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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 28.02.2001
Aktenzeichen: 29 U 7748/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 416
BGB § 416 Abs. 2
ZPO § 91
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 29 U 7748/00

Verkündet am: 28. Februar 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Jatowietzki und die Richter am Kammergericht Dr. Rejewski und Gröning für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. August 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert der Beschwer wird auf 34.266,37 DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin meint, mit dem wiedervereinigungsbedingten Übergang des DDR-Staatsvermögens auf sie eine durch Enteignung dort hineingelangte, ursprünglich der Frankfurter Hypothekenbank zustehende Darlehensrückzahlungsforderung gegen die Beklagte erworben zu haben, und nimmt diese nach vorheriger Darlehenskündigung daraus auf Zahlung in Anspruch.

Die in Frankfurt am Main ansässige Frankfurter Hypothekenbank hatte das Darlehen im Jahre 1901 an den Tapetenfabrikanten ausgegeben und es sich durch eine Hypothek auf dessen Grundstück Straße 60 in Berlin-Mitte, einer später in den sowjetischen Sektor fallenden Ortslage, besichern lassen. Im Jahre 1920 gründete mit seinen Söhnen die beklagte Kommanditgesellschaft. Er übertrug ihr als Produktionsstandort das Grundstück mit der Hypothek, und sie übernahm die besicherte Darlehensschuld. In den Jahren 1939/40 wurde die Beklagte, weil als jüdischer Betrieb geltend, zwangsweise liquidiert. Das Grundstück wurde, belastet mit der Hypothek, an zwei Erwerberinnen veräußert Diese erklärten in dem Kaufvertrag, die Darlehensschuld unter Anrechnung auf den Kaufpreis zu übernehmen. Die Verkäuferseite verpflichtete sich, nach Eintragung der Käuferinnen im Grundbuch die Schuldübernahme gemäß § 416 Abs. 2 BGB der Hypothekenbank mitzuteilen und die Erwerberinnen zu benachrichtigen, sobald die Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung fest stehe. Im Frühjahr 1940 wurden die Erwerberinnen im Grundbuch als Eigentümerinnen eingetragen.

Nach Kriegsende wurde die Darlehensgeberin Frankfurter Hypothekenbank durch § 1 der Verordnung des Ost-Berliner Magistrats zur Überführung von Konzernen und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen in Volkseigentum vom 10. Mai 1949 in Verbindung mit Nr. 58 der beigefügten Liste A mit ihrem gesamten Vermögen enteignet und dieses - umschrieben als Überführung in das Eigentum des Volkes - verstaatlicht.

Die Darlehensforderung war bei Ende des Bestehens der DDR in deren Staatshaushalt verzeichnet und gelangte im Zuge der Wiedervereinigung in die Verwaltung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Das mit der Hypothek belastete Grundstück wurde, nachdem es 1963 der Zwangsverwaltung durch den Volkseigenen Betrieb Kommunale Wohnungsverwaltung Berlin-Mitte unterstellt worden war, im Jahre 1979 enteignet und - etikettiert als Übergang in das Eigentum des Volkes - lastenfrei verstaatlicht. Die festgesetzte Entschädigung teilten der zum Rechtsträger des Grundstücks bestellte Wohnungsverwaltungsbetrieb und die Ost-Berliner Sparkasse zum Ausgleich für mit dem Grundstück zusammenhängende eigene Forderungen untereinander auf.

Nach der Wiedervereinigung wurde das Grundstück nach Eintragung des Landes Berlin als Eigentümer aufgrund eines Investitionsvorrangbescheids an einen Investor veräußert. Auf die sowohl für die Beklagte als auch für ihre 1940 eingetragenen Eigentumsnachfolgerinnen gestellten Anträge auf Rückübertragung des Grundstücks wurde durch Bescheid des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 18. November 1997 festgestellt, dass die Beklagte Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes hinsichtlich des Grundstücks ist. Der Rückübertragungsantrag der anderen Seite wurde abgelehnt. Das Land Berlin wurde verpflichtet, den aus der Veräußerung des Grundstücks erzielten Erlös oder, wenn dieser den Verkehrswert unterschritte, den Verkehrswert an die Beklagte zu zahlen.

Die 1901 ausgegebene Darlehenssumme belief sich auf 265.000,00 Mark. Daraus wurden im Jahre 1925 nach dem Aufwertungsgesetz 66.250,00 Goldmark, wovon die Beklagte 1932 250,00 Goldmark zurückzahlte. Im Jahre 1939 bei gesetzlicher Gleichstellung von Goldmarkverbindlichkeiten mit Reichsmark-Verbindlichkeiten bestand die Darlehensforderung in Höhe von 66.000,00 Reichsmark. Bei der Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone nach Ende des zweiten Weltkrieges wurden die auf Reichsmark lautenden Schuldverpflichtungen und Grundpfandrechte im Verhältnis 1:1 auf Deutsche Mark der Deutschen Notenbank umgestellt. Im Zuge der der Wiedervereinigung vorausgehenden Währungsunion hat im Verhältnis 2:1 eine Umwertung in DM stattgefunden.

Durch sein am 30. August 2000 verkündetes Urteil, auf das wegen der Einzelheiten seines Inhalts Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Darlehensrückzahlungsklage stattgegeben. Es hat die Beklagte klageantragsgemäß verurteilt, 34.266,37 DM - bestehend aus 33.000,00 DM Darlehensbetrag und 1.266,37 DM aufgelaufenen Zinsen - nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1999 an die Klägerin zu zahlen.

Mit ihrer Berufung gegen dieses ihr am 4. September 2000 zugestellte Urteil, die sie am 28. September 2000 eingelegt und am 26. Oktober 2000 begründet hat und deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, weil statthafte und form- und fristgerecht eingelegte und begründete, Berufung führt zum Erfolg.

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist nicht aktiv legitimiert. Sie hat die Forderung nicht erworben. Diese ist nicht in das Staatsvermögen der DDR gelangt, das der Klägerin durch die deutsche Wiedervereinigung zugefallen ist. Die Enteignung der Frankfurter Hypothekenbank durch den Ost-Berliner Magistrat hat die Darlehensrückzahlungsforderung nicht mit umfasst.

Das beruht auf dem auch von dem Bundesverfassungsgericht (NJW 1991, 1597, 1600) in der Geltung anerkannten Territorialitätsprinzip. Danach entfaltet eine Enteignung Wirkungen nur innerhalb des Hoheitsgebietes und nur in Bezug auf Vermögen, das der Gebietshoheit des enteignenden Hoheitsträgers unterliegt. Darunter fällt die in Rede stehende Darlehensrückzahlungsforderung nicht. Sie hatte für sich gesehen keine territoriale Berührung mit dem Machtbereich des Ost-Berliner Magistrats. Sie stand der Frankfurter Hypothekenbank an ihrem im Westteil Deutschlands belegenen Geschäftssitz zu. Eine Verbindung zum Hoheitsgebiet des Ost-Magistrats ergab sich nur daraus, dass darin das Grundstück lag, aus dem sich die Bank kraft der zu ihrer Sicherung eingetragenen Hypothek notfalls sollte befriedigen können. Allein dieser Umstand vermochte aber keine so enge Beziehung der Forderung zu dem Einflussbereich des Magistrats zu begründen, dass sie als von der dortigen Enteignung erfasst angesehen werden könnte. Wenn überhaupt von der Enteignung Wirkungen ausgegangen sind, können sie allenfalls dahin gehen, dass der Hypothekenbank das als Sicherheit dienende Grundpfandrecht entzogen worden ist. Als sein das Schicksal der Enteignung teilender Annex ist die Darlehensrückzahlungsforderung nicht zu sehen. Akzessorietät besteht nur im umgekehrten Verhältnis: die Hypothek als dingliches Recht hängt bezüglich Entstehung, Erlöschen und Rechtsinhaberschaft von der schuldrechtlichen Forderung ab; rechtlich verhält es sich so, dass die Forderung das Haupt- und die Hypothek das Nebenrecht bildet (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 59. Auflage, Einleitung vor § 854, Rdn. 8; Überblick vor § 1113, Rdn. 2).

Davon abgesehen müsste die Klage an fehlender Passivlegitimation der Beklagten scheitern. Wenn die Enteignung denn die schuldrechtliche Forderung mit ergriffen hätte, wäre es keine gegen die Beklagte gerichtete mehr gewesen, sondern eine gegen die nachfolgenden Eigentümerinnen. Nach Lage der Dinge müsste von befreiender Schuldübernahme durch sie ausgegangen werden. In dem notariellen Veräußerungsvertrag war vorgesehen, den dahin führenden Weg gemäß § 416 BGB zu beschreiten. Es drängt sich auf, dass die Angelegenheit denn auch tatsächlich diesen Lauf genommen hat.

Für die Hypothekenbank bestand kein Anlass, an der Beklagten als Schuldnerin festzuhalten. Davon konnte sie sich angesichts deren zwangsweiser Liquidation als jüdischer Betrieb nichts mehr versprechen. Der Beklagten könnte hier auch nicht vorgehalten werden, dass nach den Grundsätzen der Beweislastverteilung diejenige Partei, die die Wirksamkeit der Schuldübernahme geltend macht, nachweisen muss, dass dem Gläubiger die Schuldübernahme in gehöriger Form mitgeteilt worden ist und seit dem Zugang der Mitteilung sechs Monate verstrichen sind (vgl. Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., § 416 BGB), dass sie, die Beklagte, aber diesen Nachweis schuldig geblieben ist. Hier liegen so außergewöhnliche Umstände vor, dass es unbillig wäre darauf zu bestehen. Es geht hier um angesichts von Verfolgung und Kriegswirren für die Beklagte schwer aufklärbare Zusammenhänge aus dem Bereich der Bank. Insofern kann hier als normaler Lauf der Dinge zu Grunde gelegt werden, dass die Schuldübernahme stattgefunden hat. Hier lag ein staatlicherseits erzwungener Verkauf vor, der nicht wie ein alltägliches Geschäft solcher Art behandelt werden kann. Es war in dem Vertrag festgelegt, dass die Schuld im Wege des § 416 BGB übernommen werden sollte, und es ist dann auch anzunehmen, dass der staatliche Zwangsliquidator alles dafür Erforderliche wirksam ausgeführt hat. Es ging ja gerade darum, die ursprünglichen Schuldner aus dem Geschäftsleben zu eliminieren, und vertrüge sich damit nicht, wenn sie als persönliche Darlehensschuldner hätten beteiligt bleiben sollen. Das lag um so ferner, als nicht damit gerechnet werden konnte, dass sie noch die nötigen Mittel für den Schuldendienst würden aufbringen können.

Der Annahme des Zustandekommens der Schuldübernahme entgegenstehende Hindernisse darzulegen und zu beweisen wäre Sache der Klägerin gewesen. Als Rechtsnachfolgerin der Frankfurter Hypothekenbank in der Forderungsinhaberschaft, die zu sein sie für sich in Anspruch nimmt, hätte sie von der Bank Aufklärung über die damaligen Vorgänge aus deren Unterlagen verlangen können. Nichts spricht aber dafür, dass sich daraus gegen die Schuldübernahme Sprechendes ergeben hätte.

Danach musste die Berufung Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr.10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden (§ 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Was die Enteignung durch den Ost-Magistrat rechtlich bewirkt hat, ist von über den vorliegenden Fall hinausgehendem Interesse. Er betrifft einen Ausschnitt einer umfangreichen Enteignungsaktion, die noch weitere Hypothekenbanken mit Sitz außerhalb des Gebietes des Ost-Magistrats getroffen hat.

Ende der Entscheidung

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