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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 21.04.1999
Aktenzeichen: 24 U 7798/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
BGB § 861
BGB § 862
BGB § 863
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zu Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 24 U 7798/98 13.O.418/98 LG Berlin

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

Verkündet am: 21. April 1999

hat der 24. Zivilsenat des Kammergerichts in Benin auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Briesemeister, die Richterin am Amtsgericht Weihe-Gröning und den Richter am Kammergericht Brandt für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das am 10. September 1998 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 13.O.418/98 - wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das vorbezeichnete Urteil geändert:

Der Antrag des Verfügungsklägers vom 21. August 1998 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird insgesamt zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die statthaften Berufungen wahren die gesetzlichen Formen und Fristen und sind somit zulässig. Die Berufung des Verfügungsklägers hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Dagegen ist die Berufung des Verfügungsbeklagten gerechtfertigt; dieses Rechtsmittel muss unter entsprechender Änderung des angefochtenen Urteils zur Zurückweisung des Antrags des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung führen. Zu Unrecht hat das Landgericht angenommen, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935, 936, 940 ZPO) jedenfalls teilweise in dem durch das angefochtene Urteil zuerkannten Umfange vorliegen. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts steht dem Verfügungskläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch, der den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung rechtfertigen könnte, nicht zu.

I.

1. Berufung des Verfügungsklägers

Insoweit ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Verfügungskläger einen Anspruch auf Untersagung des Abrisses oder der Beschädigung der unterirdischen Räumlichkeiten am südlichen Leipziger Platz (ehemalige Toilettenanlagen) nicht glaubhaft gemacht hat.

Zu Recht hat das Landgericht die allein in Betracht kommenden Ansprüche auf Wiedereinräumung des Besitzes (§ 861 Abs. 1 BGB) oder auf Unterlassung der Besitzstörung (§ 862 Abs. 1 BGB) verneint. Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Bauleiters im zentralen Bereich der U-Bahn-Linie 3, Martin Buschkowiak, vom 31. August 1998 (Bl. 56-58/I d. A.) dargetan und glaubhaft gemacht, dass die auf dem Flurstück Nr. 44 im Bereich des Zuganges Nr. 7 am Potsdamer Platz/Leipziger Platz gelegene Toilettenanlage mindestens seit März 1996 vollkommen unter Wasser steht und der Zugang durch einen Bauzaun versperrt ist. Ein etwa darin vorhandenes Inventar (desolater Kühlschrank und verfaultes Faß) ist durch den Wassereinbruch unbrauchbar geworden. Der Aufforderung, dieses möglicherweise ihm gehörende Inventar bis zum 19. April 1996 zu entfernen, ist der Verfügungskläger unstreitig nicht nachgekommen.

Es ist damit glaubhaft gemacht, dass der Verfügungskläger ein ihm möglicherweise im Jahre 1990 eingeräumtes Besitzrecht an der Toilettenanlage seit über zwei Jahren nicht mehr ausüben kann, er vielmehr die tatsächliche Gewalt über die Räumlichkeiten aufgrund des Wassereinbruches und damit den Besitz verloren hat (§ 856 Abs. 1 BGB). Deshalb stehen ihm possessorische Ansprüche nach §§ 861, 862 BGB nicht zu.

Im übrigen hat der Verfügungsbeklagte durch Vorlage eines Grundbuchauszuges des Amtsgerichts Mitte betreffend das Grundbuch von Mitte Band 95 Blatt 2363 N (Bl. 88-93/II d. A.) glaubhaft gemacht, dass er Eigentümer des betreffenden Grundstücks (Flurstück Nr. 44) ist. Ein etwaiges dem Verfügungskläger von den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) eingeräumtes Besitzrecht (Nutzungsrecht) ist dem Verfügungskläger gegenüber mit Schreiben vom 25. Oktober 1996 (Bl. 61/1 d. A.) widerrufen worden. Damit hat der Verfügungsbeklagte glaubhaft gemacht, dass er als Eigentümer auch wieder ein Recht zum alleinigen unmittelbarem Besitz an der Toilettenanlage hat. Dieses materielle Besitzrecht kann der Verfügungsbeklagte trotz § 863 BGB etwaigen possessorischen Ansprüchen des Verfügungsklägers entgegensetzen. Denn der Ausschluß petitorischer Einwendungen aus materiellem Recht zum Besitz (§ 863 BGB) gegenüber den possessorischen Ansprüchen aus §§ 861, 862 BGB gilt jedenfalls dann nicht, wenn über diese Ansprüche - wie hier im einstweiligen Verfügungsverfahren - letztinstanzlich entschieden wird (vgl. BGH, NJW 1999, 425).

Danach konnte die Berufung des Verfügungsklägers keinen Erfolg haben.

2. Berufung des Verfügungsbeklagten

a) Zum Anspruch auf Unterlassung der Beschädigung von 5 Mauer-Elementen am südlichen Leipziger Platz. Nähe Info-Box und von 34 noch stehenden Mauer-Elementen an der Stresemannstraße 130

Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht dem Verfügungskläger ein allein aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht kommender Unterlassungsanspruch gegen den Verfügungsbeklagten nicht zu.

aa) Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage entsprechender Grundbuchauszüge des Amtsgerichts Mitte betreffend das Grundbuch von Mitte Band 95 Blatt 2363 N und Band 91 Blatt 2270 N (Bl. 88-97/II d. A.) glaubhaft gemacht, dass er Eigentümer des Flurstücks 13 und eines Teils des Flurstücks 8 ist, auf denen die Mauer-Elemente lagern bzw. 13 Mauersegmente stehen. Soweit sich weitere Mauersegmente auf einer dem Bund gehörenden Teilfläche des Flurstücks 18 befinden, ist das beklagte Land durch das Schreiben des Bundesvermögensamtes Berlin II vom 21. Dezember 1998 (Bl. 64, 65/II d. A.) zur Geltendmachung der dem Bund zustehenden Eigentumsrechte ermächtigt worden.

bb) Falls das beklagte Land oder der Bund durch Verbindung mit den jeweiligen Grundstücken (§ 946 BGB) auch Eigentümer der Mauer-Elemente oder -Segmente geworden ist, entfällt mangels Eigentums des Verfügungsklägers ein Unterlassungsanspruch gemäß 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB bereits aus diesem Grunde.

cc) Aber auch wenn die Mauerteile als bewegliche Sachen anzusehen sind und der Verfügungskläger Eigentum daran durch Übertragung des Eigentums seitens des zuständigen Offiziers der DDR-Grenztruppen oder durch den mit der SONY Deutschland GmbH geschlossenen Vertrag vom 14. Februar 1995 (Bl. 125-127/I d. A.) erworben haben sollte, kann er den Verfügungsbeklagten nicht auf Unterlassung der Beschädigung oder der Beseitigung der betreffenden Mauerteile in Anspruch nehmen.

Soweit das Landgericht eine Beschädigung untersagt hat, kommt ein Unterlassungsanspruch bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Verfügungsbeklagte durch Vorlage der eidesstattlichen Erklärung des Projektleiters der Tiefbaumaßnahmen Wilhelm Gerke vom 7. September 1998 (Bl. 118-120/1 d. A.) glaubhaft gemacht hat, dass eine solche Beschädigung nicht beabsichtigt ist, die Mauerteile vielmehr lediglich umgesetzt werden sollen. Damit ist eine Beschädigung der Mauer-Elemente oder -Segmente nicht zu besorgen, die über die Beeinträchtigungen hinausgeht, die eintreten würden, wenn der Verfügungskläger die von ihm geschuldete Verlagerung selbst vornehmen würde.

Der Verfügungsbeklagte ist aber auch nicht an einer Umsetzung der möglicherweise im Eigentum des Verfügungsklägers stehenden Mauerteile gehindert. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Verfügungsbeklagte zu einer entsprechenden Ersatzvornahme berechtigt; eine verbotene Eigenmacht kommt insoweit nicht in Betracht. Denn das Eigentum des Landes bzw. des Bundes an den Grundstücken wird durch die auf diesen Grundstücken befindlichen Mauerteile in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes im Sinne von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB beeinträchtigt. Dem Land und dem Bund stehen somit - was auch das Landgericht erkannt hat - wegen dieser Störungen eigene Beseitigungsansprüche gegen den Verfügungskläger zu. Der Verfügungskläger ist verpflichtet, etwa ihm gehörende Mauerteile zur Beseitigung der Störungen der Immobiliareigentümer von den Grundstücken zu entfernen. Denn die Rechte des gestörten Immobiliareigentümers gehen stets den Rechten des Eigentümers an beweglichen auf einem Grundstück befindlichen Sachen vor. Der Verfügungskläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass eine Beeinträchtigung des Grundeigentums des beklagten Landes oder des Bundes hier deshalb entfällt, weil es sich um denkmalschutzwürdige authentische Teile der ehemaligen Berliner Mauer handelt. Denn unstreitig ist der betreffende Teilbereich der ehemaligen Berliner Mauer nicht unter Denkmalschutz gestellt worden. Soweit der Verfügungskläger zur Begründung seines Aussetzungsantrages vom 21. April 1999 dargetan hat, dass Irmgard Bittner und er selbst in gegen das beklagte Land und gegen die Bundesrepublik Deutschland anhängig gemachten Verwaltungsstreitverfahren begehren, die noch an Originalstelle befindlichen Mauerreste in die Liste denkmalgeschützter Bauwerke aufzunehmen, kam eine Aussetzung des vorliegenden Verfügungsverfahrens wegen fehlender Vorgreiflichkeit (§ 148 ZPO) der anhängigen Verwaltungsstreitverfahren nicht in Betracht. Denn die Aussetzung ist unzulässig, wenn die Verfahrensart einen Stillstand des Verfahrens verbietet, was insbesondere für das Arrest- und Verfügungsverfahren gilt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl., § 148 Rdn. 4 m. w. N.).

Mit der Verpflichtung zur Beseitigung der ihm möglicherweise gehörenden Mauerteile ist der Verfügungskläger in Schuldnerverzug geraten, der auch im Rahmen eines Beseitigungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB möglich ist (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 58. Aufl., § 1004 Rdn. 25). Einer Mahnung des Verfügungsklägers zur Beseitigung der störenden Mauerteile bedürfte es nach Treu und Glauben nicht, da der Verfügungskläger durch sein gesamtes Verhalten - jedenfalls im vorliegenden Verfahren - zum Ausdruck gebracht hat, dass er eine Beseitigung ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. BGHZ 65, 377; BGH, NJW-RR 1992, 1227 m. w. N.).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Verfügungsbeklagte bzw. die Bundesrepublik Deutschland nicht gehalten, den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zunächst gerichtlich geltend zu machen und einen Räumungstitel gegen den Verfügungskläger zu erwirken. Gemäß § 286 Abs. 1 BGB hat der Verfügungskläger dem Verfügungsbeklagten oder dem Bund einen durch seinen Verzug möglicherweise entstehenden Schaden zu ersetzen. Der Verfügungsbeklagte hat durch die eidesstattliche Versicherung des Wilhelm Gerke vom 7. September 1998 (Bl. 118-120/1 d. A.) glaubhaft gemacht, dass ihm sowohl durch die Lagerung der fünf Mauer-Elemente als auch durch die noch stehenden 29 Mauer-Segmente ein Schaden in erheblichem Umfange entstehen kann, weil die 5 Mauer-Elemente eine erhebliche Verkehrsgefährdung (Gefährdung der Besucher der Info-Box, die die 5 Mauer-Elemente besichtigen, durch Befahren der Baustraße mit täglich von ca. 50 Fahrzeugen) darstellen und die 29 Mauer-Segmente dem in diesem Jahr beginnenden Bau einer sogenannten Planstraße "A" zur Erschließung der Grundstücke im Wege stehen. Da somit die Entstehung eines Schadens droht, zu dessen Ersatz der Verfügungskläger aufgrund seines Verzuges verpflichtet wäre, treffen den Verfügungsbeklagten und die Bundesrepublik Deutschland nach § 254 Abs. 1 BGB Schadensabwendungs- und Minderungspflichten. Diese Schadensabwendungspflicht muss der Verfügungsbeklagte, der hierzu auch vom Bund ermächtigt worden ist, unverzüglich erfüllen, so dass eine vorherige gerichtliche Inanspruchnahme des Verfügungsklägers nicht in Betracht kommt. Damit entfällt aber zugleich ein etwaiger Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung hätte rechtfertigen können.

Auch hier muss das (nur possessorische) Recht des Besitzes an beweglichen Sachen im Falle der Kollision dem materiellen Recht zum Besitz an einem Grundstück weichen, weil der Immobilienbesitzer nicht die Möglichkeit zur Verlagerung seines Besitzes hat, wohl aber der Besitzer einer beweglichen Sache. Das gilt um so mehr, als der Verfügungskläger keinen Besitztitel an dem Grundstück, etwa einen derzeit gültigen Miet- oder Pachtvertrag, darlegen kann. Der Senat kann dem Verfügungskläger keinen vorläufigen Besitzschutz im Verfügungsverfahren zusprechen, der aller Voraussicht nach von ihm in einem Hauptprozeß nicht verteidigt werden kann. Das Verfügungsverfahren zielt auf die Sicherung von Ansprüchen, deren materielle Berechtigung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einem regulären Zivilprozeß nachgewiesen werden kann. Wenn eine derartige Chance ausscheidet, kann das Verfügungsverfahren keinen Erfolg haben. Denn das Verfügungsverfahren kann im Ergebnis nicht mehr Positionen verschaffen als ein normaler Zivilprozeß. Ohne gültigen Miet- oder Pachtvertrag hat der Verfügungskläger keine Aussicht, den Verbleib seiner Sachen auf fremdem Grundstück durchzusetzen.

b) Soweit es sich um den geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung der Beschädigung oder auf Unterlassung von sonstigen das Eigentum des Verfügungsklägers beeinträchtigenden Verfügungen hinsichtlich der lose auf dem Gelände lagernden Mauerteile und sonstigen Gegenstände handelt, gelten die vorstehend unter a) gemachten Ausführungen entsprechend. Auch diese Mauerteile und sonstigen Gegenstände lagern unstreitig unmittelbar vor den Mauer-Elementen und stellen damit eine Verkehrsgefährdung (Gefährdung der Besucher der Info-Box) dar oder behindern den unmittelbar bevorstehenden Bau der Erschließungsstraße.

Danach musste auf die Berufung des Verfügungsbeklagten der Antrag des Verfügungsklägers unter entsprechender Änderung des angefochtenen Urteils insgesamt zurückgewiesen werden.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Dem Vollstreckungsschutzantrag des Verfügungsklägers konnte nicht entsprochen werden, da Berufungsurteile in einem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht revisibel (§ 545 Abs. 2 ZPO) und damit rechtskräftig sind.

Ende der Entscheidung

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