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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 04.06.2002
Aktenzeichen: 4 U 124/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 4 U 124/01

Verkündet am: 4. Juni 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2002 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Uerpmann, die Richterin am Kammergericht Saak und den Richter am Kammergericht Klum für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. März 2001 - 10 O 610/00 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Der Ehemann der Beklagten, der damals wie die Beklagte seit längerem (1991) arbeitslos war, beabsichtigte im Jahre 1993, zur Existenzgründung von der E AG eine Großtankstelle an der Z Straße in Ludwigsfelde zu pachten. Die Beklagte sollte ihn dabei unterstützen. Zu diesem Zweck nahmen beide ab April 1993 an Schulungen der E AG teil. Zur Deckung des erheblichen Finanzbedarfes nahm der Ehemann verschiedene Kredite u.a. auch bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin auf und zwar ein Existenzgründungsdarlehen über 364.000 DM, einen Betriebsmittelkredit über 150.000 DM sowie ein Praxis- und Betriebsdarlehen über 73.000 DM. Hierfür übernahm die Beklagte am 10.9.1993 eine Höchstbetragsbürgschaft bis zu 587.000 DM (K 6).

Im Mai 1994 eröffnete der Ehemann die Tankstelle und führte sie aufgrund eines entsprechenden Pachtvertrages mit der E -AG als Pächter und Firmeninhaber. Die Beklagte war bei ihm angestellt und erhielt ein Gehalt von 3.956 DM brutto/2.566 DM netto.

Nachdem die E AG im Frühjahr 1996 den Pachtvertrag mit dem Ehemann wegen unbefriedigenden Geschäftsverlaufes gekündigt hatte, kündigte die Klägerin ihrerseits sämtliche Darlehensverträge mit dem Ehemann und nahm mit Schreiben vom 30.11.1998 die Beklagte aus der Bürgschaft in Anspruch. Da unstreitig die Forderung der Klägerin gegen den Ehemann der Beklagten den Höchstbetrag übersteigt, verlangt sie von der Beklagten die Zahlung des gesamten Bürgschaftsbetrags.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Tankstelle sei von der Beklagten und ihrem Ehemann als Familienbetrieb gemeinsam geführt worden. Sie sei dessen gleichberechtigte Partnerin gewesen. Der Angestelltenvertrag sei nur aus steuerlichen Gründen geschlossen worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 587 000,00 DM nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank/Basiszinssatz seit dem 1.12.1998 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Angestellte der Klägerin H habe die Übernahme der Bürgschaft lediglich als Formsache bezeichnet.

Das Landgericht hat über diese Frage Beweis erhoben. Auf das entsprechende Protokoll vom 22.3.2001 wird Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihr Vorbringen in den Schriftsätzen vom 30.7.2001 (II, 9 ff.) und 5.2.2002 (II, 33 ff.) wiederholt und vertieft.

Die Beklagte beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Beklagten nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 28.9.2001 (II, 26 ff.) entgegen.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch aus der Bürgschaft vom 10. September 1993 nicht zu, weil diese gegen die guten Sitten verstößt und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.

Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bürgschaft insbesondere dann nichtig, wenn der aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelnde Bürge finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist. Der Bürge ist krass überfordert, wenn die Verbindlichkeit, für die er einstehen soll, so hoch ist, dass bereits bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, er werde - wenn sich das Risiko verwirklicht - die Forderung des Gläubigers wenigstens zu wesentlichen Teilen tilgen können. Davon ist bei nicht ganz geringfügigem Hauptschulden jedenfalls dann auszugehen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGH WM 2000, 411).

So liegt der Fall hier, wie das Landgericht zutreffend dargestellt hat. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass die zum Zeitpunkt der Begründung der Bürgschaftsverpflichtung arbeitslose Beklagte bei vernünftiger Betrachtungsweise zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, im Bürgschaftsfall für die Hauptschuld oder auch nur für die damit einhergehenden Zinsbelastungen von nahezu 4.000,00 DM monatlich aufzukommen. Dabei war das zukünftige Einkommen der Beklagten als Angestellte im Betrieb des Hauptschuldners von 3.956,00 DM brutto/2.566,00 DM netto, das dafür ohnehin nicht ausgereicht hätte, nicht zu berücksichtigen, weil im Bürgschaftsfall, der - wie geschehen - nach dem Scheitern des Betreibens der Tankstelle durch den Ehemann eintrat, der Beklagten dieses Einkommen allen" Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Verfügung gestanden hätte.

Damit konnte die Bürgschaft ihrem Sicherungszweck unter keinen Umständen auch nur annähernd erfüllen. Da hier auch keine zu Lassten der Klägerin gehende Vermögensverlagerungen zwischen den Eheleuten drohten (beide hatten kein Vermögen und waren arbeitslos), was im Grundsatz ein berechtigter Grund für das Bürgschaftsverlangen gegenüber eine dem Hauptschuldner nahestehende Person sein kann (BGH ZIP 2000, 354), stellt sich die der Beklagten abverlangte Bürgschaft aus wirtschaftlicher Sicht als sinnlos dar.

Die angesichts der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten bestehende tatsächliche Vermutung, dass sie sich bei Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung nicht von einer realistischen Einschätzung des damit verbundenen wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer emotionalen Bindung an ihren Ehemann hat leiten lassen und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. BGH NJW 2001), hat die darlegungsbelastete Klägerin nicht ausgeräumt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, ist ein auf einen freien Willensentschluss hindeutendes oder ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit voll ausgleichendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Ehepartners an der Darlehensgewährung allerdings grundsätzlich zu bejahen, wenn er zusammen mit dem Ehepartner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen sind (BGH a.a.O.).

Unter dem Merkmal "gemeinsames Interesse" ist nicht jedes, ein gemeinschaftliches Vorhaben der Eheleute betreffende Interesse zu verstehen. Das Interesse muss sich vielmehr auf ein gemeinschaftliches Vorhaben beziehen, das unmittelbar zu einer Verbesserung der rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung der Bürgin führt. Bei anderer Betrachtungsweise würde eine krasse wirtschaftliche Überforderung der Bürgin in den meisten Fällen ohne Auswirkung auf die Wirksamkeit der Bürgschaft bleiben, etwa wenn ein gemeinsames Interesse der Eheleute schon aufgrund der bloßen Verbundenheit der Eheleute ausreichen würde.

Die Beklagte hatte weder ein in dem genannten Sinne zu verstehendes gemeinsames Interesse mit ihrem Ehemann an der Kreditgewährung noch sind ihr aus der Verwendung der Kredite eigene unmittelbare geldwerte Vorteile erwachsen.

Der Senat verkennt nicht, dass die durch die Bürgschaft gesicherten Kredite zur Begründung einer Existenz des Ehemannes dienten, an der die Beklagte als Ehefrau und Angestellte mittelbar partizipierte. Durch das gemeinsame Vorhaben des Betriebes einer Tankstelle wollten die Eheleute eine längere Zeit der Arbeitslosigkeit beenden und gleichzeitig die Chance einer dauerhaften Existenz erhalten. Dabei ist jedoch von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Rechtsstellung der Beklagten sich allein auf ihre Stellung als Angestellte ihres Ehemannes beschränkte. Soweit sie dafür ein Gehalt bezog, galt dieses ihrem persönlichen Einsatz auf der Tankstelle ab und begründete keinen anzuerkennenden Gegenwert für die Bürgschaft (vgl. BGH ZIP 2000, 351, 354). Im Übrigen hatte die Beklagte keinerlei rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten auf den Betrieb der Tankstelle. Sie war in den Pachtvertrag mit der E AG nicht mit einbezogen, sondern war insoweit vollkommen abhängig von den Entscheidungen der Parteien des Pachtvertrages. Dass der Ehemann der Beklagten aufgrund interner Vereinbarung eine gesicherte Rechtsstellung eingeräumt hätte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Von daher ist auch nicht die Annahme gerechtfertigt, dass mit der Darlehensvaluta eine eigenständige Existenzgrundlage für die Beklagte geschaffen wurde. Die Darlehensvaluta diente vielmehr ausschließlich zur Begründung einer Existenz des Ehemannes der Beklagten, die diesen beim Betreiben der Tankstelle unterstützen sollte wie sich aus dem Beratungsbericht des Dipl.-Kfm. K vom 29. Juli 1993 ergibt. Damit sollten die Kredite auch nicht mittelbar zum Aufbau eigenen Vermögens für die Beklagte verwandt werden, so dass unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der krassen wirtschaftlichen Überforderung der Beklagten ein gleichwertiger Vorteil gegenüber steht.

Von daher braucht nicht weiter untersucht zu werden, ob die Klägerin die Risiken der Bürgschaft in unzulässiger Weise dadurch verharmlost hat, dass sie die Bürgschaftsübernahme bei dem zu erwartenden Erfolg des Tankstellenbetriebes lediglich als Formsache dargestellt hat (vgl. BGH NJW 1994, 1341).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

Ende der Entscheidung

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