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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.03.2006
Aktenzeichen: 3 WF 42/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 115 Abs. 2 Nr. 4
Soweit Ansprüche von mit einer Prozesskostenhilfe beantragenden Partei zusammenlebenden Personen nach dem SGB II oder dem SGB XII im Hinblick auf die Bedarfsgemeinschaft (§ 9 Abs. 1 SGB II, § 36 SGB XII) mit der Partei versagt werden, sind in diesem Umfang Beträge als besondere Belastungen im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 4 ZPO in Ansatz zu bringen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 3 WF 42/06

In der Familiensache

hat der 3. Zivilsenat des Kammergerichts - Senat für Familiensachen - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Becker als Einzelrichter am 30. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 13. Februar 2006 aufgehoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe:

Durch Beschluss vom 10. August 2005 ist dem Antragsteller Prozesskostenhilfe bewilligt worden; zugleich sind ihm monatliche Raten in Höhe von 60 EUR ab 1. September 2005 auferlegt worden. Mir Schriftsatz vom 8. September 2005 beantragte der Antragsteller, die Anordnung von Ratenzahlungen aufzuheben, da die Belastungen für seine mit ihm zusammenlebende Partnerin und deren Tochter nicht berücksichtigt worden seien, diese aber wegen der mit ihm bestehenden Bedarfsgemeinschaft keine Leistungen nach dem SGB II erhalte. Mit Schreiben vom 28. September 2005 teilte der Familienrichter dem Antragsteller mit, dass die Lebensgefährtin und deren Kind bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens nicht berücksichtigt werden könnten. Nachdem der Antragsteller keine Ratenzahlungen aufgenommen hatte, wies der Rechtspfleger mit dem an den Antragsteller persönlich gerichteten Schreiben vom 21. Dezember 2005 der Rechtspfleger diesen auf das Ausbleiben der Raten hin und drohte den Entzug der Prozesskostenhilfe an, was dann durch den angefochtenen Beschluss erfolgte.

Mit der rechtzeitig eingelegten Beschwerde, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat, wendet sich der Antragsteller gegen den Entzug der Prozesskostenhilfe. Er verweist auf die Darlegungen in seinem Antrag vom 8. September 2005 und macht zusätzlich geltend, dass sich sein Einkommen durch die inzwischen geltende Steuerklasse weiter vermindert habe.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Zunächst ist der angefochtene Beschluss in verfahrensfehlerhafter Weise ergangen, da er auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht. Die Ankündigung des Entzug des Prozesskostenhilfe erfolgte lediglich dem Antragsteller persönlich gegenüber, nicht aber dem (damals bestellten) Bevollmächtigten des Antragstellers. Wäre dies erfolgt, hätte der Antragsteller auf seinen noch immer nicht beschiedenen Antrag vom 8. September 2005 hingewiesen

Der Widerruf einer gewährten Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr., 4 ZPO ist nur zulässig, wenn der Rückstand der Raten auf einem Verschulden des Bedürftigen beruht. Das Verschulden ist unabhängig von den Feststellungen und Bewertungen des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses zu prüfen (vgl. BGH, NJW 97,1077). Demzufolge ist eine Nichtzahlung insoweit nicht als verschuldet anzusehen, als die jeweils zu zahlenden Raten materiell die Leistungsfähigkeit der Partei überstiegen, sei es, dass der ursprüngliche Beschluss schon seinerzeit nicht der Leistungsfähigkeit der Partei entsprochen hat, weil bei der Festsetzung der Raten das Gericht oder auch der Antragsteller selbst die Fähigkeit, zu den Prozesskosten durch Zahlung von Raten beizutragen, falsch eingeschätzt haben, insbesondere, weil die Festsetzung der Ratenhöhe zum Nachteil der Partei auf unvollständigen Angaben beruhte, sei es, dass sich die Einkommensverhältnisse geändert haben, selbst wenn - anders als hier - die prozesskostenhilfebedürftige Partei keinen Antrag auf Herabsetzung der Raten nach § 120 Abs. 4 ZPO gestellt hat (BGH, a.a.0.).

Die Festsetzung einer Rate von 60 EUR war zu hoch, da sie nicht die durch die Änderungen zum SGB II zum 1.1.2005 bedingten veränderten sozialrechtlichen Bezüge berücksichtigt. Die Prozesskostenhilfe als Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege (BVerfGE 9,258; 35, 355) orientiert sich hinsichtlich der einer Partei zumutbaren Belastungen, wie sich aus den Verweisungen auf das SGB XII ergibt, an der Sozialhilfe. Wenn aber aus der Sicht des SGB II und des SGB XII das Einkommen einer Partei nach den in § 115 Abs. 2 vorgesehenen Abzügen nicht in vollem Umfang für deren eigenen Lebensbedarf zur Verfügung steht, sondern auch für weitere Personen einer - in § 115 ZPO nicht erwähnten - Bedarfsgemeinschaft einzusetzen ist, verbietet es sich, das Einkommen ungeschmälert als einzusetzenden Einkommen im Sinne der Prozesskostenhilfe in Ansatz zu bringen.

Insofern ist die vom Richter in seiner Verfügung vom 28. September 2005 mitgeteilte Rechtsansicht nicht zutreffend. Die Berechnung des Antragstellers - die seine Lebensgefährtin und deren Kind Angehörigen, denen gegenüber eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht, gleichstellt - ist allerdings nicht zutreffend. Auszugehen ist vielmehr von dem Bedarf dieser beiden nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld); hierbei haben jedoch die (anteiligen) Wohnkosten außer Betracht zu bleiben, weil sie in voller Höhe bereits beim Antragsteller nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 ZPOI abgezogen sind. Soweit deren Einkünfte (der Antragsteller hat hierbei die Einkünfte des Kindes übersehen; bei dem Betrag von 154 EUR handelt es offensichtlich um das Kindergeld) diesen Betrag nicht erreichen, liegt ein verbleibender Bedarf vor. Nur insoweit wird aber der Antragsteller im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft herangezogen und nur insoweit kann deshalb das einzusetzende Einkommen des Antragstellers vermindert werden.

Der Bedarf der Lebensgefährtin des Antragstellers nach dem SGB II beläuft sich (ohne Wohnbedarf) auf 311,00 EUR. Auf diesen Bedarf sind deren Einkünfte von 300 EUR (vermindert um den Freibetrag von 140 EUR nach §§ 11 Abs. 2, 30 SGB II) anzurechnen, so dass ein verbleibender Bedarf von 151 EUR verbleibt. Das Sozialgeld für Stephanie betrüge 256 EUR abzüglich Kindergeld = 102 EUR. Die Partnerin hätte ohne die Bedarfsgemeinschaft mit dem Antragsteller also Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 253 EUR zu beanspruchen; der Anspruch wurde aber im Hinblick auf die Bedarfsgemeinschaft mit dem Antragsteller versagt, ist also vom Antragsteller aufzubringen.

Dieser Betrag ist als besondere Belastung nach § 115 Abs. 2 Nr. 4 ZPO vom ohne diese Belastung einzusetzenden Einkommen von 158,06 EUR abzusetzen, so dass kein Raum für eine Ratenzahlung verblieb.

Die Entscheidung über die Nichterstattung von Auslagen beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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