Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.03.2006
Aktenzeichen: 4 Ws 44/06
Rechtsgebiete: JGG


Vorschriften:

JGG § 48 Abs. 2
Kein Anwesenheitsrecht des Verletztenbeistands in der Hauptverhandlung gegen Jugendliche.
KAMMERGERICHT Beschluss

4 Ws 44/06 4 Ws 45/06

In der Strafsache gegen

wegen Mordes u. a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. März 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Eheleute N... und M... Sch... gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 2006 wird verworfen.

2. Die Beschwerde der Eheleute N... und M... Sch... gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer 30 des Landgerichts Berlin vom 23. Februar 2006 wird als unzulässig verworfen.

3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe:

Bei dem Landgericht Berlin ist zurzeit das Hauptverfahren gegen den jugendlichen Angeklagten unter anderem wegen des Vorwurfs des Mordes anhängig. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin den Antrag der Eltern des Getöteten C... Sch... abgelehnt, ihrem anwaltlichen Vertreter gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 JGG die Anwesenheit während der nichtöffentlichen Hauptverhandlung zu gestatten. Durch die angefochtene Verfügung hat der Vorsitzende der Strafkammer den Antrag der Eltern des Getöteten C... Sch... abgelehnt, ihrem anwaltlichen Vertreter gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG die Anwesenheit während der nichtöffentlichen Hauptverhandlung zu gestatten. Die dagegen gerichteten Beschwerden der Eltern des Getöteten haben keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss der Strafkammer vom 24. Februar 2006 ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig (vgl. Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl., § 48 Rdn. 21; Eisenberg, JGG 11. Aufl., § 48 Rdn. 17; Ostendorf, JGG 6. Aufl., § 48 Rdn. 20) und nicht gemäß § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, weil die Entscheidung der Sicherung des justizförmigen Verfahrens dient und für die Beschwerdeführer eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung hat. Im Übrigen ist auch keine dem § 406 g Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz StPO entsprechende gesetzliche Bestimmung vorhanden, die die Beschwerde ausdrücklich ausschließt.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem anwaltlichen Beistand der Eltern des Getöteten gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 JGG die Anwesenheit während der gegen den jugendlichen Angeklagten durchzuführenden nichtöffentlichen Hauptverhandlung zu gestatten. Denn nach § 48 Abs. 2 Satz 1 JGG hat allein der Verletzte - vorliegend die Eltern des Getöteten - neben anderen Verfahrensbeteiligten sowie Helfern und Erziehungsbeiständen ein Anwesenheitsrecht. Das Recht des Rechtsanwalts, als Beistand des Verletzten in der Hauptverhandlung anwesend zu sein, könnte sich lediglich aus § 406 g StPO ergeben. Diese Vorschrift ist jedoch in einem Verfahren gegen einen Jugendlichen nicht anwendbar, weil die in § 406 g StPO geregelten Befugnisse und Rechte in einem engen Zusammenhang mit der gemäß § 80 Abs. 3 JGG im Jugendstrafverfahren unzulässigen Nebenklage stehen (vgl. BGH StraFo 2003, 58; OLG Stuttgart Die Justiz 2003, 234 und NJW 2001, 1588; OLG Düsseldorf NStZ 2003, 496; OLG Zweibrücken NStZ 2002, 496; Brunner/Dölling aaO Rdn. 17; Eisenberg aaO § 80 Rdn. 14; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 406 g Rdn. 7; a.A. OLG Koblenz NJW 2000, 2436; OLG München NJW 2003, 1543). Den sich aus § 2 JGG ergebenden Vorrang der Bestimmungen und Grundsätze des Jugendgerichtsgesetzes vor den allgemeinen Regelungen der Strafprozessordnung hat der Gesetzgeber auch mit der Einführung der §§ 406 d ff StPO durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 (BGBl. I, 2496) nicht aufgegeben. Der ausdrückliche Ausschluss der Nebenklage gemäß § 80 Abs. 3 JGG im Verfahren gegen Jugendliche beruht auf einer am Erziehungszweck orientierten Verfahrensgestaltung (vgl. BVerfG NJW 2002, 1487), die Vorrang vor den berechtigten Interessen eines Geschädigten haben soll. Folgerichtig gelten die mit einer unzulässigen Nebenklage in engem Zusammenhang stehenden Vorschriften in einem Verfahren gegen einen Jugendlichen nicht (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., vor § 406 d Rdn. 6).

2. Die Beschwerde gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer 30 vom 23. Februar 2006 ist unzulässig, weil ein Rechtsmittel insoweit nicht statthaft ist. Da ein Rechtsanspruch auf Anwesenheit gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG nicht besteht, handelt es sich um eine nicht überprüfbare Ermessensentscheidung des Vorsitzenden, wobei eine Anrufung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO ebenfalls nicht möglich ist (vgl. Brunner/Dölling aaO Rdn. 21; Ostendorf aaO Rdn. 20).

Ergänzend merkt der Senat an, dass das Beschwerdevorbringen als Gegenvorstellung zu behandeln ist, über die der Vorsitzende der Strafkammer zu befinden haben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück