nicht zur Überzeugung des Senats bewiesen worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären waren, sondern lediglich eine Würdigung von Tatsachen vorzunehmen war, und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 7 EGZPO).

Ende der Entscheidung

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