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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 08.07.2002
Aktenzeichen: 24 W 344/01
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 5 I
WEG § 14 Nr. 1
WEG § 22 I
Auch der Teileigentümer, der sein Sondereigentum unbeschränkt gewerblich nutzen darf, kann daraus nicht ableiten, dass die Eigentümergemeinschaft ihm bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums (hier: 315 mm starke Abluftanlage an der Hoffassade bis über das Dach) gestatten müsste, damit er die Gewerbeeinheit intensiver (hier: Gaststätte mit Vollküche) nutzen kann.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 24 W 344/01

In der Wohnungseigentumssache

hat der 24. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu II. gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober 2001 - 85 T 113/01 WEG - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Briesemeister, die Richterin am Kammergericht Kingreen und den Richter am Kammergericht B.-D. Kuhnke am 8. Juli 2002 beschlossen:

Tenor:

Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird die Erstbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 8. März 2001 - 76 II 399/98 WEG - zurückgewiesen, und zwar auch soweit der Antrag in zweiter Instanz geändert und ergänzt worden ist.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten aller drei Instanzen zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Geschäftswert dritter Instanz wird auf 2.556,46 € (5.000,00 DM) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu I. und II. bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft der im Rubrum bezeichneten Wohnanlage, die aus einem fünfgeschossigen Altberliner Mietshaus (Vorderhaus und Seitenflügel) besteht. Der Antragsteller ist Eigentümer der Teileigentumseinheit Nr. 2 im Erdgeschoss des Vorderhauses rechts und des Seitenflügels rechts. Nach der der notariellen Teilungserklärung vom 15. Mai 1984 beigefügten "Miteigentumsordnung" II. § 2 Nr. 2. darf u. a. das Teileigentumsrecht Nr. 2 "unbeschränkt gewerblich genutzt werden". In dem folgenden Absatz heißt es:

"Die gewerbliche Nutzung des Wohnungs- und Teileigentums ist nur gestattet, wenn daraus keine unzumutbare Beeinträchtigung der anderen Wohnungseigentümer oder Mieter entsteht."

Die Einheit des Antragstellers wird seit Jahrzehnten als Gaststätte, jedoch ohne "Vollküche", betrieben. Die Antragsgegner (Beteiligte zu II.) haben sich in der Vergangenheit beschwert, dass Zigarettenrauch aus der Gaststätte über eine Entlüftungsanlage im Fenster in den Hof geriete. Der Antragsteller (Beteiligter zu I.) möchte die Räume mit der Möglichkeit vermieten, in ihnen eine Vollküche zu errichten. Das Bezirksamt genehmigt den Betrieb einer derartigen Küche nur, wenn die Räume mit einer über das Dach geführten Abzugsanlage ausgestattet sind. Der Antragsteller hat deshalb eine Abzugsanlage planen lassen, mit der die Abluft mittels eines Stahlrohrs an der Hoffassade bis über das Dach abgeleitet wird. Der Einbau des 315 mm starken Abluftrohrs durch einen Schornstein ist nicht möglich, weil die Schornsteine nur ein Ausmaß von 14 x 20 cm aufweisen. Die Eigentümer haben auf der Versammlung vom 13. Oktober 1998 den Antrag des Antragstellers mehrheitlich abgelehnt, den Bau einer Abluftanlage zu erlauben. Auf der Eigentümerversammlung vom 13. Juni 2000 haben die Antragsgegner es erneut abgelehnt, den Einbau einer Abzugsanlage zu gestatten.

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass sich die Anforderungen an Gaststättenräume im Laufe der Jahre gewandelt hätten und Gaststättenräume nunmehr den Betrieb einer sog. Vollküche erforderten, weshalb ein Abluftrohr in der beantragten Art und Weise erforderlich sei. Der Antragsteller hat beantragt, ihm die Erlaubnis zu erteilen, die im Einzelnen bezeichnete Küchenabluftanlage mit einer Luftleistung von 4400 cbm/h zu installieren. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 8. März 2001 den Antrag zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht mit Beschluss vom 12. Oktober 2001 dem Spezifizierten Antrag mit der Maßgabe stattgegeben, dass der Antragsteller die Kosten für die Errichtung, die Instandsetzung und die Instandhaltung der Abluftanlage zu übernehmen hat. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu II.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu II. (Antragsgegner) ist gemäß §§ 27, 29 FGG, 45 WEG zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts ist nicht in allen Punkten rechtsfehlerfrei (§ 27 Abs. 1 FGG).

1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Antragsteller zur Durchführung der im Einzelnen bezeichneten Installation der über das Dach geführten Küchenabluftanlage nicht der Zustimmung der Antragsgegner bedürfe und zur Begründung hierfür ausgeführt: Der Antragsteller habe ein Feststellungsinteresse, um eine mögliche Rückbauverpflichtung zu vermeiden. Der Bau der Abluftanlage sei eine bauliche Veränderung gemäß § 22 Abs. 1 WEG, da die äußere Gestaltung der Wohnanlage geändert werde. Den übrigen Eigentümern erwachse auch i. S. v. § 14 Nr. 1 WEG ein Nachteil, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehe. Es liege eine nachteilige Veränderung des Gesamteindrucks der Wohnanlage vor, weil sich die bauliche Veränderung nachteilig auf das äußere Bild auswirke und sich ein Wohnungseigentümer verständlicherweise beeinträchtigt fühlen dürfe. Trotz des vermeidbaren Nachteils sei eine Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer gleichwohl nicht erforderlich, weil diese die Veränderung gemäß § 242 BGB zu dulden hätten, um eine Gewerbeausübung zu ermöglichen und das Interesse des Antragstellers an der Gewerbeausübung die Beeinträchtigung der übrigen Wohnungseigentümer überwiege. Die Abluftanlage beeinträchtige nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen die übrigen Wohnungseigentümer nicht durch Geräusch- oder Geruchsbelästigungen. Der als nicht schwerwiegend zu betrachtenden nachteiligen Veränderung des Gesamteindrucks der Hoffassade durch den Einbau des Abluftrohrs stehe das überwiegende berechtigte Interesse des Antragstellers gegenüber, in den Räumen eine Gaststätte mit Vollküche zu betreiben. Wenn der Teileigentümer der Einheit Nr. 2 nach der Teilungserklärung berechtigt sei, in den Räumen ein Gewerbe auszuüben, beinhalte dies auch die Nutzung als Gaststätte mit Vollküche. In den Räumen werde seit Jahrzehnten eine Gaststätte betrieben. Unstreitig habe sich das Dienstleistungsangebot von Gaststätten dergestalt geändert, dass vermehrt ein Bedürfnis bestehe, diese mit Vollküche zu betreiben, was aber eine Abluftanlage voraussetze. Diese könne hier nur durch das Abluftrohr an der Hoffassade installiert werden.

2. Diesen Ausführungen vermag der Senat rechtlich nicht zu folgen, weil das Landgericht nach seinen verfahrensfehlerfreien Feststellungen einerseits das Vorliegen einer baulichen Veränderung und auch einen vermeidbaren Nachteil i. S. d. §§ 22 Abs. 1 Satz 2, 14 Nr. 1 WEG bejaht, andererseits aber trotzdem nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) einen Duldungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer annimmt, die sich bei wiederholten Abstimmungen ganz überwiegend gegen die von dem Antragsteller gewünschte Abluftanlage ausgesprochen haben.

a) In § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG wird bestimmt, dass bauliche Veränderungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, nicht gemäß § 21 Abs. 3 beschlossen oder gemäß § 21 Abs. 4 verlangt werden können. Als Ausnahmebestimmung wird in § 22 Abs. 1 Satz 2 die sonst nötige Zustimmung eines Wohnungseigentümers zu solchen Maßnahmen nicht für erforderlich erachtet, als durch die Veränderung dessen Rechte nicht über das in § 14 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Nach § 14 Nr. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Damit entfällt das Zustimmungserfordernis für eine bauliche Veränderung nur dann, wenn der Nachteil nicht über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht. Somit kommt es auf die Vermeidbarkeit des Nachteils, den das Landgericht in der Veränderung des äußeren Bildes der Hoffassade gesehen hat, an. Aus Rechtsgründen kann der Senat hier die Unvermeidbarkeit nicht nachvollziehen.

b) Auch wenn nach den Feststellungen des Landgerichts in den Räumen des Antragstellers seit Jahrzehnten eine Gaststätte (jedoch ohne sog. Vollküche) betrieben worden ist, ist in der Teilungserklärung diese Nutzungsart nicht ausdrücklich festgeschrieben worden. Bei der Beschreibung des Miteigentumsanteils zu Nr. 2 wird lediglich von der Verbindung mit dem Sondereigentum an den im Erdgeschoss des Vorderhauses rechts und des Seitenflügels rechts belegenen, nicht zu Wohnzwecken dienenden, Räumen mit einer Nutzungsfläche von ca. 79,96 m2 gesprochen. In der Miteigentumsordnung ist unter II. § 2 Nr. 2. allerdings gesagt, dass u. a. das Teileigentumsrecht Nr. 2 "unbeschränkt gewerblich genutzt werden" darf. Damit entspricht die Teilungserklärung im Ergebnis dem vom Senat entschiedenen Fall, dass die Zweckbestimmung "Gewerbe (oder) Laden" im Zweifel den Betrieb eines Restaurants im Teileigentum (das allerdings eine Nutzfläche von 207,78 m2 hatte) nicht ausschließt (Senat, Beschluss vom 17. November 1999, 24 W 3094/99, NZM 2000, 387 = ZMR 2000, 250 = GE 2000, 477 = FGPrax 2000, 58 = KGR 2000, 77). In der zitierten Entscheidung hat der Senat aber lediglich entschieden, dass nach den dort widersprüchlichen Angaben in der Teilungserklärung im Zweifel die Nutzung als Gewerbe ohne Beschränkung zählt, keineswegs aber, dass aus der konkret gewählten Art als Gaststätte mit Vollküche ein Anspruch gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft abgeleitet werden könnte, zur Steigerung der Nutzung etwa bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum vorzunehmen. Auch wenn in einer Teileigentumseinheit ein Gewerbe jeder Art ausgeübt werden kann, heißt dies nicht, dass daraus eine Pflicht der anderen Wohnungseigentümer erwächst, bauliche Veränderungen zu gestatten. Vielmehr ist in diesen Fällen § 22 Abs. 1 WEG auch eine Grenze für die in der Teileigentumseinheit erlaubte Gewerbeausübung.

c) Schon nach der Teilungserklärung ist für die Teileigentumseinheit des Antragstellers nicht der Betrieb einer Gaststätte festgeschrieben (wenn auch erlaubt). Im Übrigen hat das Landgericht auch nur ausgeführt, dass der Trend zu einer Gaststätte mit Vollküche gehe. Damit ist jedoch noch längst nicht festgestellt, dass Gaststätten, zumal in Räumen mit einer Nutzfläche bis 80 m2, nur mit einer Vollküche betrieben werden könnten. Die Beteiligten zu II. verweisen zutreffend darauf, dass es dem Antragsteller nicht um die Sicherung des bisher in den Räumen üblichen Gaststättenbetriebes gehe, sondern um deren Ausweitung. Dies kann aber aus der Teilungserklärung nicht hergeleitet werden. Insoweit besteht auch kein Vertrauens- oder Bestandsschutz des Teileigentümers. Zum Zwecke der besseren Verwertung des Teileigentums darf nicht die Veränderungssperre des § 22 Abs. 1 WEG außer Kraft gesetzt werden. Zur Vervollständigung sei darauf hingewiesen, dass in § 5 Abs. 1 WEG neben dem Schutz durch § 14 WEG ausdrücklich der Schutz der äußeren Gestaltung des Gebäudes genannt wird, der durch den Gebrauch des Sondereigentums nicht beeinträchtigt werden darf.

d) Mit dieser Entscheidung sieht sich der Senat im Einklang mit dem Beschluss des OLG Köln vom 28. Januar 2000 (16 Wx 189/99 - NZM 2000, 297 = ZWE 2000, 428): Die Installation einer Entlüftungsanlage am Küchenfenster eines Gaststättenbetriebes, durch die die Wrasen und Dünste ins Freie abgeführt werden, stellt eine bauliche Veränderung dar, die der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedarf. Dass die Wohnungseigentümer über Jahre den Betrieb einer Gaststätte, die den Betrieb einer solchen Entlüftungsanlage nicht erfordert hatte, gestattet haben, gibt dem Betreiber, der im Interesse der Wirtschaftlichkeit seinen Betrieb erweitern möchte, keinen Anspruch gegen die anderen Wohnungseigentümer, der Installation einer in diesem neuen Rahmen erforderlichen Entlüftungsanlage zuzustimmen.

e) Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass der Einbau des Abluftrohres nicht mit Fällen zu vergleichen ist, in denen es um die Anbringung eines Praxisschildes für einen freiberuflich tätigen Wohnungseigentümer am Haus- und Wohnungseingang (vgl. Senat NJW-RR 1995, 333 = FGPrax 1995, 27 = WuM 1994, 494) oder um die Anbringung einer ortsüblichen Leuchtreklame für ein in zulässiger Weise in der Wohnanlage betriebenes Gewerbe (vgl. BayObLG NZM 2000, 1236 = ZMR 2001, 123 = ZWE 2001, 67 = GE 2000, 1629) geht.

Demzufolge ist auf das Rechtsmittel der Beteiligten zu II. der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Erstbeschwerde des Antragstellers gegen den zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts wiederherzustellen.

Es entspricht billigem Ermessen, dass der Antragsteller die Gerichtskosten des vorliegenden Verfahrens trägt (§ 47 Satz 1 WEG). Dagegen besteht, auch im Hinblick auf die unterschiedliche rechtliche Bewertung durch die Instanzen, kein hinreichender Anlass, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen (§ 47 Satz 2 WEG).

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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