Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 20.01.2004
Aktenzeichen: 4 U 126/03
Rechtsgebiete: HWiG


Vorschriften:

HWiG § 4

Entscheidung wurde am 12.08.2005 korrigiert: die Rechtsgebiete und Vorschriften wurden geändert und Stichworte hinzugefügt. Der Volltext der Entscheidung wurde wegen nicht vollständiger Anonymisierung ersetzt
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 4 U 126/03

verkündet am: 20.01.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Kammergerichts, Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2004 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Junck, die Richterin am Kammergericht Saak und den Richter am Kammergericht Klum

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 9. April 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 23 O 482/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Streithelferinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Kläger schlossen nach Maßgabe ihres Beteiligungsangebotes vom 11. November 1995 (Anlage K 4) mit der An Annnnn Tnnnn - und Snnnnnnnnnnnnnn einen Treuhandvertrag und beauftragten diese mit dem Beitritt zur Dnnnnn Bnnnnn Onnn nnnnn - Wnnn Fnn - KG. Zur Finanzierung dieser Beteiligung schlossen die Kläger mit der Beklagten am 21./25. November 1995 einen Darlehensvertrag über 120.000,- DM (Anlage K 6). Nach regelmäßiger Ratenzahlung in der Zeit von 1995 bis 2000 (insgesamt 55.000,- DM) tilgten die Kläger das Restdarlehen in Höhe von 93.832,47 DM am 12. Dezember 2000, woraufhin das Konto abgerechnet und geschlossen wurde. Am 28. August 2002 widerriefen die Kläger ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz (Anlage K 8). Mit der Klage verlangen die Kläger Rückzahlung sämtlicher von ihnen zur Rückführung des Darlehens erbrachter Leistungen von insgesamt 149.032,47 DM = 76.199,09 EUR.

Im Rahmen des Hilfsantrages begehren sie eine Aufhebung des Urteils und Verurteilung der Beklagten zur Neuberechnung des Darlehens mit einem Zinssatz von 4 % sowie - alsdann - Rückzahlung zuviel gezahlter Zinsen, weil im Darlehensvertrag - entgegen § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 b) VerbrKrG der Gesamtbetrag aller Kosten nicht angegeben sei, sondern lediglich die Restschuld bei Ablauf der Zinsbindungsfrist.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien und der Streithelferinnen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 76.199,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 18. November 2002 zu zahlen,

hilfsweise,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, die von den Klägern seit dem 1. Dezember 1995 bis zum 30. November 2000 auf den Darlehensvertrag vom 21./25. November 1995 - Vertragsnummer: 9290934570 - bezahlten Zinsen in Höhe von 5,40% mit einem Zinssatz von 4% neu zu berechnen und an die Kläger zuviel bezahlte Zinsen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Streithelferinnen beantragen,

die Berufung der Kläger im Hinblick auf den Hauptantrag zurückzuweisen.

Die Berufung der Kläger ist unbegründet, denn sie haben weder einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihnen zur Rückführung des Darlehens an die Klägerin erbrachten Leistungen (I.) noch auf Neuberechnung des Darlehens mit dem seinerzeit gesetzlichen Zinssatz von 4 % (II.).

I. Hauptantrag

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rückzahlung gemäß § 3 Abs. 1, S. 1 HaustürWG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 S. 4 VerbrKrG, denn sie haben den Kreditvertrag mit der Beklagten nicht wirksam widerrufen. Der Widerruf erfolgte erst ca. 1 1/2 Jahre nach Rückführung des Darlehens. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob ein Widerrufsrecht schon deshalb nicht bestand, weil die Kläger ordnungsgemäß belehrt worden sind oder ob dem Widerruf der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegensteht (vgl. die Ausführungen im angefochtenen Urteil). Denn jedenfalls war die Frist des § 2 Abs. 1 S. 4 HaustürWG, gemäß der das Widerrufsrecht auch bei unterbliebener Belehrung einen Monat nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung erlischt, abgelaufen. Letzteres ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Ein Widerrufsrecht stand den Klägern mithin im August 2002 nicht mehr zu.

Dem steht nicht entgegen, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 S. 4 HaustürWG möglicherweise gegen die Haustürgeschäfterichtlinie der EU verstößt. Zwar spricht vieles dafür, dass entsprechend den vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) dargelegten Grundsätzen (NJW 2002, 281) die Befristung des Widerrufsrechts im deutschen HaustürWG europarechtswidrig ist, denn der EuGH hat ausdrücklich darauf verwiesen, dass das nach der Richtlinie vorgeschriebene 7-tägige Rücktrittsrecht erst beginnen dürfe mit der Belehrung des Verbrauchers, was seinen Grund darin habe, dass der Verbraucher nicht widerrufen könne, wenn ihm sein Recht nicht bekannt sei und auch Gründe der Rechtssicherheit gegenüber dem Verbraucherschutz zurückzutreten hätten (vgl. dazu auch Hoffmann, ZIP 02,145/150; Habersack/Mayer, WM 02, 253/258; offen gelassen von BGH, Urteil vom 14.10.2003 - XI ZR 134/02 = ZIP 2003, 2149/2152). Selbst wenn man die Vorschrift aber als europarechtswidrig ansieht, so steht dem nationalen Richter in dem hier zu entscheidenden Fall doch keine Verwerfungskompetenz bezüglich der als gemeinschaftsrechtswidrig erkannten Regelung des nationalen Rechts zu. Der nationale Richter hat (nur) eine möglichst richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Normen vorzunehmen, d.h. seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten (statt vieler: EuGH Rs C-91/92, Slg. 1994, I-3347, Tz. 26 = ZIP 1994, 1187 - Faccini Dori; BGH, Urt. v. 9.4.02 - XI ZR 91/99, WM 2002, 1181) und den Beurteilungsspielraum, den ihm das nationale Recht einräumt, auszuschöpfen (EuGH Rs 14/83, Slg. 1984, 1891 = ZIP 1984,1386- Von Colson und Kamann; Hoffmann a.a.O, S. 151). Eine Auslegung, die die aus dem nationalen Recht folgenden Schranken übersteigt, ist auch gemeinschaftsrechtlich nicht gefordert und - wegen der Bindung des Richters an das Gesetz - im Normalfall auch nicht möglich (Habersack/Mayer a.a.O., S. 256). Der EuGH verweist für diesen Fall deshalb auch ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Staatshaftungsanspruchs (Rs C-6/90 und C-9/90m -Slg. 1991, I-5357, Tz 27 - Francovich = ZIP 1991, 1610; Rs C-91/92, Slg. 1994, I-3347, Tz. 27 - Faccini Dori).

Danach ist die Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 4 HaustürWG hier anzuwenden, denn eine richtlinienkonforme Auslegung kommt angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift nicht in Betracht (BGH ZIP 2003, 2149/2152; LG Bonn BB 02, 2300/2301; Hoffmann a.a.O.; Habersack/Mayer a.a.O.). Eine Verwerfungskompetenz steht dem nationalen Gericht insoweit nicht zu, sie wird auch vom EuGH in vergleichbaren Fällen nicht angenommen. Zwar finden sich in dessen Rechtsprechung verschiedene Fälle, in denen der EuGH fordert, dass das nationale Gericht nationale Normen, die den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts entgegenstehen und die auch nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden können, unangewendet lässt (Rs 106/77, Slg. 1978, I-629 - Simmenthal; Rs C-213/89, Slg. 1990, I-2433 - Factortame; Rs C-125/01 - Urteil vom 18.9.2003 - Pflücker; vgl. auch BVerfGE 85, 191). Diese Entscheidungen beziehen sich aber ausnahmslos auf Verstöße gegen den EG-Vertrag oder unmittelbar geltende Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane. Diese haben in ihrem Verhältnis zum nationalen Recht des Mitgliedstaates nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zur Folge, dass entgegenstehendes Recht allein durch das Inkrafttreten des Gemeinschaftsrechts unanwendbar wird und ferner, dass ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar sind. Das staatliche Gericht muss deshalb in diesen Fällen den Vorrang des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen und darf das - danach unwirksame - nationale Recht nicht anwenden (EuGH a.a.O. - Simmenthal).

Das gilt aber nicht für den Fall, dass - wie hier - auf der gemeinschaftsrechtlichen Ebene nur Richtlinienbestimmungen existieren, die selbst keine Rechte für den Bürger begründen und keine horizontale Wirkung zwischen Privaten haben. Denn die Richtlinien richten sich an den Mitgliedstaat und sind für diesen - aber auch nur für diesen - verbindlich. Der Bürger kann sich deshalb gegenüber dem Staat auf die Richtlinien berufen, womit verhindert werden soll, dass dieser - oder die staatlichen Einrichtungen - aus der Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen ziehen können (EuGH a.a.O. - Faccini Dori, Tz 22,23; vgl. auch Hirsch, MDR 1999, 1/4). Der Bürger kann sich aber nicht gegenüber einem anderen Privaten auf die Richtlinien berufen, da diese in dem horizontalen Verhältnis zwischen Privaten keine Wirkung entfalten. Denn die Gemeinschaft hat nicht die Befugnis, mit unmittelbarer Wirkung zu Gunsten des Einen und zu Lasten des Anderen Rechte und Pflichten zu begründen; dies darf sie nur dort, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (EuGH a.a.O. - Faccini Dori, Tz 24; EuGH C-106/89-Slg. 1990, I-4135 (4158) Tz. 6). Für einen Prozess zwischen Privaten bedeutet dies, dass dem nationalen Gericht eine Verwerfungskompetenz bezüglich einer richtlinienwidrigen, nicht gemeinschaftsrechtskonform auslegungsfähigen Norm des nationalen Rechts nicht zukommt, da diese Norm allein aufgrund des Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nicht unwirksam ist (vgl. auch Hoffmann a.a.O.). Würde man nämlich § 2 Abs. 1 S. 4 HaustürWG wegen eines Verstoßes gegen die Haustürgeschäfterichtlinie der EG nicht anwenden, hätte dies zur Folge, dass auf diese Weise über die Richtlinienbestimmungen für die Kläger ein im nationalen deutschen Recht (nämlich nach Fristablauf) nicht vorgesehenes Widerrufsrecht mit unmittelbarer horizontaler Direktwirkung begründet würde, die derartigen Richtlinienbestimmungen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwischen Privatrechtssubjekten aber gerade nicht zukommt. Insoweit kann es auch keinen Unterschied machen, ob eine Richtlinie bislang überhaupt nicht oder nur unzureichend umgesetzt worden ist. Davon geht offenbar auch der BGH aus, wenn er § 2 Abs. 1, S. 4 HaustürWG anwendet unter Hinweis auf die fehlende richtlinienkonforme Auslegungsmöglichkeit, wobei er allerdings zu einer etwaigen Verwerfungskompetenz keinerlei Ausführungen macht (BGH ZIP 2003, 2149/2152; vgl. auch BGH ZIP 2003, 2319, sowie BGH v. 29.04.2003 - XI ZR 201/02). § 2 Abs. 1, S. 4 HaustürWG ist deshalb auf das hiesige Streitverhältnis anzuwenden mit der Folge, dass der von den Klägern erklärte Widerruf verspätet war und deshalb das Vertragsverhältnis nicht mehr rückwirkend zu Fall bringen konnte. Der von den Klägern mit dem Hauptantrag geltend gemachte Rückzahlungsanspruch ist deshalb unbegründet.

II. Hilfsantrag

Auch der Hilfsantrag der Kläger ist unbegründet, denn ihnen steht kein Anspruch auf Neuabrechnung des Darlehensvertrages auf der Basis des gesetzlichen Zinssatzes von 4 % zu. Richtig ist zwar, dass gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) VerbrKrG bei variablen Bedingungen ein Gesamtbetrag auf der Grundlage der bei Abschluss des Vertrags maßgeblichen Kreditbedingungen anzugeben ist. Hier sind nur die Zinsen, Tilgung und sonstigen Kosten bis zum Ablauf der Zinsbindungsfrist (30.11.2000) angegeben und die Restschuld zu diesem Zeitpunkt, mit der die Kläger das Darlehen auch abgelöst haben. Das reicht im Hinblick auf die Vereinbarungen im streitigen Darlehensvertrag aber aus, macht ihn jedenfalls nicht nichtig gemäß § 6 Abs. 1 VerbrKrG. Zwar ist im Vertrag als "Darlehenslaufzeit/-fälligkeit" der 30.11.2010 angegeben. Unter "Sonstiges" ist aber geregelt, dass für die Zeit nach Ablauf der Zinsbindung ein neuer Vertrag geschlossen werden muss und das Darlehen zurückzuzahlen ist, wenn sich die Parteien nicht über neue Konditionen einig werden. Der unter Ziffer 2 des Vertrages angegebene Zeitpunkt "30.11.2010" ist somit nur der späteste Zeitpunkt, zu dem das Darlehen vollständig zurückzuzahlen gewesen wäre. Unter diesen Umständen reicht die Angabe der Restschuld zum Ablauf der Zinsbindungsfrist und des Gesamtbetrages der bis dahin zu zahlenden Raten aus, weil der Vertrag zu diesem Zeitpunkt endet, wenn sich die Parteien nicht auf einen neuen Zinssatz einigen. Dem Informationsinteresse des Verbrauchers wird damit genüge getan. Die Gesamtbelastung bis zum Ende der Zinsbindungsfrist ist damit für ihn ersichtlich - und zwar sowohl hinsichtlich der über die Laufzeit zu zahlenden Raten als auch des am Ende noch zurückzuzahlenden Betrages - und er hat aufgrund dieser Angaben hinreichende Vergleichsmöglichkeiten mit den Konditionen anderer Banken.

Selbst wenn man aber auch für die hier streitige vertragliche Vereinbarung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) VerbrKrG die Angabe eines Gesamtbetrages aller Belastungen fiktiv für den Fall fordern würde, dass die Parteien den Vertrag bis 2010 fortsetzen, wäre der Vertrag nicht gemäß § 6 Abs. 1 VerbrKrG nichtig. Denn die Angabe des Gesamtbetrages fehlt hier nicht, sie wäre nur unrichtig, nämlich auf einen falschen Zeitraum bezogen, berechnet. Unrichtige Angaben führen aber grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Vertrages (Bülow, Verbraucherkreditrecht, 5. Aufl., § 494 BGB Rn 38 mwN; vgl. Auch BGH ZIP 2003, 2149, 2151).

III. Nebenentscheidungen

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen, denn die Entscheidung folgt der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs. Die Zulassung der Revision ist deshalb weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich und auch eine grundsätzliche Bedeutung liegt aus diesem Grunde nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück