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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 04.08.2008
Aktenzeichen: 22 W 55/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 567 Abs. 1
ZPO § 568
1. Im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens ist die Vorwegnahme der Würdigung einer Beweisaufnahme in begrenztem Umfang zulässig.

2. Für die erstmalige gerichtliche Vernehmung von Zeugen gilt dies regelmäßig nicht.

3. Beweiswürdigung im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 22 W 55/08

04. August 2008

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Ubaczek als Einzelrichter am 4. August 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 22. Mai 2008 - 17 O 51/08 - geändert:

Der Antragstellerin wird für die beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin wegen des Unfalls vom 25. Juni 2004, gegen 13.20 Uhr, Ganghoferstraße in 12043 Berlin, Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt O , beigeordnet.

Raten sind nicht zu entrichten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wurde am 25. Juni 2004 bei dem Versuch, die Ganghoferstraße zu überqueren, von einem bei der Antragsgegnerin versicherten Kraftfahrzeug erfasst und verletzt. Mit der Behauptung, der Unfall habe sich im Bereich des mit einer Lichtzeichenanlage versehenen Fußgängerüberweges ereignet, den sie bei für sie grünem Wechsellicht betreten habe, beabsichtigt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin auf Ersatz der ihr entstandenen Schäden in Anspruch zu nehmen.

Zum Beweis für den von ihr behaupteten Hergang des Geschehens hat sie sich auf die Vernehmung von vier Zeugen berufen; die Antragsgegnerin hat gegenbeweislich zwei weitere Zeugen zum Unfallhergang benannt.

Mit Rücksicht auf die im Rahmen der Unfallermittlung durch die Polizei eingeholten schriftlichen Erklärungen sowie der im Rahmen des gegen den Fahrer des bei der Antragsgegnerin versicherten Fahrzeugs geführten Ermittlungsverfahrens von der Polizei protokollierten Anhörungen der wechselseitig benannten Zeugen hat das Landgericht Berlin (Einzelrichter) den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe der Antragstellerin mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg.

Gegen diesen, ihr am 29. Mai 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der am Montag, den 30. Juni 2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die nach § 568 ZPO durch den Einzelrichter zu entscheidende sofortige Beschwerde ist nach § 567 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 127 Abs. 2, Sätze 2 und 3 ZPO zulässig. Sie hat in der Sache auch Erfolg.

Im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung ist die Vorwegnahme der Würdigung der von den Parteien angebotenen Beweismittel in begrenztem Umfang erlaubt; ergibt die Gesamtwürdigung der feststehenden Umstände und der Indizien, dass eine Beweisaufnahme zwar in Betracht kommt, es aber in hohem Maße unwahrscheinlich erscheint, dass diese zum Vorteil des Anspruchstellenden ausgehen wird, sodass eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen muss, wegen des absehbaren Misserfolges der Beweisaufnahme von der Prozessführung absehen würde, kann dem Antragsteller die erbetene Prozesskostenhilfe zu Recht versagt werden. Dies hat der Senat unter eingehender Würdigung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur wiederholt entschieden (Beschluss vom 7. Oktober 2004 - 22 W 45/04 -, Beschluss vom 14. März 2005 - 22 W 69/04 -; Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 22 W 54/05 - OLG-Report Kammergericht 2006, 406; Beschluss vom 24. Mai 2006 - 22 W 30/06 -; Beschluss vom 29. November 2006 - 22 W 40/06 - jeweils mit Nachweisen).

Im Rahmen der Abhandlung des Problems der antizipierten Beweiswürdigung ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass in diesem Zusammenhang aber besondere Zurückhaltung dann geboten ist, wenn es um die erstmalige gerichtliche Vernehmung von Zeugen geht. Der Senat teilt die in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - einhellig vertretene Auffassung, dass allenfalls in anderen Verfahren dokumentierte gerichtliche Vernehmungen Gegenstand einer vorweggenommenen Würdigung von Zeugenbeweisen sein dürfen (BGH, VersR 1987, 1187; OLG Köln, NJW-RR 2001, 791; OLG Hamm, VersR 2002, 1233, 1234; Senat, OLG-Report Kammergericht 2006, 406; sowie Beschluss vom 14. März 2005 - 22 W 69/04 -).

Maßgeblich für diese weiterhin gültige Einschätzung ist, dass der Beweiswert einer Zeugenaussage entscheidend von dem persönlichen Eindruck abhängt, den der Vernommene bei seiner Anhörung hinterlässt. Voraussetzung für die Gewinnung einer zuverlässigen Entscheidungsgrundlage ist die Wahrnehmung der Möglichkeit, dem Zeugen Fragen zu stellen, ihm von seinen Angaben abweichende Darstellungen vorzuhalten oder ihn zu Präzisierungen seiner Angaben zu bewegen. Ferner ist sein gesamtes Aussageverhalten von ausschlaggebender Bedeutung.

Aus diesen Gründen erachtet es der Senat hier nicht für zulässig, die Frage nach der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung auf der Grundlage der bislang vorliegenden Äußerungen der von den Parteien benannten Zeugen bei der Polizei zu entscheiden, insbesondere soweit sie sich nur schriftlich zur Sache geäußert haben.

Dieser Einschätzung steht nicht die Erkenntnis entgegen, dass das Erinnerungsvermögen des Menschen mit zunehmendem Zeitablauf nachlässt und deshalb davon ausgegangen werden kann, dass bei zeitnaher Äußerung der Ablauf der Ereignisse eher zutreffend wiedergegeben wird als nach größerem zeitlichen Abstand zum Geschehen. In nahem zeitlichem Zusammenhang vor der Polizei abgegebene Äußerungen zum Unfallhergang können deshalb herangezogen werden, um den Wahrheitsgehalt späterer Aussagen zu prüfen. Sie können die persönliche Anhörung der Zeugen durch das zur Entscheidung berufene Gericht aber nicht ersetzen.

III.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordert (§ 574 ZPO).

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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