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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.11.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 379/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 141
Zu den Voraussetzungen des Widerrufs der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund gegen den Willen des Angeklagten.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (3) 1 HEs 78/08 (18/08) - 1 AR 1539/08 - 3 Ws 379/08

In der Strafsache gegen

wegen Diebstahls

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 28. November 2008 beschlossen:

Tenor:

Eine Entscheidung des Senats über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten ist derzeit nicht veranlasst.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 28. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 22. September 2008 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seiner Beschwerde zu tragen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten gewerbs-mäßigen Einbruchsdiebstahl in vier Fällen zur Last; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Anklageschrift vom 1. April 2008 Bezug genommen. Der Angeklagte befindet sich seit dem 16. März 2008 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom selben Tage - 380 Gs 135/08 -, dieser ersetzt durch Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 11. Juli 2008 in Untersuchungshaft. Gegenstand dieses Haftbefehls, der die Prüfungsgrundlage für eine Haftentscheidung des Senates bildet, ist der Vorwurf des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls in drei Fällen. Das Landgericht Berlin hält die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus für erforderlich und hat die Akten daher dem Senat zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

Zugleich hat der Senat über eine Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerruf der Bestellung seiner bisherigen Pflichtverteidigerin zu entscheiden. Diese ist von der Vorsitzenden der Strafkammer mit der Begründung widerrufen worden, die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sei in Anwesenheit der bisherigen Pflichtverteidigerin nicht möglich, weil sie der Vorsitzenden ständig ins Wort falle und in großer Lautstärke Ausführungen mache, so dass die Ausführungen der Vorsitzenden kaum noch zu verstehen seien. Von dieser Verfahrensweise sei die Pflichtverteidigerin trotz wiederholter Beanstandungen ihres Verhaltens nicht abgerückt und habe zur Begründung erklärt, die StPO verlange von ihr, dass sie Einwände stets unverzüglich vorbringen müsse, damit diese nicht wegen Verspätung zurückgewiesen würden. Überdies habe die Pflichtverteidigerin wiederholt ohne nähere Begründung "Widerspruch" gegen beabsichtigte Beweiserhebungen der Vorsitzenden erhoben, gegen die Sachleitung der Vorsitzenden bestätigende Gerichtsbeschlüsse Gegenvorstellung erhoben und deren Bescheidung darüber durch weitere Gerichtsbeschlüsse verlangt. Ferner habe die Pflichtverteidigerin gerügt, dass die Vorsitzende die Sachleitung betreffende Entscheidungen nicht zuvor mit den Schöffen beraten habe, und im Anschluss an die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung ohne nähere Begründung erklärt, sie habe zwar noch Fragen an den Zeugen, werde diese jedoch derzeit nicht stellen.

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerruf der Bestellung seiner bisherigen Pflichtverteidigerin ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch nicht durch § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung der Vorsitzenden um eine solche, die der des erkennenden Gerichts gleichzustellen ist. Sie steht jedoch nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung, sondern dient der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und hat eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. OLG Köln, NStZ 1991, 248; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. , § 141 Rdnr. 4 m. N.). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Widerruf der Bestellung von Rechtsanwältin P. als Pflichtverteidigerin begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken.

Rechtsgrundlage für die Bestellung des Pflichtverteidigers ist § 141 StPO. Dieselbe Vorschrift bietet ihrer Ratio entsprechend auch die allgemeine Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bestellung. Verfassungsrechtlich unbedenklich kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch gegen den Willen des Angeklagten widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliegt (vgl. BVerfGE 339, 238, 244). Als ein solcher wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Betracht, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. KG, JZ 1982, 349; Senatsbeschlüsse vom 30. Juni 2006 - 3 Ws 325/06 - und vom 24. Mai 2006 - 3 Ws 262/06 - jeweils m.w.N.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Vorsitzende zu prüfen hat, ob das Vorgehen des Verteidigers sachlich im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten liegt. Der Pflichtverteidiger ist in der Art und Weise der Führung der Verteidigung ebenso frei wie der gewählte Verteidiger. Als ein neben dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege untersteht er grundsätzlich nicht der Kontrolle und Bewertung seiner Tätigkeit durch das Gericht. Hiernach rechtfertigt nicht schon jedes objektiv unzweckmäßige oder prozessordnungswidrige Verhalten des Pflichtverteidigers, das den Fortgang des Strafverfahrens beeinträchtigt oder sogar zeitweise hemmt, dessen Entpflichtung. Es muss sich vielmehr um ein Fehlverhalten des Verteidigers von besonderem Gewicht handeln. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Zwar darf die Zurücknahme der Bestellung wegen des Berührens der Verteidigungsinteressen erst nach der Gewährung rechtlichen Gehörs für den Angeklagten und den betroffenen Rechtsanwalt erfolgen (vgl. KG, Beschluss vom 15. Februar 1999 - 4 Ws 22/99 - Juris -), was hier nicht geschehen ist. Dies hat aber auf den Bestand der angefochtenen Entscheidung keinen Einfluss. Denn eine nachträgliche Anhörung ist vorliegend im Beschwerdeverfahren erfolgt (vgl. Meyer-Goßner, a.aO. § 33 Rdnr. 18 m.N.).

Es kann dahinstehen, ob allein die Art und Weise, in der die Pflichtverteidigerin in der Hauptverhandlung aufgetreten ist, für einen Widerruf der Bestellung ausreichend ist. Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass sie der Vorsitzenden nicht nur vielfach ins Wort gefallen ist, lautstark Erklärungen abgegeben hat und sich auch durch Ermahnungen der Vorsitzenden davon nicht hat abhalten lassen, dieser ins Wort zu fallen. Schon durch dieses Verhalten hat sie den Gang der Hauptverhandlung schwerwiegend gestört und eine ruhige sachgerechte Durchführung derselben unmöglich gemacht. Dabei hat es sich ausweislich der angefochtenen Entscheidung auch nicht um ein situationsgebundenes einmaliges Versagen, sondern um eine von der Rechtsanwältin trotz Beanstandung durch die Vorsitzende wiederholt während der Hauptverhandlung praktizierte Verfahrensweise gehandelt.

Hinzu kommt ferner die dazu in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung der Rechtsanwältin. Mit der Behauptung, die Strafprozessordnung verlange von ihr, dass sie Einwände stets unverzüglich vorbringen müsse, deswegen der Vorsitzenden auch ins Wort fallen und die Abgabe von Erklärungen ohne Erteilung des Wortes durchsetzen dürfe, offenbart sich ein in der Person der Anwältin angelegter Eignungsmangel, der auch die Wiederholung dieser oder ähnlicher Verfehlungen befürchten lässt. Die von der Rechtsanwältin abgegebene Begründung lässt befürchten, das diese entweder nur über unzureichende Kenntnisse der Strafprozessordnung verfügt, oder beabsichtigt, das Gericht durch ständige lautstarke Unterbrechungen, die dazu führen, dass die Sachleitungsanordnungen und sonstigen Ausführungen der Vorsitzenden für die Verfahrensbeteiligten akustisch nicht mehr verständlich sind, lächerlich zu machen. Beide Gründe stellen einen geordneten Verfahrensablauf in Frage, lassen eine sachgerechte an den Interessen des Angeklagten ausgerichtete Verteidigung durch die bisherige Pflichtverteidigern auch für die Zukunft nicht erwarten und rechtfertigen daher den Widerruf der Bestellung von Rechtsanwältin P.

Soweit Rechtsanwältin P. der Darstellung des Verlaufs der Hauptverhandlung in der angefochtenen Entscheidung entgegengetreten ist, werden ihre abweichenden Darstellungen des Geschehensablaufes durch die vom Senat zu dieser Frage eingeholten dienstlichen Erklärungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der beisitzenden Richterin widerlegt. Beide haben den Verlauf der Hauptverhandlung und das Auftreten von Rechtsanwältin P. so geschildert, wie es sich auch aus dem angefochtenen Beschluss ergibt, dessen Sachdarstellung der Senat daher seiner Entscheidung zugrunde legt.

2. Der Senat hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu treffen, weil nach § 121 Abs. 3 Satz 2 StPO der Fristablauf zur Zeit ruht. Denn das Landgericht führt seit dem 19. November 2008 die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten erneut durch. Die Regelung des § 121 Abs. 3 Satz 2 StPO ist auch dann sinngemäß anzuwenden, wenn mit der Hauptverhandlung begonnen worden ist, bevor der Senat über die Haftfortdauer entschieden hat (vgl. KG, Beschluss vom 8. November 2006 - (4) 1 Hes 59/05 (43-47, 49/06) - m.w.N. - Juris -). Während der Hauptverhandlung obliegt es dem Tatrichter, im Rahmen des § 120 Abs. 1 StPO ständig die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen. Dafür stehen ihm aufgrund seiner aktuellen Befassung mit der Sache bessere Beurteilungsgrundlagen zur Verfügung als dem Oberlandesgericht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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