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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 06.06.2005
Aktenzeichen: 5 Ws 196/05 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 20 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ws 196/05 Vollz

In der Strafvollzugssache

des Strafgefangenen

wegen Einbringung von Bekleidung

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 6. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

1. Dem Gefangenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin U... G... in ... Berlin, ..., bewilligt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 21. März 2005 mit Ausnahme der Festsetzung des Streitwertes aufgehoben.

3. Der Antrag des Gefangenen vom 16. Juli 2004, die Justizvollzugsanstalt Tegel zu verpflichten, ihm die Einbringung und das Tragen einer kurzen und einer langen Hose sowie von drei T-Shirts mit sogenanntem Tarnmuster zu gestatten, wird abgelehnt.

4. Der Gefangene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe:

Der Anstaltsleiter hat den Antrag des Gefangenen, ihm auf eigene Kosten den Erwerb, die Einbringung und das Tragen einer kurzen und einer langen Hose sowie höchstens drei T-Shirts mit sogenanntem Tarnmuster zu gestatten, mündlich abgelehnt. Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer die Justizvollzugsanstalt Tegel verpflichtet, dem Gefangenen die Einbringung und das Tragen der beantragten Kleidung zu gestatten. In den Gründen der Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, daß der Anstaltsleiter dem Gefangenen nach § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG das Tragen privater Kleidung gestattet habe und daher die Einbringung und das Tragen bestimmter Kleidungsstücke nur nach Maßgabe der §§ 4 Abs. 2, 81 StVollzG untersagt werden könne, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich sei. Da diese Versagungsgründe nicht vorlägen, habe der Gefangene ein Recht auf Einbringung und Tragen der begehrten Kleidungsstücke.

Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel. Der Gefangene hat beantragt, ihm Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren und die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Das Rechtsmittel des Anstaltsleiters hat Erfolg.

I.

Dem Prozeßkostenhilfeantrag des Gefangenen war allerdings gemäß § 120 Abs. 2 StVollzG, § 114 ZPO unter Beiordnung von Rechtsanwältin G... stattzugeben, da der Antragsteller im ersten Rechtszug einen Erfolg erzielt hatte (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

II.

Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Der Senat hält es für geboten, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg. Da die Sache spruchreif ist, entscheidet der Senat gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG an Stelle der Strafvollstreckungskammer. Die Vollzugsbehörde hat den Antrag des Gefangenen zu Recht abgelehnt.

1. Die Strafvollstreckungskammer hat zwar zutreffend festgestellt, daß Bekleidung mit sogenanntem Tarnmuster in der Bevölkerung unter modischen Aspekten weit verbreitet ist und sich hieraus keine Schlüsse mehr auf eine politische Gesinnung oder eine besondere Gewaltbereitschaft ziehen lassen. Allerdings hat sie das Begehren des Gefangenen, ihm die Einbringung und das Tragen derartiger Kleidungsstücke zu gestatten, gesetzessystematisch falsch eingeordnet und dadurch zu Unrecht nach den §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 81 ff. StVollzG beurteilt. Diese Vorschriften lassen sich auf den Fall nicht anwenden.

Maßgebend ist allein § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, wonach der Anstaltsleiter dem Gefangenen, abweichend von dem Grundsatz, daß Anstaltskleidung zu tragen ist, private Kleidung gestatten kann.

2. a) Nach der in § 20 Abs. 1 Satz 1 StVollzG enthaltenen Regel trägt der Gefangene grundsätzlich Anstaltskleidung. Ein Recht des Gefangenen, eigene Kleidung zu tragen besteht hingegen nicht (vgl. BayVGH München NStZ-RR 1999, 380; OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302, 303; OLG Hamm NStZ 1992, 559; OLG Koblenz NStE Nr. 1 zu § 20 StVollzG = NStZ 1989, 247; Arloth/ Lückemann, StVollzG, § 20 Rdn. 1). Der Gesetzgeber hat sich - überwiegend aus Gründen der Erkennbarkeit (vgl. Arloth/ Lückemann aaO) - ausdrücklich und in Abkehr zum Alternativentwurf eines Strafvollzugsgesetzes (dort: §§ 3 Abs. 2 Satz 1, 124 Abs. 1) für diese Maxime entschieden, obwohl sie dem Angleichungsgrundsatz weniger entspricht und die regelhafte Gestattung des Tragens eigener Kleidung möglicherweise eher geeignet wäre, das Selbstvertrauen der Gefangenen zu stärken (vgl. Köhne ZRP 2003, 60; Calliess/ Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 20 Rdn. 1; Böhm in Schwind/ Böhm, StVollzG 3. Aufl., § 20 Rdn. 1). Ein Recht auf Benutzung eigener Kleidung steht dem Gefangenen lediglich im Falle einer Ausführung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG) und nur dann zu, wenn keine Entweichungsgefahr besteht (§ 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Das ist die gesetzliche Regel, die den Gefangenen hinsichtlich der Bekleidung in seiner Freiheit beschränkt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 StVollzG) und die Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG ausschließt.

b) In sonstigen Fällen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) - wie hier - handelt es sich um eine nur in den Grenzen des § 115 Abs. 5 StVollzG nachprüfbare Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters (vgl. BVerfG NStZ 2000, 166; OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302, 303; OLG Koblenz aaO; Calliess/Müller-Dietz, § 20 StVollzG Rdnr. 2; Schwind/Böhm, § 20 StVollzG Rdn. 4), bei der unter anderem Gesichtspunkte der Angleichung aber auch der Gleichbehandlung der Gefangenen eine Rolle spielen und auch zwischen den verschiedenen Vollzugsformen, wie offener oder geschlossener Vollzug, differenziert werden kann (vgl. Arloth/Lückemann StVollzG, § 20 Rdn. 4). In diesem Zusammenhang ist bereits höchstrichterlich entschieden, daß es Strafgefangene im Interesse der Sicherheit und Ordnung hinzunehmen haben, innerhalb der Anstalt nicht beliebige Kleidung tragen zu dürfen und daß die Justizvollzugsanstalt organisatorische Bedingungen an die Gestaltung knüpfen darf (vgl. BVerfG NStZ 2000, 166; KG, Beschluß vom 11. Mai 2001 - 5 Ws 195/01 Vollz -weiße Kleidung betreffend ).

3. So liegen die Dinge hier. Der Anstaltsleiter hat nicht - wie die Strafvollstreckungskammer und der Gefangene meinen - durch die das Vollzugsziel fördernde (vgl. Köhne aaO) Gestattung des Tragens von Privatkleidung den Grundsatz des § 20 Abs. 1 StVollzG uneingeschränkt in sein Gegenteil verkehrt und sich damit der Befugnis begeben, nach seinem Ermessen in die Auswahl und Gestaltung der Kleidung regelnd einzugreifen. Dazu wäre er auch nicht berechtigt gewesen, weil eine solche allgemeine Erlaubnis, deren teilweise Rücknahme sich an § 14 Abs. 2 und 81 StVollzG messen lassen müßte, das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis verletzt hätte. Dem Anstaltsleiter überläßt das Gesetz in § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen er das Tragen eigener Kleidung gestatten will (vgl. OLG Koblenz NStZ 1989, 247, 248).

Bei dieser Entscheidung steht ihm ein weites Ermessen zu. Es kommt nicht nur darauf an, ob Belange der Sicherheit und Ordnung gefährdet sind. Auf diesen Gesichtspunkt beschränkt ist nur die Entscheidung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Deswegen läßt sich auch entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer und des Gefangenen § 81 StVollzG für den Streitfall nicht nutzbar machen. Denn diese Vorschrift steht im Kontext zu § 4 Abs. 2 StVollzG und vielen anderen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes, die den Auftrag der Sicherheit und Ordnung enthalten (vgl. Arloth/Lückemann a.a.O. § 81 Rdn. 3). Diesen Auftrag enthält zwar § 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG, der auch auf die Gefahr der Entweichung abstellt, nicht aber § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG für die Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde.

Der Anstaltsleiter kann sein Ermessen vielmehr dahingehend ausüben, daß er zwar dem Gefangenen das Tragen privater Kleidung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG gestattet, aber bestimmte Bekleidungsarten, wie etwa weiße Kleidung (vgl. KG a.a.O.), ausschließt. Wird dem Gefangenen die Vergünstigung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG gewährt, kann er daraus keine über die Ermessensentscheidung hinausgehenden Rechte herleiten. Es kommt lediglich darauf an, daß die Entscheidung des Anstaltsleiters, bestimmte Kleidungsstücke zu untersagen, einen nachvollziehbaren Grund hat und nicht willkürlich erscheint. Ein solcher nachvollziehbarer Grund steht dem Anstaltsleiter für die Untersagung des Tragens von Tarnkleidung zur Seite.

Tarnmuster entstammen der militärischen und paramilitärischen Bekleidung. Sie dienen in ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung dazu, daß ihr Träger in der Natur nicht oder nur schwer für den Feind sichtbar ist. Aufgrund dieser Eigenschaft ist sie maßgeblich für die kämpfende Truppe bestimmt ("combat"-Kleidung) und unterscheidet sich so von sonstigen militärischen Uniformen, die auch für mannigfaltige andere Zwecken zur Verfügung stehen. Diese Herkunft prädestinierte die mit Tarnmustern versehene Privatkleidung zunächst dazu, als uniformähnliches Erkennungsmerkmal gewaltbereiter Gruppen oder politischer Extremisten getragen zu werden.

Dieser unmittelbare Zusammenhang besteht nicht mehr. Denn inzwischen haben sich Tarnmuster von ihrer ursprünglichen Bestimmung gelöst und werden aus modischen Gründen auch von jedermann getragen, ohne daß damit eine Gesinnung zur Schau getragen wird. Das nimmt der Tarnkleidung indes nicht die symbolisch aggressiv aufgeladene Anmutung ihrer ursprünglichen Herkunft. Insbesondere, wenn mehrere Personen gleichzeitig mit Tarnmustern versehene Kleidungsstücke tragen, strahlen sie auch dann Kampfbereitschaft aus, wenn sie das nicht bezwecken und nur ihren modischen Neigungen folgen wollen. Das aber ist dem auf den Abbau von Aggressionen ausgerichteten Vollzugsziel nicht förderlich. Es ist daher nachvollziehbar, wenn der Anstaltsleiter dem im Rahmen der Ausübung seines Ermessens entgegentritt. Eine darüber hinausgehende Überprüfung der Ermessensausübung ist den Gerichten nach § 115 Abs. 5 StVollzG untersagt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 StVollzG in Verbindung mit § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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