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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.05.2009
Aktenzeichen: 4 Ws 58/09
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 36 Abs. 1 S. 2
1. Der Anrechnungsmaßstab hinsichtlich bestimmter Behandlungsmaßnahmen im Rahmen einer ambulanten Drogentherapie kann bereits bei der Anrechnungsfähigkeitsentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BtMG festgesetzt werden.

2. Bei nur stundenweiser therapeutischer Inanspruchnahme eines Verurteilten im Rahmen einer ambulanten Maßnahme sind nur diejenigen Tage gemäß § 36 BtMG anrechenbar, an denen tatsächlich therapeutische Behandlungsmaßnahmen erfolgen.

3. Wird jeder Therapietermin mit einem Tag Freiheitsstrafe angerechnet, kommt eine zusätzliche Anrechenbarkeit begleitender freizeitpädagogischer Aktivitäten oder der Teilnahme an einem Urinkontrollprogramm nicht in Betracht.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ws 58/09

1 AR 711/09

In der Strafsache gegen

wegen gewerbsmäßiger Hehlerei u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. Mai 2009 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. März 2009 wird verworfen.

Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

1. Das Landgericht hat den Beschwerdeführer am 12. Juli 2007, rechtskräftig seit dem 10. Januar 2008, wegen Diebstahls in drei Fällen unter Einbeziehung der Geldstrafen aus einem Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2006, einem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. Januar 2006 und aus einem weiteren Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juli 2006, dessen Gesamtstrafenausspruch zum Wegfall kam, sowie der Einzelfreiheitsstrafen aus einem Urteil des Landgericht Berlin vom 21. November 2006, dessen Gesamtstrafenausspruch ebenfalls zum Wegfall kam, ferner der Einzelfreiheitsstrafe aus einem weiteren Berufungsurteil desselben Gerichts vom 4. Dezember 2006, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die verfahrensgegenständlichen Taten hat der Verurteilte aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen. Auf die verhängte Strafe sind insgesamt 186 Tage verbüßte Untersuchungshaft anzurechnen.

Seit dem 26. Februar 2008 unterzieht sich der Verurteilte in der im Sinne der §§ 35, 36 BtMG staatlich anerkannten Therapieeinrichtung "Kibo" einer ambulanten Drogentherapie. Dabei hat er sich in den ersten drei Monaten der Therapie jeweils zweimal pro Woche, danach jeweils einmal pro Woche einer jeweils 50 Minuten andauernden einzeltherapeutischen Behandlung sowie seit Beginn der Therapie durchgängig einmal pro Woche einer jeweils drei Stunden andauernden gruppentherapeutischen Behandlung unterzogen. Darüber hinaus spielt der Verurteilte einmal pro Woche im Rahmen eines "freizeitpädagogischen Angebots" eineinhalb Stunden Volleyball. Ferner unterzieht sich der Verurteilte zweimal wöchentlich in der Therapieeinrichtung einer Urinkontrolle.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin der Zurückstellung der Strafe und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für die Dauer der Therapie bei "Kido" (richtig "Kibo") gemäß § 35 Abs. 1 und 3 Nr. 2 BtMG zugestimmt und die nachgewiesene Zeit der Therapie gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG mit der Maßgabe für anrechenbar erklärt, dass eine Einzeltherapiesitzung und eine Gruppentherapiesitzung jeweils einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe erledigt sind.

Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Verurteilte alleine gegen die Anrechenbarkeitsentscheidung und rügt die Nichtberücksichtigung "weiterer Veranstaltungen im Rahmen der Therapie ... wie freizeittherapeutische Angebote und die Teilnahme an den wöchentlichen Urinkontrollen".

2. Das Rechtsmittel ist gemäß den §§ 36 Abs. 5 Satz 3 BtMG, 311 Abs. 2 StPO statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. In der Sache hat es aber keinen Erfolg.

Die auf § 36 Abs. 1 Satz 2 BtMG beruhende Entscheidung der Strafkammer, die vom Verurteilten nachgewiesenen Therapiezeiten im Rahmen der ambulanten Drogentherapie nur insoweit für anrechnungsfähig zu erklären, als eine Einzeltherapiesitzung bzw. eine Gruppentherapiesitzung jeweils einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen, ist nicht zu beanstanden.

a) Dass die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss eine differenzierte Entscheidung über die Anrechenbarkeit bestimmter Behandlungszeiten getroffen hat, ist mit § 36 Abs. 1 Satz 2 BtMG vereinbar. Diese Regelung sieht vor, dass das Gericht des ersten Rechtszugs zugleich mit der Zustimmung nach § 35 BtMG die Entscheidung über die Anrechnungsfähigkeit einer drogentherapeutischen Maßnahme zu treffen hat. Durch diese frühzeitige Feststellung soll die Behandlungsmotivation des Verurteilten gefördert und dessen Durchhaltevermögen in der Therapie gestärkt werden, um ihn so von einem Behandlungsabbruch abzuhalten. Zwar beschränkt sich die entsprechende Prüfung des Gerichts im Rahmen der Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BtMG in der Regel darauf, ob die Einrichtung, in der sich der Verurteilte eine Therapie unterziehen will, im Sinne der §§ 35, 36 BtMG staatlich anerkannt ist (vgl. Weber, BtMG 3. Aufl. § 36 Rdnr. 40; Kornprobst in MüKo, § 36 BtMG Rdnr. 31). Etwas anderes gilt jedoch in Fällen, in denen - wie hier - die Anrechenbarkeit einer ambulanten Therapie im Raum steht. Bei derartigen Therapieformen, die erst seit der Gesetzesänderung durch das Gesetz zur Änderung des BtMG vom 9. September 1992 dem Grunde nach anrechnungsfähig im Sinne des § 36 Abs. 1 BtMG geworden sind, bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung bei der Heranziehung von Einrichtungen mit deutlich geringen Anforderungen (vgl. Bundestagsdrucksache 12/934, Seite 7; Hügel/Junge/Lander/Winkler, Dt. BtM-Recht, 8. Aufl., § 36 BtMG Rdnr. 1.3.2.). Gerade vor dem Hintergrund dieses gesetzgeberischen Motivs, das auch dazu anhält, die konkreten in diesen Einrichtungen angebotenen Maßnahmen auf ihre Anrechenbarkeit kritisch zu prüfen, ferner um den Verurteilten bereits vor Beginn der Therapie frühzeitig und verbindlich über den möglichen Umfang der Anrechenbarkeit seiner therapeutischen Bemühungen in Kenntnis zu setzen, ist es sachdienlich, nicht erst im Zuge der späteren Entscheidung über die Anrechnung, sondern bereits im Rahmen der Vorabentscheidung über die Anrechnungsfähigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BtMG festzulegen, in welchem Umfang welche konkreten Behandlungsmaßnahmen im Rahmen einer ambulanten Therapie gegebenenfalls anrechenbar sind.

b) Der angefochtene Beschluss ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere hat die Kammer den Verurteilten, die Vollstreckungsbehörde und die behandelnden Personen gemäß § 36 Abs. 5 Satz 2 BtMG ordnungsgemäß angehört. Soweit es den Verurteilten betrifft, ist dieser über seinen Verteidiger durch nachrichtliche Übersendung des Anhörungsschreibens an die Therapieeinrichtung in ausreichendem Maße angehört worden. Einer mündlichen Anhörung des Verurteilten bedurfte es im vorliegenden Verfahren nicht.

c) Dagegen, dass die Kammer die Anrechenbarkeit in der aus dem Tenor des angefochtenen Beschlusses ersichtlichen Weise auf die Teilnahme an einzel- und gruppentherapeutischen Sitzungen beschränkt hat und damit die wöchentlich eineinhalbstündige Teilnahme am Volleyballspiel sowie die Teilnahme am zweimal pro Woche stattfindenden Urinkontrollprogramm nicht ebenfalls für anrechnungsfähig erklärt hat, ist nichts zu erinnern.

Zwar sind nach dem Gesetzeswortlaut des § 36 Abs. 1 BtMG ambulante Behandlungszeiten in einer den Anforderungen der §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 BtMG entsprechenden staatlich anerkannten Einrichtung grundsätzlich anrechenbar. Dabei rechtfertigt sich die Anrechnung nicht aufgrund eines freiheitsentziehenden oder strafvollzugsähnlichen Charakters der Therapie, sondern aufgrund der Mehrfachbelastung des Probanden durch die ambulante Behandlung (vgl. OLG Köln, NStZ 2001, 55; Körner, BtMG 6. Aufl., § 36 Rdnr. 12 m.w.Nachw.). Zu berücksichtigen sind daher zunächst der Zeitaufwand für die Teilnahme an Therapiemaßnahmen und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Gestaltung der Lebensführung des Verurteilten. Dabei ist nicht allein die Zeit entscheidend, die der Proband im Gespräch mit dem Therapeuten aufwendet, sondern auch die Zeit, in der er darüber hinaus auf vielfältige Weise an seinem Suchtproblem arbeitet. Bei der Anrechnung soll nicht das passive Absitzen von Behandlungszeiten in Behandlungsräumen, sondern das aktive Arbeiten an der Suchtproblematik belohnt werden (vgl. Körner a.a.O., Rdnr. 20). Ambulante Therapien stellen nämlich auch erhebliche Anforderungen an die Probanden. Anders als bei stationären Aufenthalten sind diese mehr auf sich selbst gestellt und müssen ihre Lebenstüchtigkeit ohne Drogen in Alltag, Beruf, Wohnen und Familie beweisen. Im Hinblick auf das gesetzgeberische Anliegen des § 36 BtMG, die Therapiebereitschaft Drogenabhängiger zu fördern, kommt demnach auch den Anforderungen Bedeutung zu, die durch Konzept und Dauer der Therapie an das Durchhaltevermögen des Verurteilten gestellt werden (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 27. November 2002 - 1 Ws 369/02 - bei juris; OLG Köln a.a.O.). Dass unter Zugrundelegung dieser Kriterien eine Mehrfachbelastung im Falle des Beschwerdeführers grundsätzlich anzuerkennen ist, bedarf keiner weiteren Begründung.

Bei der Entscheidung über den Umfang der Anrechenbarkeit muss jedoch vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Anrechnung von Behandlungszeiten um deren Anerkennung als Strafsubstitut handelt, auch darauf Bedacht genommen werden, dass ambulante Behandlungsformen, jedenfalls wenn sie sich auf eine nur stundenweise therapeutische Inanspruchnahme des Verurteilten an einzelnen Tagen in der Woche oder im Monat beschränken, schon mangels einer ganztägigen Beanspruchung weder zeitlich noch konzeptionell mit einer stationären Maßnahme vergleichbar sind. Deshalb sind in diesen Fällen nur diejenigen Tage anrechenbar, an denen tatsächlich therapeutische Behandlungsmaßnahmen erfolgen (vgl. Hügel/Junge/Lander/Winkler, a.a.O. Rdnr. 4.2.). Dementsprechend hat die Kammer im vorliegenden Fall, bei dem der Verurteilte nach einer dreimonatigen Anfangsphase wöchentlich nur zwei Therapietermine pro Woche im Zeitumfang von 50 Minuten bzw. drei Stunden wahrzunehmen hat, zu Recht in der aus dem angefochtenen Beschluss ersichtlichen Weise (nur) jeden Therapietermin als jeweils mit einem Tag Freiheitsstrafe anrechenbar erklärt. Schon da dieser - nach Auffassung des Senats als eher großzügig zu bewertenden - Maßstab der Anrechenbarkeit den konkreten zeitlichen Aufwand des Verurteilten für die therapeutischen Maßnahmen deutlich überschreitet, zumal er auch unberücksichtigt lässt, ob die einzel- bzw. gruppentherapeutischen Gespräche am selben oder an unterschiedlichen Tagen stattfinden, ist - auch unter dem Blickwinkel der Mehrbelastung des Verurteilten durch die Teilnahme an einer ambulanten Therapie und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Ge-staltung seiner Lebensführung (vgl. OLG Köln, a.a.O.) - nichts dagegen einzuwenden, dass die Kammer weder den Zeitaufwand für die Teilnahme am Urinkontrollprogramm und am wöchentlichen Volleyballspiel noch gar davon unabhängig und losgelöst vom konkreten Zeitaufwand die gesamte Therapiezeit für anrechenbar erklärt hat. Im übrigen handelt es sich bei der Teilnahme am Urinkontrollprogramm und bei der Wahrnehmung eines Sportangebots der Einrichtung nicht um therapeutische Maßnahmen im engeren Sinne, sondern um bloße Kontrolluntersuchungen bzw. - ausweislich des Behandlungsplans der Einrichtung - um ein so genanntes freizeitpädagogisches Angebot, was mangels konkreter therapeutischer Behandlungszeit ebenfalls gegen eine Anrechnungsfähigkeit spricht.

3. Ob und inwieweit auch die bereits vor dem angefochtenen Beschluss absolvierten therapeutischen Maßnahmen im Rahmen der noch zu treffenden Anrechnungsentscheidung schon gemäß § 36 Abs. 1 BtMG zu berücksichtigen sind (vgl. Körner, a.a.O., Rdnr. 17; OLG Celle, StV 1986, 113 und OLG Stuttgart, NStZ 1987, 246, die jeweils bei bloßem Fehlen einer förmlichen Zurückstellungsentscheidung eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG für geboten erachten) oder nach § 36 Abs. 3 BtMG Berücksichtigung finden können (vgl. Lundt/Schiwy, Betäubungsmittelrecht, § 36 BtMG, A.II.2.; Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Aufl., 5. Kap. Rdnr. 110; Hügel/Junge/Lander/Winkler, a.a.O. Rdnr. 1.5.5. m.w.Nachw.; im Ergebnis auch OLG Schleswig, a.a.O.), wird die Kammer zu gegebener Zeit zu entscheiden haben.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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