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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.08.2000
Aktenzeichen: 5 U 3365/00
Rechtsgebiete: UWG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 1
ZPO § 91
Leitsätze:

1. Es stellt keinen Verstoß gegen § 1 UWG da, wenn eine an sich kostenpflichtige Zeitung an ehemalige Probeabonnenten für maximal 14 Tage kostenfrei versandt wird, auch wenn diese die Zeitung nicht (abermals) bestellt haben.

2. Eine Wettbewerbswidrigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Adressaten durch die unverlangte Zusendung der Zeitungen für deren Empfangsmöglichkeit und deren Beseitigung aufzukommen habe.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 5 U 3365/00 103 O 238/99 LG Berlin

Verkündet am: 18. August 2000

Bartel Justizangestellte

In dem Verfügungsverfahren

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bornemann, den Richter am Kammergericht Crass und den Richter am Landgericht van Dieken auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 7. März 2000 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 103 des Landgerichts Berlin geändert:

Die einstweilige Verfügung vom 3. Januar 2000 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfügungsverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Antragsgegnerin stellte im Dezember 1999 unentgeltlich und unaufgefordert die von ihr herausgebene Zeitung "D W" ehemaligen Probeabonnenten mehrere Monate nach Ablauf des Abonnements erneut zu. Inzwischen hatte sich der Umfang der Zeitung um vier Seiten erweitert und die einzelnen Ressorts konnten als vollständige Zeitungsteile dem Blatt entnommen werden.

Die Zustellung, die im Verbreitungsgebiet Nielsen 1 (Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein) stattfand, wurde mit der Ankündigung verbunden, der Adressat erhalte "Da W" für "einige Zeit" kostenlos nach Hause geschickt. Insgesamt wurde die Zeitung im Rahmen der als "Nikolaus-Überraschung" bezeichneten Aktion an 2800 Personen versandt. Es handelte sich hierbei um Personen, die bereits im Frühjahr 1999 "D W" auf eigene Anforderung zum Probelesen für zwei Wochen bezogen hatten und sich nach der Probezeit nicht zu einem Abonnement entschieden hatten. Die "Nikolaus-Übenraschungs"-Probelieferung wurde jeweils nicht länger als zwei Wochen durchgeführt. Zwischen der Ankündigung, der Angeschriebene erhalte die "Nikolaus-Überraschung", und dem Beginn der Lieferung lagen nur wenige Tage.

Diejenigen, die eine derartige Zustellung nicht wünschten, konnten die Antragsgegnerin darüber kostenlos telefonisch informieren. Unter der angegebenen Telefonnummer konnte auch das Abonnement bestellt werden. Wer die Zeitung abbestellen wollte, wurde nicht in ein Verkaufsgespräch verwickelt.

Die Tageszeitung der Antragstellerin "D T" wird in Hamburg mit circa 350 Exemplaren täglich im Einzelhandel sowie mit mehr als 200 Exemplaren im Abonnement vertrieben.

Die Antragstellerin ist der Auffassung gewesen, dass die ohne Anforderung erfolgende Versendung von Tageszeitungen an ehemalige Probeabonnenten unter den Gesichtspunkten des unzulässigen Verschenkens von Originalware und des unzulässigen Zusendens unbestellter Ware gegen § 1 UWG verstoße.

Die Antragstellerin hat 3. Januar 2000 eine einstweilige Verfügung erwirkt, durch die der Antragsgegnerin bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden ist, an ehemalige Probeabonnenten der von der Antragsgegnerin herauszugebenden Abonnementzeitung "D W" nach Ablauf des Probeabonnements unaufgefordert erneut unentgeltlich "D W" - Ausgaben zuzustellen und dies mit der Ankündigung zu verbinden, der Adressat erhalte "D W" für "einige Zeit" kostenlos nach Hause geschickt, insbesondere gemäß als Anlage A beigefügten Ankündigung".

Hiergegen hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung gewesen, dass zwischen den Parteien kein Wettbewerbsverhältnis bestünde, weil es sich bei dem T um eine regionale Tageszeitung handele und in Hamburg nur in wenigen Einzelexemplaren vertrieben würde. Die Werbung sei im Übrigen auch nicht unlauter, weil sich die Lieferung in dem üblichen Rahmen der Probelieferungen halte.

Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung bestätigt.

Dagegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte (§ 511 ZPO), den notwendigen Wert der Beschwer erreichende (§ 511 a ZPO), form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§§ 516, 518, 519 ZPO) Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 07. März 2000 ist zulässig.

II.

Die Berufung ist auch begründet. Der Antragstellerin steht kein Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG zu.

1.

Der Anspruch scheitert allerdings nicht an dem Umstand, dass zwischen den Parteien kein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen würde. Dies erfordert nämlich lediglich, dass zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Auflage, Einl. UWG Rdnr. 216 m.w.N.).

Das kann hier aber nicht zweifelhaft sein. Denn beide Unternehmen sind in der gleichen Branche tätig und vertreiben Tageszeitungen (auch) im Gebiet Nielsen 1, so dass das eine Produkt das andere ersetzen kann. Unerheblich ist auch, dass die Antragstellerin nur wenige Exemplare ihrer Zeitung in diesem Gebiet vertreibt. Denn abgesehen davon, dass dennoch nicht auszuschließen ist, dass ein Leser der Zeitung der Antragstellerin zu der Antragsgegnerin wechselt, ist auch ausreichend, dass die Parteien künftig den gleichen Kundenkreis haben (Baumbach/Hefermehl a.a.O. Rdnr. 224). Die Antragstellerin versucht jedoch gerade, sich auf dem Hamburger Markt zu etablieren.

2.

Die Wettbewerbswidrigkeit ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt des Behinderungswettbewerbs. Die Gratislieferung von Presserzeugnissen ist nicht von vornherein wettbewerbswidrig. Wettbewerbswidrig wird die Lieferung erst dann, wenn dadurch der Bestand des Wettbewerbs gefährdet wird oder ein Wettbewerber gezielt behindert werden soll (Löffler/von Strobl-Albeg, Presserecht, 4. Auflage, BT Gewinnsp Rdnr. 168; Köhler/Piper, UWG, § 1 Rdnr. 206; Baumbach/Hefermehl, a. a. O., § 1 Rdnr. 860; KG-Report 1999, 238; BGH GRUR 1957, 600 - Westfalenblatt). Dies wird in der Regel nicht der Fall sein, wenn die Lieferung durch den Erprobungszweck gedeckt ist (vgl. auch IV Nr. 2 der Wettbewerbsregeln des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger; von Strobl-Albeg a.a.O.).

Dies ist hier der Fall. Grundlage der Lieferung war eine weitere Erprobungsmöglichkeit für die ehemaligen Probeabonnenten. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Anschreiben, mit dem dieser Personenkreis nochmals dazu bewegt werden sollte, die Zeitung der Antragsgegnerin zu testen. Dieser Erprobungszweck scheidet auch nicht deshalb aus, weil die ehemaligen Probeabonnenten auf ein Abonnement verzichtet hatten. Entgegen der Ansicht des Landgerichts lässt sich daraus nämlich nicht entnehmen, dass die Probeabonnenten sich bewusst gegen den Bezug der Zeitung entschieden hätten. Denn das Absehen von dem Abonnement kann verschiedene Gründe haben. Ebenso wie es möglich ist, dass der Probeabonnent doch von der Zeitung nicht überzeugt war, kann es auch möglich sein, dass ihm der tägliche Bezug der Tageszeitung zum damaligen Zeitpunkt aus anderen Gründen (Zeitmangel etc.) nicht sinnvoll erschien. Im Übrigen hatte sich das Erscheinungsbild der Zeitung verändert, so dass vielleicht gerade jetzt der potentielle Leser doch noch überzeugt werden konnte. Das ergibt sich im Übrigen auch aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin eine derartige Werbeaktion gestartet hat. Könnte sie sicher sein, dass eine Abonnierung durch den angesprochenen Kundenkreis nicht in Betracht kommt, so hätte sie kaum die Werbung durchgeführt. Auch der Vertreter der Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass es sich um eine interessante Werbeform handelt, die nur noch nicht ergriffen worden sei, weil man die Werbung für sittenwidrig halte.

Unerheblich ist auch, dass die Adressaten nicht um die Zusendung gebeten hatten. Eine derartige Bitte lässt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass die Adressaten ursprünglich um ein Probeabonnement gebeten hatten. Denn dieses war bereits abgelaufen. Die Abonnenten hatten sich nicht zu einem Weiterbezug entschlossen.

Allerdings hat das OLG Hamm (WRP 1979, 144) bei der unverlangten Zusendung einer Zeitung eine Wettbewerbswidrigkeit bejaht. Dies ergab sich aber aus dem Umstand, dass es sich bei dem Adressaten um einen ehemaligen (regulären) Abonnenten der Zeitung gehandelt hatte, der kurz nach seiner Kündigung doch zum Weiterbezug überzeugt werden sollte. Hier konnte kein Erprobungszweck mehr vorliegen, weil dem ehemaligen Abonnenten die Zeitung, an der nichts geändert worden war, bekannt war. Ansonsten schließt eine mangelnde Zustimmung den Erprobungszweck nicht aus (vgl. OLG Hamburg GRUR 1988, 135 - Steckaktion).

Es ist von der Antragstellerin auch nicht glaubhaft gemacht worden, dass es eine Branchenübung gäbe, wonach die unverlangte Zusendung von Zeitungen nicht erfolge. Zwar haben sich die Parteien in Berlin im Rahmen ihrer Beteiligung an der BZV darauf geeinigt, dass nur bestellte Zeitungen zugestellt werden. Inwieweit dies aber über Berlin hinaus Geltung beanspruchen kann, ist nicht erkennbar. Dagegen spricht, dass die Wettbewerbsregeln der Deutschen Zeitungsverleger eine derartige Einschränkung nicht kennen. Diese lassen vielmehr diese Probelieferung ausdrücklich zu.

Aber auch aus anderen Gesichtspunkten ergibt sich keine besondere Marktbeeinträchtigung, die eine abweichende Bewertung rechtfertigen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Empfänger eines solchen kostenlosen Exemplars möglicherweise für den Zeitraum der Belieferung keine andere Zeitung entgeltlich erwirbt und mithin der Wettbewerber weniger Zeitungen verkauft. Diese Folge ist jedoch hinzunehmen, so lange dies Folge der Erprobung ist (BGH GRUR 1957, 600, 601 - Westfalenblatt).

Unschädlich ist deshalb, dass der Adressat nicht mitgeteilt bekam, wie lange die erneute Probelieferung erfolgen wird. Denn insoweit dies führt nicht zu einer darüber hinausgehenden Marktbeeinträchtigung. Denn entweder hat der Adressat überhaupt keine Zeitung abonniert. Dann wird er möglicherweise während der kostenfreien Lieferung keine andere Zeitung beziehen, was jedoch - sofern der Erprobungszweck gegeben ist - hinzunehmen ist. Oder er hat eine andere Zeitung abonniert, so wird er wissen, dass die kostenfreie Lieferung, wie bei dem ursprünglichen Probeabonnement, nur für eine kurzen Zeitraum erfolgt und mithin nicht seine Zeitung kündigen - soweit die Werbung nicht zu dem erwünschten Erfolg führt. Damit hängt letztlich die Beeinträchtigung der anderen Marktteilnehmer allein von dem Umstand ab, wie lange tatsächlich die Belieferung mit einer kostenfreien Zeitung erfolgt.

Auch ist keine andere Beurteilung aus dem Gesichtspunkt der Nachahmungsgefahr gerechtfertigt.

Allerdings liegt nahe, dass dann, wenn eine derartige Werbemaßnahme nicht zu beanstanden ist, auch andere Zeitungsverlage von einer derartigen Werbung Gebrauch machen werden.

Immerhin hat die Antragstellerin selbst schon Interesse an diesem Werbekonzept begründet. Dennoch ist nicht zu befürchten, dass damit die unverlangte Zusendung von kostenlosen Zeitungen überhand nehmen wird. Denn anders als bei der Werbung durch das massenhafte Verteilen von kostenlosen Zeitungen (vgl. KG-Report 1999, 238) ist hier streitgegenständlich die Zusendung an Adressaten, denen ehemals auf eigenen Wunsch ein Probeabonnement zugesandt worden ist. Dabei handelt es sich naturgemäß um einen kleinen Kreis von potentiellen Adressaten (im vorliegenden Fall 2800 Personen im Verhältnis von 6,926 Mio Lesern), so dass selbst dann, wenn diese Werbung nachgeahmt werden sollte, nur ein sehr geringer Teil von Lesern betroffen wäre, mithin sich daraus keine andere Beurteilung rechtfertigt (vgl. auch BGH GRUR 1957, 600 - Westfalenblatt).

Die Sittenwidrigkeit der Werbung lässt sich auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass sich für den Adressaten die Problematik stellt, dass er für die erhaltenen Exemplare Empfangsmöglichkeiten vorhalten muss und auch für die Beseitigung zu sorgen hat. Grundsätzlich ist bei der Werbung im Interesse der Wirtschaft hinzunehmen, dass durch die unverlangte Zusendung von Werbeschriften der Briefkasten gefüllt wird und der Adressat für die Beseitigung zu sorgen hat, so lange dieser nicht deutlich macht, dass er eine solche Werbung nicht erhalten möchte (Baumbach/Hefermehl a.a.O. § 1 Rdnr. 71; BGH GRUR 1989, 225 Handzettelwerbung). Soweit ersichtlich, ist auch bei dem "Stecken" von Zeitungen aus diesem Gesichtspunkt noch keine Sittenwidrigkeit der Werbung hergeleitet worden (vgl. z.B. OLG Hamburg GRUR 1988, 135 - Steckaktion). Allerdings weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass hier insoweit eine Besonderheit besteht, dass es sich hier nicht nur um eine einzelne Werbung handelt, sondern vielmehr 14 Tage lang eine Zeitung geliefert wird, mithin über einen längeren Zeitraum erhebliche Papiermengen geliefert werden. Dennoch begründet dies aus der Sicht des Senats keine Sittenwidrigkeit.

Ebenso wie bei der Werbung durch Einwurf von Handzetteln in die Briefkästen potentieller Kunden kann die unverlangte Zusendung von nicht bestellten Zeitungen grundsätzlich rechtlich nicht beanstandet werden kann. Sie dient nicht zuletzt dem Interesse der Verbraucher, über das Leistungsangebot des werbenden Unternehmens einen Überblick zu erhalten. Gerade auch bei Zeitungen ist auch bereits üblich geworden, dass kostenlose Anzeigenblätter regelmäßig zugestellt werden. Damit bestehen keine Bedenken, dass die Antragsgegnerin zunächst davon ausgehen konnte, dass gegen die Übersendung keine Einwände bestehen. Immerhin hatte sie auch die Möglichkeit geboten, gegebenenfalls kostenlos telefonisch eine weitere Zusendung verhindern. Inwieweit eine andere Bewertung gerechtfertigt wäre, wenn der Adressat durch entsprechende Vermerke auf den Empfangseinrichtungen sich eine Zusendung von Zeitungen verbeten hätte, kann hier offen bleiben, weil Derartiges nicht vorgetragen worden ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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