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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.10.2004
Aktenzeichen: 28 AR 55/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 29
ZPO § 36
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 38 Abs. 3 Nr. 1
BGB § 269 Abs. 1
BGB § 269 Abs. 2
BGB § 270
BGB § 631
1. Der Gerichtsstand des § 29 ZPO ist auch für quasivertragliche Schuldverhältnisse, die auf dem gesetzlichen Anschluss- und Benutzungszwang basieren, anwendbar (hier: Straßenreinigung und Müllentsorgung).

2.Gemeinsamer Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus solchen Schuldverhältnissen ist der Ort des belegenen Grundstücks.


KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 28 AR 55/04

In dem Rechtsstreit

hat der 28. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vizepräsidenten des Kammergerichts Dr. Pickel, die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Forkel und den Richter am Landgericht Dr. Vossler am 14. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Charlottenburg wird als das örtlich zuständige Gericht für die dort unter dem Aktenzeichen 208 C 172/04 anhängige Klage bestimmt.

Gründe:

Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

Allerdings ist - wie nachstehend auszuführen ist - bei dem Amtsgericht Charlottenburg ein besonderer, die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an sich ausschließender gemeinsamer Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) hinsichtlich aller Beklagter begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, die wiederum an die des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2002, Seite 1426 m. w. N.) anknüpft, ist es der Sinn des § 36 ZPO jedoch, im Sinne der Verfahrensökonomie Streitigkeiten über die Grenzen der Zuständigkeiten der Gerichte vermeiden zu helfen und ggfls. durch eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung Klarheit zu schaffen. Ohne eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat wäre zu befürchten, dass die Klägerin ein Sachurteil gegen die Antragsgegner nicht, jedenfalls aber nicht mit zumutbarem Aufwand erreichen könnte: Denn das Amtsgericht Charlottenburg hat in seinem ausführlich begründetem Beschluss vom 16. Juli 2004 deutlich gemacht, dass es einen Gerichtsstand des § 29 ZPO nicht für gegeben erachtet. In einer solchen Situation gebietet es der Grundsatz der Prozessökonomie, in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Klarheit über das zuständige Gericht zu schaffen, und nicht etwa den Antragsteller darauf zu verweisen, die Rechtsauffassung des Gerichts nach Erlass eines Prozessurteils in einem Berufungsverfahren überprüfen zu lassen.

Dass ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO bei dem in Berlin Charlottenburg gelegenen Grundstück, für das die Klägerin Straßenreinigungsleistungen erbracht hat, begründet ist, ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten: Der Anwendungsbereich von § 29 ZPO ist nicht auf schuldrechtliche Verpflichtungsverträge, die durch ein privatrechtliches Angebot und Annahme zustande kommen, beschränkt. Ein "Vertragsverhältnis" im Sinne des § 29 ZPO ist, wie anerkannt ist, auch bei gesetzlichen Sonderbeziehungen anzunehmen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. Rdz. 6 zu § 29 ZPO), wenn diese ein Verhältnis von Rechten und Pflichten begründen, das einen vertragsähnlichen Typus hat. Bei dem gesetzlichen Schuldverhältnis auf Straßenreinigung bzw. Müllentsorgung, das aufgrund des gesetzlichen Anschluss- und Benutzungszwangs (vgl. KG, GE 2004, Seite 179) zustande kommt, ist dies der Fall. Denn die essentiellen Pflichten (Reinigungs- und Entsorgungspflicht einerseits, die Zahlungspflicht andererseits), die die Parteien zu erfüllen haben, unterscheiden sich von privatrechtlich vereinbarten Pflichten nicht wesentlich. Sie können mit gleichem Inhalt ohne weiteres auch in einem Werkvertrag nach § 631 BGB begründet werden.

Richtig weist das Amtsgericht Charlottenburg darauf hin, dass es für die weitere Frage, wo der Erfüllungsort liegt, nicht auf den allgemeinen Charakter des Vertragsverhältnisses, sondern auf die jeweils mit der Klage konkret geltend gemachte Verpflichtung ankommt. Zutreffend ist auch, dass grundsätzlich die Zahlungsverpflichtung als eine sogenannte Schickschuld im Sinne des § 269 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 270 BGB an dem Ort zu erfüllen ist, an welchem der jeweilige Schuldner zur Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hat. Richtig ist aber auch, wie das Amtsgericht Charlottenburg weiter darlegt, dass bei bestimmten Typen von Vertragsverhältnissen, bei denen der Schwerpunkt des Vertrages wegen der besonderen Ortsbezogenheit einer vertragstypischen Leistung an einem bestimmten Ort liegt, dieser als Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen anzusehen ist. Eine solche besondere Ortsbezogenheit, die den gesamten Vertrag einschließlich der Leistungspflichten des jeweiligen Grundstückseigentümers prägt, ist bei den hier in Rede stehenden Rechtsverhältnissen der Straßenreinigung und der Müllentsorgung anzunehmen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine solche besondere Ortsbezogenheit keinesfalls regelmäßig und auch nicht schematisch angenommen werden darf (so Senat in KGR 2003, Seite 230 f. - betreffend Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts). Vorliegend ist aber, wie die Klägerin zu Recht anführt, zu berücksichtigen, dass nicht nur der Stadtreinigungsbetrieb an dem Grundstück seine Hauptleistungspflicht zu erfüllen hat. Auch der Grundstückseigentümer und damit Abfallbesitzer hat dort durchaus wesentliche Pflichten und Obliegenheiten zu erfüllen, insbesondere die der kontinuierlichen Bereitstellung des Abfalls in der vom Entsorgungsunternehmen vorgegebenen Form und zu den vorgegebenen Entsorgungsterminen. Auch kann der Grundstückseigentümer die für ihn wesentliche Überwachung der ordnungsgemäßen Leistungserbringung nur an Ort und Stelle erbringen. Bei einer wertenden Betrachtung ist ferner zu berücksichtigen, dass der Grundstückseigentümer durch die Annahme eines Erfüllungsortes am Grundstück nicht unangemessen belastet wird. Selbst wenn der Eigentümer auf dem Grundstück nicht seinen Wohnsitz hat, so muss er doch dort all jene Pflichten erfüllen, die mit einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung und Sicherung der Liegenschaft verbunden sind. Er ist deshalb am Ort des Grundstücks nahezu zwangsläufig wirtschaftlich tätig. Schon deshalb muss er damit rechnen, im Bezirk, in dem das Grundstück gelegen ist, unter Umständen auch klageweise in Anspruch genommen zu werden.

Im Übrigen wäre eine Bestimmung des Amtsgerichts Charlottenburg gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorliegend auch deshalb möglich gewesen, weil die Beklagten sich inzwischen mit der Bestimmung jenes Gerichts einverstanden erklärt haben. Im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis der Parteien und den Rechtsgedanken des § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist ein Einverständnis beider Parteien im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO vom bestimmenden Gericht zu beachten.

Ende der Entscheidung

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