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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 10.04.2001
Aktenzeichen: 4 U 3815/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2108 Abs. 2
1. Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, mit dem Eheleute ihre einzige Tochter als Vorerbin und deren Kinder als Nacherben eingesetzt haben, dahin, daß eine Vererbbarkeit des Nacherbenrechts auf den Ehegatten der Tochter nicht gewollt war.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 4 U 3815/00

Verkündet am: 10. April 2001

hat der 4. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2001 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Uerpmann als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 und 2 wird das am 29. Februar 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 20 O 113/99 - teilweise geändert:

Die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 wird abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges hat der Kläger zu 5/6 zu tragen, ferner vorab die Kosten seiner Säumnis. Hinsichtlich 1/6 verbleibt es bei der Kostenpflicht der Beklagten zu 3 und 4.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger und der Beklagte zu 3 wie folgt zu tragen:

a) Die Gerichtskosten haben der Kläger zu 89 % und der Beklagte zu 3) zu 11 % zu tragen.

b) Der Beklagte zu 3. hat seine außergerichtlichen Kosten und 17 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

c) Sämtliche weiteren Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagten zu 1 und 2 durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreiben den Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagten zu 1 und 2 vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Der Wert der Beschwer beträgt 67.500,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er als Erbe seiner am 27. Februar 1996 kinderlos verstorbenen Ehefrau Nacherbe nach dem Großvater seiner Ehefrau geworden ist.

Die Großeltern der Ehefrau des Klägers G und E Z (nachfolgend Z) errichteten am 23. Dezember 1953 ein gemeinschaftliches Testament, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 26 - 27 d. A:). Darin bestimmten sie unter Nr. 4, daß nach ihrem beider Ableben ihr Grundstück W 36 mit allen Pflichten und Rechten in den Besitz ihrer einzigen Tochter I G (nachfolgend G) übergehen sollte,

"jedoch unter der Bedingung, daß sie nur die Nutznießung aus demselben ziehen soll und nicht berechtigt ist, dasselbst zu verkaufen oder es durch Aufnahme einer Hypothek zu belasten".

Unter Nr. 5 heißt es:

"Nach dem Ableben unserer Tochter I G... sollen die Kinder derselben erbberechtigt sein und das Grundstück mit Haus und Garten und lebenden Inventar mit allen Rechten und Pflichten übernehmen. Nach Abrechnung sämtlicher Lasten von der Einnahme ist der Rest der Summe in gleichen Teilen auszuzahlen. Die Auszahlung in Anteile soll jedoch nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres auf die Miterben erfolgen."

Die Großmutter starb im Juli 1964, der Großvater im Juni 1968. In einer Erbscheinsverhandlung des Notars Dr. Z vom 21. Januar 1969, auf deren Inhalt verwiesen wird (Bl. 5 f d.A.) bezieht sich I G auf ein gemeinschaftliches Testament ihrer Eltern vom 15.4.1964, dessen Urschrift abhanden gekommen sei. Sie gibt den Inhalt dahin wieder, daß nach dem Tode des Letztversterbenden sie alleinige Vorerbin sei und zu Nacherben nach ihrem Tod ihre vier Kinder - dazu gehörte die Ehefrau des Klägers - eingesetzt seien und weiter bestimmt sei:

"Stirbt einer der Nacherben unverheiratet und ohne Hinterlassung von Abkömmlingen, so geht sein Anteil auf die anderen Nacherben über."

Das Testament vom 23. Dezember 1953 wurde am 22. Januar 1971 eröffnet. I G starb nach der Ehefrau des Klägers im August 1997.

Der Kläger hat mit der Begründung, er habe als Erbe seiner Ehefrau auch deren Anwartschaftsrecht auf die Nacherbfolge erlangt und sei mit dem Tod der Vorerbin I G Nacherbe geworden, beantragt,

festzustellen, daß er Nacherbe nach G Z geworden ist.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, daß die Eheleute der als Nacherben eingesetzten Abkömmlinge von I G in keinem Fall hätten Nacherben werden sollen, die Erblasser hätten erreichen wollen, daß das Vermögen im Stamm bleibe, die Einsetzung der Nacherben sei hilfsweise als Einsetzung zu Ersatzerben zu werten.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 17. August 1999, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben. Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 1. und 2. mit ihrer Berufung, die sie mit Schriftsatz vom 27. Juni 2000, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 119 - 126 d.A.), begründen.

Sie beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und hinsichtlich der Beklagten zu 1. und 2. die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2000, auf den verwiesen wird (Bl. 135 - 138 d.A.), entgegen.

Der Beklagte zu 3 hat seine Berufung zurückgenommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Der Kläger ist nicht Nacherbe nach G Z geworden, weil das Nacherbrecht im vorliegenden Fall nicht auf den Ehegatten vererbbar war.

Das Landgericht hat seiner Entscheidung zu Recht das Testament vom 23. Dezember 1953 zugrundegelegt. Die Parteien haben übereinstimmend das Testament vom 15. April 1964 als unwirksam erachtet.

Nach dem gemeinschaftlichen Testament war I G Vorerbin, wobei dahinstehen kann, ob sie Vorerbin - nur - nach ihrem Vater G Z war, weil dieser Vollerbe seiner Ehefrau war, oder weitere/zweite Vorerbin auch nach ihrer Mutter; da es darauf im vorliegenden Fall nicht ankommt. Die 30jährige Frist des § 2109 Abs. 1 BGB war in keinem Fall abgelaufen, weil die Nacherbfolge nach I G für den Fall angeordnet ist, daß in ihrer Person ein bestimmtes Ereignis, nämlich ihr Ableben, eintritt (§ 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB).

I G war nicht nur ein lebenslanger Nießbrauch an dem Grundstück als Vermächtnis (vgl. Palandt/Edenhofer, Einf. vor § 2147 Rdn. 6) zugewandt worden. Sie durfte zwar nur die "Nutznießung" aus dem - allein zur Erbschaft gehörenden - Grundbesitz ziehen und ihn weder verkaufen noch belasten. Darin, daß die Großeltern bestimmt haben, daß ihr Grundstück mit allen Pflichten und Rechten in ihren Besitz übergehen soll, kommt aber zum Ausdruck, daß sie (Vor-)Erbin sein sollte, und zwar - was durch die Einschränkung deutlich wird - eine von den gesetzlichen Beschränkungen nicht befreite Vorerbin (§§ 2113, 2136 BGB).

Als Nacherben sind die Kinder von I G eingesetzt, denn sie sollen nach dem Ableben von I erbberechtigt sein. Deren Nacherbrecht war im Fall ihres" Todes zwischen Erbfall und Nacherbfall nicht auf ihre etwaigen Ehegatten vererbbar.

Eine Vererbbarkeit des Nacherbrechts auf den Kläger scheitert allerdings nicht bereits daran, daß die Eheleute mit der Formulierung unter Nr. 5 des Testaments, daß nach dem Ableben ihrer Tochter I die Kinder derselben erbberechtigt seien, gewollt haben, daß nur die dann noch vorhandenen Kinder Nacherben sein sollen, in welchem Fall die Auslegungsregel des § 2108 Abs.2 BGB von vornherein nicht anzuwenden wäre (vgl. Palandt/Edenhofer, aaO. § 2108 Rdn. 2 a.E.). Ein dahingehender Wille der Erblasser, bei der Bestimmung der Nacherben auf den Zeitpunkt des Nacherbfalles abzustellen, kann dieser Formulierung nicht zweifelsfrei entnommen werden. Es kann sich auch - nur - um die Angabe des Zeitpunkt des Eintritts der Nacherbfolge handeln.

Für den Fall, daß eines der Kinder zwischen dem Erbfall und dem Nacherbfall stirbt - der mit dem Tod der Ehefrau des Klägers hier eingetreten ist - haben die Großeltern in dem Testament keine Verfügung getroffen Mit dem Erbfall erlangt der Nacherbe ein Anwartschaftsrecht, das nach der Auslegungsregel des § 2108 Abs.2 BGB als Bestandteil seines Nachlasses auf seine Erben übergeht, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist, der Erblasser also die Vererblichkeit des Nacherbenrechts gar nicht oder nur eingeschränkt auf bestimmte Personen gewollt hat Das ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung gemäß § 133 BGB zu ermitteln, wenn in dem Testament ausdrücklich die Vererblichkeit nicht ausgeschlossen worden ist. Es ist die unmittelbare, hilfsweise aber auch die ergänzende Testamentsauslegung in Betracht zu ziehen ist. Es kommt mithin nicht nur auf den Willen an, den die Großeltern bei der Testamentserrichtung wirklich gehabt und erklärt haben, sondern auch auf den hypothetischen Willen, den sie damals gehabt und erklärt hätten, wenn sie die von ihnen tatsächlich nicht vorausgesehene Entwicklung der Verhältnisse bedacht hätten. Voraussetzung hierfür ist, daß in der Testamentsurkunde sich ein wenn auch noch so unvollkommener Anknüpfungspunkt findet (BGH aaO m.w.N.). Da es um die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments geht, kommt es zudem auf die Willensrichtung beider Ehegatten an (Palandt/Edenhofer aaO. Einf. v. § 3365 Rdn. 12).

Das Gericht folgt der von der Rechtsprechung und dem Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung, daß allein der Umstand, daß die Nacherben Abkömmlinge des Erblassers sind, die Vererblichkeitsregel des § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB noch nicht beseitigt und daß § 2069 BGB dieser Auslegungsregel nicht vorgeht (BGH NJW 1963/1151 m.w.N.; OLG Köln OLGZ 1968,91). Es ist allerdings dem BGH auch darin zuzustimmen, daß der Wille des Erblassers, das Vermögen auch über die Person des unmittelbaren Nacherben hinaus im Familienbesitz zu erhalten und deshalb nach dem Tode des unmittelbaren Nacherben dessen Abkömmlinge, nicht dagegen dessen Erben zum Zuge kommen zu lassen, bei der Berufung eines Abkömmlings besonders häufig im Vordergrund stehen wird (BGH aaO; ferner RG 169, 38/43; OLG Karlsruhe FGPrax 1999, 155; OLG Oldenburg Rpfleger 1989, 106, BayOblG 1993, 334/338 f; Palandt/Edenhofer aaO., § 2108 Rdn.4).

Im vorliegenden Fall ist der letztwilligen Verfügung vom 23. Dezember 1953 der Wille der Eheleute Z. zu entnehmen, daß ihr Nachlaß ausschließlich den Kindern ihrer Tochter zugutekommen soll und jedenfalls eine Vererbung auf deren Ehegatten nicht gewollt war. Dafür ergibt sich bereits ein starker Anhaltspunkt daraus, daß sämtliche Verfügungen in dem Testament zugunsten der nächsten Familienangehörigen getroffen worden sind, nämlich zunächst zugunsten des mitverfügenden Ehegatten und sodann zugunsten der Tochter und nachfolgend deren Kinder. Hinzukommt, daß es den Eheleuten Z ersichtlich darauf angekommen ist, daß das Grundstück W steig 36, das ihnen gemeinsam gehört und das den gesamten Nachlaß bildet, ungeschmälert den von ihnen benannten Nacherben zukommt; denn die Vorerbin I G durfte den Grundbesitz weder veräußern noch auch nur belasten.

Nach dem Testament gingen die Erblasser weiterhin davon aus, daß auch deren Kinder, die Nacherben, das Grundstück - jedenfalls zunächst - behalten sollten; denn sie haben angeordnet, daß die Nacherben erst nach ihrer Volljährigkeit ihre Anteile ausgezahlt erhalten sollten, worunter der jeweilige Überschuß aus dem Grundstück gemeint ist, da das geteilt werden soll, was nach Abrechnung sämtlicher Lasten von den Einnahmen als Rest verbleibt. Der Nachlaß sollte für ihre Enkel zur Verfügung stehen. Das schließt die Annahme aus, daß er sich auf ihnen, den Erblassern, völlig Unbekannten vererbt, falls einer der Enkel nach dem Erbfall aber vor dem Nacherbfall wegfällt, mag er zu diesem Zeitpunkt auch schon verheiratet und damit volljährig gewesen sein.

Darin, daß auch die Vorerben tatsächlichen Zugriff auf den Nachlaß erst nach ihrer Volljährigkeit haben sollten, zeigt sich des weiteren, daß es den Erblassern nicht darauf ankam, die Stellung der Nacherben, ihre Kreditfähigkeit vor dem Eintritt des Nacherbfalls zu stärken und sie deshalb dem Nacherben eine schon vor dem Nacherbfall verwertbare Rechtsstellung zukommen lassen wollten, was für eine Vererbbarkeit spräche (BGH aaO; Palandt/Edenhofer aaO), sondern sie im Gegenteil darauf bedacht waren, daß der Grundbesitz jedenfalls bis zur Volljährigkeit der Nacherben von diesen nicht genutzt werden darf, sondern unangetastet in der Familie bleibt, was durch einen Ausschluß der Vererbbarkeit auf andere als Abkömmlinge zu erreichen ist (BGH, Palandt/Edenhofer aaO).

Dieses Ergebnis wird nicht dadurch infrage gestellt, daß I G in der Erbscheinsverhandlung vom 21. Januar 1969 geäußert hat, in einem Testament vom 15.4.1964 hätten ihre Eltern unter anderem bestimmt, daß dann, wenn einer der Nacherben unverheiratet und ohne Hinterlassung von Abkömmlingen sterbe, sein Anteil auf die anderen Nacherben übergehen solle. Aus einer solchen Äußerung der Eheleute Z aus dem Jahr 1964 kann bereits deshalb nichts für die Auslegung eines Testaments aus dem Jahr 1953 hergeleitet werden, weil auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung abzustellen ist und spätere Äußerungen der Erblasser nur als Indiz für ihren Willen zu diesem Zeitpunkt dienen können. Hier kann - mangels weiterer Umstände - aber nicht angenommen werden, daß die Eheleute Z mehr als zehn Jahre zuvor dieselben Vorstellungen über die Vererbung ihres Besitzes hatten wie 1964. Unabhängig davon folgt aber auch aus der genannten Äußerung nicht zwingend, daß damit eine Vererbung auf einen Ehegatten gewollt war, wenn ein Nacherbe zwar verheiratet, aber ohne Abkömmlinge verstirbt. Die Verlautbarung der Eheleute Z aus dem Jahr 1964 stellt kumulativ ab auf den Tod eines Nacherben unverheiratet und ohne Hinterlassung von Abkömmlingen. Es ist denkbar, daß die Erblasser davon ausgingen, daß im Falle einer Heirat immer auch Abkömmlinge vorhanden sein würden, anders als in dem Fall, daß einer ihrer Enkel unverheiratet stirbt. Die in der Erbschaftsverhandlung wiedergegebene Regelung kann - so verstanden - dafür herangezogen werden, daß als Nacherben nur die Enkel und deren Abkömmlinge eingesetzt waren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 und § 515 Abs. 3 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, die Festsetzung des Wertes der Beschwer auf § 546 Abs. 2, § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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