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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.06.2009
Aktenzeichen: 27 W 92/08
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 873 Abs. 1
BGB § 883
BGB § 925
BGB § 985
ZPO § 325 Abs. 1
ZPO § 325 Abs. 2
ZPO § 727
1. Titelumschreibung bei Rechtsnachfolge: Der gutgläubige Erwerb eines Rechtsnachfolgers des Vollstreckungsschuldners steht nur dann der Rechtskrafterstreckung und der Titelumschreibung zu seinen Lasten entgegen, wenn durch die Vollstreckung in seine gutgläubig erworbene Rechtsposition eingegriffen würde.

2. Die Anwartschaft auf das Eigentum an einem Grundstück gewährt kein Recht zum Besitz.

Der gutgläubige Erwerb einer solchen Anwartschaft hindert die Umschreibung eines Herausgabetitels zur Vollstreckung gegen den Erwerber daher nicht.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 27 W 92/08

In dem Rechtsstreit

hat der 27. Zivilsenat des Kammergerichts am 25. Juni 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Kowalski, die Richterin am Kammergericht Saak und den Richter am Landgericht Retzlaff beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 6. Juni 2008 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert beträgt 5.113.000,- EUR.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Erteilung einer titelumschreibenden Klausel.

Die mittlerweile verstorbene Klägerin und die Beschwerdeführerin streiten seit Beginn der 90er Jahre mit der Beklagten und der Beschwerdegegnerin um ein Grundstück in der G... straße ... in Berlin - Mitte.

Die 1911 geborene Klägerin hatte die Beschwerdeführerin, eine Rechtsanwältin, mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen an diesem Grundstück beauftragt. Mit notariellem "Übertragungsvertrag" vom 7. Februar 1994 (Anlage ASt 4) erklärte die Klägerin die Auflassung des Grundstücks an die Beschwerdeführerin aufgrund einer gemischten Schenkung. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin Besitzerin des Grundstücks und als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Ein von der Beklagten mit einstweiliger Verfügung erwirkter Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs war nach der Aufhebung der Eilentscheidung durch das Kammergericht zuvor wieder gelöscht worden. Aufgrund des Vertrages wurde am 15. Juli 1994 zugunsten der Beschwerdeführerin eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen.

In § 5 Abs. 1 ihres Übertragungsvertrags vereinbarten die Klägerin und die Beschwerdeführerin, das Grundstück am 1. März 1994 an die Beschwerdeführerin zu übergeben. In einer weiteren notariellen Vereinbarung vom 13. Januar 1996 (Anlage ASt 26) hielten beide jedoch fest, dass sich das Grundstück seit dem 1. Dezember 1993 im Besitz der "Eigentümerin", also der Klägerin, befinde.

Mit Vermögenszuordnungsbescheid vom 4. Dezember 1995 (Anlage ASt 1) stellte der Präsident der B... anstalt für (B ) fest, dass das umstrittene Grundstück von der Beklagten in das Eigentum der Beschwerdegegnerin übergegangen sei. Der Bescheid erging unbeschadet möglicher Rechte Dritter. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage ASt 1 verwiesen.

Ebenfalls im Jahr 1995 hat die Klägerin vor dem Landgericht Berlin die Beklagte auf die Feststellung ihres Eigentums an dem Grundstück in Anspruch genommen (Geschäftszeichen 2 O 550/95). Die Beklagte hat gegen die Klägerin Widerklage auf Herausgabe des Grundstücks erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Berufung der Klägerin ist zum größtenteils erfolglos geblieben. Mit Urteil vom 21. Februar 1997 hat das Kammergericht die Verurteilung der Klägerin durch das Landgericht dahin abgeändert, dass sie das Grundstücks Zug um Zug gegen Rückgabe einer näher bezeichneten Bürgschaftsurkunde herauszugeben hat. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Die Beklagte wurde 1996 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen, die Beschwerdegegnerin am 20. Februar 2007. Mittlerweile ist die Beschwerdeführerin Besitzerin des Grundstücks.

Am 29. März 2007 hat die Beschwerdegegnerin beantragt, ihr als Rechtsnachfolgerin der Beklagten eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Kammergerichts vom 21. Februar 1997 zur Vollstreckung gegen die Beschwerdeführerin als Rechtsnachfolgerin der Klägerin zu erteilen.

Diesem Antrag hat der Rechtspfleger des Landgerichts Berlin am 25. Mai 2007 stattgegeben.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 19. Juli 2007 Erinnerung eingelegt, die das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 6. Juni 2008 zurückgewiesen hat. Gegen diesen ihr am 11. Juni 2008 zugestellte Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 24. Juni 2008 beim Landgericht eingegangenen sofortige Beschwerde, der das Landgericht mit Beschluss vom 18. August 2008 nicht abgeholfen hat.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Erinnerung der Beschwerdeführerin gegen die vom Rechtspfleger erteilte Vollstreckungsklausel zu Recht zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die Umschreibung des Urteils des Kammergerichts vom 21. Februar 1997 auf Aktivseite zugunsten der Beschwerdegegnerin und auf Passivseite zu Lasten der Beschwerdeführerin liegen vor (§§ 325 Abs. 1, 727 ZPO).

1.

Gemäß § 727 Abs. 1 ZPO kann der Rechtsnachfolger des in einem Urteil bezeichneten Gläubigers eine vollstreckbare Ausfertigung dieses Urteils zur Zwangsvollstreckung für sich beantragen, sofern die Rechtsnachfolge offenkundig ist oder in geeigneter Form nachgewiesen wird.

Das ist hier der Fall.

Der mit dem Urteil des Kammergerichts vom 21. Februar 1997 titulierte Herausgabeanspruch der Beklagten gegen die Klägerin beruht auf § 985 BGB (vgl. S. 12 der Urteilsgründe). Die Aktivlegitimation der Beklagten für diesen Anspruch ergibt sich damit aus ihrem vom Kammergericht angenommenen Eigentum. Daher ist die Beschwerdegegnerin Rechtsnachfolgerin der Beklagten, denn die Rechtsposition der Beklagten an dem umstrittenen Grundstück ist auf sie übergegangen.

a)

Dies ergibt sich aus dem Vermögenszuordnungsbescheid des Präsidenten der ... vom 4. Dezember 1995, dessen Existenz, Inhalt und Bestandkraft zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens unstreitig ist. In diesem Bescheid stellt die Bee fest, dass das Eigentum der Beklagten an dem Grundstück "unbeschadet möglicher Rechte Dritter" auf die Beschwerdegegnerin als ihre Rechtsnachfolgerin übergegangen ist. Die erst 2007 erfolgte Eintragung der Beschwerdegegnerin in das Grundbuch ist keine konstitutive Voraussetzung für diesen Rechtsübergang, der sich außerhalb des Grundbuchs vollzieht. Damit ist die Beschwerdegegnerin offenkundige Rechtsnachfolgerin der Beklagten und kann also die Titelumschreibung beantragen.

b)

Es ist unerheblich, dass der Bescheid "unbeschadet möglicher Rechte Dritter" ergangen ist. Dieser Vorbehalt bezieht sich nicht auf die mit dem Bescheid festgestellte Rechtsnachfolge, sondern auf die Existenz der auf die Beschwerdegegnerin übergehenden Rechtsposition an dem Grundstück. Ob diese ursprünglich Einwendungen unterlag, kann dahinstehen. Es ist ausreichend, dass sie durch das Kammergericht mit Urteil vom 21. Februar 1997 tituliert worden ist. Mit dem Übergang des titulierten Rechts auf die Beschwerdegegnerin ist der Titel auf sie umzuschreiben. Einwendungen gegen die titulierte Rechtsposition selbst tangieren die Rechtskraft dieses Urteils und werden nicht im Klauselverfahren nach § 727 ZPO geprüft.

c)

Der etwaige gutgläubige Erwerb einer Auflassungsvormerkung an dem Grundstück durch die Beschwerdeführerin im Juli 1994 steht der Umschreibung des Titels auf die Beschwerdegegnerin ebenfalls nicht entgegen.

Selbst wenn die Rechtsposition der 1996 in das Grundbuch eingetragenen Beklagten damit gegenüber der Beschwerdeführerin unwirksam wäre, bleibt es dabei, dass sie durch das Urteil vom 21. Februar 1997 tituliert und auf die Beschwerdegegnerin übergegangen ist. Für den allein maßgeblichen Übergang des Titels ist dies ausreichend.

Diese Rechtsauffassung kollidiert auch nicht mit § 325 Abs. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift ist der Schutz gutgläubigen Erwerbs auch bei der Rechtskrafterstreckung auf Rechtsnachfolger und der Titelumschreibung zu beachten (§ 727 Abs. 1 ZPO). Die Gutgläubigkeit steht danach aber lediglich der Rechtskrafterstreckung und der Titelumschreibung zum Nachteil eines Rechtsnachfolgers entgegen (vgl. Vollkommer in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 27. Auflage, 2009, § 325 ZPO, Rz 44). Die hier zuerst zu erörternde Umschreibung eines Aktivtitels stellt für den Rechtsnachfolger des Vollstreckungsgläubigers aber keinen Nachteil, sondern einen Vorteil dar. Daher entfaltet ein Urteil zugunsten des Nachfolgers des Titelgläubigers immer Rechtskraft (vgl. Vollkommer a.a.O.).

d)

Im Ergebnis ohne Belang ist schließlich auch der Umstand, dass die Rechtsnachfolge auf die Beschwerdegegnerin bereits am 4. Dezember 1995 festgestellt wurde. Zwar ist es möglich, dass an jenem Tag die Widerklage der Beklagten, die zu dem Urteil des Kammergerichts vom 21. Februar 1997 führte, noch nicht rechtshängig war - das genaue Datum kann nach der Vernichtung der Akten nicht mehr festgestellt werden. In diesem Fall wäre die Beschwerdegegnerin bereits vor Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolgerin der Beklagten geworden.

Gleichwohl würde das Urteil auch dann zugunsten der Beschwerdegegnerin Rechtskraft entfalten, sodass dieser Titel auf sie umzuschreiben ist.

Zwar setzt § 325 Abs. 1 ZPO für die Rechtskrafterstreckung voraus, dass die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit eintritt. Wäre hier die Rechtsnachfolge bereits vor Rechtshängigkeit eingetreten, bedeutete dies aber, dass die Beklagte in dem Rechtsstreit als verdeckte Prozessstandschafterin für die eigentlich berechtigte Beschwerdegegnerin aufgetreten wäre. Ein von einem Prozessstandschafter erstrittener Titel entfaltet aber ebenfalls zugunsten des eigentlichen Rechtsträgers Rechtskraft (BGH, Urteil vom 7. Juli 1993, IV ZR 190/92, BGHZ 123, 135; Vollkommer in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 27. Auflage, 2009, vor § 50 ZPO, Rz 54 m.w.N.) und kann deshalb auf diesen gemäß § 727 ZPO umgeschrieben werden (Vollkommer a.a.O., Rz 56; Stöber in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 27. Auflage, 2009, § 727 ZPO, Rz 13 m.w.N.).

2.

Die Beschwerdegegnerin kann auch eine Vollstreckungsklausel zur Vollstreckung gegen die Beschwerdeführerin beantragen, denn es ist offenkundig, dass sie die Rechtsnachfolgerin der Klägerin, der Vollstreckungsschuldnerin, ist (§§ 325, 727 ZPO).

a)

Mit dem Urteil vom 21. Februar 1997 hat das Kammergericht die Klägerin gemäß § 985 BGB zur Herausgabe des Grundstücks verurteilt. Die Passivlegitimation der Klägerin beruhte folglich auf ihrem Besitz an diesem Grundstück.

b)

Die Verurteilung der Klägerin zur Herausgabe entfaltet auch zum Nachteil der Beschwerdeführerin Rechtskraft, denn die Klägerin hat den Besitz unstreitig an die Beschwerdeführerin übertragen.

aa)

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass ursprünglich die Klägerin Besitzerin des Grundstücks war und dass sie es sodann der Beschwerdeführerin übergeben hat.

bb)

Darüber hinaus ist offenkundig, dass diese Übergabe nach Erhebung der Widerklage, also nach Rechtshängigkeit des titulierten Anspruchs stattgefunden haben muss.

Der genaue Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage lässt sich nicht mehr genau feststellen. Es muss hierzu aber spätestens am 9. Februar 1996 gekommen sein, denn an diesem Tag haben Klägerin und Beklagte vor dem Landgericht erstinstanzlich über die Widerklage verhandelt (vgl. das Urteil 2 O 550/95 vom selben Tag).

An jenem Tag war die Klägerin noch Besitzerin des Grundstücks, denn die Parteien haben dies in dem vorangegangenen Rechtsstreit so vorgetragen.

Dies ergibt sich aus dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, in dem das Gericht feststellt, dass das Grundstück der Klägerin am 30. November 1993 übergeben worden war. Dass die Klägerin das Grundstück an die Beschwerdeführerin weitergegeben hätte, ist im Tatbestand hingegen nicht festgestellt, woraus zu folgern ist, dass der Besitz der Klägerin im Zweifel fortbestand. Dies hat das Landgericht in den Entscheidungsgründen unter II. nochmals festgehalten. Das Kammergericht hat in dem Tatbestand des Urteils vom 21. Februar 1997 die gleichen Feststellungen getroffen (vgl. dort S. 5) und geht in den Entscheidungsgründen ebenfalls von einem Besitz der Klägerin aus. Auch mit ihrem Tatbestandsberichtigungsantrag vom 4. Juni 1996 hat sich die Klägerin in diesem Punkt nicht gegen die Feststellungen des Landgerichts gewendet.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Parteivortrag nicht der Wahrheit entsprochen haben könnte. Die Behauptung, schon vor Erhebung der Widerklage nicht mehr Besitzerin des Grundstücks gewesen zu sein, hätte in dem Rechtsstreit durchaus dem Interesse der Klägerin entsprochen, denn dann hätte die Widerklage abgewiesen werden müssen. Wenn dieser Vortrag gleichwohl unterblieben ist, muss im Zweifel gefolgert werden, dass er nicht zutreffend gewesen wäre.

Zwar vereinbarten die Klägerin und die Beschwerdeführerin in ihrem Übertragungsvertrag vom 7. Februar 1994 als Übergabetag für das Grundstück den 1. März 1994 (§ 5 Abs. 1 des Vertrages). Es gibt aber keinerlei Hinweise dafür, dass sie die Übergabe auch vereinbarungsgemäß durchführten. Im Gegenteil hielten beide in ihrer weiteren notariellen Vereinbarung vom 13. Januar 1996 (Anlage ASt 26) ausdrücklich fest, dass die Klägerin "seit 1.12.93 im Besitz des Grundstücks" sei und es folglich der Beschwerdeführerin zumindest bis zu diesem Tag gerade nicht übergeben hatte.

cc)

Gegenwärtig ist die Beschwerdeführerin Besitzerin des Grundstücks, was sie zum Beispiel auf S. 3 ihres Schriftsatzes vom 24. Juni 2008 einräumt. Da bei Erhebung der Widerklage noch die Klägerin Besitzerin war, muss die Rechtsnachfolge auf Passivseite durch Übergabe des Besitzes nach Rechtshängigkeit des titulierten Anspruchs eingetreten sein.

b)

Die Erstreckung der Rechtskraft des Herausgabetitels zum Nachteil der Beschwerdeführerin kollidiert nicht mit einer von dieser gutgläubig erworbenen Rechtsposition (§ 325 Abs. 2 ZPO).

Der gutgläubige Erwerb eines Rechtsnachfolgers des Vollstreckungsschuldners steht nur dann der Rechtskrafterstreckung und der Titelumschreibung zu seinen Lasten entgegen, wenn durch die damit mögliche Vollstreckung in die gutgläubig erworbenen Rechtsposition eingegriffen würde.

Das ist hier nicht der Fall. Durch die Umschreibung des Herausgabeurteils zur Vollstreckung gegen die Beschwerdeführerin wird sie zwar zur Herausgabe des in ihrem Besitz befindlichen Grundstücks verpflichtet. Sie hat aber keine Rechtsposition gutgläubig erworben, die ihr ein Recht zum Besitz gewährt.

aa)

Die Beschwerdeführerin hat nicht gutgläubig Eigentum an dem Grundstück erworben. Die Klägerin hatte es ihr zwar am 7. Februar 1994 aufgelassen, sie wurde aber zu keinem Zeitpunkt als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen.

bb)

Die nicht einfach zu klärende Frage, ob die Beschwerdeführerin gutgläubig eine Auflassungsanwartschaft erlangte, als für sie am 15. Juli 1994 eine Vormerkung an dem Grundstück in das Grundbuch eingetragen worden ist, kann offenbleiben.

Selbst wenn zugunsten der Beschwerdeführerin der gutgläubige Erwerb einer Auflassungsanwartschaft unterstellt wird, wurde durch die Vollstreckung des Herausgabetitels nicht in diese Rechtsposition eingegriffen. Der Inhaber einer Auflassungsanwartschaft mag gegen seinen Verkäufer einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übergabe des Grundstücks haben. Ein auch gegenüber Dritten wirkendes dingliches Recht zum Besitz an dem betroffenen Grundstück gewährt seine Anwartschaft hingegen nicht (ebenso OLG Celle, Urteil vom 24.1.1958, 4 U 30/55, NJW 1958, 870; Kanzleiter in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage, 2004, § 925 BGB, Rz 38; Stürner in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Auflage, 2002, § 925 BGB, Rz 41).

Als Anwartschaft bezeichnet man eine gesicherte Position zum Eigentumserwerb, die dem Inhaber ohne seine Einwilligung durch Verfügungen des Veräußerers oder Dritter nicht mehr genommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.2.1966, V ZR 129/63, BGHZ 45, 186; Urteil vom 18.12.1967, V ZB 6/67, BGHZ 49, 197). Die Rechtsposition des Inhabers einer Anwartschaft besteht also darin, das Eigentum vor jedem Dritten erwerben zu können. Darin erschöpft sie sich aber auch. Da eine Anwartschaft eine mindere Rechtsposition gegenüber dem Grundeigentum ist, besteht kein Anlass, den Inhaber der Anwartschaft besitzrechtlich einem Eigentümer gleichzustellen.

Die Position des Senats steht nicht in Widerspruch zu der in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach dem Inhaber der Anwartschaft an einer beweglichen Sache ein dingliches Besitzrecht an ihr zustehen soll (vgl. Bassenge in Palandt, Kommentar zum BGB, 68. Auflage, 2009, § 929 BGB, Rz 41 m.w.N.; Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Auflage, 2009, § 59 Rz 47 m.w.N.; anders freilich BGH, Urteil vom 21. Mai 1953, IV ZR 192/52, BGHZ 10, 69; auch ablehnend Quack in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage, 2004, § 929 BGB, Rz 35).

Bei beweglichen Sachen lässt sich das absolute Besitzrecht des Inhabers einer Anwartschaft zumindest damit begründen, dass es zum Schutz der Anwartschaft selbst erforderlich ist. Denn eine Anwartschaft besteht nur dann, wenn der Inhaber auch vor dem gutgläubigen Rechtserwerb durch Dritte wie ein Eigentümer geschützt ist. Gelangt eine bewegliche Sache in den Besitz eines Dritten, kann Rechtsverlust durch gutgläubigen Erwerb eines anderen drohen (vgl. § 932 BGB). Daher ist es zumindest vertretbar, dem Inhaber einer Anwartschaft wie einem Eigentümer ein dingliches Recht zum Besitz zuzusprechen. Denn der Schutz des Besitzes ist erforderlich zum Schutz der Anwartschaft.

Beim Grundeigentum verhält es sich anders. Hier beruht die Erwerbsposition des Anwartschaftsinhabers anders als bei beweglichen Sachen nicht auf dem Besitz am Grundstück, sondern auf der grundbuchlichen Absicherung des Erwerbers - im vorliegenden Fall durch eine Vormerkung. Durch fehlenden Besitz wird die Anwartschaft nicht gefährdet, denn bei Immobilien hat nicht der Besitz (§ 1006 Abs. 1 BGB), sondern nur die Eintragung in das Grundbuch den Anschein der Berechtigung für sich. Da zum Schutz der Erwerbsposition ein Besitzschutz nicht erforderlich ist, ist daher aus ihr auch kein Recht zum Besitz abzuleiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 574 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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