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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 09.02.2001
Aktenzeichen: 5 U 9667/00
Rechtsgebiete: UrhG, ZPO


Vorschriften:

UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4
UrhG § 14
ZPO § 935
ZPO § 940
1. Gartenanlagen sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG grundsätzlich als Werke der bildenden Kunst schutzfähig.

2. Eine Störung der Wahrnehmbarkeit eines standortbezogen geplanten Werkes durch die Aufstellung einer Skulptur von erheblichen Ausmaßen stellt eine Beeinträchtigung der persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers iSd § 14 UrhG dar, wenn sich die künstlerische Aussage seines Werkes dem Betrachter deswegen nicht mehr mitteilen kann.

3. § 25 UWG gilt nicht im Urheberrecht.

4. Die sog. "Selbstwiderlegung" der Dringlichkeit ist als allgemeiner Grundsatz auch im allgemeinen Zivilprozessrecht zu beachten.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 5 U 9667/00 16 O 666/00 Landgericht Berlin

Verkündet am: 9. Februar 2001

Lohey, Justizsekretärin

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Richter am Kammergericht Crass, die Richterin am Kammergericht Prietzel-Funk und den Richter am Landgericht van Dieken auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 24. Oktober 2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Garten- und Landschaftsarchitektin. Die Antragsgegnerin ließ in den Jahren 1998/99 durch die B Umbauarbeiten am "Friedrich-Rohwedder-Haus" in Berlin für die Nutzung des Gebäudes als Bundesministerium für Finanzen durchführen. Das Gebäude war im Jahr 1936 von dem Architekten S geplant und errichtet worden. In ihm war zunächst das Reichsluftfahrtministerium untergebracht. Zu Zeiten der DDR diente es als "Haus der Ministerien", später hatte die Treuhandanstalt dort ihren Sitz. Die Antragstellerin plante im Zuge der Umbauarbeiten für den nördlichen Innenhof des Gebäudes eine bisher nicht vorhandene Gartenanlage und führte diese aus. Sie sieht ihr Urheberrecht an der Gartenanlage dadurch beeinträchtigt, dass die Antragsgegnerin plant, eine ca. 9,5 x 27 x 11 m und ca. 35 t schwere Stahlskulptur des Künstlers R S Innenhof aufzustellen.

Sie hat beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, in dem nördlichen Innenhof des Detlef-Rohwedder-Hauses (Bundesministerium der Finanzen) die von der Antragstellerin geschaffene Garten- und Flächengestaltung zu verändern,, nämlich die von dem Künstler R S geschaffene Stahlskulptur mit dem Titel "Courante" aufzustellen.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zu Recht nicht entsprochen. Es ist zwar überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragstellerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 97 Abs. 1 UrhG zusteht. Jedoch ist sie wegen des Fehlens eines Verfügungsgrundes daran gehindert, ihr Begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchzusetzen.

1. Die von der Antragstellerin geschaffene Gartenanlage ist als Werk der bildenden Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG zu qualifizieren, das Urheberrechtsschutz geniesst.

Werke der bildenden Kunst können anerkanntermaßen grundsätzlich auch aus organischen Stoffen bestehen (Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 2. Aufl., UrhG § 2 Rdn. 145 m. w. N.; Haberstumpf, Handbuch des Urheberrechts Rdn. 87). Auf ihre Vergänglichkeit kommt es nicht an (Schricker a.a.O.). Es kann angesichts von kunstvoll angelegten Gartenanlagen in aller Welt keinem Zweifel unterliegen, dass Gartengestaltungen grundsätzlich schutzfähig sind (vgl. OLG Düsseldorf GRUR 1990, 189, 191). Auch die streitgegenständliche Gartengestaltung wird den Anforderungen gerecht, die an die Schutzfähigkeit derartiger Werke zu stellen sind. Sie weist den gemäß § 2 Abs. 2 UrhG erforderlichen ästhetisch-geistigen Gehalt auf, der sie als persönlich-geistige Schöpfung der Antragstellerin erkennbar aus dem Alltagsschaffen betreffend die Gestaltung von Außenanlagen herausragen lässt, der zweifellos einen solchen Grad erreicht, dass nach den im Leben herrschenden Anschauungen von Kunst gesprochen werden kann. Maßgeblich ist dafür die Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten-(Verkehrs-)Kreise (st. Rechtsprechung; BGHZ 27, 351, 356 - Candida-Schrift; GRUR 1980, 853 - Architektenwechsel; GRUR 1983, 377, 378 m. w. N. - Brombeer-Muster; OLG Saarbrücken GRUR 1999, 420, 422 - Verbindungsgang; Schricker/Loewenheim a.a.O. Rdn. 24; Fromm/Nordemann/Vinck, UrhG, 9. Aufl. § 2 Rdn. 15).

Angesichts des schöpferischen Eigentümlichkeitsgrades und der Individualität der Gestaltung offenbart sich in ihr künstlerisches Schaffen der Antragstellerin. Sie hat einen aussagekräftigen Dialog zwischen der historischen Gestalt der den Innenhof bildenden Fassaden des Gebäudes und der Innenhofgestaltung mit künstlerischen Mitteln ins Werk gesetzt. Das architektonische Erscheinungsbild des Gebäudes, in dem während des 3. Reiches das Reichsluftfahrtministerium untergebracht war, ist geprägt durch die typische, von den Nationalsozialisten aus ideologischen Gründen favorisierte strenge Rasterung der Fassaden, die durch die stereotype Verwendung von nahezu ausschließlich einem einzigen Gestaltungselement, den stets gleichgroßen Fenstern, erreicht wird. Dieser Architekturtypus repräsentiert und symbolisiert den totalitären Anspruch der damaligen Machthaber. Diesem mit Mitteln der Architektur erzielten Gestus des Gebäudes stellt die Antragstellerin mit ihrer Innenhofgestaltung einen gänzlich anderen Aspekt gegenüber, der in der Gesamtaussage als Antithese zu der vorgefundenen geometrischen Strenge wirkt. Die Antragstellerin hat der Bodenfläche eine zierlich-geometrische Rasterung durch weißen Travertin gegeben und die durch ihn gebildeten Rasterfelder mit einer Begrünung versehen, deren verschiedene pflanzliche Wuchsformen sich durch Feingliedrigkeit und Eleganz sowie durch die mit ihnen verbundene besondere Symbolkraft auszeichnen (immergrüner Buchsbaum, weißblühende Tulpen und Azaleen, rotblühende Kastanien, grazile japanische Schnurbäume). Die Innenhofgestaltung ist damit erkennbar auf den Standort hin konzipiert.

Dem totalitären Machtanspruch wird in dialektischer Form die zeitlose, zurückhaltende, dennoch in ihren Wirkprinzipien erfassbare Natur als gestaltende Kraft entgegengehalten, die die steinerne Strenge der Fassaden überwindet. Damit ist der politische Zeitbezug hergestellt. Um diese Gesamtaussage erfassen zu können, ist für den Betrachter eine möglichst unverstellte Sicht auf den gesamten Innenhofraum erforderlich, um die Wechselbezüglichkeit der vertikalen (Stein-) und der horizontalen (Garten-)Architektur wahrnehmen zu können. Hierfür ist in gewisser Weise auch von der Antragstellerin Sorge getragen worden, die die Buchsbepflanzung niedrig konzipiert hat, weswegen die Sicht auf die von ihr ausgeführte Gartenanlage perspektivisch nicht verstellt wird und die Wahrnehmung der komplexen Raumwirkung gewährleistet bleibt.

2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist nicht § 39 UrhG, sondern § 14 UrhG anzuwenden. Beide Bestimmungen stehen selbständig nebeneinander. Ihr Unterschied besteht darin, dass das Recht gegen Änderungen (§ 39 UrhG) sich gegen eine Verletzung des Bestandes und der Unversehrtheit des Werkes selbst in seiner konkret geschaffenen Gestaltung, dagegen das urheberpersönlichkeitrechtlich ausgestaltete Recht gegen Entstellungen gegen eine Beeinträchtigung der geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers auch durch Form und Art der Werkwiedergabe und -nutzung richtet (BGH GRUB 1982, 107, 109 - Kircheninnenraumgestaltung). Danach ist für § 39 UrhG ein Eingriff in die Substanz erforderlich, die hier nicht vorliegt. Zwar spricht einiges dafür, eine solche Betrachtungsweise für zu eng zu halten (Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Aufl. § 39 Rdn. 4; Schricker/Dietz, a.a.O. § 39 Rdn. 1). Über derartige Bedenken setzt sich der erkennende Senat jedoch zumindest im einstweiligen Verfügungsverfahren hinweg.

3. Die von der Antragsgegnerin geplante Aufstellung der Skulptur des Künstlers Stellt sich zwar nach dem insoweit einschlägigen § 14 UrhG nicht als Entstellung des Werkes der Antragstellerin, wohl aber als Beeinträchtigung desselben dar. Eine Entstellung erfordert begrifflich wiederum einen Eingriff in die Substanz, der hier - abgesehen von den nur vorübergehenden Maßnahmen in den Grünflächen zur ordnungsgemäßen Gründung der Skulptur, die als revisibel hinzunehmen wären - nicht vorliegen (vgl. BGH GRUR 1982, 107 - Kircheninnnenraumgestaltung). Dagegen fallen unter Beeinträchtigungen im Sinne des § 14 UrhG Tatbestände, bei denen der Zusammenhang, in dem die Werkwiedergabe steht, zu einer Gefährdung der geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers führt. Ein derartiger Fall liegt hier vor. Die geplante Skulptur, die inmitten des Innenhofes errichtet werden soll, hebt die Wahrnehmbarkeit der durch die künstlerische Konzeption der Antragstellerin bedingten Wechselbezüglichkeit von Fassade und Begrünung auf. Sie greift durch ihre Ausmaße (9,5 x 27 x 11 m), die den Innenhof der Länge nach fast ausfüllen und der Höhe nach bis mindestens zum 3. Stock des 5-geschossigen Gebäudes reichen dürfte, in das dargestellte sensible Gefüge der standortbezogen geplanten Gartenanlage ein, weil sie die Betrachtungsachsen fortwährend trotz ihrer tatsächlich spielerisch leichten Wirkung, die die Vierkant-Stahle mit einem Gewicht von insgesamt 35 t konterkariert, unterbricht. Es widerspricht jedoch den geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers in eklatanter Weise, wenn sich die künstlerische Aussage seines Werkes aufgrund von Störungen der Wahrnehmbarkeit nicht mehr an den Betrachter mitteilen kann.

4. Im Rahmen des § 14 UrhG ist eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen des Urhebers und denen des Dritten vorzunehmen. Der erkennende Senat lässt seine Überlegungen, zu wessen Lasten diese Abwägung vorliegend geht, ausdrücklich offen. Dies ungeachtet des Eindrucks, dass für ein berechtigtes Interesse der Antragsgegnerin nicht viel spricht, weil es sich bei der Aufstellung der das Werk der Antragstellerin schwer beeinträchtigenden Skulptur insbesondere nicht um eine sich aus dem Gebrauchszweck des Innenhofes ergebende Notwendigkeit handelt, die hingenommen werden müsste (vgl. Möhring/Nicolini a.a.O. Rdn. 18 ff.). Es bedarf insoweit keiner abschließenden Beurteilung, weil für den Erlass der einstweiligen Verfügung jedenfalls kein Verfügungsgrund besteht. Damit kann im Ergebnis auch offenbleiben, ob die Antragstellerin aufgrund ihres langen Zuwartens bis zur Beantragung der einstweiligen Verfügung in treuwidriger und damit gegen § 242 BGB verstoßender Art und Weise gegen die Antragsgegnerin vorgegangen ist und welche Rolle in diesem Zusammenhang ggf. Art. 5 Abs. 3 GG spielt, der in besonderem Maße die öffentliche Hand bindet.

5. Der Antragstellerin ist es wegen des Fehlens eines Verfügungsgrundes verwehrt, gegen die Antragsgegnerin mit Erfolg im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Sie hat die Annahme einer Dringlichkeit durch ihr eigenes vorprozessuales Verhalten ausgeschlossen. Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit und damit das Entfallen eines Verfügungsgrundes kommt ungeachtet, der Tatsache in Betracht, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG im Urheberrecht nicht eingreift (KG AfP 1994, 314; MünchKomm./Heinze, BGB § 935 Rdn. 183; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl. Kap. 54 Rdn. 20 b). Es ist allgemein anerkannt, dass ein Verfügungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller trotz eines ursprünglich bestehenden Regelungsbedürfnisses zu lange zugewartet hat, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. § 940 Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 940 Rdn. 7). Dies gilt auch für den einstweiligen Rechtsschutz im Urheberrecht (MünchKomm./Heinze a.a.O.). Unter Auswertung der eidesstattlichen Versicherungen, die im vorliegenden Verfahren vorgelegt wurden sowie unter Berücksichtigung der Einlassungen der Antragstellerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vordem erkennenden Senat ist festzustellen, dass die Antragstellerin trotz des mindestens seit Februar 2000 bestehenden Regelungsbedürfnisses die einstweilige Verfügung erst Anfang Oktober 2000 beantragt und damit solange zugewartet hat, dass ein Verfügungsgrund entfallen ist. Für die Antragstellerin stand spätestens seit Februar 2000 definitiv fest, dass die Skulptur des Künstlers S im Innenhof des Bundesfinanzministeriums aufgestellt würde, weil zu diesem Zeitpunkt ein entsprechender Vertrag mit dem Künstler abgeschlossen worden war oder zumindest kurz vor seinem Abschluss stand, was die Antragstellerin wusste. Für sie konnte es mithin nicht mehr um die Frage gehen, ob, sondern wann die geplante Aufstellung realisiert werden würde. Stand aber die Realisierung als solche fest, hätte die Antragstellerin bereits ab diesem Zeitpunkt eine einstweilige Verfügung beantragen können, selbst wenn zunächst von einem geplanten Aufstellungstermin im Juli 2000 die Rede gewesen ist. Dies hätte der Dringlichkeit einer einstweiligen Regelung nicht entgegengestanden. Aufgrund des feststehenden Sachverhaltes war sie gezwungen, ihre Rechte zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt als tatsächlich geschehen wahrzunehmen und durchzusetzen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1989, 408). Die im Grundsatz begrüßenswerte Kooperationsbereitschaft der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin mit dem Ziel, für sich zu retten, was noch zu retten ist, entbindet sie hiervon nicht, zumal sie gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. Juli 2000 gerichtliche Schritte angedroht hatte. Ein von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumtes weiteres Taktieren im Hinblick auf weitere Aufträge aus öffentlicher Hand kann nicht berücksichtigt werden und wirkt sich dringlichkeitsschädlich aus. Es ist auch nicht ersichtlich, dass wegen Art. 19 Abs. 4 GG vorliegend vom Erfordernis der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes abzusehen ist.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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