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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 04.11.2008
Aktenzeichen: 5 U 142/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 12
Der Bezeichnung "Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V." fehlt die originäre Unterscheidungskraft für einen Verein, dessen Mitglieder (aktuelle oder vormalige) Psychiatrie-Patienten sind und der sich laut Satzung als "Zusammenschluss von Psychiatrie-Erfahrenen" versteht, für deren Belange er sich einsetzt. Für den Schutz als Name nach § 12 BGB ist daher Verkehrsgeltung der Bezeichnung erforderlich (im Streitfall verneint).
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 5 U 142/05

verkündet am: 04.11.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstraße 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2008 durch den Richter am Kammergericht Dr. Hess als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 3 des Landgerichts Berlin vom 8. November 2005 - 3 O 174/05 - teilweise geändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit den folgenden Ergänzungen Bezug genommen:

Das Landgericht hat - soweit für das Verfahren zweiter Instanz noch von Bedeutung - entsprechend Klageantrag a dem Beklagten unter Androhung gesetzlich vorgesehener Ordnungsmittel untersagt, sich als "Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V." zu bezeichnen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner - form- und fristgerecht eingelegten - Berufung und macht (u.a.) geltend:

Das Landgericht habe der Vereinsbezeichnung des Klägers zu Unrecht die für die Namensfunktion erforderliche individualisierende Kennzeichnungskraft zugebilligt. Bezüglich der Bezeichnung "Psychiatrie-Erfahrener" liege nur ein Gattungsbegriff vor. Das Landgericht habe weiter zu Unrecht angenommen, der Kläger habe für seine Vereinsbezeichnung Verkehrsgeltung erlangt.

Der Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin - Az.: 3 O 174/05 - vom 8. November 2005 - die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Der Kläger trägt vor:

Der Bestandteil "Psychiatrie-Erfahrener" weise individualisierende Kennzeichnungskraft auf. Es handle sich nicht um eine so genannte Gattungsbezeichnung. Insoweit fehle es schon an der Gattung "Psychiatrie-Erfahrener". Eine solche Bezeichnung könne nicht nur auf Menschen zutreffen, die im weitesten Sinne Erfahrungen mit Psychiatrieeinrichtungen gemacht hätten, also solche, die entsprechende Erfahrungen durch eine fachärztliche psychiatrische Behandlung ambulanter oder stationärer Art oder auch nur durch eine Behandlung mit Psychopharmaka gemacht hätten. Ebenso denkbar wäre, dass auch sämtliche in der Psychiatrie arbeitende Personen (Pflegepersonal, Ärzte, Psychologen) dieser (nicht existenten) Gattung zuzurechnen wären. Erfasst werden könnten ferner auch solche Menschen, die anderweitig mittelbar mit der Psychiatrie in Verbindung stehen, mit dieser zu tun bzw. Erfahrungen gemacht haben (Richter, Betreuer oder Angehörige psychiatrisch Behandelter). Der in Rede stehende Begriff sei weder ein Wort der Umgangssprache noch des allgemeinen Sprachgebrauchs und sei in keinem Wörterbuch zu finden, sondern sei 1992 zur Bezeichnung des Klägers "kreiert" worden. Die Zusammensetzung der Begriffe "Psychiatrie" und "Erfahrener" sowie die Schreibweise mit einem Bindestrich führten dazu, dass zwei nicht unterscheidungskräftige Wörter zu einem einprägsamen neuen Begriff zusammengeführt würden. Im allgemeinen Sprachgebrauch hätte auch eine Bezeichnung "Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen" nahe gelegen.

Überdies habe der Name des Klägers als Hinweis auf einen bestimmten Verein Verkehrsgeltung erlangt. Der Kläger verweist hierzu auf sein erstinstanzliches Vorbringen im Schriftsatz vom 28. Juni 2005 (Bl. I 46-53 d.A.) und macht ergänzende Ausführungen zu Reaktionen der angesprochenen Verkehrskreise auf "Aktionen" des Klägers (Seite 5 bis 7 der Berufungserwiderung = Bl. I 158a-160a d.A.).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung des Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig, und hat auch in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 12 BGB gegen den Beklagten zu, dass dieser es unterlässt, sich als "Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V." zu bezeichnen.

Die Bezeichnung des Beklagten "Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V." stellt sich nicht als unbefugter Namensgebrauch i.S. des § 12 BGB dar. Die Bezeichnung des Klägers "Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V." genießt keinen Schutz nach dieser Vorschrift. Ein solcher Schutz setzt namensmäßige Unterscheidungskraft der Bezeichnung von Hause aus oder Verkehrsgeltung voraus (BGH GRUR 2005, 517, 518 - Literaturhaus). An beidem fehlt es im Streitfall.

I.

Der Bezeichnung "Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V." kommt entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Unterscheidungskraft zu.

1.

Unterscheidungskraft fehlt bei Gattungsbezeichnungen, Worten der Umgangssprache und Ähnlichem wie etwa "Hausbücherei" (BGHZ 21, 66, 73), "Volksbank" (BGH GRUR 1992, 865 - Volksbank) oder "Literaturhaus" (BGH GRUR 2005, 517, 518 - Literaturhaus; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Heinrichs/Ellenberger in: Palandt, BGB, 67. Aufl., § 12 Rdn. 12). An die Unterscheidungskraft sind wegen des Freihaltebedürfnisses grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Heinrichs/Ellenberger a.a.O. m.w.N.).

2.

Nach vorstehenden Grundsätzen fehlt im Streitfall die Unterscheidungskraft. Der Vereinsname gibt nur seine örtliche Reichweite ("Bundesverband"), seine ihn bildenden (ordentlichen) Mitglieder nach deren gemeinsamem Merkmal im grammatisch zutreffenden possessiven Genitiv ("Psychiatrie-Erfahrener") und seine Rechtsform ("e.V.") an. Die beiden zuerst und zuletzt genannten Elemente vermögen von vornherein keine Unterscheidungskraft zu begründen (darauf stellen mit Recht auch weder Kläger noch Landgericht ab). Aber auch dem mittleren Element "Psychiatrie-Erfahrener" kommt nach Auffassung des Senats (Einzelrichter) keine Unterscheidungskraft zu, weil dieses nur eine all seinen (ordentlichen) Mitgliedern gemeine Eigenschaft, nämlich Erfahrungen mit "der Psychiatrie" (im landläufigen Sinne) gemacht zu haben, wiedergibt und damit auf das dem Kläger eigene Wesensmerkmal beschreibend hinweist: Es handelt sich um einen Verein, dessen Mitglieder Erfahrungen mit der Psychiatrie gemacht haben. Diese (eindeutige) Beschreibung entspricht der Wirklichkeit: Mitglied des Klägers kann (abgesehen von Fördermitgliedern) nach § 5 Nr. 1 seiner Satzung (eingereicht als Anlage K 1 = Bl. I 8-17 d.A.) jede natürliche Person werden, die Psychiatrie-Patient oder Psychiatrie-Patientin war oder ist und die Ziele des Verbands bejaht und unterstützt.

Der Kläger selbst versteht und benutzt die in Rede stehende Begriffskombination nicht namensmäßig, sondern (zutreffend) beschreibend für Personen, die Erfahrungen mit der Psychiatrie gemacht haben: Laut § 2 seiner Satzung versteht er sich als "Zusammenschluss von Psychiatrie-Erfahrenen" und hat u.a. den Zweck bzw. die Aufgaben und Ziele,

das Selbstbewusstsein der Psychiatrie-Erfahrenen zu stärken bzw. zu stabilisieren,

die Anliegen, Forderungen und Rechte der Psychiatrie-Erfahrenen in der politischen und allgemeinen Öffentlichkeit zur Geltung zu bringen,

auf die gleichberechtigte Beteiligung der Psychiatrie-Erfahrenen an der Planung, Entwicklung und Realisierung von Maßnahmen, Einrichtungen o.ä. im Bereich der Psychiatrie hinzuwirken.

In der Präambel der Satzung rufen die Gründer und Gründerinnen des Klägers alle Psychiatrie-Erfahrenen auf, sich auf Orts-, Länder- und Bundesebene zusammenzuschließen, um ihre eigenen Sichtweisen und Erfahrungen mit der Psychiatrie in all ihren Formen zum Ausdruck zu bringen, eigene Ziele und Forderungen in der Öffentlichkeit zu formulieren und ihre Interessen durchzusetzen.

3.

Vorstehenden Darlegungen steht nicht entgegen, dass Unterscheidungskraft dann zu bejahen sein kann, wenn mehrere nicht unterscheidungskräftige Worte zu einer einprägsamen Neubildung zusammengefügt werden, so etwa bei "Charme & Chic" (BGH GRUR 1973, 265, 266 - Charme & Chic) oder "Haus & Grund" (BGH, Urt. v. 31.07.2008 - I ZR 171/05 - Haus & Grund II, Tz. 17; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Heinrichs/Ellenberger a.a.O.). Denn bei der Angabe "Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener" handelt es sich nicht um eine kraft Wortkombination entstandene einprägsame Neubildung, sondern um die nach sprachlichen und grammatischen Regeln korrekt gebildete Beschreibung eines Verbandes, der aus Personen besteht, die Erfahrungen mit Psychiatrie haben. Auch dass die konkrete Wortkombination in keinem Wörterbuch zu finden sein mag, lässt keinen gegenteiligen, dem Kläger günstigeren Schluss, zu. Semantisch mögliche und inhaltlich logische Kombinationen von zwei oder mehr Substantiven (mit oder ohne Bindestrich) sind in der deutschen Sprache in unübersehbarer Vielzahl möglich. Nicht jedwede solcher denkbaren - auch glatt beschreibenden - Kombinationen lässt sich in einem Wörterbuch zu finden.

4.

Ebenfalls vergeblich macht der Kläger geltend, dass unter "Psychiatrie-Erfahrenen" neben (vormaligen oder aktuellen) Patienten weiter gehend auch dort arbeitende Personen sowie Richter, Betreuer oder Angehörige verstanden werden könnten. Zum einen erscheint eine solche Deutung zwar möglich, weil oberbegriffslogisch korrekt, aber im hier in Rede stehenden Kontext doch eher fern liegend. Zum anderen steht die Wahl eines - bei genauer Betrachtung - zu weit gehenden Oberbegriffs nicht dem glatt beschreibenden Charakter entgegen, nur weil dieser einige Elemente zwar sprachlich, nicht aber tatsächlich erfasst: So wäre beispielsweise die Bezeichnung eines Sportvereins als "Sportverein e.V." nicht etwa deshalb ein unterscheidungskräftiger "Name" i.S. von § 12 BGB, weil in dem Verein nicht sämtliche theoretisch denkbaren Sportarten betrieben würden.

5.

Zwar dürfen, wie auch aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung zu entnehmen ist, bei einem als Schlagwort verwendeten Namensbestandteil die Anforderungen an die Unterscheidungskraft nicht überspannt werden. Eine besondere Originalität, etwa durch eigenartige Wortbildung oder eine Heraushebung aus der Umgangssprache ist nicht Voraussetzung für die Annahme der Unterscheidungskraft. Vielmehr reicht es schon aus, dass eine bestimmte beschreibende Verwendung nicht festzustellen ist (BGH, Urt. v. 31.07.2008 - I ZR 171/05 - Haus & Grund II, Tz. 17). Letzteres ist hier aber gerade der Fall. Der Kläger selbst verwendet, wie vorstehend unter B I 2 dargelegt, die in Rede stehende Wortkombination ("Psychiatrie-Erfahrene" im jeweils korrekt deklinierten Kasus) im rein beschreibenden Sinne und nicht etwa schlagwortartig-namensmäßig. Daher muss im Streitfall, auch wenn speziell bei Verbandsnamen nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung wegen insoweit bestehender Verkehrsgewöhnung an beschreibende Anklänge (ähnlich wie bei Zeitungs- und Zeitschriftentiteln) ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH a.a.O. Tz. 18), dem Kläger für seine Bezeichnung "Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V." ein originär-namensrechtlicher Schutz versagt bleiben.

II.

Der Bezeichnung des Klägers kommt entgegen der Annahme des Landgerichts auch keine Verkehrsgeltung zu (wobei insoweit nicht der jetzige Zeitpunkt, sondern die Zeit der ersten Kollision beider Bezeichnungen, also Ende 2004 maßgebend wäre; vgl. Habermann in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 12 Rdn. 84, m.w.N.). Denn dazu ist bei "glatten" Gattungsbezeichnungen ein Bekanntheitsgrad von deutlich mehr als 50 % erforderlich (Heinrichs/Ellenberger a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Bekanntheitsgrad (zudem bezogen auf Ende 2004) lässt sich im Streitfall nicht feststellen. Der Vortrag des Klägers unter Vorlage umfangreicher Korrespondenz, dass er mit vielen Institutionen und - auch "höherrangigen" - Personen in Kontakt getreten ist, genügt insoweit nicht (vgl. insoweit auch BGH GRUR 2005, 517, 518 - Literaturhaus).

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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