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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: 4 U 9438/00
Rechtsgebiete: AGBG


Vorschriften:

AGBG § 9
1. Eine Klausel in einem Erbbaurechtsvertrag, nach der der Erbbauberechtigte das Erbbaurecht auf Verlangen des Grundstückseigentümers auf diesen oder auf einen von diesem bezeichneten Dritten zu übertragen hat, wenn die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung angeordnet und nicht innerhalb von zwei Monaten aufgehoben wird, beeinträchtigt den Erbbauberechtigten wegen der knappen zeitlichen Begrenzung unangemessen, wenn es sich um eine ehemalige Heimstätte handelt. Diese Klausel ist nach § 9 AGBG insgesamt unwirksam.

2. Ein ergänzende Vertragsauslegung führt dazu, daß ein Heimfallanspruch nach seiner Ausübung unter der auflösenden Bedingung steht, daß das Zwangsversteigerungsverfahren vor der Zwangsversteigerung aufgehoben wird.

3. Das Festhalten an dem Heimfallanspruch nach Aufhebung des Zwangsversteigerungverfahrens kann unabhängig davon eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstellen.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 4 U 9438/00

Verkündet am: 27. November 2001

hat der 4. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2001 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Uerpmann als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 13. Oktober 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 36.O.14/00 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages plus 10 % abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Wert der Beschwer beträgt 210.000,00 DM.

Tatbestand:

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Das Landgericht hat einen Heimfallanspruch des Klägers bejaht und den Beklagten zur Abgabe der Auflassungserklärung und Bewilligung der Eintragung des Klägers im Grundbuch verurteilt. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er geltend macht, dass die Ausübung des Heimfallanspruchs durch den Kläger gegen Treu und Glauben verstoße. Wegen der Einzelheiten des Vortrages wird auf die Berufungsbegründung vom 27. Februar 2001 (Bl. 158 ff d. A.) und den Schriftsatz vom 26. Juni 2001 (Bl. 181 ff d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten Zug um Zug gegen Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 127.980,00 DM zu verurteilen, das im Grundbuch des Amtsgerichts Spandau von Spandau Blatt 20338 unter der lfd. Nr. 1 eingetragene, im Erbbaugrundbuch des Amtsgerichts Spandau von Spandau Blatt 20339 geführte Erbbaurecht an der Erbbauheimstätte Berlin-Spandau, Stadtrandstraße 512, durch Abgabe der Auflassungserklärung auf den Kläger zurückzuführen und die Eintragung im Erbbaugrundbuch des Amtsgerichts Spandau von Spandau Blatt 20339 zu bewilligen und zu beantragen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag mit den Schriftsätzen vom 7. Mai (Bl. 167 ff d. A.)und 9. August 2001 (Bl. 184 f d. A.) und wendet sich gegen die gerichtlichen Hinweise in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2001 (Protokoll Bl. 186 ff d. A.) mit dem nachgelassenen Schriftsatz vom 15. November 2001 (Bl. 189 ff d. A.). Auf die genannten Schriftstücke wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Dem Kläger steht gegen den Beklagten der geltend gemachte Heimfallanspruch nicht zu. Die Vereinbarung in § 15 Nr. 5 des Erbbau-Heimstättenänderungsvertrages vom 10 August 1993, woraus sich der Anspruch allein herleiten lässt, ist nach § 9 AGBG unwirksam (nachfolgend zu 1.). Unabhängig davon erweist sich das Festhalten an dem Heimfallanspruch nach Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens als unzulässige Rechtsausübung, § 242 BGB (zu 2.).

1. Der Erbbaurechtsvertrag ist unstreitig eine Allgemeine Geschäftsbedingung. Als solche unterliegt er der Überprüfung durch das AGBG. Nach § 15 Nr. 5 des Vertrages hat der jeweilige Erbbauberechtigte das Erbbaurecht auf Verlangen des Grundstückseigentümers auf diesen oder auf einen vom diesem bezeichneten Dritten zu übertragen, wenn die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung angeordnet und nicht innerhalb von zwei Monaten aufgehoben wird. Die darin enthaltene zeitliche Begrenzung von nur zwei Monaten, die dem Erbbauberechtigten bleibt, die Aufhebung der Zwangsvollstreckung zu erreichen, um den Heimfallanspruch abzuwenden, beeinträchtigt den Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 AGBG).

a) Die Vereinbarung findet ihre Grundlage in § 2 Nr. 4 ErbbVO; denn nach § 26 Abs. 3 RHeimstG gelten die Vorschriften dieses Gesetzes nicht für eine Heimstätte, die - wie hier - bei einem Erbbaurecht eingetragen ist. Nach § 2 Nr. 4 ErbbVO gehören zum Inhalt des Erbbaurechts Vereinbarungen des Grundstückseigentümers und des Erbbauberechtigten über eine Verpflichtung des Erbbauberechtigten, das Erbbaurecht beim Eintreten bestimmter Voraussetzungen auf den Grundstückseigentümer zu übertragen (Heimfall). Eine hiernach zulässigerweise frei zu vereinbarende Verpflichtung muss - jedenfalls wenn sie in AGB erfolgt - mit dem Erbbaurecht zusammenhängen (Palandt/Bassenge, BGB, § 2 ErbbRVO Rdn. 3), da sie andernfalls als überraschende Klausel unwirksam wäre (§ 3 AGBG). Des weiteren bedarf es einer Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles, ob es gerechtfertigt ist, eine bestimmte Verpflichtung des Erbbauberechtigten mit der Sanktion eines Heimfallanspruchs zu belegen (MünchKomm/Kotz, BGB, § 9 Rdn 3). Der Kläger hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vereinbarung der Anordnung der Zwangsversteigerung als Heimfallgrund allgemein als zulässig angesehen wird (u a MünchKomm/von Öfele, a. a O. § 2 ErbbVO, s. a. den Fall des BGH WM 1969, 633) und sich in Formularbüchern findet. Dem kann aber für den vorliegenden Fall einer ehemaligen Reichsheimstatte nicht gefolgt werden. Die Frage der Vereinbarkeit mit dem AGBG wird - soweit ersichtlich - nicht problematisiert. Der BGH hat es jedoch vor Geltung des AGB-Gesetzes in einer Entscheidung als unzulässige Rechtsausübung angesehen dass der Ausgeber der Heimstätte trotz Aufhebung der Zwangsvollstreckung an dem Heimfallanspruch festgehalten hat (BGH WM 1969, 633, 634). Bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen kann die Klausel im vorliegenden Fall in dem im Vertrag niedergelegten Umfang keinen Bestand haben. Das Erbbaurecht ist hier als Heimstätte, mithin zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses minderbemittelter Bevölkerungkreise im Sinne des § 32 Abs. 2 ErbbRVO bestellt Die Ausübung des Heimfallanspruchs hat für den Betroffenen Nachteile von erheblichem Ausmaß, die allerdings hinzunehmen wären, wenn sie zur Sicherung der berechtigten Interessen des Eigentümers erforderlich wären. Das ist aber nicht der Fall Grund der Vereinbarung und legitimes Interesse des Eigentümers ist es, zu verhindern, dass das Erbbaurecht auf einen ihm nicht bekannten oder genehmen Dritten übergeht Dementsprechend haben die Vertragsparteien auch vereinbart, dass es zur Veräußerung des Erbbaurechts der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Grundstückseigentümers bedarf (§ 13 Abs. 2 des Vertrages). Dadurch ist - auch ohne die hierfür nach der ErbbRVO nicht zulässige Absicherung durch einen Heimfallanspruch (§§ 6, 5 Abs. 1 ErbbRVO) - der Grundeigentümer im Fall einer Veräußerung hinreichend gesichert; denn die fehlende Zustimmung macht die Verfügung gegenüber jedermann schwebend unwirksam (Palandt/Bassenge, a. a. O. § 6 Rdn. 1). Für den Fall der Versteigerung kann das nur in der Weise erreicht werden, dass der Erbbauberechtigte den Heimfallanspruch ausübt, der als Teil des dinglichen Erbbaurechts ebenfalls dingliche Wirkung hat und auch einem Erwerber in der Zwangsvollstreckung gegenüber wirkt. Dieser Grund für die Vereinbarung des Heimfallanspruchs ist aber in dem Augenblick entfallen, in dem die Anordnung der Zwangsversteigerung vor dem Versteigerungstermin aufgehoben wird. Die Begrenzung auf den Zeitraum von zwei Monaten zur Abwehr des Heimfallanspruches ist zur Wahrung der Interessen des Eigentümers nicht geboten und stellt damit eine unangemessene Benachteiligung dar.

b) Ein weiterer gewichtiger Grund für die Vereinbarung des Heimfallanspruchs im Fall der Zwangsvollstreckung kann den erheblichen Nachteilen, die der Erbbaurechtsberechtigte erleidet, wenn er seine Wohnung und die in dem Erbbaurecht für ihn enthaltenen materiellen und ideellen Werte verliert, nicht entgegengesetzt werden. Es trifft zwar zu dass mit der Vereinbarung eines Heimfallanspruchs ein Druck ausgeübt werden soll, die Bedingungen des Vertrages einzuhalten Das bedarf aber jeweils der Zuordnung des Heimfallanspruchs zu einer Vertragverpflichtung, dessen Durchsetzung sie sichern soll. Es ist aber nicht zu erkennen, welches vertragsgetreue Verhalten hier gesichert werden soll. Es kann schon nicht angenommen werden, dass die Anordnung der Zwangsversteigerung zwangsläufig bedeutet, dass der Erbbauberechtigte in Vermögensverfall geraten ist und seine geldwerten Verpflichtungen gegenüber dem Eigentümer nicht mehr erfüllen kann. Der Anordnung einer Zwangsversteigerung kann ein Schuldner leicht ausgesetzt sein, zumal wenn er, wie der Beklagte, als kleinerer Bauunternehmer selbständig tätig ist und die Vollstreckung - wie hier - nicht aus einem eingetragenen Grundpfandrecht betrieben wird, sondern aus einer persönlichen Schuld. Auch die Tatsache, dass es einem Schuldner nicht gelingt, innerhalb von zwei Monaten die Aufhebung der Zwangsvollstreckung zu erreichen, lässt nicht den zwingenden Schluss zu, der Erbbauberechtigte werde in Zukunft seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht mehr nachkommen Es kommt deshalb nicht darauf an, ob überhaupt ein Heimfallanspruch für den Fall vereinbart werden kann, dass sich Anzeichen für einen Vermögensverfall zeigen der dann auch die Ansprüche des Eigentümers beeinträchtigen kann. Immerhin berechtigt nach § 15 Nr. 2 des Vertrages erst ein Rückstand in Höhe zweier Jahresbeträge des Erbbauzinses zur Ausübung des Heimfallanspruchs.

c) Die Vereinbarung in § 15 Nr. 5 des Vertrages von 1993 ist unwirksam, soweit sie dem Erbbauberechtigen nur eine zweimonatige Frist zur Abwendung der Zwangsversteigerung einräumt Die Klausel ist damit aber auch insgesamt unwirksam; denn sie kann nach ihrem Wortlaut nicht sinnvoll in einen zulässigen und einen unzulässigen Regelungsteil getrennt werden (vgl. BGH NJW 1998, 2284, 2286 m. w. N.), etwa dahin, dass der Heimfallanspruch besteht, "wenn die Zwangsversteigerung angeordnet und nicht wieder aufgehoben wird". Damit würde dem von den Parteien sinnvoller Weise Gewollten nicht mehr Rechnung getragen. Denn es stellt sich dann die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der Heimfallanspruch geltend gemacht werden darf und wie es sich verhält, wenn danach das Versteigerungsverfahren aufgehoben wird. Der Inhalt des Vertrages richtet sich somit nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 6 Abs. 2 AGBG), die aber den Parteien gerade die Möglichkeit einer Vereinbarung einräumen (§ 2 Nr. 4 ErbbVO). Es bedarf damit im vorliegenden Fall der Schließung der Lücke, die durch die Unwirksamkeit der Klausel entstanden ist, durch eine ergänzende Vertragsauslegung. Sie ist hier zulässig, weil dispositives Gesetzesrecht zur Füllung der Lücke nicht zur Verfügung steht und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine angemessene den typischen Interessen des AG B-Verwenders und seines Vertragspartners Rechnung tragende Lösung bietet (vgl. BGH NJW 2000, 1110/1114). Die an §§ 133, 157 BGB orientierte hypothetische Auslegung (vgl. Graf von Westphalen, AGB-Recht 1990 - 2000, Beilage NJW Heft 43/2001) führt hier dazu, dass der Heimfallanspruch nach seiner Ausübung unter der auflösenden Bedingung steht, dass das Zwangsversteigerungsverfahren vor der Zwangsversteigerung aufgehoben wird. Diese Bedingung ist hier eingetreten.

2. Unabhängig von der Unwirksamkeit der Klausel wertet das Gericht das Festhalten des Klägers an dem Heimfallanspruch nach Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB). Das Gericht erachtet den vorliegenden Fall dem von dem BGH in WM 1969, 633 entschiedenen im Ergebnis vergleichbar. Darauf, dass der Eigentümer dort - anders als hier - selbst die Zwangsvollstreckung betrieben hat, kommt es nicht entscheidend an Das Gericht sieht es im vorliegenden Fall auch nicht als entscheidend an, dass die Zwangsversteigerung nicht wegen eines ganz unbedeutenden Betrages angeordnet worden ist Maßgebend ist, dass es sich um die Wohnung des Beklagten handelt, und dass es dem Beklagten gelungen ist, die Zwangsversteigerung durch Zahlung seiner Schulden abzuwenden, mithin von nur vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten auszugehen ist, wobei seitens des Klägers nichts dafür vorgetragen ist, dass der Beklagte sie verschuldet hat, während der Beklagte Umstände dargelegt hat, die den Schluss zulassen, er sei ohne Verschulden durch Abschluss eines ungünstigen Vergleichs und Krankheit in die für ihn so nachteilige Lage gekommen. Durch das Festhalten an dem Heimfallanspruch würde der Beklagte einen erheblichen Schaden erleiden, auch wenn ihm eine angemessene - nicht abdingbare - Vergütung zu gewähren ist in Höhe von mindestens 2/3 des Wertes des Erbbaurechts (§ 32 Abs. 2 ErbbVO) (nicht nur des Wertes der baulichen Anlagen) im Zeitpunkt der Erfüllung des Heimfallanspruchs (BGH MDR 1992, 255). Es ist hingegen nicht erkennbar, dass der Kläger überhaupt einen Nachteil durch die Fortsetzung des noch bis zum Ende des Jahres 2071 laufenden Vertrages hat. Das Festhalten an dem Heimfallanspruch nach Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens ist unter diesen Umständen als unzulässige Rechtsausübung zu werten.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2, § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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