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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.10.2004
Aktenzeichen: 24 U 311/03
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 768
BGB § 770
BGB § 771
BGB § 776
AGBG § 1 Abs. 2
ZPO § 524 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 24 U 311/03

verkündet am : 18. Oktober 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Briesemeister und die Richterinnen am Kammergericht Kingreen und Hinrichs

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober 2003 - 30 O 372 /03 - wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 26.419,87 EUR zuzüglich der bereits festgesetzten und künftig noch festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Wegen der Verwerfung der Anschlussberufung wird die Revision zugelassen.

Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen und ergänzend ausgeführt (§ 540 Abs. 1 ZPO):

Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 27. Oktober 2003, der Beklagten zugestellt am 5. November 2003 stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Sie rügt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags, das Landgericht habe übersehen, dass es sich bei der vereinbarten Bürgschaft um eine Individualvereinbarung und nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen handele. Die Rechtsprechung des BGH sei daher nicht anwendbar. Im Übrigen lägen Mängel vor.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober 2003, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.574,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Wegen des weitergehenden Antrages nimmt er die Klage zurück.

Die Beklagte beantragt,

die Klageerweiterung insgesamt abzuweisen.

Der Kläger nimmt im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils und seinen Vortrag in erster Instanz Bezug. Er ist der Ansicht, dass die Klageerweiterung zu jeder Zeit schon aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit zulässig sei. Die Avalkosten seien dem Kläger in der begehrten Höhe entstanden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die Klage ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung begründet.

Die Anschlussberufung ist unzulässig.

1. Vorliegend handelt es sich um eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern unter Ausschluss der Einreden gemäß §§ 768,770, 771 und 776 BGB. In ständiger Rspr. hat der BGH entschieden, dass eine Klausel in AGB, die vorsieht, dass von der Schlussrechnungssumme ein Gewährleistungseinbehalt in Abzug gebracht wird, der durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, unwirksam ist. Eine geltungserhaltende Reduktion dieser Klausel, kommt anders als bei der Vertragserfüllungsbürgschaft, nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - VII ZR 208/00 - = BauR 2002, 463 ff, BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 494/00 - = BauR 2002, 1392 ff, BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - VI ZR 502/99 - = BGHZ 151, 229).

Die streitgegenständliche Bürgschaft unterfällt der Kontrolle durch das AGBG. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG liegen nicht vor. Es handelt sich nicht um eine Individualvereinbarung. Soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien im Einzelnen ausgehandelt sind, ist das AGBG unanwendbar. Aushandeln im diesem Sinne setzt voraus, dass der Verwender zu Verhandlungen über den Vertragsinhalt bereit ist. Aushandeln bedeutet mehr als bloßes Verhandeln. Der Verwender muss den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB als inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem anderen Teil Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen. Der Kunde muss die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Auflage, Rz 17 zu § 1 AGBG m.w.N.).

Die Beklagte verwendet die Formel und das Bürgschaftsformular standardisiert in all ihren Bauverträgen. Die Vereinbarung wird nicht dadurch zu einer Individualvereinbarung, dass die Parteien vorliegend für die 19 Bauvorhaben, für welche der Kläger als Nachunternehmer tätig war und für welche die Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen war, die Bürgschaften in einer Bürgschaftsurkunde zusammengefasst haben. Dies geschah, wenn man sich die Anlage zur Bürgschaftsurkunde und die zum Teil geringen Sicherheitseinbehalte in Höhe von 103,00 DM bis ca. 6.000 DM pro Bauvorhaben ansieht, aus Gründen praktischer Vernunft. Ein Aushandeln in dem Sinne, dass die Beklagte als Verwender dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt hätte auf das Vertragswerk Einfluss zu nehmen, ist darin nicht zu sehen. Die Beklagte hat die Art der zu stellenden Sicherheit nicht zur Disposition gestellt. Sie bestand auf einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Dass sie zu keiner weiteren Verhandlung als zu einer Zusammenfassung der Gewährleistungseinbehalte aus verschiedenen Bauvorhaben in einer Urkunde bereit war, wird auch durch das Schreiben der Dresdner Bank vom 27. September 1996 belegt. Demzufolge lehnte die Beklagte es ab, "einen Bürgschaftstext zu akzeptieren, wonach sich die Bürgschaft automatisch um die Sicherheitseinbehalte am Ende des jeweiligen Gewährleistungszeitraums ermäßigte".

2. Die Anschlussberufung des Klägers mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2004 ist unzulässig (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Der Kläger, der selbst nicht Berufung gegen das Urteil des Landgericht Berlin eingelegt hat, muss sich der Berufung der Beklagten innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO anschließen, wenn er mehr erreichen will, als die Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung. Die Anschlussberufung ermöglicht ihm die Stellung eigener Sachanträge. Gründe der Waffengleichheit der Parteien (Piekenbrock MDR 2002, 675) rechtfertigen im vorliegenden Fall keine andere Entscheidung. Der Kläger hat sich bereits in der Klageschrift die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche für den Zeitraum ab dem 17. Juli 2002 in Höhe der Kosten, die durch die verspätete Herausgabe der Bürgschafturkunde entstehen, vorbehalten. Es war ihm somit durchaus zumutbar innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine weitergehenden Ansprüche gegenüber der Beklagten im Rahmen einer Anschlussberufung zu verfolgen.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4. Die Zulassung der Revision gegen die Entscheidung des Senats, die Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen, war gemäß § 543 Abs. 2 Nr.1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine Klageerweiterung nur innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO oder jederzeit auch in der Berufungsinstanz aus Gründen der Waffengleichheit und Prozesswirtschaftlichkeit erfolgen kann, selbst wenn der Kläger selbst keine Berufung eingelegt hat, geboten (s.a. OLG Hamm OLGR 2004, 51; OLG Oldenburg Nds Rpfl 2004, 104 zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, OLGR 2003, 331; Gerken NJW 2002, 1095; Zöller/Gummer/Heßler, 24. Auflage, ZPO, Rz 37 zu § 524; vergleiche auch BGH NJW 2004, 2152).

Ende der Entscheidung

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