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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.09.2002
Aktenzeichen: 24 W 230/01
Rechtsgebiete: WEG, BGB


Vorschriften:

WEG § 16 II
WEG § 28 V
BGB § 313 a. F.
Ebensowenig wie der auf Grund nichtiger Auflassung im Grundbuch eingetragene Scheinwohnungseigentümer (BGH NJW 1994, 3352) schuldet der auf Grund eines formnichtigen Kaufvertrages in den Besitz einer vermieteten Eigentumswohnung gelangte Käufer der Eigentümergemeinschaft Wohngeld und Sonderumlagen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 24 W 230/01

In dem Wohnungseigentumsverfahren

betreffend die Wohnungseigentumsanlage

hat der 24. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. Juli 2001 - 85 T 21/01 WEG -, durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Briesemeister, den Richter am Kammergericht B.-D. Kuhnke und die Richterin am Landgericht Hinrichs am 23. September 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. Juli 2001 - 85 T 21/01 WEG - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen, das auch über die Gerichts- und außergerichtlichen Kosten sämtlicher Instanzen zu befinden hat.

Der Geschäftswert dritter Instanz wird auf 14.065,59 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu I. (Antragsgegner) und II. (Antragsteller) bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft der Wohnanlage. Die Antragsteller nehmen den Antragsgegner auf Zahlung von Wohngeldern (Rückstände aus der Jahresabrechnung 1998, Vorschüsse aus den Wirtschaftsplänen für die Jahre 1999 und 2000 sowie Anteile an zwei Sonderumlagen) in Anspruch. Das Grundstück wurde etwa im Jahre 1996 mit einem Neubau bebaut. Durch vorangegangene notarielle Teilungserklärung vom 30. Oktober 1995 wurde an dem Grundstück Wohnungseigentum begründet. Die teilende Eigentümerin verfügt noch über 45 der 66 Einheiten. Das Grundbuch für das ungeteilte Grundbuch wurde am 26. März 1997 geschlossen. Zeitgleich wurden die einzelnen Teil- bzw. Wohnungsgrundbücher für 66 Einheiten angelegt. Als erste Eigentümerin der Einheiten wurde jeweils die teilende Eigentümerin eingetragen. In der Folgezeit erfolgte der Verkauf der einzelnen Einheiten durch die teilende Eigentümerin. Die ersten Auflassungsvormerkungen wurden seit dem 24. Juli 1997 im Grundbuch eingetragen, die ersten Erwerber seit dem 19. Oktober 1999.

Der Antragsgegner kaufte mit notariellen Kaufverträgen vom 29. September 1997 die Einheiten Nr. 14 und Nr. 25. Auf Seiten der Verkäuferin trat "als mündlich Bevollmächtigter für... die alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin" der Zeuge L. auf. Am 1. Dezember 1997 wurde im Wohnungsgrundbuch der Einheit Nr. 14, am 10. Dezember 1997 im Wohnungsgrundbuch der Einheit Nr. 25 eine Auflassungsvormerkung zugunsten des Antragsgegners eingetragen. Eine Eigentumsumschreibung der Einheiten in den Wohnungsgrundbüchern auf den Antragsgegner ist bisher mangels vollständiger Kaufpreiszahlung nicht erfolgt.

Im Zuge der Abwicklung der Kaufverträge entstand zwischen dem Antragsgegner als Erwerber und der teilenden Eigentümerin als Verkäuferin der Einheiten Streit darüber, wer die Grunderwerbsteuer zu zahlen hat. Der Antragsgegner hat behauptet, dass der Zeuge L. ihm vor dem Notartermin in den Räumen des beurkundenden Notars zugesagt habe, dass die Verkäuferin die Grunderwerbsteuer trage. Nach den in zweiter Instanz vorgelegten Schreiben der Verkäuferin vom 26. Februar 1998 und 1. April 1998 sind für den Antragsgegner 5.000 DM Grunderwerbsteuer an das Finanzamt bzw. ein ungenannter Betrag auf "Notarrechnungen" überwiesen worden; nach § 15 der Kaufverträge hatte dagegen der Antragsgegner die Grunderwerbssteuer und die Beurkundungskosten übernommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Erstbeschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Dezember 2000, durch welchen der Antragsgegner zur Zahlung von 27.509,90 DM nebst Zinsen verpflichtet worden ist, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners, mit der er geltend macht, dass die notariellen Kaufverträge betreffend die Einheiten 14 und 25 nichtig seien, da die zwischen dem Zeugen L. und ihm außerhalb der Urkunde getroffenen Vereinbarungen über die Zahlung der Grunderwerbsteuer durch die Verkäuferin nicht notariell beurkundet worden seien, er deshalb kein so genannter werdender Wohnungseigentümer sei und aus diesem Grunde auch nicht für die Wohngeldzahlungen hafte. Für das Landgericht habe im Rahmen des § 12 FGG durchaus Veranlassung bestanden, im Hinblick auf die von ihm behauptete Vereinbarung zu ermitteln.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 27, 29 FGG, 45 WEG zulässig. Die sofortige weitere Beschwerde ist auch begründet, da der angefochtene Beschluss nicht in allen Punkten rechtsfehlerfrei ist (§ 27 Abs. 1 FGG).

Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner gemäß § 16 Abs. 2 WEG zur Tragung der Lasten des Gemeinschaftseigentums sowie der Kosten seiner Verwaltung und seines gemeinschaftlichen Gebrauchs nach dem Verhältnis seines Anteils verpflichtet ist, soweit er Mitglied einer faktischen bzw. werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft geworden ist.

Als Ersterwerber haftet er bereits mit Eintritt in die faktische Wohnungseigentümergemeinschaft für die Kosten und Lasten gemäß § 16 Abs. 2 WEG. Das Entstehen einer faktischen Wohnungseigentümergemeinschaft setzt voraus, dass die Wohnungsgrundbücher angelegt sind (KG ZMR 1986, 295), für einen Ersterwerber die Auflassungsvormerkung eingetragen ist und er an "seiner" Wohnung Besitz erlangt hat (Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 3. Auflage, Rz 292; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 8. Auflage, Bearb.: Pick, Einl. Rz41). Die rechtliche Invollzugsetzung der Wohnungseigentumsgemeinschaft erfolgt, wenn die Wohnungsgrundbücher angelegt sind und mindestens zwei Wohnungseigentümer, darunter der teilende Eigentümer, als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind. Zeitlich davor handelt es sich um eine werdende bzw. faktische Wohnungseigentumsgemeinschaft. Diese Voraussetzungen liegen hier, wie das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, vor. Die ersten Eigentumseintragungen der Wohnungseigentümer erfolgten am 19. Oktober 1999 für die Einheiten Nr. 44, 45 und 46. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die faktische Wohnungseigentümergemeinschaft fort. Durch das Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft im Rechtssinne hat der Antragsgegner seine Rechtsstellung als werdender Wohnungseigentümer nicht verloren.

Der Antragsgegner hat mit dem mündlich Bevollmächtigten der teilenden Eigentümerin (§ 8 WEG) am 29. September 1997 notarielle Kaufverträge über die Wohneinheiten Nr. 14 und 25 abgeschlossen. Das Landgericht Berlin ist rechtsirrtümlich davon ausgegangen, dass diese Kaufverträge wirksam seien, ohne dass es auf den Vortrag des Antragsgegners ankomme, zwischen ihm und dem Zeugen L. sei vor Abschluss der Kaufverträge in den Räumen des Notars eine Abrede über die Übernahme der Grunderwerbsteuer durch die Verkäuferin getroffen worden, die nicht beurkundet worden sei. Das Landgericht hat gemeint, dass einerseits die Angaben des Antragsgegners zu ungenau gewesen seien, um gemäß § 12 FGG von Amts wegen weitere Aufklärung zu betreiben, andererseits davon auszugehen sei, dass die Parteien um das Formerfordernis dieser mündlichen Zusatzabrede gewusst hätten (§ 139 BGB), sowie ferner, dass es von dem Antragsgegner treuwidrig sei, sich auf einen Formmangel zu berufen (§ 242 BGB). Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

Gemäß § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Die von Amts wegen einzuleitenden Ermittlungen sind also so weit auszudehnen, wie es die Sachlage erfordert. Das Gericht darf Ermittlungen über entscheidungserhebliche Tatsachen grundsätzlich nicht deshalb unterlassen, weil notwendige Einzelheiten dazu von den Beteiligten nicht vorgetragen sind; es hat vielmehr durch geeignete Hinweise auf eine vollständige Aufklärung hinzuwirken (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Auflage, Bearb.: Amelung, Rz 87 zu § 12). Ermittlungen über entscheidungserhebliche Tatsachen dürfen nur dann unterbleiben, wenn die Möglichkeit, dass eine Beweisaufnahme Sachdienliches dazu ergibt, ausgeschlossen ist. Dass das Landgericht den Antragsgegner oder seinen Verfahrensbevollmächtigten auf die Unvollständigkeit seiner Angaben hingewiesen hätte, ergibt sich weder aus den Akten noch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2001 oder dem Beschluss selbst. Zumindest die Vorlage des Schreibens der Verkäuferin vom 26. Februar 1998 lässt es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass Nebenabreden getroffen worden sind, die nicht beurkundet wurden.

Gemäß § 313 S. 1 BGB a.F. (jetzt: § 311b Abs. 1 BGB n.F.) unterliegen dem Beurkundungserfordernis nicht nur die Verpflichtung zur Übertragung des Wohnungseigentums, sondern alle Vereinbarungen, die nach dem Willen der Parteien zu dem schuldrechtlichen Übereignungsgeschäft gehören (BGH, NJW 1981, 222; BGHZ 85, 315, 316 = NJW 1983, 563). Zum Inhalt eines Rechtsgeschäftes gehört nur der Teil der Erklärungen, der eine Regelung enthält, d.h. Rechtswirkungen erzeugt. Auch die Gegenleistung sowie sonstige Nebenabreden, unabhängig von ihrer Gewichtigkeit, bedürfen demnach der Beurkundung. Grundsätzlich bedarf daher auch die von dem Antragsgegner behauptet Abrede darüber, wer die Grunderwerbsteuer trägt, der Beurkundung durch den Notar. Das gilt erst recht, wenn das Gegenteil von dem beurkundet worden sein sollte, was die Vertragsparteien mündlich festgelegt haben.

Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Parteien den beurkundeten Teil des Vertrages nach ihrem mutmaßlichen Willen auch ohne die mangels Beurkundung nichtige Abrede geschlossen hätten. Hierzu bedarf es tatrichterlicher Würdigung, ob die Vermutung des § 139 BGB nicht durch die Umstände des Falles widerlegt ist. Hierzu führt das Landgericht lediglich aus, dass die Beteiligten um das Formerfordernis gewusst hätten. Tatsachen, auf denen diese Feststellung beruht, trägt das Landgericht nicht vor; sie lassen sich auch dem Akteninhalt nicht entnehmen.

Auch hierauf käme es indes nicht an, wenn das Berufen des Antragsgegners auf den Formmangel treuwidrig im Sinne des § 242 BGB wäre. In besonderen Ausnahmefällen ist ein an sich formnichtiger Grundstückskaufvertrag als wirksam zu behandeln, wenn die Nichtigkeitsfolge mit Treu und Glauben unvereinbar wäre. Dies sind die Fälle der Existenzgefährdung des einen Teils und die Fälle einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils (BGHZ a.a.O). Dabei muss das Ergebnis für die betroffene Partei nicht bloß hart, sondern schlechthin untragbar sein. Das formbedürftige Geschäft darf allerdings auch nicht gegen den Willen der schutzwürdigen Partei, hier des Antragsgegners, aufrechterhalten werden.

Das Landgericht stützt seine Argumentation darauf, dass das Berufen des Antragsgegners auf einen Formmangel im Übrigen auch treuwidrig gemäß § 242 BGB sei, da er einerseits den Kaufvertrag in Kenntnis des Formmangels nicht rückabgewickelt habe, die Einheiten vermietet habe und sich nunmehr gegenüber der Inanspruchnahme aus den Wohngeldzahlungen auf diesen Formmangel berufe. Dies ist so aus Rechtsgründen nicht haltbar. Das Landgericht trifft keinerlei Feststellungen dazu, dass das Ergebnis der Nichtigkeit für die Wohnungseigentümergemeinschaft zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führen würde, abgesehen davon, dass die Gemeinschaft nicht Kaufvertragspartnerin des Antragsgegners ist. Ebenso lässt das Landgericht unberücksichtigt, dass der Antragsgegner, dem der Schutz des § 313 BGB dient, nicht gegen seinen Willen an dem formbedürftigen Geschäft festgehalten werden darf. Ohne wirksamen Kaufvertrag wäre keine wirksame Eigentumsverschaffungspflicht und keine wirksame Auflassungsvormerkung anzunehmen, damit wäre auch die Eigenschaft des Antragsgegners als Wohnungseigentümer zu verneinen. Selbst der auf Grund nichtiger Auflassung im Grundbuch eingetragene Wohnungseigentümer schuldet der Eigentümergemeinschaft kein Wohngeld (BGH NJW 1994, 3352 = MDR 1994, 1206; KG ZMR 2001, 728 = ZWE 2001, 440 = FGPrax 2001, 136 = NZM 2002, 129 LS). Erst recht gilt dies für den werdenden Wohnungseigentümer.

Da dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht tatsächliche Ermittlungen verwehrt sind, ist die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, insbesondere über den vom Antragsgegner geltend gemachten Nichtigkeitsgrund, an das Landgericht zurückzuverweisen, das auch über die Gerichts- und außergerichtlichen Kosten sämtlicher Instanzen zu befinden hat.

Die Festsetzung des Geschäftswertes folgt dem Zahlungsantrag (§ 48 Abs. 3 WEG).

Ende der Entscheidung

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