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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: 5 U 6174/00
Rechtsgebiete: UWG, LadSchlG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 1
UWG § 13 Abs. 2 Nr. 1
LadSchlG § 3 Abs. 1
LadSchlG § 10 Abs. 1
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
1. Zu den Wettbewerbern der Betreiberin eines Warenhauses im Zentrum von Berlin gehören auch die Betreiber von Ladengeschäften in den Vororten.

2. Unter dem Gesichtspunkt des Vorsprungs durch Rechtsbruch verstößt gegen § 1 UWG, wer bewusst und planmäßig gegen das LadSchlG verstößt.

3. Waren des Sortiments eines Kaufhauses sind nicht als für ein Erholungsgebiet kennzeichnende Waren anzusehen, selbst wenn das Kaufhaus zu den touristischen Anziehungspunkten des Erholungsgebietes zählt.

4. §§ 3 Abs. 1, 10 Abs. 1 LadSchlG sind nicht verfassungswidrig.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 5 U 6174/00

Verkündet am: 27. November 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Haase, des Richters am Kammergericht Grass und des Richters am Kammergericht Dr. Pahl auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 14. Juni 2000 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 97 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt in Berlin-Tempelhof, ein Einzelhandelsgeschäft für Uhren und Schmuck. Die Beklagte bietet in ihrem Warenhaus am in Berlin auch Uhren und Schmuck an. Die Beklagte hielt ihr Warenhaus am Samstag, dem 31. Juli 1999 nach 16.00 Uhr und ebenfalls am Sonntag, dem 1. August 1999 zum Verkauf geöffnet. Sie versah die bei ihr käuflichen Waren mit einem Aufkleber "Berlin-Souvenir".

Die Klägerin sieht in diesem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen das Ladenschlussgesetz, der zugleich sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG sei.

Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,

in ihrem Kaufhaus Berlin Uhren und Schmuck an Samstagen nach 16.00 Uhr und an Sonntagen zu verkaufen. Hiervon ausgenommen sind die vier aufeinander folgenden Samstage vor dem 24. Dezember in der Zeit zwischen 16.00 Uhr und 18.00 Uhr und sonstige zeitliche Ausnahmeregelungen außerhalb des § 10 LadSchlG (§§ 12, 14, 16, 23 LadSchlG).

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich gegen die Klagebefugnis der Klägerin gewendet, sieht ihr Verhalten als mit dem Ladenschlussgesetz vereinbar an und hält dieses ohnehin für verfassungswidrig.

Das Landgericht hat gemäß dem angefochtenen Urteil die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen;

hilfsweise,

das Verfahren auszusetzen und die Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit der Vorschrift der §§ 3 Abs. 1 und 10 Abs. 1 LadSchlG mit dem Grundgesetz gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG zu veranlassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der Klägerin steht ein Anspruch aus § 1 UWG auf Unterlassung des Verkaufs von Uhren und Schmuck an Samstagen und Sonntagen im geltend gemachten Umfang zu.

Der Antrag ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar greift er unmittelbar auf die gesetzlichen Bestimmungen im Ladenschlussgesetz zurück. Da die Parteien gerade darüber streiten, welches die für das von der Beklagten betriebene Kaufhaus vorgesehenen Ladenschlusszeiten sind, vermitteln die gesetzeswiederholenden Definitionen an sich keine hinreichende Bestimmtheit. In dessen richten sich Inhalt und Umfang des begehrten Verbots nicht allein nach seinem Wortlaut, sondern auch nach dem Vorbringen, auf das sich die Klage stützt (vgl. BGH WRP 1996, 1020 f - "Blumenverkauf an Tankstellen"; GRUR 1993, 569 f - "Camcorder"). Im Streitfall wird aus dem gesamten Vorbringen der Klägerin deutlich, dass sie den Verkaufsbetrieb des Kaufhauses der Beklagten an Samstagen und Sonntagen während der allgemeinen Ladenschlusszeiten untersagt sehen will, denn sie leugnet gerade, dass sich die Beklagte auf eine in Betracht zu ziehende Ausnahmeregelung berufen kann. Die allgemeinen Ladenschlusszeiten an Samstagen und Sonntagen, auf welche die Klage abstellt, sind durch § 3 LadSchlG definiert und damit bestimmt umschrieben (vgl. BGH a. a. O. "Blumenverkauf an Tankstellen").

Wie eingangs schon erwähnt, folgt der Anspruch der Klägerin unmittelbar aus § 1 UWG, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG bedarf. Denn die Klägerin ist unmittelbar Verletzte. Es geht hier nicht um eine zusätzliche Klagebefugnis für solche Gewerbetreibende, die möglicherweise von dem Wettbewerbsverstoß in ihrem Absatz betroffen sein könnten (vgl. Köhler/Piper, UWG, 2. Auflage, § 13 Rdnr. 10) und schon gar nicht kann der Auffassung der Beklagten gefolgt werden, zwischen den Parteien bestehe gar kein Wettbewerbsverhältnis. Vielmehr ist die Klägerin Gewerbetreibende und steht - jedenfalls hinsichtlich des hier interessierenden Vertriebs von Schmuck und Uhren - in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zur Beklagten. Die Parteien suchen insoweit gleichartige Waren innerhalb desselben Abnehmerkreises abzusetzen (vgl. BGH WRP 2000, 1258/1260 - "Filialleiterfehler"), wobei sich die durch die Wettbewerbsmaßnahme der Beklagten angesprochenen Kundenkreise der Parteien decken, mindestens in einem nicht unerheblichen Umfang überschneiden (vgl. OLG München, WRP 1996, 930/932; Köhler/Piper a. a. O. vor § 13 Rdnr. 84). Dass die Parteien, soweit es um den Absatz von Schmuck und Uhren geht, gleichartige Waren vertreiben, bedarf keiner näheren Begründung. Es besteht auch die erforderliche Identität hinsichtlich des potentiellen Abnehmerkreises. Insoweit ist der Auffassung der Beklagten nicht zu folgen, dass im einzelnen das Landgericht Feststellungen über Kundenströme von Tempelhof oder Neukölln zum hätte treffen müssen. Es mag zutreffend, dass das Berliner Stadtgebiet insgesamt keinen einheitlichen Markt darstellt. Dies gilt jedoch nicht im Hinblick auf Kundenströme zwischen einzelnen Vororten und der Stadtmitte. Die Beklagte räumt selbst ein, dass die örtliche Ausstrahlung des Geschäfts der Klägerin jedenfalls den früheren Bezirk Tempelhof und den Bezirk Neukölln umfasst. Angesichts der guten Verkehrsanschlüsse aus diesen Bezirken in die Stadtmitte ist davon auszugehen, dass Tempelhofer und Neuköllner, aber auch Touristen, die in Tempelhof oder Neukölln logieren, den Weg in die Stadtmitte finden und gegebenenfalls auch Einkäufe von Schmuck und Uhren bei der Beklagten vornehmen und von den entsprechenden Angeboten der Klägerin keinen Gebrauch machen. Dass es solche Kundenströme geben muss, folgt letztlich auch aus dem eigenen Verhalten der Beklagten, die Werbung für das von ihr betriebene Warenhaus und insbesondere auch Verkäufe an den Wochenenden nicht zuletzt in Tempelhof und Neukölln streut. Gerade zur Bewerbung der im vorliegenden Rechtsstreit beanstandeten Wochenendverkaufsaktionen hat die Beklagte - wie den Mitgliedern des Senats positiv bekannt - umfängliche Öffentlichkeitsarbeit - auch in Rundfunk und Fernsehen - geleistet. Die Parteien sind mithin räumlich auf demselben Markt tätig, was die erkennenden Richter, von denen einer in Tempelhof wohnt und ein weiterer aus Tempelhof stammt, ohne weiteres aus eigener Lebenserfahrung als Teil der angesprochenen Verkehrskreise feststellen können.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Klägerin gegen § 3 Abs. 1 des LadSchlG verstoßen hat. Der Verkauf von Uhren und Schmuck in dem von der Beklagten betriebenen Kaufhaus am 31. Juli nach 16.00 Uhr und am 1. August 1999 ist auch nicht durch § 10 Abs. 1 LadSchlG gedeckt. Der Alexanderplatz gehört zu einem "Ausflugsgebiet" im Sinne dieser Bestimmung. Gemäß Artikel I der dritten Verordnung zur Änderung der Verordnungen über den Ladenschluss in Ausflugs- und Erholungsgebieten ist Erholungsgebiet im Sinne des § 1 der Verordnung unter anderem gemäß Nr. 8 "Der Innenstadtbereich mit zahlreichen touristischen Anziehungspunkten". In der Anlage zu 8. ist dieses Gebiet in der Weise markiert, dass es vom über bestimmte im einzelnen benannte Straßen und Straßenzüge zum Hardenbergplatz und von dort über andere Straßen und Straßenzüge zurück zum reicht. Es ist also keineswegs so, dass der als solcher als Erholungsgebiet im Sinne dieser Vorschrift ausgewiesen wäre. Wenn dies der Fall wäre, könnte man allerdings auf den Gedanken kommen, das Kaufhaus der Beklagten sei die Attraktion des. In einem so gelagerten Fall hat das OLG Stuttgart (Gewerbearchiv 1986, 393) das Sortiment der Attraktion - das war eine Baumschule - als kennzeichnende Ware im Sinne des § 10 LadSchlG eingestuft (vgl. zu derartigen Fallgestaltungen auch OLG Stuttgart Gewerbearchiv 1987, 272 und LG Offenburg WRP 1995, 530). Vorliegend ist aber der nur Ausgangs- und Endpunkt eines großflächigen Bereichs, der weite Teile der Berliner Innenstadt umfasst und zahlreiche Sehenswürdigkeiten aufweist. Das Kaufhaus der Beklagten mag zu diesen Sehenswürdigkeiten gehören, es ist aber nur eines von mehreren Kaufhäusern in dem Bereich und über dies keineswegs als besondere Attraktion für den Innenstadtbereich kennzeichnend. Daher können die Waren ihres Sortiments - auch Schmuckwaren und Uhren - keineswegs als für dieses Erholungsgebiet kennzeichnende Waren angesehen werden. Die Beklagte übersieht, dass § 10 LadSchlG eine abschließende Aufzählung der absetzbaren Waren vorgibt, die durch den Erlass von Rechtsverordnungen nicht erweiterungsfähig ist. Hingegen ist eine Beschränkung möglich. Andere Waren dürfen während der allgemeinen Ladenschlusszeiten nicht verkauft werden (vgl. VG Berlin NJW 1999, 2988 [gebilligt vom OVG a. a. O. 2989]; Stober/Müller, Ladenschlussgesetz, 4. Auflage, § 10 Rdnr. 14; Zmarzlik/Roggendorf, Ladenschlussgesetz, 2. Auflage, § 10 Rdnr. 11; Rozek, Vorsprung durch Rechtsbruch, NJW 1999, 2921 f). Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es auch keiner Definition des Begriffs "Andenken" im Hinblick auf die gesetzliche Wendung "Waren, die für diesen Ort kennzeichnend sind". Denn wie das VG Berlin a. a. O. zutreffend dargelegt hat, ist ein "Andenken" ein Unterfall der "kennzeichnenden Ware", wobei der Gesetzgeber erreichen wollte, dass mehr als nur "Andenken" oder "Souvenirs" zum Verkauf freigegeben sind, zum Beispiel auch ortstypische Esswaren oder kunstgewerbliche Artikel. Im Ergebnis schließt sich der Senat der Auffassung des VG Berlin a. a. O. an, dass die Vorgehensweise der Beklagten, die die Waren ihres Sortiments - auch Schmuckwaren und Uhren - einfach mit einem Aufkleber "Berlin-Souvenir" versehen hat, den Versuch darstellt, den klaren Wortlaut des Gesetzes zu umgehen.

Der Verstoß der Beklagten gegen § 3 Abs. 1 LadSchlG stellt sich als Verstoß gegen wertneutrale Ordnungsvorschriften dar, zu denen auch die Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes zählen (vgl. BGH a. a. O. 1022 - "Blumenverkauf an Tankstellen"). Die Vorschriften des Ladenschlussgesetzes sind Ausdruck ordnender Zweckmäßigkeit und verfolgen andere Ziele als das UWG. Sie erschöpfen sich darin, von einem Unternehmer die Einhaltung der angegebenen Ladenschlusszeiten zu verlangen. Eine weiterreichende wettbewerbsbezogene Bedeutung kommt den Regeln des Ladenschlussgesetzes danach nicht zu. Der Verstoß gegen eine derartige wertneutrale Norm ist jedoch regelmäßig - so auch hier - dann wettbewerbswidrig, wenn der Handelnde - hinzutretend zum Gesetzesverstoß - bewusst und planmäßig vorgeht, obwohl für ihn erkennbar ist, dass er dadurch einen sachlich ungerechtfertigten Vorsprung im Wettbewerb vor gesetzestreuen Mitbewerbern erlangen kann (vgl. Köhler/Piper a. a. O. § 1 Rdnr. 659). Auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit kommt es nicht an. Das Merkmal der Planmäßigkeit schließt nur versehentliche, auf bloßer Unachtsamkeit beruhende, einmalig bleibende Verstöße aus, um die es hier fraglos nicht geht. Der Gesetzesverstoß hat im gegebenen Fall auch zu einem greifbaren Wettbewerbsvorteil geführt, der geeignet ist, die Wettbewerbslage zu Gunsten der Beklagten spürbar zu beeinflussen (vgl. zu diesem Erfordernis BGH GRUR 1985, 886/888 - "Cocktailgetränke"; 1992, 320/321 - "RSA/Cape"). Denn die Beklagte hat für die Durchführung des beanstandeten Wochenendverkaufs ein hohen Maß an Aufmerksamkeit in Presse, Funk und Fernsehen gefunden, wie die Mitglieder des Senats aus eigener Erinnerung sicher wissen. Es ist davon auszugehen, dass es der Beklagten aufgrund dieser "Publicity" und ihrer eigenen erheblichen Werbeanstrengung gelungen ist, Interessenten in das von ihr betriebene Kaufhaus zu locken, wobei es mit Sicherheit auch zu Geschäftsabschlüssen gekommen ist.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch die Überprüfung der hier relevanten §§ 3 Abs. 1 und 10 Abs. 1 LadSchlG auf ihre Verfassungsgemäßheit nicht. Der Senat sieht keinen Anlass, das hiesige Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit der §§ 3 Abs. 1 und 10 Abs. 1 LadSchlG mit dem Grundgesetz gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG einzuholen. Es bedarf auch keiner verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften in dem Sinne, dass das Verhalten der Beklagten nicht gegen einfaches Recht verstößt. Dabei übersieht der Senat nicht, dass es durchaus Bedenken verfassungsrechtlicher Art gegen Vorschriften des Ladenschlussgesetzes gibt, die aber - jedenfalls derzeit - nicht durchgreifen. Im übrigen ist dabei auch zwischen dem Ladenschluss an Samstagen und dem Ladenschluss an Sonntagen zu unterscheiden, da gemäß Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt sind. Ein Verstoß gegen Artikel 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Freiheit der Berufsausübung sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer setzt voraus, dass der Einschränkung keine vernünftigen Erwägungen zugrunde liegen oder dass sie unverhältnismäßig ist. Das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel muss geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck auch zu erreichen, ferner muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein (vgl. BVerfGE 59, 336 355). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine ursprünglich verfassungsgemäße Bestimmung durch Änderung der Umstände verfassungswidrig werden kann (BVerfG a. a. O. 357).

Das Ladenschlussgesetz dient in erster Linie dem Schutz des Verkaufspersonals zur Sicherung eines freien Abends und eines zusammenhängenden freien Wochenendes. Ihm liegt mithin eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls zugrunde (vgl. BVerfGE 13, 237/241; NJW 1998, 2811; Stober/Müller, a. a. O. Einführung Rdnr. 17). Zweifelhaft ist allenfalls, ob der ursprünglich bezweckte Arbeitszeitenschutz heute noch rechtstatsächlich relevant ist, woran man im Hinblick auf Teilzeitarbeitskräfte, die teilweise sogar nur an Arbeit am Wochenende interessiert sind, und an die fortgesetzte Herabsetzung der Arbeitszeiten zu denken hat. Hinzu könnte kommen, dass das Ladenschlussgesetz selbst in den §§ 4 bis 10 Ausnahmen zulässt, die - nicht nur von der Beklagten - in ihrer Reichweite "ausgetestet" werden. Schließlich mag es auch Möglichkeiten geben, die Arbeitszeit in Tarifverträgen zu regeln (vgl. zu all den Kehrberg, Schutzzweck und Verfassungsmäßigkeit des Ladenschlussgesetzes, Gewerbearchiv 2001, 14/21 f). Diese rechtstatsächlichen Überlegungen entziehen den Erwägungen, die zur Einführung des Ladenschlussgesetzes geführt haben, jedoch noch nicht die Grundlage. Denn jedenfalls die von dem Gesetz erfassten Arbeitnehmer haben so einen gesetzlichen Anspruch auf einen freien Samstagabend und ein zusammenhängendes Wochenende. Es kann derzeit nicht - im verfassungsrechtlich relevanten Umfang - davon ausgegangen werden, dass tatsächlich am Wochenende im Wesentlichen nur solches Personal eingesetzt würde, das nur gering beschäftigt ist. Eine Förderung von Arbeitgebern, die weithin gering beschäftigtes Verkaufspersonal einsetzen wollen, muss auch rechtspolitisch nicht Ziel des Gesetzgebers sein. Darüber hinaus kann auch von Seiten des Arbeitgebers der Verwaltung oder der Konkurrenten nicht hinreichend genau überprüft werden, ob am Samstagabend oder an Sonn- und Feiertagen nur Personal eingesetzt wird, das unter den Schutzzweck des Gesetzes nicht fällt. Schließlich erscheint es auch nicht unverhältnismäßig, in diesem Zusammenhang auch die Belange derjenigen selbständigen Einzelhändler zu berücksichtigen, die ohne Personal auskommen und bei einem Wegfall der Ladenschlusszeiten aus Konkurrenzgründen gezwungen sein könnten, ihre eigene Arbeitsleistung weiter zu erhöhen.

Ebenso wenig bedarf es einer Abschaffung oder Änderung des Ladenschlussgesetzes deshalb, weil andere Vertriebsformen von ihm nicht betroffen sind, wodurch sich die Chancen für den Automatenhandel, den Versandhandel sowie für elektronische Vertriebsformen vergrößern. Diese Vertriebsformen spielen jedoch für die tragenden Erwägungen, die zur Einführung des Ladenschlussgesetzes geführt haben, keine Rolle, wobei noch zu bedenken ist, dass sich sowohl die Händler als auch die Arbeitnehmer Betätigungsfelder im Rahmen dieser Betriebsformen suchen können (vgl. Stober/Müller a. a. O. Einführung Rdnr. 18). Ein Verstoß gegen Artikel 12 Abs. 1 GG ist auch nicht im Hinblick darauf anzunehmen, dass andere geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen, welche die Betroffenen und die Allgemeinheit in ihren Rechten weniger beeinträchtigen. Allerdings bezieht das Gesetz auch Verkaufsstellen ohne Verkaufspersonal ein, was bedenklich sein könnte, da der Schutz des Verkaufspersonals diese Einbeziehung ersichtlich nicht fordert. Nimmt man derartige Verkaufsstellen allerdings aus dem Gesetz heraus, so führt dies nach Ansicht des Gesetzgebers zu einer Wettbewerbsverzerrung mit der Folge, dass zusätzliche Umgehungsversuche vorkommen würden, welche Gefahren für den Arbeitsschutz mit sich bringen (vgl. BVerfGE 13, 230/235; Stober/Müller a. a. O. Einführung Rdnr. 19). Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind jedenfalls nicht so abwegig, dass er im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit gehindert war und ist, auch insoweit die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung anzunehmen. Dies gilt letztlich auch in bezug auf die Möglichkeiten einer tarifrechtlichen Kontrolle, zumal diese zu Zufallergebnissen führen kann.

Dass die Regelungen der §§ 3 Abs. 1 und 10 Abs. 1 LadSchlG gegen Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 14 Abs. 1 GG verstoßen könnten, ist nicht ersichtlich (vgl. Stober/Müller a. a. O. Einführung Rdnr. 24 und 25).

Schließlich liegt auch ein Verstoß gegen Artikel 3 GG nicht vor. Ein solcher Verstoß kommt in Betracht, wenn die "gleiche oder ungleiche Handlung geregelte Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt" (BVerfGE 26, 302/310; BayVerfGH, Gewerbearchiv 1987, 390; Stober/Müller a. a. O. Einführung Rdnr. 26). Insoweit ist allerdings bedenklich, dass sich das Ladenschlussgesetz nur auf Verkaufsstellen bzw. auf den Schutz des Ladenpersonals bezieht, während auch viele andere Gewerbebetriebe mit Angestellten unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsschutzes gleich eingestuft werden könnten, wobei zum Beispiel ein Reparatur- und Leihbetriebe zu denken ist. Dies erscheint aber nicht willkürlich, da der Gesetzgeber eine klare und abgrenzbare Regelung schaffen musste. Da die meisten Angestellten im Ladenverkauf tätig sind, erscheint die vorgenommene Regelung als ein sachlicher Anknüpfungspunkt (vgl. Stober/Müller a. a. O. Einführung Rdnr. 27). Auch die Regelung von Ausnahmen innerhalb des Ladenschlussgesetzes erscheint verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Dies gilt im Falle der Beklagten vor allem deshalb, weil in unmittelbarer Nähe ihres Kaufhauses im Bahnhof ihre Konkurrenten unter den Einschränkungen des § 8 LadSchlG außerhalb der Ladenöffnungszeiten Handel treiben können (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG NJW 1994, 1017; BayVerfGH a. a. O.). Die Konkurrenzsituation zwischen dem Kaufhaus und den Gewerbetreibenden im Bahnhof beruht auf dem Umstand, dass sich das Kaufhaus in der Nähe des relativ bedeutenden Bahnhofs befindet. Auf eine solche Besonderheit der öffentlichen Situation brauchte der Gesetzgeber jedoch keine Rücksicht zu nehmen. Dass das Warenhaus der Beklagten trotz Bahnhofsnähe behandelt wird wie die anderen Warenhäuser auch, ist mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise durchaus vereinbar, zumal sonst das Warenhaus der Beklagten gegenüber seinen Konkurrenten privilegiert würde. Im übrigen trifft es nicht zu, dass auf dem Bahnhof außerhalb der Ladenöffnungszeiten ein Sortiment, wie es sonst für Kaufhäuser typisch ist, angeboten werden kann. Vielmehr enthält § 8 Abs. 1 LadSchlG eine Beschränkung auf den Verkauf von "Reisebedarf während der allgemeinen Ladenschlusszeiten. Entsprechendes gilt auch für Tankstellen, da § 6 Abs. 2 LadSchlG an Werktagen während der allgemeinen Ladenschlusszeiten und an Sonn- und Feiertagen nur den Verkauf von Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge, soweit dies für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Fahrbereitschaft notwendig ist, sowie die Abgabe von Betriebsstoffen und von Reisebedarf zulässt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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