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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 02.03.2007
Aktenzeichen: 4 SCH 1/07 KapMuG
Rechtsgebiete: ZPO, KapMug


Vorschriften:

ZPO § 538
KapMug § 1 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht

Beschluss

Geschäftsnummer: 4 SCH 1/07 KapMuG

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Kammergerichts am 2. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15. Juni 2006 - 30 O 102/05 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadenersatz im Zusammenhang mit seinem Beitritt zu dem geschlossenen Immobilienfonds Tnnn Innnnn und Vnnnnn GmbH & Co KG - Lnn Fonds 12. Das Landgericht hat den Musterfeststellungsantrag des Klägers vom 29. Dezember 2005 am Schluss der Sitzung vom 15. Juni 2006 als unzulässig zurückgewiesen, weil der Rechtsstreit zur Entscheidung reif sei, § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1. KapMug. Durch das am gleichen Tag verkündete Urteil hat es die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Landgerichts im Beschluss und im Urteil vom 15. Juni 2006 verwiesen.

Gegen die Zurückweisung des Musterfeststellungsantrages richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers vom 13. Oktober 2006 (GA VI 75). Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 20. November 2006 = GA VI 104).

II.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist der Senat, nachdem die gemäß § 568 S. 1 ZPO zuständige Einzelrichterin die Sache gemäß § 568 S. 2 ZPO dem Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung übertragen hat.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, sie ist auch rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde ist aber unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Nachdem das Landgericht am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2006 ein Endurteil verkündet hat und damit das Verfahren für die erste Instanz abgeschlossen ist, kann ein Musterfeststellungsverfahren nicht mehr durchgeführt werden, weil dieses nur im erstinstanzlichen Verfahren statthaft ist (Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG § 1 Rn 56). Das Beschwerdegericht hat dabei nicht zu prüfen, ob das Landgericht zu Recht eine Entscheidungsreife des Rechtsstreits angenommen hat, denn eine Aufhebung und Zurückverweisung kommt in diesem Verfahrensstadium nicht mehr in Betracht, da die Hauptsache bereits beim Berufungsgericht anhängig ist. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass das Beschwerdegericht in der Sache prüft, ob das Landgericht die Entscheidungsreife - unter Zugrundelegung von dessen Rechtsansicht (Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG § 1 Rn 52) - zutreffend bejaht hat. Käme es dabei zu dem Ergebnis, dass keine Entscheidungsreife vorlag, so müsste es den Beschluss des Landgerichts über die Zurückweisung des Musterfeststellungsantrages aufheben und das Landgericht anweisen, den Antrag neu zu bescheiden. Das Landgericht müsste dann einen Musterfeststellungsbeschluss in einem Verfahren erlassen, dessen Hauptsache bei ihm gar nicht mehr anhängig ist. Solches sieht aber das Gesetz nicht vor.

Es ist auch nicht, oder jedenfalls nur in Einzelfällen, möglich, die Hauptsache an das Landgericht zurückzuverweisen, denn dies würde voraussetzen, dass die Voraussetzungen des § 538 Absatz 2 ZPO vorliegen. Dies ist aber zum Beispiel immer dann nicht der Fall, wenn es nur um die Entscheidung von Rechtsfragen geht. Für eine solche Konstellation sieht die ZPO eine Zurückverweisungsmöglichkeit nicht vor. Auch in vielen anderen Fällen wird eine Zurückverweisung nicht in Betracht kommen, wenn jeweils die Voraussetzungen von § 538 Absatz 2 ZPO nicht vollständig erfüllt sind. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des Musterfeststellungsantrages kann aber nicht davon abhängen, ob in dem jeweils streitigen Fall - mehr oder weniger zufällig - auch die Voraussetzungen des § 538 Absatz 2 ZPO vorliegen. Einen besonderen Zurückverweisungsgrund hat der Gesetzgeber im Rahmen des Erlasses des KapMuG in den § 538 ZPO nicht eingeführt, so dass mangels Zurückverweisungsmöglichkeit der Hauptsache es dabei verbleibt, dass das Landgericht einen Musterfeststellungsbeschluss in einer Sache erlassen müsste, die bei ihm nicht mehr anhängig ist. Dies ist aber vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt.

Der Senat sieht auch keinen Anlass für eine analoge Anwendung von § 538 ZPO für die vorliegende Fallkonstellation, um dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers Genüge zu tun. Denn der Rechtsstreit zwischen den hiesigen Parteien wird im Berufungsverfahren umfassend geprüft. Alle entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen werden in diesem Verfahren geklärt. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens fehlt hier ebenso wie in den Fällen, in denen das Landgericht ein Ablehnungsgesuch betreffend einen erstinstanzlichen Richter zurückweist und gleichzeitig ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht. Wenn gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel gegeben ist, ist der Ablehnungsgrund - aus Gründen der Prozessökonomie - in der Berufungsinstanz als Verfahrensfehler geltend zu machen, während die parallel geführte Beschwerde unzulässig ist (BGH Beschluss vom 18.10.2006 - XII ZB 244/05 im Anschluss an KG, Beschluss vom 5.11.2004 - 15 W 105/04 = MDR 2005, 890 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass der Sinn des KapMuG-Verfahrens, durch eine Interessenbündelung in einem einheitlichen Verfahren für eine Vielzahl gleich gelagerter Schadensfälle eine einheitliche Lösung auf prozessökonomischen Wege zu erzielen, nicht erreicht werde, weil die Rechtskraft der Entscheidung nur zwischen den Parteien des konkreten Verfahrens und nicht für eine Vielzahl anderer Anleger gilt. Denn - wie sich aus der Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG ergibt - schränkt das Gesetz den von ihm angestrebten Rechtsschutz selbst dadurch ein, dass es einen Musterfeststellungsantrag dann für unzulässig hält, wenn der zu Grunde liegende Rechtsstreit entscheidungsreif ist. Dem zügigen Abschluss eines einzelnen Verfahrens wird danach der Vorrang eingeräumt vor dem Bedürfnis, für eine Vielzahl von Anlegern eine verbindliche Entscheidung über bestimmte Feststellungsziele zu erreichen. Auch wenn im Regierungsentwurf unter "Effektiver Rechtsschutz" (zitiert bei Reuschle, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, Seite 79 f) die hohen Rechtsverfolgungskosten genannt werden, aufgrund derer die Gefahr bestehe, dass der einzelne Anspruch nicht durchgesetzt werden könne oder in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Aufwand stehe und für die einzelnen Anleger deshalb der Anreiz bestehe, sich dem Musterverfahren durch Klageerhebung anzuschließen, spricht dies nicht gegen eine Unzulässigkeit der Beschwerde im vorliegenden Fall. Denn diese Argumentation zielt ausschließlich auf die Interessen der anderen Anleger, die sich dem Musterfeststellungsverfahren anschließen könnten, nicht aber auf das Verhältnis der Parteien des hiesigen Rechtsstreits. Denn hier sind die Rechtsverfolgungskosten bei dem Kläger, der den Rechtsstreit durch die I. Instanz geführt und in die II. Instanz gebracht hat, bereits entstanden.

Die sofortige Beschwerde war nach alledem als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.



Ende der Entscheidung

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