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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.02.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 31/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 70 Abs. 2
Zur Statthaftigkeit der weiteren Beschwerde gegen die Anordnung der Erzwingungshaft.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 3 Ws 31/08

In der Strafsache

wegen Mordes u. a.

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 14. Februar 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Zeugen H..., ..., ... zurzeit in Beugehaft in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, ... werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. November 2007 - ... - und des Landgerichts Berlin vom 29. November 2007 - ... - aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Zeugen durch dasselbe entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe:

Den Angeklagten wird in der Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 30. November 2007 - soweit hier von Interesse - zur Last gelegt, am 4. Januar 2007 gemeinschaftlich handelnd den ... G.... ermordet und anschließend ihm gehörende Gegenstände unterschlagen zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift Bezug genommen.

Der Beschwerdeführer hat anlässlich seiner Zeugenvernehmung durch die Polizei vom 18. Januar 2007 kurze Angaben zur Sache gemacht. Die Zeugenvernehmung wurde am 19. Januar 2007 in Anwesenheit seines Rechtsbeistandes fortgesetzt; das Vernehmungsprotokoll umfasst elf Seiten. Bei seiner erneuten Zeugenvernehmung durch die Polizei am 28. Februar 2007, zu deren Beginn er unter anderem nach § 55 StPO belehrt wurde, erklärte er, ohne seinen Rechtsanwalt keine Angaben machen zu wollen. Durch den bei der Vernehmung anwesenden Staatsanwalt wurde er gemäß § 70 StPO belehrt, aber nicht weiter zur Sache vernommen. Am 1. März 2007 setzte die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen unberechtigter Zeugnisverweigerung gemäß §§ 161 a Abs. 2 Satz 1, 70 Abs. 1 StPO ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro fest, das das Landgericht auf seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch Beschluss vom 4. Mai 2007 - 513 AR 7/07 - auf 500,-- Euro herabsetzte. Anlässlich der richterlichen Vernehmung des Zeugen vor dem Amtsgericht am 20. November 2007 erklärte sein Beistand, er sei der Meinung, der Beschwerdeführer besitze ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, und rate ihm daher, in diesem Termin keine Angaben zur Sache zu machen. Demgemäß erklärte der Zeuge, er wolle keine Aussage machen. Daraufhin ordnete das Amtsgericht durch Beschluss vom selben Tage gegen ihn gemäß § 70 Abs. 2 StPO die Erzwingungshaft für die gesetzlich zulässige Dauer an. Ferner erlegte es ihm ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,-- Euro, ersatzweise zwanzig Tage Ordnungshaft, auf. Die Beugehaft wird gegen den Zeugen seit dem 20. November 2007 vollzogen. Seine gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichtete Beschwerde verwarf das Landgericht durch Beschluss vom 29. November 2007 ... . Die gegen die Bestätigung der Beugehaft gerichtete weitere Beschwerde des Zeugen hat Erfolg.

Die weitere Beschwerde ist statthaft. Sie ist nicht durch § 310 StPO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidung nicht statt, es sei denn, es handelt sich - soweit hier von Interesse - um eine Verhaftung. Wie das Oberlandesgericht Frankfurt in NStZ-RR 2000, 26 - die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 36, 192 (= NJW 1989, 2702) für die Anordnung der Beugehaft zu § 304 Abs. 5 StPO zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nehmend - überzeugend ausgeführt hat, sind keine Gründe dafür ersichtlich, den Begriff der Verhaftung in § 310 Abs. 1 StPO (a. F.) anders auszulegen als den der Verhaftung in § 304 Abs. 5 StPO. Abweichendes sei weder dem Sinn der Vorschrift des § 310 StPO, noch der Begründung für die Auslegung des Begriffs Verhaftung nach der Rechtsprechung des BGH zu entnehmen. Erzwingungshaft sei ebenso wie die Untersuchungshaft eine gesetzlich zugelassene Beschränkung des durch Art. 2 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG verbürgten Freiheitsrechts des Betroffenen. In ihrer Eingriffsintensität sei sie mit dem Vollzug von Untersuchungshaft vergleichbar. Vorschriften, die das gerichtliche Verfahren einer Freiheitsbeschränkung regeln, müssten so ausgelegt werden, dass das Auslegungsergebnis der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit Rechnung trage. Dies spreche dafür, einem bis zur Dauer von sechs Monaten zulässigen Freiheitsentzug durch Beugehaft nicht die Beschwerdefähigkeit zu versagen (siehe auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 382). Der Senat fügt dem Folgendes hinzu: Für die Meinung des Oberlandesgerichts Frankfurt spricht auch, dass in § 310 Abs. 1 (a. F.) von Verhaftungen im Plural die Rede war, nicht etwa von Beschlüssen, die die Untersuchungshaft betreffen. Der Wortlaut dieser Vorschrift sprach daher für eine Gesetzesauslegung in dem hier als zutreffend erachteten Sinn. In der seit dem 2. November 2006 geltenden Fassung des § 310 Abs. 1 StPO (vgl. das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006, Art. 1 Nr. 12 Abs. 1 Nr. 1, Art. 3 - BGBl. I, S. 2350 -) heißt es nunmehr zwar, die weitere Beschwerde sei statthaft, wenn sie "eine Verhaftung" betreffe. Auch hier ist aber - neben einer einstweiligen Unterbringung - jedenfalls nicht von Untersuchungshaft, sondern von einer Verhaftung (überhaupt) die Rede.

Vorliegendes Ergebnis wird von Senge in KK, StPO 5. Aufl., § 70 Rdn. 15 a in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 304 Abs. 5 StPO geteilt, ebenso von Matt in LR, StPO 25. Aufl., § 310 Rdn. 42 und Dahs in LR, StPO 25. Aufl., § 70 Rdn. 40. Dieselbe Meinung vertritt im Ergebnis auch Neubeck in KMR § 70 Rdn. 22. Rogall hält es in SK-StPO § 70 Rdn. 39 für den Fall, dass man der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 304 Abs. 5 StPO folge, für konsequent, in einem Fall wie dem vorliegenden die weitere Beschwerde für zulässig zu halten. Soweit in Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., § 70 Rdn. 20 und § 310 Rdn. 5 die gegenteilige Auffassung vertreten wird, wird eine Begründung dafür nicht angeführt.

Die weitere Beschwerde ist auch begründet.

Dies folgt allerdings nicht daraus, dass der Zeuge in Wahrheit Beschuldigter gewesen wäre und gegen ihn deshalb Beugehaft nicht hätte angeordnet werden dürfen. Beschuldigter ist nur der Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigter betrieben wird. Diese Eigenschaft kann durch Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde begründet werden, was in der Regel durch die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens geschieht (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., Einl. Rdn. 76 m.N.). Letzteres ist hier zu keinem Zeitpunkt geschehen. Zwar kann die Beschuldigteneigenschaft auch dadurch entstehen, dass die Staatsanwaltschaft Maßnahmen gegen einen Tatverdächtigen ergreift, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen (vgl. Meyer-Goßner a.a.O.; BGH NStZ 1997, 398 m.N.; BGH NJW 2007, 237), aber auch daran fehlt es. Der ermittelnde Staatsanwalt hat in seinem Vermerk vom 1. März 2007 niedergelegt, dass die gegen den Zeugen gerichteten Ermittlungsmaßnahmen nur auf dessen Näheverhältnis zu den Beschuldigten beruht und nur den Ermittlungen gegenüber diesen gedient hätten. Auch in dem Vermerk vom 3. April 2007 hat er dargelegt, dass ein Anfangsverdacht der Tatbeteiligung des Zeugen zu keinem Zeitpunkt bestanden habe, und keine Beweismittel dafür vorlägen, dass er an dem Treffen mit dem Opfer in der Tatnacht oder der nachfolgenden Fahrt zum Tatort teilgenommen habe; auch sonstige ihn belastende Indizien lägen nicht vor. Der Senat tritt dem bei. Zu keinem anderen Ergebnis führt der Vermerk des KHK V.. vom 22. Januar 2007, in dem es heißt, es dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei dem beobachteten Waffenträger um den Zeugen (und Intensivtäter) ... H... handeln. Abgesehen davon, dass der Polizeibeamte den jetzigen Beschwerdeführer gleichwohl als Zeugen bezeichnet hat, basiert seine Einschätzung darauf, dass der Beschwerdeführer seine Anwesenheit als Fahrer und Begleiter des Beschuldigten Y... bei einem Vorgang auf einem Parkplatz in unmittelbarer Umgebung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses Anfang November 2006 bekundet haben soll (vgl. Anklage S. 42/43). Dies trifft indes so nicht zu, denn der Zeuge hat sich anlässlich seiner Vernehmung vom 19. Januar 2007 zu einem nächtlichen Treffen zwischen dem Angeklagten Y... und dem am 4. Januar 2007 auf einem Parkplatz in der Waßmannsdorfer Chaussee in Berlin-Rudow erschossenen G.... nur relativ vage geäußert und angegeben, er sei mit Y... einmal in einem Krankenhaus gewesen. Er glaube, dass dies schon länger als ein bis zwei Monate, ca. drei bis vier Monate, zurückliegend gewesen sei. Y... habe sich auf der Rettungsstelle behandeln lassen. Er - der Zeuge - habe auf ihn gewartet. Y... sei dann zum Auto wieder herausgekommen und habe sich mit irgendjemandem auf der Straße unterhalten. Dies sei außerhalb des Krankenhausgeländes gewesen, auf einem Parkplatz. Y... habe höchstens fünf Minuten "mit dem Typen" gesprochen. Er - der Zeuge - habe nichts mitbekommen. Er wisse nicht, mit wem Y... gesprochen habe, habe ihn auch nicht danach gefragt. Zudem heißt es in dem Vermerk des KHK V.. vom 22. Januar 2007 zusätzlich, zur weiteren Absicherung seiner Erkenntnis werde bei dem Zeugen U... - der bei den Vorgängen auf dem Parkplatz in unmittelbarer Umgebung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses zugegen war - eine Lichtbildvorlage erfolgen. U... hat indes bei Wahllichtbildvorlagen und einer so genannten sequenziellen Video-Wahlgegenüberstellung den Angeklagten A... als den zweiten Mann neben dem Angeklagten Y... bezeichnet. Von diesem Ergebnis geht auch die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift (S. 42/43) aus. Zwar heißt es in dieser auf Seite 48, die Angeklagten Y... und A... seien mit jeweils einem Pkw, wobei es sich bei einem um den Mietwagen Audi A 6 gehandelt habe, mit weiteren nicht ermittelten männlichen Personen zum Tatort gefahren, aber diese werden eben als nicht ermittelt bezeichnet. Zwar werden in der Anklageschrift auch weitere Aspekte angeführt, die eine gewisse Nähe des Beschwerdeführers zu den hier in Rede stehenden Geschehnissen aufweisen, aber die Staatsanwaltschaft, der insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., § 152 Rdn. 4), hat gleichwohl ersichtlich mangels ausreichender Konkretheit einen Anfangsverdacht gegen den Zeugen nicht gesehen. In der Anklage heißt es ausdrücklich, es gebe keine Hinweise dafür, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass die Angeklagten G.... erschossen hatten, und dass das Fahrzeug dazu gedient hatte, das Opfer zum Tatort zu verbringen (UA S. 49). Dem vermag der Senat Gegenteiliges nicht entgegenzusetzen; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen insoweit nicht aus (vgl. Rogall a.a.O., § 55 Rdn. 27 m.N.).

Nach alledem steht dem Zeugen lediglich ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zu. Dieses ist indes kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht dergestalt, dass es keine für das vorliegende Verfahren bedeutsame Frage gebe, die den Zeugen nicht in die Gefahr des § 55 Abs. 1 brächte (vgl. BGH StV 2002, 604; BGHSt 10, 104), auch nicht als Teilstück eines mosaikartigen Beweisgebäudes gegen ihn (vgl. BGH NJW 1998, 1728; Dahs in LR a.a.O., § 55 Rdn. 11).

Nach alledem war die Anordnung der Erzwingungshaft angesichts der beharrlichen Weigerungshaltung des Zeugen unter Berücksichtigung des Gegenstands des Verfahrens und der möglichen Bedeutung der Aussage für die Sachaufklärung bisher zwar verhältnismäßig und unerlässlich (vgl. BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 5 und 6 [Gründe]; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1997 - StB 15/97, 2 BJs 65/95 - 3 - StB 15/97 [juris]; KG, Beschluss vom 20. Dezember 1997 - 3 Ws 644 - 645/96 [juris] - ). Die Dauer der Erzwingungshaft muss aber den genannten Aspekten unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten Rechnung tragen (vgl. BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 5 und 6 [Gründe]). Hier ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge immerhin vor Anordnung der Erzwingungshaft bereits eine elfseitige Aussage gemacht hat. Zwar ist eine weitere Aussage von ihm immer noch von Bedeutung, aber von vergleichsweise geringerer als zum Zeitpunkt der Anordnung der Erzwingungshaft, wie der Umstand zeigt, dass inzwischen, auch ohne dass der Zeuge weitere Angaben gemacht hat, die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, das Landgericht diese zugelassen hat und den dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten weiter bejaht. Zudem dauert die Beugehaft bisher bereits knapp drei Monate an. Die weitere Beugehaft wäre daher unverhältnismäßig.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen betreffend die weitere Beschwerde beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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